NEUN

Ja, okay, ich versuche, es irgendwie zu schaffen ! Bis gleich !«

Als Caro auflegt, ist sie ganz aufgeregt. Dann verstaut sie das Handy nicht etwa in ihrer Jackentasche, sondern wählt sofort wieder.

»Marc ? Du musst sofort mit Henri kommen. In den Katharinenweg. Die Purzelzwerge haben eben angerufen.«

Ich kann nicht genau hören, was Marc antwortet, aber er klingt erstaunt.

»Ja, ich weiß, dass wir da eigentlich erst morgen den Termin haben, aber da klappt es doch nicht bei ihnen, aber sie könnten heute in der Mittagspause. Wenn wir da nicht gleich erscheinen, ist der Platz weg.«

Pause.

»Genauso ist es. Jetzt oder nie !«

Sie legt auf, und nun verstaut sie das Handy wirklich wieder in der Jacke.

»Komm, Herkules, gib Gas. Wir müssen gleich einen superguten Eindruck machen. Schon schlimm genug, dass ich dich überhaupt mitbringen muss – also benimm dich !«

Dann scheint ihr noch etwas anderes durch den Kopf zu schießen, und sie kramt wieder ihr Handy hervor.

»Marc ? Ich bin es noch mal. Tu mir mal einen Gefallen – setz Henri bitte nicht in die Karre, sondern pack ihn ins Tragetuch. Genau. Warum ? Nein, die Karre ist heil – aber ich will, dass wir einen besonders guten Eindruck machen. Und ich glaube, Väter, die ihre Kinder im Tragetuch tragen, machen bei Erzieherinnen bestimmt einen sehr engagierten, netten Eindruck. Bestimmt. Bis gleich !«

Während wir eben noch Kurs Werkstatt unterwegs waren, ändern wir jetzt unsere Richtung. Weil ich nicht weiß, wo genau Carolin nun hinwill, bleibt mir nichts anderes übrig, als einfach hinter ihr herzulaufen. Und dabei über das zu sinnieren, was ich eben gehört habe. Väter mit Tragetüchern machen einen guten Eindruck. Wie kann Caro das gemeint haben ? Was für einen Unterschied macht es denn, ob Marc, der heute kurz auf Henri aufpassen sollte, während wir in die Werkstatt wollten, Henri nun in der Karre oder im Tuch anschleppt ? Das kann doch nicht ernsthaft für irgendjemanden von Belang sein. Und falls doch, muss ich feststellen, dass die Aufzucht des menschlichen Nachwuchses ungleich komplizierter ist, als einen Dackelwurf großzukriegen. Wobei man das gar nicht meinen sollte, denn für mich liegt es völlig im Bereich des Unmöglichen, dass es einen strengeren Verein als den Deutschen Teckelclub von 1888 gibt. Und bei denen nutzt einem ein Tragetuch, will sagen, ein netter, engagierter Eindruck, gar nichts. Entweder man hat die richtigen Papiere – oder man darf nicht züchten. So einfach ist das.

»So, stopp, da wären wir schon. Hier sind die Purzelzwerge. Und jetzt gilt: Gutes Benehmen ist Pflicht ! Du weichst nicht von meiner Seite. Nicht, dass das wieder so ein Durcheinander wie am Leuchtturm gibt !«

Pah ! Diese Spitze kann sie sich sparen ! Soll sie mal besser ein Auge auf den Junior haben, dann passiert auch nichts. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass es bei den Purzelzwergen Schafe gibt.

Von außen betrachtet sieht das Haus, vor dem wir jetzt stehen, nämlich ganz normal aus. Direkt vor uns kann man durch eine Schaufensterscheibe in einen kleinen Laden gucken. Offenbar wird dort Kinderspielzeug verkauft, denn selbst aus meiner Augenhöhe sehe ich sehr viel davon in dem Laden herumliegen. Puppen, Bauklötzchen – eben all das, was auch in Henris Zimmer herumfliegt, weil er damit noch nicht viel anfangen kann. Wohingegen ich damit bei Strafe nichts anfangen darf, obwohl ich es durchaus könnte. So ungerecht ist die Welt !

Caro wirft einen Blick aufs Klingelschild, dann drückt sie einen der Knöpfe, und kurz darauf geht der Summer, und wir stehen im Hausflur. Es riecht alt und muffig, und ich bin mir ziemlich sicher, auch einen Hauch dreckiger Windel zu erschnuppern. Alles in allem kein tolles Geruchserlebnis. Warum wollen wir gerade hier einen guten Eindruck machen ?

Die Tür zum Laden hin öffnet sich, und eine junge Frau schaut heraus.

»Hallo ! Bist du Caro ?«

Caro nickt.

»Ich bin die Dörte. Kommt doch rein.«

»Danke ! Und das mit dem Hund ist wirklich kein Problem ? Ich bin ihn nicht so schnell losgeworden.«

»Nein, ist völlig okay. Unser Anruf war ja ziemlich spontan. Wir haben ein altes Kissen rausgekramt, da kann er sich gern drauflegen. Wir sind hier sowieso nicht so eine sterile Einrichtung. Ist überhaupt nicht gut für Kinder.«

Falls steril ein anderes Wort für ordentlich sein soll, muss ich Dörte sofort recht geben. Es ist wirklich nicht besonders ordentlich hier. Ich erkenne jetzt, dass wir uns nicht in einem Spielzeugladen befinden, sondern dass der große Raum vielmehr eine Art Spielzimmer ist, in dem alles wild durcheinanderfliegt. Gut, dass Hedwig nicht hier ist. Die würde einen Anfall bekommen. Vielleicht ist steril aber auch ein anderes Wort für sauber. Würde auch passen. Auf Anhieb finde ich auf dem Boden vor mir nämlich Krümel von Keksen und etwas, was selbst meine sensible Dackelnase nicht identifizieren kann. Es riecht nach fast gar nichts. Wie mag es wohl schmecken ? Schnell schlabbere ich es auf. Hm. Scheint eine Art Reiskeks zu sein. Ungesalzen. Fast ohne Geschmack. Sollten die damit hier etwa die Kinder füttern ? Gottogott. Der arme Henri !

Ein kräftiger Ruck an meiner Hundeleine.

»Sag mal, spinnst du, Herkules ?«, zischt Carolin mir zu. »Du kannst doch hier nicht vom Boden fressen !«

Wahrscheinlich stimmt das. Viel zu gefährlich ! Ich würge ein paar Krümel wieder aus.

Ein neuer Ruck an meinem Halsband.

»Jetzt reicht’s aber ! Ich will hier einen guten Eindruck machen. Hör auf mit dem Mist, oder ich binde dich draußen am erstbesten Laternenpfahl an !«

So ist das also ! Nicht Sorge um meine Gesundheit, sondern Sorge um Dörtes Wohlwollen ! Was ist denn bloß mit Carolin los ? Die gibt doch sonst nicht so viel darauf, was andere Leute von ihr denken. Beleidigt trolle ich mich auf das große Kissen, das Dörte direkt neben das Schaufenster gelegt hat. Caro versucht, sich möglichst unauffällig zu bücken, und sammelt die ausgewürgten Brocken mit einem Taschentuch ein, das sie anschließend in ihrer Handtasche verstaut.

»Ist mein Freund noch gar nicht da ?«

»Nee, du bist die Erste von euch. Möchtest du vielleicht einen Roibuschtee ? Ich habe eben einen für das andere Bewerberpärchen gekocht, da müsste noch einer in der Kanne sein.«

»Das ist lieb, vielen Dank, aber im Moment nicht.«

Jetzt klingelt es wieder, genauer gesagt ertönt ein sanfter Gong. Caro guckt erstaunt, und Dörte erklärt kurz:

»Lustig, unsere Klingel, oder ? Ist, damit die Kinder in der Mittagsruhe nicht immer aufwachen. Das ist bestimmt dein Mann.«

Richtig. Im Türrahmen erscheint Marc mit einem vor seinen Bauch geknoteten Henri. Gut, dass der offenbar schläft – das Konstrukt sieht nämlich sehr ungemütlich aus, und im wachen Zustand würde Henri vermutlich lautstark protestieren.

»Hallo, Schatz. Das ist Marc, mein Freund. Und das schlafende Päckchen ist Henri. Marc, das ist Dörte.«

Die beiden schütteln sich kurz die Hand, Dörte streicht dem schlafenden Henri mit einem Wie süß ! über die Wange.

»So, dann will ich mit euch erst mal einen kurzen Rundgang machen. Hier drüben« – sie geht ein paar Schritte von der Haustür den Flur entlang – »ist unsere Küche.«

Wir folgen ihr und kommen in einen relativ großen Raum, in dem auch drei niedrige Tische mit noch niedrigeren Stühlen stehen.

»Hier wird gekocht, gleichzeitig haben wir genug Platz, um mit allen Kindern zu essen. Unser Essen ist natürlich bio und außerdem vegetarisch.«

Vegetarisch ? Das habe ich schon mal gehört – Luisa hat es mir erklärt. Es bedeutet mit ohne Fleisch. Ich bin erstaunt. Können Menschenkinder überhaupt ohne Fleisch richtig groß werden ? Nicht, dass unser Henri nicht nur schwachsinnig bleibt, sondern auch mickrig. Das wäre ja ganz furchtbar !

»Es ist so ruhig hier«, stellt Marc fest. »Wo sind denn die ganzen Kinder ?«

Dörte lächelt.

»Die machen gerade Mittagsschlaf. Um eins legen wir sie immer hin, dann ist hier mindestens eine Stunde Ruhe. Warte, ihr könntet mal einen Blick ins Schlafzimmer werfen.«

Sie geht aus der Küche und öffnet eine Tür schräg gegenüber. Schnell trabe ich zu ihr und linse durch den Spalt. Tatsächlich ! Auf einem Matratzenlager liegen lauter Kinder dicht an dicht und schnarchen friedlich vor sich hin. Im Rudel schläft es sich eben doch am besten !

»Tja, viel mehr gibt es auch nicht zu sehen. Wir sind eine sehr kleine Einrichtung, und das sind wir bewusst.«

Mit diesen Worten geht Dörte ins Spielzimmer vor und bietet Caro und Marc einen Platz auf dem Boden neben meinem Hundekissen an. Sehr seltsam. Wieso setzen die sich nicht auf Stühle ? Ich hebe den Kopf und schaue mich um. Verstehe. Hier gibt es gar keine Stühle. Nicht mal kleine wie in der Küche. Ein interessantes Konzept.

»So«, beginnt Dörte das Gespräch, »gleich kommen noch die Karin, die ist hier auch Erzieherin, und der Jörg. Der ist Vater und hat hier das ›Neue Eltern‹-Amt. Wie ihr wisst, sind wir eine Elterninitiative. Das heißt, bestimmte Aufgaben werden von den Eltern wahrgenommen, um Geld zu sparen. Damit bezahlen wir dann eine halbe Stelle mehr, sodass wir einen besseren Personalschlüssel haben. Kommt also den Kindern zugute. Und den Eltern irgendwie auch, denn die lernen sich ja untereinander viel besser kennen als in so einer großen Einrichtung.«

Marc und Caro nicken andächtig.

»Zum Ablauf: Vor euch hat sich auch ein Pärchen vorgestellt, und nach euch kommt noch eins. Wir haben aber leider nur einen Platz zu vergeben. Seid also bitte nicht enttäuscht, wenn es diesmal nicht klappt. Das hätte nichts mit euch persönlich zu tun, sondern schlicht und ergreifend mit der Tatsache, dass wir auf einen freien Platz momentan mehr als zehn Bewerber haben.«

Unfassbar ! Die Eltern stehen Schlange, um ihre Kinder hierherbringen zu dürfen ? Und deswegen auch der ganze Zirkus mit dem Tragetuch, das sich Marc sonst niemals freiwillig umbinden würde ? Nur, damit er jetzt als total fürsorglicher, seine Brut überall mit sich rumschleppender Menschenvater rüberkommt. Auweia. Die menschliche Kindererziehung wird mir immer rätselhafter. Wieso legen die meisten Menschen im Restaurant oder Café auf eine gewisse Optik Wert, und wenn es um die lieben Kleinen geht, dann steht eine Murkelbude wie diese hoch im Kurs ? Ob Menschen das irgendwie kuschelig finden ?

Marc hat sich Henri mittlerweile abgeknotet und legt ihn ganz vorsichtig auf ein Matratzenlager neben mir. Dann hockt er sich neben Carolin und nimmt ihre Hand. Das soll bestimmt auch sehr fürsorglich und sympathisch wirken.

»Also, Carolin und ich sind schon Typen, die sich gern einbringen. Ich finde es gut, wenn man mit anpackt.«

Er lächelt ein sehr anpackendes Lächeln.

Die Tür öffnet sich noch einmal, ein Mann und eine Frau kommen rein und setzen sich ebenfalls zu uns auf den Boden. Das müssen dann wohl Jörg und Karin sein.

Richtig geraten. Genauso stellen die beiden sich vor. Jörg wiederholt im Grunde genommen das, was Dörte schon erzählt hat. Marc lächelt noch anpackender, Caro spielt nervös mit einer Haarsträhne. Karin erzählt, dass sie zwölf Kinder betreuen, wie so ein Tag bei den Purzelzwergen aussieht und welche Angebote sie den Kindern machen. Dabei ist ziemlich viel von frühkindlicher Bildung die Rede, was ich ziemlich gut finde, da unser kleiner Henri doch leider dumm wie Brot ist. Offensichtlich besteht für ihn noch Hoffnung, hurra !

»Wir nehmen die Kinder am liebsten, wenn sie genau ein Jahr sind. Dann ist die Eingewöhnung am leichtesten, haben wir festgestellt. Vorher fremdeln sie meist noch, später wäre die Zeit in unserer Gruppe eigentlich zu kurz – die Kinder verlassen uns ja mit dem dritten Geburtstag. Wie alt ist Henri noch mal genau ?«

»Zehn Monate«, gesteht Carolin. »Aber er ist wahnsinnig weit für sein Alter«, beeilt sie sich, eine dicke Lüge hinterherzuschieben.

Karin und Dörte sagen dazu nichts. So etwas kennen sie wahrscheinlich schon.

»Wie könntet ihr euch denn einbringen ? Macht ihr irgendetwas, was die Initiative voranbringen könnte ?«, will Jörg dann von Marc wissen. »Ein Handwerk vielleicht ? Oder bist du Anwalt oder Steuerberater ?«

»Äh, nicht direkt. Ich bin Tierarzt. Also, wenn ihr mal Meerschweinchen für die Kinder kauft, kann ich mich drum kümmern.«

Dörte, Karin und Jörg gucken wenig überzeugt. Ich bin es allerdings auch nicht. Ich möchte mir nicht ausmalen, wie sich ein Meerschwein in einer Horde von zwölf Henris fühlen würde.

Dann räuspert sich Caro.

»Nun ja, ich bin Geigenbauerin. Das ist ein bisschen wie Möbeltischler. Wenn hier mal etwas gebaut werden muss, dann kriege ich das bestimmt hin. Holz ist meine Leidenschaft.«

Sie lächelt. Fast ein wenig schüchtern, süß ! Ich würde Carolin sofort einen Platz geben, und diesem Jörg kann ich ganz genau ansehen, dass er gerade das Gleiche denkt – Möbel hin oder her.

»Tischlerin – das ist natürlich praktisch !« Karin nickt wohlwollend. »Tatsächlich wollen wir demnächst ein neues Spielpodest mit einer Kletterrampe und einem Türmchen einbauen. Da können wir noch Hilfe brauchen.«

»Kein Problem«, versichert Caro.

»Aber wir haben auch ein paar regelmäßige Dienste, die von Eltern erledigt werden müssen«, erklärt Dörte weiter. »Zweimal die Woche wird von Eltern geputzt, und außerdem kochen wir auch zweimal selbst. Von montags bis mittwochs haben wir eine Köchin, die Helene. Sie hat aber nur einen Minijob bei uns, deshalb kochen donnerstags und freitags die Eltern. Ihr wärt also so alle fünf, sechs Wochen jeweils einmal mit Putz- und einmal mit Kochdienst dran.«

Großartig. Wo Marc doch schon einen Nervenzusammenbruch bekommt, wenn unsere Putzfrau mal krank wird. Dann ist das hier bestimmt genau das Richtige für ihn. Trotzdem lässt er sich nichts anmerken, sondern lächelt unverdrossen weiter.

»Ich finde eine frische, ausgewogene Küche ja total wichtig für Kinder«, lehnt sich Caro, die unangefochtene Meisterin im Fischstäbchenbraten, jetzt ganz weit aus dem Fenster.

Nur gut, dass Hedwig nicht da ist. Die würde bestimmt einen Lachkrampf bekommen.

Auch Dörte scheint auf derlei Beteuerungen von Eltern nicht mehr viel zu geben, denn sie zieht die Augenbrauen zusammen und sagt in leicht spöttischem Tonfall: »Ja, ja, ausgewogen ist wichtig – das bedeutet allerdings nicht Pizza an den geraden und Spaghetti mit Ketchup an den ungeraden Tagen. Daran müssen wir unsere Eltern manchmal erinnern.«

Sie lächelt süffisant.

»Nein, nein, natürlich nicht«, beeilt sich Caro zu versichern, guckt aber ein wenig ertappt.

»Habt ihr denn so weit noch Fragen ?«, will Jörg wissen.

Caro und Marc schütteln den Kopf.

»Okay, das wäre es eigentlich schon. Ich melde mich dann heute Abend, ob es geklappt hat.«

Nach einer kurzen Tour durch das doch ziemlich kleine Reich der Purzelzwerge werden wir wieder nach draußen entlassen. Caro winkt dem Auswahlausschuss noch einmal freundlich durch das Schaufenster zu, Marc tut es ihr gleich. Dann spazieren wir mit dem immer noch schlafenden Henri Richtung Werkstatt.

»Und«, meint Caro, als wir eine Ecke weiter sind, »meinst du, das hat geklappt ?«

Marc zuckt mit den Schultern.

»Weiß nicht, schwer zu sagen. Ich habe jedenfalls mein Bestes gegeben. War ja ganz niedlich da drinnen. Könnte ich mir schon gut vorstellen.«

»Ja, ich auch. Wobei – Henri ist doch noch so klein. Die Lösung mit der Tagesmutter war mir im Grunde genommen sympathischer.«

Wieder Schulterzucken.

»Tja, das hat eben nicht sollen sein. Wir könnten aber immer noch meine Mutter …«

»Marc ! Nicht wieder das Thema !«

»Nein, ich meinte ja nur …«

»Ich weiß, was du meintest. Und ich finde es nicht gut. Lass uns lieber hoffen, dass es mit den Purzelzwergen klappt.«

»Klar. Also, ich zwitschere jetzt mit Henri wieder ab. Was denkst du, wann du wieder zu Hause bist ? Ich wollte noch mal kurz in die Praxis.«

»Nicht vor fünf. Aber mach dir nichts draus – ich finde, bisher hast du nicht besonders viel von deinem Tierarztdasein geopfert.«

Caro klingt gereizt.

Freunde, nicht streiten ! Sonst müssen wir wieder einen Ausflug zu den verrückten Schafen machen !

Bei der Werkstatt angekommen, werde ich schon von Herrn Beck erwartet, der am Vorgartenzaun hin- und herläuft.

»Mann, da seid ihr ja endlich !«

»Waren wir verabredet ?«

Ich kann mich nicht daran erinnern.

Beck ignoriert meinen Einwand.

»Ich muss dir dringend etwas erzählen. Ich habe etwas herausgefunden.«

»Dann leg mal los.«

»Nein, nicht hier. Du musst mit nach oben kommen. Dann zeige ich es dir.«

»Ich wollte jetzt eigentlich erst mal in die Werkstatt. Bestimmt bekomme ich gleich etwas zu fressen.«

»Echt, Herkules. Fressen ist nicht alles. Bitte, komm mit hoch !«

Das sagt der Richtige ! Gegen Herrn Beck sah ich selbst in beleibteren Tagen gertenschlank aus. Weil Fressen für mich eben nicht alles ist. Aber einen Moment kann mein Napf vielleicht wirklich noch warten. Immerhin habe ich bei den Purzelzwergen ja Teile der Fußbodendekoration verspeist.

»Na gut, denn mal los.«

Ohne ein weiteres Wort flitzt Herr Beck Richtung Haustür. Ich bin nicht mehr angeleint und kann gleich hinterhersausen, Carolin ist offenbar so in Gedanken, dass sie das gar nicht bemerkt. Kurz darauf sitzen wir vor Ninas Wohnungstür.

»Und jetzt ?«

»Na, ich gehe durch die Katzenklappe in die Wohnung.«

Großartig. Das bringt mich richtig weiter. Da passe ich bestimmt nur zur Hälfte durch. Bleibt der Rest eben draußen, was macht das schon.

»Hm. Du passt da wahrscheinlich nicht durch, oder ?«

»Korrekt.«

»Bist du ganz sicher ?«

»Todsicher. Auf Schloss Eschersbach hatten wir auch so eine, die war aber ein bisschen größer. Das ging so gerade eben. Aber diese hier – keine Chance.«

»Verstehe ich nicht. Du bist doch schlanker als ich.«

»Ja, aber zum einen bist du wendiger als ein Hund. Und zum anderen habe ich längere Beine. Das macht mich für kleine Öffnungen ein bisschen sperrig. Kurz: Ich glaube nicht, dass das funktioniert.«

»Macht nichts. Wenn ich erst mal drin bin, lotse ich Nina zur Tür. Sie wird dir öffnen. Das klappt schon.«

»Ist die denn zu Hause ? Die arbeitet doch normalerweise tagsüber.«

Deswegen ja auch seit Neuestem die Katzenklappe – damit Herr Beck eigenständig nach draußen und spazieren gehen kann. An der Kellertür unten ist auch noch mal eine, so kommt er auch allein in den Garten. Aber für mich ist das nichts. Habe ich schon mal vorsichtig probiert. Hat nicht funktioniert. Daniel musste mich gewissermaßen rausschrauben. Auf einen weiteren Versuch lege ich keinen gesteigerten Wert.

»Das ist es ja eben. Nina ist zu Hause. UND heult. UND telefoniert. In einer fremden Sprache. Mit einem fremden Mann. Diesmal habe ich es genau gehört. Aber ich habe auch etwas anderes entdeckt. Also, bleib mal sitzen.«

Ich seufze und hocke mich brav vor die Tür. Wieso höre ich bloß immer auf den doofen Kater ? Kurz darauf kommen Schritte auf der anderen Seite der Tür näher. Nina. Ihren Gang erkenne ich sofort. Die Tür wird geöffnet.

»Tatsächlich. Da sitzt ja noch einer. Na, komm rein, Herkules.«

Nina klingt schwer erkältet. Vielleicht hat sie aber auch tatsächlich geweint. Ich blicke mich kurz um und entdecke Herrn Beck an der Schwelle zu Ninas Küche.

»Hey, komm mal her.«

Ah, ein gemeinsames Fresschen ? Keine schlechte Idee. Sofort stehe ich neben Beck und werfe einen erwartungsvollen Blick in die Küche. Allein: Kein Napf zu sehen. Enttäuscht gucke ich Herrn Beck an.

»Und ?«

»Na, da oben ! Auf dem Tresen ! «

Ich schaue nach oben. Dort steht eine Flasche.

»Beck. Da steht eine stinknormale Flasche. Sonst nichts. Mal Butter bei die Fische – was willst du mir sagen ?«

»Pfff, das ist keine stinknormale Flasche. Das ist Champagner.«

»Aha.«

»Champagner. Diese Flaschenform erkenne ich sofort. Ein ganz edler Tropfen. Verstehst du ?«

Offen gestanden nicht. Aber ich bemühe mich, es mir nicht anmerken zu lassen, was nicht schwierig ist, denn Herr Beck redet sowieso einfach weiter.

»Und da steht auch nicht sonst nix, sondern wenn du den Blick mal Richtung Spüle lenken würdest, könntest du noch etwas anderes sehen.«

Ich tue, wie mir geheißen. Okay, da stehen noch ein paar Blümchen.

»Blumen«, bemerke ich trocken.

Herr Beck gibt daraufhin einen fauchenden Laut von sich.

»Quatsch. Langstielige Rosen sind das. Und zwar ziemlich viele. Verlässlich kann ich nur bis circa zehn zählen – und das sind deutlich mehr. Deutlich !«

»Tut mir leid. Ich weiß immer noch nicht, worauf du hinauswillst.«

»Das ist doch offensichtlich. Rosen ! Champagner ! Irgendein Mann versucht, Nina für sich zu gewinnen.«

»Tja, wahrscheinlich Alexander. Will seiner Süßen eine Freude machen, weil es gerade nicht so läuft. Wenn Caro irgendwie sauer ist, bringt Marc auch gern mal Blumen mit. Ein ganz alter Trick. Wundere mich sowieso, dass der immer noch funktioniert.«

»Aber das ist es doch gerade. Die sind nicht von Alexander. Die kamen heute früh mit einem Boten. Zusammen mit der Flasche Champagner. Und einem Brief. Den hat Nina gelesen. Und dann hat sie geheult. Und dann telefoniert. Mit diesem Typen. Sie war so aufgelöst, dass sie nicht daran gedacht hat, wieder ins Schlafzimmer zu flüchten. Ich konnte also jedes Wort hören.«

»Und «, will ich wissen, »was haben sie besprochen ?«

Langsam werde ich doch neugierig.

»Na, es war doch in dieser anderen Sprache. Die konnte ich nicht verstehen. Aber der Mann klang flehentlich, Nina zwar traurig, aber bestimmt. Dann hat sie aufgelegt, und kurz darauf hat noch dreimal jemand versucht anzurufen. Sie ist aber nicht rangegangen. Das war bestimmt dieser Typ.«

»Hm. Das ist wirklich seltsam. Schade, dass Nina nicht mit dir darüber spricht. Oder wenigstens mit Carolin. Dann wären wir jetzt schlauer.«

Beck nickt.

»Tja, ich muss das wohl weiter beobachten. Aber irgendwann kriege ich es schon noch raus. Ach so, und dann ist heute noch etwas Bemerkenswertes passiert. Jedenfalls aus deiner Sicht. Hätte ich fast vergessen, dir zu erzählen.«

»Echt ? Was denn ? Immer raus damit !«

»Cherie ist unten in der Werkstatt. Daniel hat sie heute Morgen mitgebracht. Jedenfalls hoffe ich, dass sie noch da ist. Sonst hättest du sie ziemlich knapp verpasst.«

Cherie ! Mit einem Schlag bekomme ich Herzrasen und Ohrenrauschen.

»Warum hast du das denn nicht gleich gesagt, als ich angekommen bin ?«

Herr Beck macht große Augen und schaut unschuldig.

»Na, ich dachte, die Geschichte mit Nina sei dir erst mal wichtiger. Nach der hast du mich doch neulich extra gefragt.«

Jaul ! Dieser blöde Kater !

Загрузка...