ZEHN

Was ist schlimmer als ein schlecht gelaunter Dackel ? Ein sehr schlecht gelaunter Dackel ! Als ich nach unten in die Werkstatt gehetzt gekommen bin, war Cherie bereits mit Daniel verschwunden, und nur ihr süßer Duft hing noch in der Luft. Jaul !

Und jetzt schleift mich eine ebenfalls schlecht gelaunte Carolin hinter sich her, denn offenbar hat es mit Henri und den Purzelzwergen doch nicht geklappt. Jedenfalls deute ich so den Anruf, den Carolin gerade erhalten hat. Nach einem erfreut-aufgeregten Hallo folgte ein sehr enttäuschtes Schade, kurz darauf hat sie sich ihre Tasche geschnappt und ist mit mir wieder aus der Werkstatt raus. Anscheinend will sie ganz schnell nach Hause, ich komme kaum hinterher. Das will schon etwas heißen, denn sonst ist es meist andersherum.

Und so kommt zu meiner schlechten Laune nun auch noch, dass ich nicht mal in Ruhe pinkeln kann. Als wir an unserem Haus ankommen, bin ich echt froh, dass der kleine Spaziergang zu Ende ist. Was für ein bescheidener Tag !

Marc wartet oben bereits auf uns. Klar, der will ja noch in die Praxis. Allerdings traut er sich nicht, das noch mal zu sagen. Bestimmt eine schlaue Taktik. Caro riecht gerade so, als könne sie gleich einen Mord begehen. Hoffentlich sind alle Küchenmesser gut verstaut.

Allerdings schreit sie dann gar nicht rum, sondern weint.

»So ein Mist ! Ich hatte so gehofft, dass es klappt. Was sollen wir denn jetzt bloß machen ? Was soll ich denn jetzt machen ? Den Auftrag können wir vergessen, den schafft Daniel nicht allein. Am besten, wir machen gleich die ganze Werkstatt dicht. Hat sowieso alles keinen Sinn.«

»Ach, Spatzl !« Marc nimmt Carolin in den Arm und drückt sie. »Das tut mir so leid. Aber das kriegen wir schon irgendwie hin. Ich habe auch schon eine Idee, wie.«

»Ja ?«

Carolin klingt zweifelnd, Marc gibt ihr ein Taschentuch, in das sie lautstark trompetet.

»Komm mal mit ins Wohnzimmer, ich erkläre es dir in Ruhe.«

Brav trottet Caro hinter Marc her und setzt sich neben ihn aufs Sofa. Henri ist auch da und versucht an der Sofakante etwas, was entfernt an Klimmzüge erinnert. Ich deute das mal als Bemühen, von allein aufzustehen. Mann, entwickeln sich Menschen langsam ! Das kann doch jeder Dackel schon nach zwei Wochen !

»Bei mir haben sie ja ebenfalls wegen der Absage angerufen«, beginnt Marc. »Kurz nachdem dein Anruf kam, hatte ich auch diesen Jörg an der Strippe. Und der hat mir noch etwas Interessantes erzählt. Wir haben zwar nicht den Aprilplatz bekommen – aber wenn wir wollen, können wir einen Platz im August haben. Nach den Sommerferien wechseln nämlich drei Kinder in den Kindergarten, und sie haben bisher erst zwei Plätze besetzt – mit Mädchen. Deswegen hätten sie gern noch einen Jungen. Sie fanden uns sehr nett und würden uns den Platz deshalb geben. Normalerweise nehmen sie die Kleinen zwar am liebsten mit einem Jahr, aber Henri ist dann auch erst vierzehn Monate alt, das würde noch passen. Wir müssten nur vier Monate überbrücken. Erschlag mich bitte nicht gleich, aber ich habe für diesen Notfall Hedwig gefragt. Sie würde es sehr gern machen. Und es wäre nur für den Übergang, keine Dauerlösung. Großes Indianerehrenwort !«

Interessiert schaue ich zwischen Marc und Caro hin und her. Gibt es wirklich Schläge ? Eine echte Keilerei ist bei den Menschen, die ich so persönlich kenne, ziemlich selten. Obendrein ist Caro doch ein ganzes Stück kleiner als Marc. Das wäre schon interessant zu beobachten. Aber anstatt Marc zu hauen, legt Caro die Stirn in Falten und sagt erst mal nichts.

Dann, nach einer Weile, räuspert sie sich. »Wahrscheinlich hast du recht, und das ist eine gute Idee. Ich weiß auch nicht, warum ich auf Hedwig immer so allergisch reagiere. Vielleicht, weil ich immer noch nicht das Gefühl losgeworden bin, dass sie insgeheim enttäuscht ist, dass du nicht mehr mit Sabine zusammen bist. Ich fühle mich ständig so, als würde ich von ihr eine schlechte Note bekommen – weißt du, was ich meine ?«

Marc nickt.

»Klar weiß ich, was du meinst. Und das sollte dich gleichzeitig beruhigen. Dieses Gefühl gibt sie doch allen. Es liegt nicht an dir. Ich weiß, du redest nicht gern über meine Ex, aber Sabine ging es mit Hedwig genauso, als wir noch verheiratet waren.«

»Echt ?« Caro ringt sich zu einem Lächeln durch. »Das ist tatsächlich tröstlich. Ich komme mir immer vor wie die schlechtere Schwiegertochter.«

Marc grinst.

»Das musst du nicht.«

»Trotzdem. Hedwig ist auch dauernd so übergriffig. Alles weiß sie besser. Deswegen mache ich mir schon ein bisschen Sorgen, dass sie bei Henri alles an sich reißt. Und uns wieder überall reinredet.«

Ich denke darüber nach, ob ich Caro verstehen kann. Persönlich komme ich mit Hedwig bestens klar. Aber sie ist eben eine starke Persönlichkeit. Die Rudelchefin – ich erwähnte es bereits. Diese hier offensichtlich ungeklärte Rangordnung führt selbstredend zu Problemen – nicht nur bei Hunden. Aber was wäre die Lösung ? Henri doch in die Werkstatt mitzunehmen ? Vielleicht könnte ich dort auf ihn aufpassen und ihn vom Geigenzerstören abhalten. Ich könnte mir vorher ein paar Tipps von Zottel holen – so wie der seine Schafe in die Hinterläufe zwickt, könnte ich es doch mit den Waden von Henri machen. Nur dann, wenn er sich doch mal in böser Absicht einer Geige nähern sollte, klaro. Das würde dem Kleinen wahrscheinlich nicht gefallen, aber Caro müsste sich überhaupt keine Sorgen machen, dass ich mich zu sehr in seine Erziehung einmische. Okay – ich könnte ihm natürlich zeigen, wie man einen Baum anpinkelt. Das müsste Henri eigentlich hinkriegen. Immerhin bewegt er sich seit einigen Tagen auf allen vieren fort.

»Ich weiß, dass meine Mutter so ist. Aber ich habe ihr auch ganz klar gesagt, dass wir eine Unterstützung brauchen, keine Aufsichtsratsvorsitzende.«

Caro lacht, ich verstehe den Witz leider nicht. Aber egal. Wenn Caro lacht, ist es immer ein gutes Zeichen. Dann ist die Lage doch nicht hoffnungslos, und sie gibt der Geschichte mit Hedwig eine Chance.

»Na gut. Wenn du meinst, dass die Botschaft bei ihr angekommen ist, dann freue ich mich natürlich auf ihre Hilfe.«

»Die Botschaft ist ganz sicher angekommen. Mach dir keine Sorgen. Sie wird sich nicht einmischen, sondern nur helfen. Und falls sie es doch macht, kümmere ich mich darum.«

»Also, ich finde, mit fast einem Jahr ist Henri doch groß genug, ohne Schnuller auszukommen. Ich habe Marc damals von Anfang an keinen Schnuller gegeben.«

Hedwig hält einen von Henris Schnullern mit spitzen Fingern über die Spüle in der Küche. Täusche ich mich, oder hat Carolin schon Schaum vor dem Mund ? Hedwig ist gerade erst gekommen und hat schon drei tolle Verbesserungsvorschläge für das Babyhandling gemacht. Einmal ging es ums Füttern (»lieber selbst kochen anstatt Gläschen«), dann um die Windeln (»wo ist eigentlich sein Töpfchen ? Ich kann doch schon mal mit ihm üben«), und gerade jetzt ist der Schnuller das Thema. Eigentlich wollte Caro Hedwig wohl erklären, worauf sie achten soll, solange sie auf Henri aufpasst. Aber soeben läuft es eher andersherum. Hedwig erklärt Caro, wie man sich um ein Kleinkind kümmert. Wuff ! Ich kann förmlich riechen, wie sich eine gewisse Spannung in der Küche aufbaut.

Wo ist eigentlich Marc ? Der wollte sich doch um alles kümmern. Inklusive seine Mutter in Schach zu halten. Die gleiche Frage scheint sich Caro auch gerade zu stellen.

»Hedwig, ich muss mal kurz runter zu Marc. Bin gleich wieder da.«

Sehr schlaue Taktik. Sich nicht allein mit der Rudelführerin anlegen, sondern Verstärkung holen. Könnte von mir sein. Tatsächlich taucht Marc keine fünf Minuten später auf. Allein. Oha. Krisengespräch.

»Mutter, ich muss doch noch mal kurz mit dir sprechen.«

Er setzt sich an den Küchentisch, Hedwig setzt sich daneben.

»Es ist wegen des Schnullers, richtig ?«

Sie klingt fast ein bisschen reumütig.

»Auch. Aber nicht nur. Man könnte auch sagen, wegen des Töpfchens. Oder wegen der Gläschen. Es geht ums Prinzip, verstehst du ?«

»Aber ich will doch nur helfen !«, verteidigt sich Hedwig. »Caro ist eine junge Mutter, und sie macht das alles ganz toll – doch ich dachte, es ist gut, wenn ich sie von meiner Erfahrung profitieren lasse. Das war keinesfalls böse gemeint !«

»Ich weiß. Trotzdem: Halt dich doch mal ein bisschen zurück. Sonst kommt deine Hilfe leicht als Bevormundung rüber.«

Dazu sagt Hedwig nichts. Wahrscheinlich ist sie beleidigt.

Marc seufzt.

»Ich hatte gehofft, du verstehst, was ich meine. Dass du uns so tatkräftig unter die Arme greifst, finde ich toll. Aber Henri ist unser Kind, und einige Sachen entscheiden wir deshalb so, wie wir es für richtig halten. Auch, wenn du anderer Meinung sein solltest. Ich fände es zwar sehr schade, wenn das nicht gehen sollte, aber dann müssen wir es eben leider lassen.«

Hedwig schaut zu Boden, unsere Blicke treffen sich. Sie sieht sehr zerknirscht aus. Jetzt tut sie mir leid ! Ich glaube ihr, dass sie es nur gut mit ihren Ratschlägen meint.

Nach einer Weile räuspert sie sich.

»Ich werde mich bemühen, mich in Zukunft etwas zurückzuhalten. Aber du musst mir glauben: Das war alles nur gut gemeint. Ich freue mich doch so, mich um meine Enkelkinder kümmern zu können.«

»Das weiß ich doch. Und das finde ich auch toll. Caro hat sich auch darüber gefreut und weiß es sehr zu schätzen. Ich glaube, ihr müsst euch da nur ein wenig aufeinander abstimmen. Dann klappt das schon.«

Hedwig nickt. Und ich hoffe sehr, Marc liegt richtig mit seiner Einschätzung. Vier Monate können vermutlich ganz schön lang sein, wenn hier ständig dicke Luft ist. Vielleicht sollte ich mich dann für tagsüber nach einer andren Bleibe umsehen ? Ob es so etwas wie die Purzelzwerge auch für Hunde gibt ?

Der restliche Nachmittag verläuft aber ganz friedlich. Caro zeigt Hedwig noch einmal alle Sachen von Henri. Sie spielen zusammen, dann kommt Luisa nach Hause, und wir gehen alle eine Runde Gassi. Wieder zu Hause angekommen backt Hedwig mit Luisa einen Kuchen, und Luisa erzählt von unserem abenteuerlichen Ausflug zum Leuchtturm.

»Stell dir vor, eines der Schafe hat Henri gebissen und seine Kinderkarre umgeschubst !«

Hedwig zieht die Augenbrauen hoch, und man kann genau erkennen, dass sie sich vermutlich denkt, wie unverantwortlich es war, den kleinen Henri einer solchen Gefahr auszusetzen. Aber sie sagt nichts, ringt sich stattdessen ein Lächeln ab und fragt mit sanfter Stimme:

»Was wolltet ihr denn an dem Leuchtturm, mein Schatz ?«

»Na, das Trauzimmer besichtigen. Weißt du, Marc und Caro wollen doch nur eine ganz kleine Hochzeitsfeier, und auf den Leuchtturm passen sowieso nur elf Leute. Und dann kommt der Leuchtturmwärter und verheiratet Papa und Caro.«

Hedwig schnappt hörbar nach Luft. Mir scheint, dass sie in den Plan mit der sehr kleinen Hochzeit noch nicht eingeweiht war.

»Bitte, was will dein Vater auf dem Leuchtturm ?«

»Heiraten. Aber wahrscheinlich doch nicht auf dem Leuchtturm, der war von innen ganz schön scheußlich, hat mir und Caro überhaupt nicht gefallen. Jetzt suchen sie etwas anderes Kleines zum Heiraten.«

»Aha.«

Mehr sagt Hedwig dazu nicht, aber es ist wirklich toll, wie sie in diese zwei Silben Empörung für eine mindestens zweistündige Rede packt. Tolle Frau ! Luisa scheint das allerdings nicht zu bemerken, denn sie plappert munter weiter.

»Also, ich fände ein richtig großes Fest ja schöner, aber das will Carolin irgendwie nicht. Sie möchte zu ihrer Hochzeit nur die Leute einladen, die ihr am wichtigsten sind.«

»Da kann ich ja nur hoffen, dass ich dabei bin«, kommentiert Hedwig sehr schmallippig.

»Aber Oma«, lacht Luisa, »natürlich bist du dabei. Du bist doch ganz wichtig.«

Hedwig greift über den Küchentisch und drückt Luisas Hand.

»Danke, mein Kind. Manchmal bin ich mir da nicht mehr so sicher.«

Luisa guckt überrascht, sagt aber nichts. Stattdessen steht sie auf und linst in den Ofen.

»Ich glaube, unser Kuchen ist fertig. Den hol ich mal raus.«

Kurz darauf steht ein dampfender Schokokuchen auf dem Tisch und riecht wirklich verführerisch. Hoffentlich schneidet ihn Hedwig gleich auf. Dann sind meine Chancen auf einen Probierhappen nicht schlecht. Wenn hingegen erst mal Marc zu Hause ist, kriege ich garantiert nichts ab. Er ist der Meinung, dass Schokolade für Hunde sehr schädlich ist. Aber selbst wenn – an einem Stückchen würde ich bestimmt nicht sterben.

Caro kommt wieder in die Küche.

»Hm, das riecht aber lecker ! Gibt es schon was ?«

»Er muss eigentlich noch ein bisschen abkühlen«, erklärt Hedwig. »Aber ich schneide schon mal ein Stück für Marc raus. Das will ich ihm in die Praxis bringen.«

»Ach, lass doch. Keine Umstände. Der ist in einer Stunde sowieso wieder hier.«

Hedwig schüttelt den Kopf.

»Nein, nein, das ist ja keine Mühe. Ich bringe ihm gern ein Stück, solange es noch warm ist.«

Sie verfrachtet ein Kuchenstück auf einen Teller und holt eine Gabel aus der Küchenschublade, dann kramt sie eine Serviette aus dem Regal.

»Ich bin gleich wieder da.«

»Wie du meinst.«

»Ja, warm ist es am leckersten. Außerdem wollte ich Marc sowieso noch etwas fragen.«

Schwupp. Weg ist sie. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich weiß, was Hedwig Marc fragen will. Mit Henri hat es diesmal bestimmt nichts zu tun.

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