SECHZEHN

Meinst du, es ist ein schlechtes Omen für unsere Hochzeit, dass unsere beiden Trauzeugen mitten in den schönsten Beziehungskrisen stecken ?«

Ein paar Tage sind vergangen, seitdem Alexander morgens in der Werkstatt aufgekreuzt war, und tatsächlich ist er seitdem spurlos verschwunden. Carolin mustert Marc über den Rand ihres Wasserglases. Der lächelt.

»Och, ich würde sagen minus mal minus ergibt plus. Und außerdem glaube ich nicht an Omen.«

Carolin und ich haben Marc in der Mittagspause zum Essen abgeholt, jetzt sitzen wir im Café Violetta, und die beiden denken über die Hochzeit nach. Ich hingegen bin nicht wirklich bei der Sache, sondern überlege, wie ich mich verhalten soll, falls Daniel tatsächlich über der Werkstatt einzieht und falls er dann auch Cherie mitnimmt. Okay, ich gebe zu, das sind ungelegte Eier, verbunden mit zwei Falls. Aber ich kann den Gedanken daran einfach nicht abschütteln. Zweimal schon dachte ich, ich sei am Ziel und Cherie würde meine Gefühle erwidern. Zweimal wurde ich enttäuscht, und es tat verdammt weh. Soll ich das meinem kleinen Dackelherzen noch einmal zumuten ? Es noch mal versuchen ? Und was, wenn es wieder nicht klappt ? Sterbe ich dann endgültig an gebrochenem Herzen ? Ich lege den Kopf auf meine Vorderläufe und starre vor mich hin. Das Leben eines kleinen Hundes kann verdammt schwierig sein. Was sind dagegen schon Sorgen bei der Hochzeitsvorbereitung ? Wenigstens haben Marc und Caro überhaupt jemanden gefunden, der sie heiraten will!

»Lass uns doch noch mal einen Blick auf die Gästeliste werfen«, schlägt Carolin vor, »vielleicht finden wir ja einen Kompromiss, mit dem auch deine Mutter gut leben kann.«

»Ja, und lass uns auch gleich einen Lottoschein ausfüllen. Wenn schon so ungewöhnliche Dinge passieren, knacken wir bestimmt auch den Jackpot.«

Ich kann Marcs Gesicht nicht sehen, weil er zu hoch über mir sitzt, aber seine Stimme klingt nach einem sehr breiten Grinsen. Offenbar hat er einen Witz gemacht, den ich nicht verstehe. Kompromiss, Lottospielen ? Egal, interessiert mich momentan sowieso nicht. Hat schließlich nichts mit Cherie zu tun.

»Also, wenn wir deine Patentante einladen, dann würde ich auch die Schwester meiner Mutter einladen. Ich glaube, meine Mutter ist sonst beleidigt.«

»Okay. Kenne ich die ?«

»Meine Mutter ? Natürlich, du Flegel !«

Beide lachen.

»Nee, im Ernst – ich glaube, du hast Tante Agnes noch nie gesehen. Die ist aber sehr nett. Ein bisschen esoterisch angehaucht, aber nett.«

»Esoterisch ? Hm, da hätten wir sie ja neben Yoga-Claudia setzen können. Aber so wie es ausschaut, kommt mein neuer Trauzeuge wohl ohne Begleiterin.«

»Ich finde es übrigens sehr nett, wie du mir mit Daniel aus der Klemme geholfen hast. Wenn du nicht behauptet hättest, dass du ihn im Männergespräch fragen wolltest, wäre er wohl ziemlich gekränkt gewesen. Danke, dass du dafür Georg geopfert hast.«

Sie schiebt unter dem Tisch ihr Bein zu Marc hinüber und streicht ihm damit über sein Schienbein. Eine sehr vertraute Geste – in diesem Moment beneide ich die beiden um ihre Gefühle füreinander.

»Hab ich gern gemacht, Spatzl. Und so dicke sind Georg und ich sowieso nicht mehr. Merkst du schon daran, dass du ihn kaum kennst. Insofern ist das mit Daniel ohnehin eine gute Idee.«

»Finde ich auch. Das Lustige ist, dass Daniel ernsthaft Angst hatte, dass du meine Freundschaft zu ihm irgendwie beunruhigend findest.«

Caro lacht. Marc nicht.

»Na ja, sooo abwegig ist der Gedanke nicht.«

»Wieso ?«

Caro klingt irritiert.

»Na ja, immerhin hängst du jeden Tag mit Daniel rum. Du siehst ihn häufiger als mich. Und dass Daniel mal schwer in dich verknallt war, ist nun wirklich kein Geheimnis.«

Caro zieht ihr Bein wieder zurück.

»Du glaubst doch nicht etwa ernsthaft, dass zwischen uns irgendetwas laufen würde ?«

»Das habe ich auch nicht gesagt. Ich meine ja nur, dass es tatsächlich ein seltsames Gefühl ist, wenn die eigene Frau einen so guten Freund hat, der mal was von ihr wollte.«

Dazu sagt Caro nichts mehr. Was sollte sie auch ? Daniel war wirklich schwer verliebt in Caro, und das weiß sie natürlich.

»Nun lass uns mal mit der Gästeliste weitermachen«, wechselt sie einfach das Thema. »Also Hedwig, meine Eltern, Nina, Daniel, ob mit oder ohne Claudia, Tante Inge, Tante Agnes, Georg und seine Frau, deine Cousine Edda. Sind schon mal zehn Leute. Dann Stefanie und Tom, schließlich waren wir gerade bei denen eingeladen, und wir kennen uns immerhin schon seit der Grundschule. Wer noch ?«

»Über meinen Cousin und seine Freundin würde sich Hedwig freuen, und ich habe auch ein ganz gutes Verhältnis zu Michael. Eigentlich ein besseres als zu Edda.«

»Stimmt«, pflichtet ihm Caro bei, »Michael und Susanne sind nett. Was ist denn mit Jens und Nicola ?«

»Gute Idee. Ihre beiden Töchter sind so alt wie Luisa, das passt auch ganz gut. Und vielleicht Frau Warnke ?«

Genau ! Die Sprechstundenhilfe von Marc hat immerhin jedes Mal ein Leckerli für mich parat.

»Okay. Frau Warnke, mit ihr hätten wir neunzehn. Weitere Vorschläge ?«

»Luisa wäre happy, wenn wir ihre Mutter einladen.«

»Nein. Kommt nicht in Frage. Die Frau hat mir den letzten Nerv geraubt, die will ich auf keinen Fall auf meiner Hochzeit sehen.«

»Verstehe ich. Bin ich auch nicht scharf drauf. Muss ich Luisa nur noch erklären. Somit sind wir bei neunzehn plus wir drei und Henri. Das ist doch eine gute Zahl. Und immer noch eine sehr überschaubare Veranstaltung. Da passen wir locker in das Kaminzimmer vom Kloster Uetersen.«

In diesem Moment höre ich das vertraute Geräusch von Gummireifen, die über den Fußboden rollern. Ein Kinderwagen kommt näher. Und zwar nicht irgendeiner, sondern unserer ! Hedwig und Henri sind da.

»Hallo, ihr zwei !«, grüßt Hedwig freundlich. »Frau Warnke hat mir erzählt, dass ihr hier essen seid. Ich dachte, bei meinen sensationellen Neuigkeiten darf ich euch einen Besuch abstatten.«

»Grüß dich, Mutter ! Sensationen hören wir natürlich immer gern. Setz dich doch zu uns.«

Marc steht auf und schiebt noch einen Stuhl für Hedwig an den Tisch. Henri scheint zu schlafen, jedenfalls höre ich aus dem Kinderwagen keinen Mucks.

»Na, was gibt’s denn ?«, fragt Carolin neugierig.

Hedwig setzt sich auf den Stuhl und strahlt mit der Kerze auf dem Tisch um die Wette.

»Ja – also: Haltet euch fest ! Ihr könnt im Michel heiraten ! Der ist im Juni eigentlich schon immer ein Jahr vorher ausgebucht, aber mein Chorleiter ist um drei Ecken mit dem Kantor verwandt. Und der hat mal nachgeforscht, ob sich nicht doch etwas machen lässt. Stellt euch vor: Es ist gewissermaßen noch genau eine Schicht am 15. Juni frei – wenn man das so nennen darf. Ist das nicht ein Glück ?«

»Äh … im Michel ?«

Marc klingt entsetzt, und ich frage mich, warum. Michel klingt doch sehr nett. Ich habe keine Ahnung, wo das ist, aber dem Namen nach ist das bestimmt irgendetwas ganz Kleines, Kuschliges.

»Ja, im Michel. Toll, oder ?«

»Mutter, St. Michaelis ist riesig ! Da passen ein paar hundert Leute rein, eher wahrscheinlich ein paar tausend.«

»Aber es die bekannteste Hamburger Hauptkirche, das Wahrzeichen unserer Stadt ! Denk doch mal an deine Freunde aus Süddeutschland – die wären bestimmt begeistert !«

Jetzt mischt sich Carolin ein, und ich höre ihrer Stimme an, dass sie sich wirklich bemüht, freundlich zu sein.

»Hedwig, ich finde es ganz lieb von dir, dass du dir solche Gedanken machst. Aber wir haben gerade über die Gästeliste gesprochen und mehr als vierundzwanzig Leute werden wir auf keinen Fall werden. Da wären wir in so einer großen Kirche doch ein sehr verlorenes Häuflein. Außerdem bin ich mir gar nicht sicher, ob wir kirchlich heiraten wollen.«

»Oh.« Hedwig klingt sehr enttäuscht. »Wollt ihr euch denn den Michel nicht wenigstens mal angucken ? Vielleicht ladet ihr doch mehr Leute ein, und dann passt es wieder gut. Gib mir doch mal eure Gästeliste, bestimmt habt ihr irgendjemanden vergessen.«

»Hedwig, ich kenne den Michel. Ich bin schließlich gebürtige Hamburgerin und habe die Kirche bestimmt schon zwanzigmal mit Freunden aus ganz Deutschland besichtigt.« Schwupp – schon klingt Caro nicht mehr ganz so freundlich. »Und die Liste haben wir nur im Kopf. So viele Namen stehen nicht drauf, als dass ich da viel schreiben müsste.«

Hedwig seufzt.

»Na gut, wie ihr meint. Stefan, mein Chorleiter, hat euch den Termin für eine Woche reserviert. Ihr könnt gern noch mal drüber nachdenken. Ich mach mich wieder auf den Weg, bevor Henri hier drinnen noch wach wird.«

Sie rückt den Stuhl nach hinten, steht auf und rollert mit dem Kinderwagen Richtung Ausgang.

»Puh«, sagt Caro, als Hedwig außer Hörweite ist, »die ist echt hartnäckig. Wenn wir nicht aufpassen, landen wir zur Trauung im Michel, zum Empfang im Anglo-German Club, und die Feier findet dann im großen Ballsaal vom Hotel Atlantic statt.«

Marc lacht.

»Ganz auszuschließen ist das nicht. Vielleicht sollten wir vorsichtshalber schon mal darüber nachdenken, wen wir notfalls noch einladen können. Damit’s im Michel nicht so leer aussieht.«

Nach der Mittagspause werden wir bereits von Herrn Beck erwartet, der nervös vor dem Haus hin- und herschleicht.

»Hey, Kollege, gut, dass ihr wieder da seid !«

»Wieso ? Was’n los ?«

»Weiß nicht genau. Irgendwas stimmt nicht mit Nina. Die hatte sich eben tierisch mit Daniel in der Wolle, aber ich hab’s nicht richtig mitbekommen, weil sie sich in der Werkstatt gestritten haben. Dann ist sie heulend rausgerauscht, und Daniel ist auch weg. Ich hab gerade ein ganz komisches Gefühl. Hast du vielleicht eine Ahnung, was da los sein könnte ?«

Also echt. Da ist man gerade mal eine Stunde nicht am Platz, schon bricht Chaos aus. Ach, diese Menschen !

»Nein, leider nicht. Bei uns war alles ganz normal, bis auf die Tatsache, dass Hedwig sich Marcs und Caros Hochzeit ganz anders vorstellt als die beiden selbst. Trotzdem haben sie sich nicht gestritten. Insofern stimmt das mit ›normal‹ gar nicht. Mein Mittag war auch ungewöhnlich. Ungewöhnlich friedlich.«

»Ja, ja. Mach du nur weiter mit Wortklauberei. Ich muss dennoch unbedingt wissen, was da los ist. Ich kann das Gefühl nicht leiden, dass sich Menschen, die ich mag, miteinander streiten.«

Oha ! Der Kater wird altersmilde ! Normalerweise interessiert sich Herr Beck nämlich nicht wirklich für menschliche Beziehungsprobleme jedweder Art. Bei mir war das schon immer anders: Wenn sich meine Menschen streiten, möchte ich am liebsten schlichten. Ist nur leider gar nicht so einfach, wenn man nicht sprechen kann. Wobei ein beherztes Aufs-Sofa-Springen und Die-Hände-der-Streitparteien-Zusammenknuddeln auch schon geholfen hat.

»Schätze mal, sobald Daniel zurückkommt, wissen wir mehr. Wenn es etwas Ernstes war, wird er es Carolin erzählen. So lange wirst du dich wohl gedulden müssen.«

Herr Beck gibt ein langgezogenes Pfffff von sich und trottet uns hinterher in die Werkstatt. Auch gut, habe ich wenigstens ein bisschen Gesellschaft. Und jemanden, dem ich in Sachen Cherie mein Herz ausschütten kann. Wenngleich der es vermutlich gar nicht hören will.

»Cherie war neulich bei uns zu Hause.«

Beck gähnt.

»Ich weiß. Haste schon erzählt.«

»Und seitdem muss ich ständig an sie denken.«

Wieder ein Gähnen. Na, großartig, die Anteilnahme !

»Und ? Was denkst du da so ?«

»Ich überlege, ob ich ihr noch einmal eine Chance geben soll. Oder ob ich mich nie wieder davon erhole, wenn es diesmal auch nicht klappt mit uns.«

Der Schwanz von Herrn Beck wippt hin und her. Der Kater scheint sich zu amüsieren.

»Ob du ihr eine Chance geben sollst ? Habe ich da eine neue Entwicklung verpasst ? War das bisher nicht eher umgekehrt ?«

Grrrr, jaul. Beck legt die Tatze in die Wunde.

»Ja. Nein. Äh … ja und nein.«

»Hä ? Also, wie war es denn nun ?«

Ich hole tief Luft.

»Ich meine, ja. Es war bisher umgekehrt, und nein, du hast keine Entwicklung verpasst. Was ich aber eigentlich sagen wollte und insofern überlege, ob ich ihr noch eine Chance geben soll: Ist es nicht besser, mein Herz ihr gegenüber ganz zu verschließen ? Damit es nicht wieder wehtut ? Sie gewissermaßen zu ignorieren und ihr so keine Chance zu geben ? In meinem Herzen ?«

»Auweia, Herkules, was ist das denn für ein Geschwurbel ? Man könnte glatt denken, dass du auch diesen Yoga-Chakra-Beziehungsquatsch-Kurs belegt hast. Soll ich dich anstatt Herr Kules lieber Herr Swami nennen ?« Er gibt ein bösartiges Gekicher von sich, das wie das Gemecker einer Ziege klingt, nur fauchiger. »Außerdem ist noch gar nicht klar, wann du die Dame das nächste Mal siehst. Das würde ich erst ganz entspannt abwarten.«

»Ich dachte ja nur, falls Daniel in Alexanders Wohnung zieht und falls er dann Cherie mitnimmt.«

»Nanu, wieso sollte denn Daniel in Alex’ Wohnung ziehen ?«

»Oh, hast du das etwa noch nicht mitbekommen ?«

»Nee, was denn ?«

»Alexander wohnt nicht mehr über euch. Er hat Daniel seine Schlüssel in die Hand gedrückt, hat ihn gebeten, ihm die Post hinterherzuschicken, und ist weg.«

Hihi, dafür, dass Herr Beck sonst das Gras wachsen hört, ist er in dieser Angelegenheit bemerkenswert uninformiert. Und das, obwohl es dabei auch um sein Frauchen geht. Irgendwie freut mich das.

»Echt ?«

»Und dann hat Daniel sich überlegt, ob die WG nicht etwas für ihn wäre, schließlich hat er momentan gar keine Lust mehr, mit Claudia zusammenzuwohnen, zumal dauernd ihr doofer Swami da ist. Stell dir vor, der mag Cherie nicht. Immer, wenn ein Kurs ist, muss Daniel mit Cherie verschwinden, obwohl das doch eigentlich Claudias Hund ist. Und deswegen halte ich es nicht für völlig abwegig, dass Daniel und Cherie demnächst in die WG über eurer Wohnung einziehen.«

»Donnerwetter – das ist tatsächlich spurlos an mir vorbeigegangen. Warum hat mir Nina denn nichts davon gesagt ?«

Wuff, ich muss unwillkürlich mit den Augen rollen. Als ob Menschen ihren Haustieren immer alles erzählen würden ! Ich meine, es wäre natürlich sinnvoll, weil wohl niemand einen Menschen besser kennt als sein Haustier und wahrscheinlich viel Ärger vermieden werden könnte, wenn der Mensch dann umgekehrt mal darauf hören würde, was sein Haustier ihm begreiflich zu machen versucht. Aber so ist es eben nicht, und das sollte Beck, der alte Haudegen, eigentlich wissen.

»Ja, warum wohl ? Vielleicht, weil sie sich nicht mit ihrer Katze unterhält ? Jedenfalls nicht über so Menschenkrams ?«

Herr Beck ignoriert meinen Einwand und brabbelt etwas Unverständliches in seine Schnurrbarthaare.

»Oder aber sie wusste es selbst noch nicht. Dann konnte sie dir gar nichts davon erzählen. Möglicherweise ist das auch der Grund, warum sie sich mit Daniel gestritten hat. Er hat ihr das mit der Wohnung erzählt, und sie war deswegen sauer. Oder traurig, wenn sie sogar geheult hat. Hast du doch selbst gesagt.«

»Pah, warum sollte sie denn deswegen traurig sein ? Kann ihr doch egal sein, ob Daniel in die WG zieht.«

Beck schaut völlig verständnislos.

»Immerhin ist ab dem Moment völlig klar, dass Alexander endgültig weg ist. Möglicherweise hat sie ihn doch noch ein bisschen lieb, und es tut ihr leid.«

»Da sieht man mal, wie schlecht du Nina kennst. Nina ist wie ich – die hängt ihr Herz nicht so sehr an einen Typen, dass sie weint, wenn er weg ist. Außerdem hatte sie ihn schon mehr oder weniger gegen diesen Sören eingetauscht.«

»Klasse. Ein Typ, der in Stockdingsda noch eine andere Familie sitzen hat. Nee, nee, mein Lieber. Ich glaube, Nina ist klar geworden, dass sie nun wirklich allein ist. Einsam und allein. Und deswegen hat sie sich mit Daniel gestritten. Er war der Überbringer der schlechten Nachricht.«

Nun ist es Herr Beck, der mit den Augen rollt.

»So ein Quatsch. Nina ist nicht einsam und allein. Sie hat doch mich.«

Ich schüttle den Kopf. Der Kater will es einfach nicht wahrhaben. Da könnte ich mir die Schnauze fusselig reden, er würde mich nicht verstehen. Ging mir ähnlich, als Carolin solchen Kummer wegen ihres blöden Exfreundes Thomas hatte. Da konnte ich auch nicht gleich einsehen, dass ich ihr als Freund nicht reiche. So ist es eben, wenn man sein Frauchen sehr liebt. Ist irgendwie auch rührend.

Immer noch murrend legt sich Beck auf die Decke, die vor meinem Körbchen im Werkraum liegt.

»Deine Theorien werden auch immer wilder, Herkules. Warten wir doch einfach auf Daniel, dann werden wir erfahren, worüber sie sich gestritten haben. Ich garantiere dir eins: Nicht über die Wohnung und Alexander. Das Thema hat Nina für sich abgehakt. Jede Wette.«

Es dauert tatsächlich nicht mehr lang, und Daniel kommt zurück. Erst dreht sich der Schlüssel im Schloss, dann steht Daniel im Flur, unter dem Arm eine große Tasche, aber leider keine Cherie an der Leine. Ob meine Theorie doch falsch ist ? Andererseits ist die Tasche schon ziemlich voluminös, da könnten gut und gern Sachen für einen kleinen Umzug drin sein. Also abwarten und Öhrchen spitzen.

Gespannt beobachte ich, wie Daniel zu uns in die Werkstatt kommt, und aus den Augenwinkeln kann ich genau sehen, dass auch Herr Beck sehr aufmerksam geworden ist. Ob ich noch schnell mit ihm um etwas wette ? Vielleicht, dass er mir eine Fleischwurst aus dem Kühlschrank klaut – er kommt da bestimmt viel besser dran als ich.

»Hallo, Daniel ! Ich habe dich schon vermisst. Wir müssen noch die Lasuren für die Celli absprechen. Frau Hohwenser hätte gern bald eine Auskunft. Ich selbst bin mir da gerade etwas unsicher.«

»Klar, machen wir. Ich musste nur eben ein paar Sachen aus Volksdorf holen. Ziehe tatsächlich erst mal in das alte Zimmer von Alex ein.«

»Oh.«

Mehr sagt Carolin nicht dazu. Ich werfe dem Kater einen ersten triumphierenden Blick zu.

»Und weißt du, wer eine richtige Vollmeise hat ?«

Caro zuckt mit den Schultern.

»Nee, wer denn ? Die Hohwenser ?«

»Nein, die doch nicht. Deine Freundin Nina. Die hat sie nicht mehr alle. Ich habe sie heute im Treppenhaus getroffen. Ich kam von Simon, der ist aus dem Urlaub zurück und hat mir noch mal das Zimmer gezeigt. Sie kam mit in die Werkstatt und hat mich gefragt, was ich in Alexanders Wohnung wollte. Ich habe nur gesagt, das sei nicht mehr Alexanders Wohnung, ich hätte sein Zimmer übernommen.«

»Ja, und dann ?«

»Dann ist sie völlig ausgerastet und hat mich beschimpft. Dass ich mich jetzt zwischen sie und Alexander dränge. Und ob ich ernsthaft von ihrem Unglück profitieren wolle. Ich wusste echt nicht, wie mir geschieht. Na, da habe ich mal kurz darauf hingewiesen, mir sei zu Ohren gekommen, sie selbst sei nicht ganz unschuldig an seinem Auszug. Da hat sie angefangen zu heulen und ist raus. Hysterische Ziege !«

»Auweia ! Das ist furchtbar. Die arme Nina !«

Caro ist sichtbar mitgenommen von der Geschichte.

»Was heißt denn hier arme Nina ? Ist doch selbst schuld. Ich kann jedenfalls echt nichts dafür. Sie hat doch mit dem Kerl gevögelt, nicht ich. Doch das ist wieder typisch Nina Egozentrisch Bogner – es muss jemand anderes für ihr Elend verantwortlich sein, denn sie macht immer alles richtig. Ätzend ! Wenn die nicht aufpasst, wird sie mal einsam und allein enden. Sie ist doch genau der Typ Frau, der irgendwann nur noch ’ne Katze hat. Und die hat Nina ja schon, ha, ha !«

Zusch ! Mit einem eleganten Sprung hechtet Beck von der Decke zielstrebig auf die geöffnete Terrassentür zu – und ist verschwunden. Schade. Für die Wette ist es nun zu spät. Die Fleischwurst wäre eindeutig mein.

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