SIEBZEHN

Irgendetwas plant Hedwig. Irgendetwas. Ich weiß nur noch nicht, was. Aber die Art, wie ausgesprochen vorsichtig sie heute um Luisa herumschleicht und mit welch sanfter Stimme sie dabei spricht, macht mich extrem misstrauisch. Normalerweise ist Hedwig eine Frau der klaren Ansagen. Wenn Luisa aus der Schule nach Hause kommt, gibt es Mittagessen, dann wird Henri in sein Bettchen verfrachtet, und als Nächstes werden zack, zack die Hausaufgaben gemacht. Heute allerdings von militärischer Ordnung keine Spur. Stattdessen die Frage, ob’s noch ein Dessert sein darf. Hier stimmt doch was nicht !

»Sag mal, Engelchen, so richtig viele Freunde haben Papa und Carolin wohl nicht, oder ?«

Aha ! Ein Ausforschungsversuch !

Luisa löffelt rasch den Rest des Schokopuddings, bevor sie antwortet.

»Doch, wieso ?«

»Ach, ich meine nur so. Ich weiß gar nicht, ob die beiden ab und zu mal mit Freunden verabredet sind und ob sie eigentlich einen großen Bekanntenkreis haben. Wen sie zum Beispiel einladen würden, wenn sie eine Party feiern wollten.«

Nachtigall, ick hör dir trapsen … Party ? Feiern ? Sollte Hedwig wieder auf ihr derzeitiges Lieblingsthema zusteuern ?

»Also, Papa hat ganz viele Freunde. Das kann ich dir auch zeigen.«

»Zeigen ? Wo denn ?«

»Na, in Papas Computer. Bei Facebook kannst du alle seine Freunde sehen. Das sind bestimmt dreihundert oder so. Ich habe sein Passwort. Darfst du aber Papa nicht erzählen, dann krieg ich Ärger.«

»Kind, ich weiß gerade gar nicht, wovon du redest. Wieso kann man Papas Freunde denn im Computer sehen ?«

Eine sehr berechtigte Frage. Versteh ich auch nicht.

»Na, also, Facebook das ist so eine Art Treffpunkt im Internet. Da kann man seine Freunde treffen. Auch die, die man nicht persönlich kennt. Ich zeig’s dir.«

Wie bitte ? Kann man Freunde haben, die man noch nie gesehen hat ? Ich hätte das bis zum heutigen Tage für ausgeschlossen gehalten, aber tatsächlich sitzen Hedwig und Luisa kurz darauf vor dem kleinen Fernseher, der sich Computer nennt, und Luisa erklärt Hedwig, dass Marc viele Freunde hat, die er gar nicht kennt. Verrückt, eindeutig verrückt. Wie soll man jemanden schätzen lernen und ihm vertrauen, wenn man ihm noch nie begegnet ist ? Beim Menschen scheint es so etwas aber zu geben – ich kann es kaum fassen. Marc hat in seinem Computer mindestens dreihundert Freunde. Von denen er allerdings nur die Hälfte persönlich kennt. Die anderen sind nur Facebook-Freunde, so nennt Luisa sie jedenfalls. Hedwig kommt aus dem Staunen nicht heraus – und ich auch nicht.

Facebook-Freunde. Gut, hat wahrscheinlich auch Vorteile, wenn man seine Freunde nicht persönlich kennt. Herr Beck zum Beispiel ist seit dem Vorfall mit der Fleischwurstwette immer noch beleidigt. Und das, obwohl ich ihm die Wette noch nicht einmal vorgeschlagen habe und unsere Nicht-Wette schon ein paar Tage her ist. Wenn wir uns nur per Computer kennen würden, dann hätte ich das ganze Schlamassel mit Alexander nicht mitbekommen und er nicht, dass Daniel umziehen will. Dann wäre zwischen uns alles in bester Ordnung gewesen, und wir hätten uns einfach über etwas anderes unterhalten als Ninas Beziehungsprobleme. Ich frage mich nur gerade, wie man sich überhaupt mit jemandem unterhält, den man nie trifft.

Die gleiche Frage treibt offenbar Hedwig um.

»Und dein Vater ist mit all diesen Menschen befreundet ? Aber wie steht er denn in Kontakt mit denen ? Telefonieren die immer, oder wie geht das ?«

Luisa kichert und schüttelt den Kopf.

»Nein, Oma. Mit Facebook-Freunden chattet man.«

»Man macht was ?«

»Na, man chattet. Das ist eine Unterhaltung per Computer. Guck mal, hier …« – sie zeigt auf etwas, was ich von unterhalb des Schreibtisches nicht sehen kann – »kannst du erkennen, wer im Moment online ist. An dem grünen Punkt.«

»Online ?«

»Ja. Wer sich auch gerade so auf Facebook rumtreibt. Und den kannst du dann anchatten, also gewissermaßen anquatschen. Und wenn der Lust hat, dann chattet der zurück. Und dann seid ihr in der Unterhaltung, dem Chat. Dann tippst du ein, was du sagen willst, und er seine Antwort. Total praktisch. Ich wäre froh, wenn ich schon selbst bei Facebook wäre. Darf ich aber noch nicht. Papa findet, ich bin dafür noch zu klein. Echt mies.« Sie seufzt. »Aber eine E-Mail-Adresse habe ich immerhin schon. Muss ich halt mit meinen Freundinnen mailen. Und das geht tatsächlich nur mit Leuten, die man wirklich kennt. Sonst hat man ihre Adresse nicht.«

Hedwig lächelt und streichelt ihrer Enkelin über den Kopf.

»Ach, mein Schatz, ich finde es gar nicht so schlimm, wenn man die Leute, mit denen man sich im Internet unterhält, auch im wahren Leben kennt. Da hat dein Vater schon recht, wahrscheinlich musst du noch nicht überall mitmachen. Aber sag mal, wenn das alles Freunde von Papa sind, kann man die auch per Facebook zu einer Party einladen ?«

Luisa nickt.

»Klar. Das geht sogar ganz einfach. Du machst bei Facebook eine Seite für die Veranstaltung, und dann schickst du die Einladung an jeden, den du dabeihaben willst. Dann wissen alle, wann die Party ist, und können zu- oder absagen. Wieso ?«

Jaul, Hedwig wird doch nicht etwa … ?

»Oooch, mir scheint, Papa braucht noch ein bisschen Hilfe bei den Einladungen zur Hochzeit. Ich dachte, so könnte ich ihm ein bisschen helfen.«

Grrr, tatsächlich. Ich lag mit meinem komischen Gefühl von Anfang an richtig. Hedwig will mit Gewalt die Gästeliste für die Hochzeit aufstocken !

»Super, Oma – das ist eine richtig coole Idee ! Hochzeitseinladung per Facebook ! Dann wird es vielleicht doch noch ein richtig tolles, großes Fest und nicht so ’ne kleine popelige Feier.«

Luisa ist begeistert, ich bin es nicht. An die Hochzeit von dieser Stefanie erinnere ich mich mit Grausen. Nein, so etwas wollen wir sicher nicht. Und noch sicherer nicht mit Leuten, die nur im Computer unsere Freunde sind !

»Luisa, ich bin ganz deiner Meinung. Aber wie schaffe ich es, Papas Freunden Bescheid zu sagen, ohne dass er es merkt ? Das soll doch auch eine Überraschung werden.«

»Das ist doch ganz einfach. Wir legen dir einen Facebook-Account zu, Oma. Wir melden dich da an, und dann kannst du allen Freunden von Papa, die du dabeihaben willst, eine Einladung schicken. Ich glaube, ich kann dir von den meisten sagen, ob Papa sie wirklich kennt. Die fragst du dann, ob sie auch deine Freunde sein wollen, und dann lädst du sie ein. Kannst ja sagen, dass es geheim bleiben soll.«

»Puh. Ist das schwierig ? Schaffen wir das noch, solange Henri schläft ?«

»Klar. Kein Problem. Du musst dir nur einen anderen Namen ausdenken, sonst merkt Papa gleich, dass du auch auf Facebook bist. Der kriegt nämlich gezeigt, wenn irgendjemand so ziemlich dieselben Freunde hat wie er. Also, wie willst du heißen ?«

Hedwig überlegt.

»Wie findest du Romy Bardot ?«

»Hm, bisschen seltsam. Wie kommst du da drauf ?«

»Es ist eine Kombination aus Romy Schneider und Brigitte Bardot.«

»Kenn ich beide nicht. Aber ist auch egal, Hauptsache, Papa checkt nicht gleich, was Sache ist.«

»Findest du Brigitte Schneider besser ?«

Luisa nickt.

»Okay, dann nehmen wir Brigitte Schneider.«

Luisa sagt nichts, sondern beugt sich über den Computer und fängt an zu tippen. Nach einer Weile dreht sie sich wieder zu Hedwig-Brigitte.

»Fertig. Du hast jetzt ein Konto auf Facebook als Brigitte Schneider. Angemeldet bist du auf meine E-Mail-Adresse, aber die brauchst du nicht weiter. Jetzt schickst du allen Freunden von Papa eine Freundschaftsnachricht, erklärst kurz, wer du wirklich bist und dass du eine Überraschungshochzeitsfeier planst. Das finden die unter Garantie alle cool. Was allerdings gut wäre, wäre ein Foto für das Profilbild. Das kann ich eben mit meinem Handy machen und dann hochladen.«

Hedwig-Brigitte runzelt die Stirn.

»Na, aber dann erkennt mich dein Vater doch sofort.«

»Stimmt. Was könnten wir denn stattdessen nehmen ?« Forschend sieht sich Luisa im Wohnzimmer um, dann bleibt ihr Blick an mir hängen. »Oma, ich hab’s.«

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