NEUNZEHN

Aber was ist denn so schlimm daran, wenn Mama zur Hochzeit kommt ? Ihr habt gesagt, dass ihr nur Familie einladen wollt. Und Mama ist eindeutig Familie.«

Luisa klingt enttäuscht und wütend. Marc seufzt.

»Luisa, ich habe doch schon versucht, es dir zu erklären: Wenn Mama zur Hochzeit kommt, fühlen sich Caro und ich nicht wirklich wohl. Und das wäre bei der eigenen Hochzeit schade, meinst du nicht auch ?«

»Ach, und ob ich mich wohlfühle, ist anscheinend völlig egal. Das interessiert euch überhaupt nicht.« Okay, jetzt klingt das Kind nur noch wütend. »Du hast mal zu mir gesagt, dass es manchmal besser ist, wenn sich Eltern trennen, weil sie sich sonst nur noch streiten würden, und sie sich besser verstehen, wenn sie nicht mehr ein Paar sein müssen.«

»Ja, das habe ich gesagt. Und das stimmt auch.«

»Nee, das stimmt offensichtlich nicht. Denn wenn ihr euch jetzt besser verstehen würdet, dann könntest du Mama ruhig einladen. Das war also gelogen.«

Marc holt tief Luft und will anscheinend etwas sagen, lässt es dann aber. Irgendwie habe ich schon schönere Abende im Hause Wagner-Neumann erlebt. Die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt, seit es wieder um das Thema Hochzeit geht. Dabei ist Hedwig nicht mal da, um sich mit kreativen Vorschlägen in die weitere Planung einzubringen. Es war Luisa, die noch einmal mit Fragen zur Einladungspolitik um die Ecke kam. Ohne dabei freilich zu erwähnen, dass sie mit Oma bereits an einer kleinen Erweiterung der Gästeliste arbeitet. Ungefragt Sabine einzuladen hat sie sich aber offenbar nicht getraut.

Luisa funkelt Marc angriffslustig an. Ich ahne das Schlimmste, und bevor sie noch zur nächsten Attacke ausholen kann, hüpfe ich kurz entschlossen auf ihren Schoß. Vielleicht kann sie eine Runde Dackelkuscheln wieder gnädiger stimmen. Tatsächlich rückt sie ihren Stuhl noch weiter vom Küchentisch weg und beginnt, mich zu kraulen.

»Braver Herkules, lieber Herkules. Manchmal glaube ich, du bist der Einzige, der mich hier versteht. Außer Oma. Und Henri. Aber der zählt noch nicht. Papa ist jedenfalls richtig ätzend.«

Marc tut so, als ob er das alles nicht hört, und fängt an, betont fröhlich zu pfeifen, während er irgendetwas in einem der Küchenschränke sucht.

»Möchtest du auch einen Tee, Engelchen ?«

»Nein. Ich möchte, dass du Mama einlädst.«

»Darüber möchte ich jetzt nicht mehr mit dir sprechen.«

Marc gibt sich alle Mühe, gelassen zu klingen. Aber dass er mittlerweile ziemlich gereizt ist, höre ich als geübter Zweibeinerversteher sofort.

»Okay, aber dann müsst ihr wenigstens den Willi einladen.«

Oh, gute Idee ! Willi ist ein sehr alter Freund, den ich gleich in meinen ersten Tagen bei Carolin kennengelernt habe. Er wohnte damals praktischerweise auf einer Parkbank, so habe ich ihn bei einem meiner ersten Spaziergänge dort entdeckt. In der Zwischenzeit ist er in eine kleine Wohnung umgezogen, aber ich treffe ihn immer noch, wenn ich in unserem Viertel unterwegs bin. Er verkauft nämlich mittlerweile Zeitungen vor unserem Supermarkt, und dort bindet mich Caro oft neben Willi an, und er passt dann auf mich auf.

Marc scheint von der Idee allerdings nicht ganz so begeistert zu sein wie ich.

»Willi ? Wie kommst du denn auf den ?«

»Ganz einfach: Ich finde, der gehört zur Familie.«

»Findest du.«

»Ja. Und er ist ein richtig guter Freund.«

»Hm, ich weiß nicht. Das ist vielleicht nicht so passend.«

»Wieso nicht ?«

»Na, Willi ist schon reichlich speziell.«

»Ach, fühlt ihr euch da wieder nicht wohl, oder wie ? Weil der Willi nicht so viel Geld hat wie alle anderen. Und nicht so tolle Klamotten, oder was ?«

Jaul, sie kann aber auch ganz schön krabitzig sein, unsere kleine Luisa. Ob das auch an dieser Krankheit namens Pubertät liegt ? Marc wirft ihr einen reichlich leidenden Blick zu. Wette, er fragt sich gerade, ob die Freuden eigener Kinder nicht maßlos überschätzt werden.

»Das ist doch Quatsch, Luisa. Natürlich ist Willi ein Freund und ein netter Kerl. Ich frage mich nur, ob so eine Hochzeitsfeier das Richtige für ihn ist. Könnte ja sein, er mag so etwas gar nicht.«

»Tja: Frag ihn. Dann bist du schlauer.«

Marc hebt die Hände.

»Okay, ich verspreche dir, ich frage erst mal Caro, was sie davon hält. Und wenn sie die Idee gut findet, dann frage ich Willi. Einverstanden ?«

»Einverstanden. Und wenn du gerade dabei bist: Frag sie gleich auch noch mal nach Mama. Vielleicht hat sie doch nichts dagegen, und du bildest dir das nur ein. Für mich wäre das wichtig. Falls es dir nicht total egal ist, was mir wichtig ist.«

Marc stöhnt, sagt aber nichts mehr. Ob das der Grund ist, warum Hunde schon als Welpen abgegeben werden ? Damit man ihren Muttertieren stundenlange Diskussionen mit dem Nachwuchs erspart ? Und sie in der neuen Familie sind, bevor sie sich mit Pubertät anstecken können ? Wäre jedenfalls eine Möglichkeit. Gäbe es sie auch für Menschenkinder, Marc würde sie wahrscheinlich gerade in Erwägung ziehen.

Die Wohnungstür wird geöffnet, Caro kommt mit Henri vom Kinderarzt wieder.

»Hallo, wo seid ihr denn alle ?«, ruft sie gut gelaunt in den Flur.

»Hier«, brummelt Marc zurück, und kurz darauf steht auch Caro mit Henri auf dem Arm in unserer Küche.

»Also, Henri ist topfit. Hat die U6 quasi mit Auszeichnung bestanden. Er ist etwas größer als der Durchschnitt, sein Kopfumfang ist perfekt und sein freier Sitz mit geradem Rücken und locker gestreckten Beinen vorbildlich.«

Donnerwetter – klingt ganz so, als wäre sie mit Henri bei der Rassetauglichkeitsprüfung gewesen. Das heißt, eher nach Zuchtrichter als nach Kinderarzt. Ob es so etwas auch bei Menschen gibt ? U6 scheint dann so etwas zu sein wie die offene Jugendklasse auf der Hundeausstellung. Tja, man lernt nie aus.

»Und hast du ihn auch mal nach dem Sprechen gefragt ?«, erkundigt sich Marc.

Caro nickt.

»Natürlich. Super Sprachentwicklung, seine Silbenverdopplung ist wie aus dem Lehrbuch. Henri ist ein kleiner Supermann.«

Aus Caros Stimme tropft der Mutterstolz nur so heraus, aber ich muss zugeben, dass auch ich beeindruckt bin. So gute Noten hätte ich nicht für möglich gehalten, wo Henri doch so blöd ist. Am Ende ist unser Kleiner noch ein echter Champion ! Während ich mir in Gedanken schon ausmale, wie Henri als Weltjugendsieger einen gigantischen Pokal überreicht bekommt, mischt sich Luisa ins Gespräch ein.

»Super, das mit Henri. Aber Papa und ich haben uns hier auch über ein paar wichtige Sachen unterhalten. Über eure Hochzeit nämlich und da …«

»Mensch, Hochzeit – gut, dass du es sagst !«, unterbricht Caro Luisa mitten im Satz. »Das hätte ich ja fast vergessen, Marc ! Bevor ich mit Henri zum Arzt bin, hat Frau Holtrop angerufen.«

Marc runzelt die Stirn.

»Wer war noch gleich wieder Frau Holtrop ?«

»Die leitet die Gastronomie im Kloster Uetersen.«

»Stimmt, so hieß die. Und was wollte sie ?«

»Am 15. Juni klappt es bei ihnen leider nicht. Es gab ja schon eine Option auf diesen Termin, von der sie dachte, dass die Leute sie nicht einlösen würden. Machen sie aber doch, die haben sich heute bei ihr gemeldet. Wir müssen uns also schleunigst nach einer Alternative umsehen.«

Caro zieht einen Stuhl zu sich und setzt sich neben Marc. Der gibt ihr einen Kuss und nimmt dann Henri auf seinen Schoß.

»Hm, Uetersen klappt also nicht ? Doof. Mir hat es da richtig gut gefallen. Und wenn wir doch einen anderen Tag nehmen ?«

»Habe ich auch schon überlegt. Als wir nur ganz klein feiern wollten, wäre das kein Problem gewesen. Aber mittlerweile haben wir fünfundzwanzig Gäste, die Hälfte davon kommt nicht aus Hamburg. Ich fürchte, zu einer Feier am Wochenende gibt es da gar keine Alternative.«

»Ja, wahrscheinlich hast du mit dieser Einschätzung recht. Aber was ist denn mit der Trauung ? Die sollte doch im Kloster stattfinden. Klappt die auch nicht ?«

»Den Termin haben wir zwar sicher, aber was bringt uns das ? Dann traut uns der Standesbeamte im Konventsaal, aber wir können dort nicht feiern. Schon ein kleiner Empfang danach wird schwierig, wenn zeitgleich eine andere große Party stattfindet.«

»Scheiße. Was machen wir jetzt ?«

»Ich werde morgen mal alle Hamburger Standesämter anrufen und fragen, ob irgendjemand noch einen Termin am 15. Juni vergibt. Wenn das nicht klappt, dann bleibt uns wohl nichts anderes übrig, als erst in Uetersen zu heiraten und dann zur Feier wieder nach Hamburg zu fahren. Irgendein nettes Restaurant werden wir hier schon finden. Am Datum würde ich jedenfalls nicht mehr rühren.«

Marc nickt.

»Ach, Mist, wir hätten mal bei dem Plan mit der kleinen Feier bleiben sollen. Für ein größeres Fest sind wir schon viel zu spät dran.«

»Bedank dich bei deiner Mutter«, erwidert Caro trocken. »Die große Sause war schließlich ihre Idee. Immerhin könnten wir noch auf den Michel ausweichen. Da passen wir mit fünfundzwanzig Leuten auch locker rein.«

Gut. Ich gehe da jetzt rein. Und ich bin souverän und witzig. Äh, hab ich was vergessen ? Ach so: gelassen. Ich bin selbstverständlich gelassen. JAUL ! Ich kann das nicht. Ich kann nicht einfach in meine Werkstatt spazieren, wenn ich genau weiß, dass Cherie auch dort ist.

»Herkules, was machst du da ?«

Herr Beck kommt um die Ecke gebogen und sieht, wie ich vor dem Hauseingang sitze, mich hinlege, wieder aufstehe, mich dann wieder hinsetze, schließlich wieder liege. So geht das schon seit einiger Zeit, aber ich kann mich nicht aufraffen, einfach durch die Tür zu marschieren. Ich kann es nicht.

Carolin ist nicht einmal aufgefallen, dass ich ihr nicht gefolgt bin. Gut, ich bleibe oft im Vorgarten und komme dann durch die Terrassentür nach, vor allem, wenn so schönes Wetter ist wie heute. Aber gerade jetzt finde ich sie da trotzdem reichlich unsensibel. Gut, dass ich wenigstens noch einen wahren Freund hier habe, dem auffällt, dass etwas mit mir nicht stimmt.

»Ich habe Angst, Beck.«

Beck legt sich neben mich und wedelt mit dem Schwanz hin und her.

»Wovor ?«

»Vor Cherie. Genauer gesagt, davor, wie es mit uns weitergeht. Noch genauer gesagt davor, dass es überhaupt nicht weitergeht.«

»Eines kann ich dir mit Sicherheit sagen: Wenn du hier draußen liegen bleibst, geht es garantiert nicht weiter. Und wenn du drinnen rumliegst und nichts machst, bestimmt auch nicht.«

Ratlos lege ich die Schnauze auf die Vorderläufe.

»Aber was soll ich denn machen ? Was kann ich überhaupt machen ?«

Beck überlegt einen Moment, bevor er antwortet.

»Du musst dich interessant machen.«

»Aha.«

Ein super Tipp. Und so leicht umzusetzen …

»Nee, mal im Ernst – wenn es irgendwie geht, mach dich mal ein bisschen rar.«

»Wie denn ? Ich wohne quasi in der Werkstatt, und sie auch !«

»Ja, dann eben im übertragenen Sinne. Ignoriere Cherie einfach. Frau Wiese hat immer gesagt: Willste gelten, mach dir selten. Und ich glaube, da ist was dran.«

Rar machen. Cherie ignorieren. Ich glaube nicht, dass ich dazu in der Lage bin. Da müsste ich schon mit Augenbinde in der Werkstatt aufkreuzen. Sehr unauffällig.

Beck scheint zu merken, dass ich mehr als skeptisch bin.

»Am besten wäre es natürlich, du könntest sie eifersüchtig machen. Das ist immer ein probates Mittel.«

»Was ist das ?«

Gott, red doch nicht so geschwollen daher, Kater. Vor dir sitzt ein liebeskranker Hund !

»Ein besonders wirksames Mittel. Mach sie eifersüchtig. Dazu bräuchten wir allerdings eine andere Hündin. Ich glaube nicht, dass Cherie deine Liebe zu einem alten, fetten Kater besonders beeindrucken wird.«

Großartig ! Eine andere Hündin. Die zu besorgen ist überhaupt kein Problem. Da stelle ich mich doch einfach schnell in den Park, belle einmal laut und eindrucksvoll, schon werden sie in Heerscharen kommen. Die sind dann alle hinter mir her, Cherie erkennt ihren Fehler, und die Sache ist geritzt. Ha, ha ! Guter Witz !

»Echt, Beck. Hast du keine anderen Tipps auf Lager ? Wo soll ich denn jetzt so schnell eine Hündin herkriegen, die mich anbetet und auf die Cherie dann eifersüchtig ist ?«

»Hm. Guter Punkt. Es wäre aber schon sehr praktisch. Würde auch reichen, wenn du ganz offensichtlich die Hündin anbetest. Cherie müsste eben merken, dass es neben ihr auch andere schöne Frauen gibt.«

Andere schöne Frauen. Woher nehmen, wenn nicht stehlen ? Ich habe leider wegen Cherie in letzter Zeit auch überhaupt nicht mehr auf andere Damen geachtet. Könnte fast schwören, dass mir keine begegnet sind. Wobei – stimmt ja gar nicht ! Stimmt überhaupt nicht !

Ich springe hoch und schüttle mich. Auf geht’s ! Erst ignorieren, dann eifersüchtig machen.

»Beck, du bist einfach genial !«

Der schaut mich völlig verwirrt an.

»Äh, bin ich ?«

»Bist du.«

Und schon sause ich Richtung Werkstatt. Attacke !

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