FÜNFUNDZWANZIG

Die wollten nicht mitfahren. Ich war auch überrascht, aber da war nichts zu machen, ehrlich !«

Dem Kutscher ist die Situation sichtlich unangenehm. Er ist von seinem Bock geklettert und steht nun vor Hedwig, die am ganzen Körper zittert.

»Vielleicht hatte einer der Herrschaften eine Pferdeallergie oder so – jedenfalls haben die sich dann ein Taxi gerufen, als Sie alle außer Sichtweite waren. Na ja, und bevor sie dann weg sind, hat mir der Herr noch das für Sie gegeben.«

Er reicht Hedwig eine Tasche. Mit ihren zitternden Händen lässt sie die fast fallen, sodass Daniel rettend neben Hedwig springt und die Tasche festhält.

»Danke. Wissen Sie, was das ist ?«, fragt er den Kutscher.

Der schüttelt den Kopf. Hätte Daniel mal mich gefragt. Ich kenne die Tasche nämlich. In der transportiert Marc immer den kleinen Computer, den man überallhin mitnehmen kann. Man muss ihn dann vor Ort nur aufklappen, schon funktioniert er genauso wie das große Teil im Wohnzimmer.

Hedwig sagt immer noch kein Wort, sondern hat mittlerweile angefangen, leise zu schluchzen. Auweia ! Das kann ja heiter werden.

Vorsichtig öffnet Daniel die Tasche und lugt hinein.

»Ein Laptop. Sehr mysteriös.«

Er zieht ihn aus der Tasche, und ich kann sehen, dass ein heller Zettel auf dem kleinen Computer klebt.

Daniel liest laut vor:

»Liebe Hochzeitsgesellschaft, anbei ein Grußwort vom Brautpaar. Findet ihr unter ›Brautpaar‹. Beamer ist vorhanden, einfach Frau Hohwenser fragen. Danke und viel Spaß ! Aha, wer ist denn hier Frau Hohwenser ?«

»Ich !«

Bienes Frauchen schält sich aus dem Pulk der anderen Gäste. Auch sie sieht sehr festlich aus – aber auch sie wirkt verwirrt.

»Haben Sie im Haus einen Beamer angeschlossen ?«

»Ja, habe ich. Lustig, dass Sie danach fragen. Das Gleiche wollte auch der Bräutigam wissen, als er mich vorgestern angerufen hat. Ich habe ihm versprochen, in der Halle einen aufzubauen – ich habe ihn ja sonst im Büro stehen.«

»Okay«, ruft Daniel laut den anderen Gästen zu, »dann gehen wir jetzt mal alle in die Halle. Das Brautpaar macht es spannend.«

Es dauert einen Moment, bis sich sämtliche Gäste in der großen Halle der Villa eingefunden haben. Sie sieht ganz anders aus als beim letzten Mal, denn nun ist sie wie ein Restaurant hergerichtet, mit festlich gedeckten Tischen und sehr viel Blumenschmuck. Die Flügeltüren zu dem hinteren Raum sind geöffnet, sodass man direkt in den Garten sehen kann. Auch dort sind Stehtische aufgebaut, außerdem eine Art Bar – so sieht der Tisch mit den vielen Gläsern und Flaschen jedenfalls aus.

An der Stirnseite der Halle steht ein Tischchen mit einem Kästchen darauf. Daniel nimmt den kleinen Computer und stöpselt ihn mit einem Kabel an das Kästchen an. Einen Augenblick später erscheint ein großes, helles Bild an der gegenüberliegenden Wand. Wuff, Zauberei ! Wie hat Daniel das gemacht ?

»Sag mal, weißt du, was hier los ist ?«

Cherie ist neben mir aufgetaucht.

»Das Brautpaar fehlt. Marc und Carolin waren nicht in der Kutsche. Stattdessen hat der Kutscher Daniel den Computer in die Hand gedrückt. Was das soll, weiß ich aber auch nicht.«

Daniel dreht an einem runden Teil herum, das vorn an das Kästchen geschraubt ist, das Bild an der Wand wird daraufhin schärfer, und man kann deutlich eine Schrift erkennen. Schade, dass ich nicht lesen kann, sonst wäre ich jetzt schlauer.

»Liebe Familie, liebe Freunde !«, dröhnt auf einmal Marcs Stimme durch die Halle. Ich zucke zusammen und sehe mich um – wo ist er denn ? Sehen kann ich ihn nicht, was aber verständlich ist, denn um mich herum stehen so viele Leute, dass ich nur von einem Bein zum anderen gucken kann. Allerdings kann ich Marc auch nicht riechen – und das ist wirklich ungewöhnlich !

»Da, guck mal !«

Cherie stupst mich an.

»Wo denn ?«

»Na, da vorn, an der Wand !«

Tatsächlich ! Auf dem großen, hellen Bild an der Wand sehe ich auf einmal Marc und Carolin, die uns überlebensgroß anlächeln. Der Fall ist klar: In dieser Villa spukt es !

»Ich freue mich, dass so viele von euch der Einladung meiner Mutter gefolgt sind und heute mit uns feiern wollen. Wie ich sehe, hat Hedwig auch alles für ein rauschendes Fest arrangiert. Laut der Liste des Partyservice lauert sogar irgendwo eine fünfstöckige Hochzeitstorte«

Ob uns Marc wirklich sehen kann ? Und hören ? Luisa hat mir mal erklärt, dass die Leute im Fernsehen nicht sehen können, wer auf der anderen Seite vor der Kiste sitzt. Aber vielleicht ist das etwas anderes, wenn man von einer Wand guckt ? Mir ist ein bisschen gruselig, ich rücke näher an Cherie heran, die das auch geschehen lässt. Angenehm !

»Hedwig, ich weiß, dass dir eine große Feier wichtig ist, und deswegen finden wir es gut, wenn du sie nun so feierst, wie du dir das vorgestellt hast. Wir allerdings müssen uns nach dem offiziellen Teil leider verabschieden, denn wir haben uns die nachfolgende Feier ja etwas kleiner gewünscht. Nun wird sie ganz klein – nur wir und die Kinder. Also, sei uns bitte nicht böse, wir sind es umgekehrt auch nicht. Wenn ihr unsere Botschaft hört, sind wir schon hier«, jetzt sind nicht mehr Marc und Caro im Bild, sondern ein großes Fenster, hinter dem gerade ein Flugzeug sehr lautstark startet, »und bald auf dem Weg in unsere Flitterwochen in der Sonne. Macht euch keine Sorgen, in zwei Wochen sind wir wieder da ! Nun sind die beiden wieder zu sehen. Und jetzt wünschen wir euch ganz viel Spaß, trinkt auf uns und feiert schön !«

Danach meldet sich Carolin zu Wort. »Ach so, eine Sache wollen wir euch natürlich nicht vorenthalten: den Hochzeitskuss !« Sie lächelt und dreht sich zu Marc, und dann küssen sich beide seeehr ausgiebig. Hinter uns pfeifen und johlen einige der Gäste, dann verschwindet das Bild, und die Wand ist wieder dunkel.

Einen kurzen Moment herrscht Schweigen, dann fangen die ersten Menschen an zu applaudieren. Erst etwas zögerlich und leise, dann immer lauter. Schließlich klatschen alle Gäste, und auch Hedwig scheint sich wieder gefangen zu haben. Jedenfalls weint sie nicht mehr, geht nach vorn und stellt sich neben Daniel.

»Tja, liebe Gäste, es gibt anscheinend Sachen, aus denen hält man sich als Mutter besser raus. Diese Botschaft ist angekommen.« Sie ringt sich zu einem Lächeln durch. »Andererseits – Marc ist doch erst Ende dreißig, und ich habe bisher alle Partys für ihn organisiert. Sein letzter Kindergeburtstag war jedenfalls ein voller Erfolg.« Gelächter, wieder Applaus. »Ihr würdet mir also einen großen Gefallen tun, wenn ihr auch diese Feier zu einem rauschenden Fest werden lasst. Sonst muss ich vor lauter Trauer den ganzen Champagner allein trinken !«

Sie hebt das Sektglas, das ihr eine der Damen mit Schürze schon in die Hand gedrückt hatte, und ruft:

»Auf das Brautpaar ! Es lebe hoch, wo immer es auch sein mag !«

»Hoch !« »Hoch !« »Hoch !«

Überall wird angestoßen, Gläser klirren, Menschen lachen – ich würde sagen, beste Voraussetzungen für eine gute Party.

Ein paar Stunden später hat sich meine Einschätzung schon bewahrheitet. Es ist ein heiteres, ausgelassenes Fest. Daniel und Nina sorgen dafür, dass alle tanzen. Auf den kleinen, glänzenden Scheiben, die sie besorgt haben, scheinen sich Unmengen von Musik zu verbergen. Für die Tänzer gibt es sogar eine eigene Fläche in dem kleineren Saal neben der Halle, von dem die Terrasse abgeht. Auf dieser wirbeln und zappeln die Menschen, was das Zeug hält. Um einige muss man sich ernsthaft Sorgen machen, so wild sieht ihr Gehopse aus. Hoffentlich verletzt sich da niemand.

Die Zweibeiner sind demnach glücklich. Zeit, sich um die Vierbeiner zu kümmern. Da bin ich allerdings noch etwas zögerlich. Mit Cherie habe ich mich seit vorhin nicht mehr unterhalten, und Biene ist von den vielen fremden Menschen so eingeschüchtert, dass sie sich überhaupt nicht von Frau Hohwensers Bein wegbewegt. So wird es natürlich schwierig, mit ihr zu flirten – es sei denn, ich klebe ebenfalls an ihrem Frauchen. Jaul, die Lage ist misslich – was mache ich bloß ?

Ratlos sitze ich am Rande der Tanzfläche und beobachte die Menschen dabei, wie sie ihren Spaß haben. Auch Daniel und Nina sind unter die Tänzer gegangen. Offenbar haben sie über die Hochzeitsvorbereitungen ihren gemeinsamen Musikgeschmack entdeckt. Der nette Daniel und die zickige Nina. Wer hätte gedacht, dass die so gut zusammenpassen, jedenfalls beim Tanzen ? Selbst Hedwig tanzt mittlerweile ausgelassen – und zwar mit Willi, der sie in einem Anfall von Wagemut vorhin aufgefordert hat.

Wagemut. Vielleicht ist es das. Was hatte Beck gesagt ? Strahle Wagemut und Selbstbewusstsein aus ! Das ist wahrscheinlich nicht ganz verkehrt. Wenn ich mich doch nur dazu aufraffen könnte !

Hedwig und Willi kommen an mir vorbei – Hedwig ist völlig aus der Puste und hat Schweiß auf der Stirn, sie sieht aufgelöst, aber glücklich aus. Willi begleitet sie zu ihrem Platz und gießt ihr mit galanter Geste ein Glas Wasser ein. Er fragt sie irgendetwas, sie nickt. Dann geht er weiter und fordert als Nächstes Frau Hohwenser zum Tanzen auf. Willi ! Teufelskerl ! Ich sollte mir ein Beispiel an ihm nehmen.

Als er mit Frau Hohwenser auf der Tanzfläche ankommt, trabe ich zu den Tischen hinüber. Irgendwo dort muss doch nun eine einsame Dackeldame sitzen. Richtig – schon habe ich Biene gesichtet, die etwas unglücklich zwischen all den Menschen- und Tischbeinen hockt. Ich schleiche mich zu ihr und muss dabei höllisch aufpassen, dass mir niemand auf die Pfoten tritt.

»Hallo, Biene ! Ist nicht so deine Veranstaltung, richtig ?«

»Nee, echt nicht. Zu viele Fremde. Da bekomme ich Angst.«

»Hm, wollen wir in den Garten ? Da geht es dir bestimmt besser.«

Der Vorschlag ist nicht ganz uneigennützig. Ich habe gesehen, dass auch Cherie mittlerweile auf der Terrasse hockt. Wenn Biene und ich rausgehen, wird sie uns mit Sicherheit sehen. Wagemut !

»Gute Idee. Finde ich total nett, dass du dich so um mich kümmerst.«

»Mach ich doch gern.«

Draußen angekommen legen wir uns zusammen ins Gras. Es ist noch warm und kitzelt ein bisschen am Bauch, ein sehr schönes Gefühl. Aus den Augenwinkeln kann ich sehen, dass Cherie uns genau beobachtet. Auch das ist ein schönes Gefühl !

»Schon komisch, dieses Fest, oder ? Warst du vorher schon einmal auf einer Hochzeit ?«, will Biene wissen.

»Ja. Einmal. Da ging es auch wild her. Das Brautpaar war allerdings dabei. Die Braut hat dann ihren Blumenstrauß geworfen, und ich habe ihn gefangen und wollte ihn apportieren – da war vielleicht was los ! Wie die Meute hinter dem Fuchs waren auf einmal alle Frauen hinter mir her.«

»Ach, und wieso ?«

»Na ja, das ist offenbar ein alter Brauch bei den Menschen. Wer den Strauß fängt, heiratet als Nächstes. Und da sind anscheinend alle ganz scharf drauf. Ist auch verständlich, wer will schon allein bleiben und nicht die Liebe seines Lebens finden.«

»Hm.«

Mehr sagt Biene nicht.

»Liebe ist doch wichtig, findest du nicht ?«

»Ich finde, Freundschaft ist wichtig. Liebe ist bestimmt auch schön, nur kann ich das noch nicht so beurteilen. Aber wenn man einen richtig guten Freund hat, dann ist das eine wirklich tolle Sache. Und allein ist man dann auch nicht.«

Ich denke kurz darüber nach.

»Sicher. Freundschaft ist auch toll. «

Biene schweigt eine Weile.

»Weißt du, manchmal ist es schade, dass man eine Freundschaft verliert, weil man Liebe sucht. Denn die Freundschaft wäre doch genauso wertvoll gewesen.«

Hm, was will Biene mir damit sagen ? Ich bin etwas erstaunt über die Richtung, die das Gespräch hier nimmt.

»Wie meinst du das ?«

Biene schluckt.

»Na ja, weißt du, das erste Mal, als du hier zu Besuch warst, da hatten wir so viel Spaß zusammen. Es war, als ob wir uns schon ganz lange kennen würden. Wir sind rumgetobt wie zwei alte Kumpel – das war toll ! Ich habe es so genossen und mich riesig gefreut, als mich mein Frauchen mit zu euch in die Werkstatt genommen hat.«

»Ging mir ganz genauso !«, pflichte ich ihr bei.

»Ja, aber dann warst du auf einmal so komisch. Ich meine, einerseits hast du mir Komplimente gemacht und so, und andererseits warst du gar nicht mehr so kumpelig. Guck mal, du hast nicht mal den hübschen Retriever mitspielen lassen, der heute Abend auch da ist, Cherie oder wie die heißt. Du warst fast ein bisschen gemein zu ihr – das hat mich überrascht. So kannte ich dich nicht.«

Wuff, wie peinlich ! Biene hat es gemerkt !

»Äh, ich weiß jetzt gar nicht, was du meinst«, versuche ich mich aus der Situation zu retten.

»Ich habe mich halt im Nachhinein gefragt, warum du so anders warst. Und bin zu dem Schluss gekommen, dass es eher mit Cherie als mit mir zu tun haben muss. Und deswegen wäre es toll, wenn du das mit ihr klärst. Damit du bei mir wieder so sein kannst wie an dem Nachmittag an der Elbe. Ich hätte nämlich furchtbar gern einen Freund wie dich, Herkules.«

Sie guckt mir direkt in die Augen, und mir wird auf einmal sehr, sehr warm. Wenn ich kein Fell hätte, könnte man jetzt sehen, dass ich mich tiefrot verfärbe – jede Wette ! Gott, ist mir das unangenehm.

»Ich … äh … also …«

Dieses Gestammel ist grauenhaft. Ich beschließe, wenigstens zu Biene ehrlich zu sein. Sie hat völlig recht – eine Freundschaft ist wertvoll. Da sollte ich nicht gleich mit Lügereien anfangen.

»Weißt du, ich fand den Nachmittag mit dir auch große Klasse und habe mich genauso gefreut wie du, als du in die Werkstatt gekommen bist. Und es stimmt – ich war so komisch wegen Cherie. Ich bin schon ziemlich lange verliebt in sie, aber irgendwie kann ich es ihr nie so richtig sagen. Ein paarmal habe ich schon den Anlauf genommen, aber dann wurde es immer nichts.«

Biene rollt sich auf den Rücken.

»Tja, so etwas Ähnliches dachte ich mir schon. Ich finde, dass man sofort merkt, dass du in sie verknallt bist.«

»Ich habe halt gehofft, dass sie ein bisschen eifersüchtig wird, wenn sie dich sieht und merkt, wie gut wir uns verstehen. War ’ne Idee von dem fetten Kater, mit dem ich immer rumhänge. Hat aber leider nicht geklappt. Stattdessen ist Cherie nun sauer auf mich.«

»So viel zu Tipps von Katzen. Nimm lieber einen Tipp von mir: Da vorne liegt deine Herzensdame. Nichts wie ran !«

»Und du meinst, ich soll Selbstbewusstsein und Wagemut ausstrahlen ?«

»Nee. Nicht ausstrahlen. Selbstbewusst und wagemutig sein ! Ich weiß, du kannst das, du alter Kaninchenschreck ! Los, nun mach schon.«

Ich atme tief durch. Vermutlich stimmt das. Aber schon bei dem Gedanken an ein Liebesgeständnis schlottern mir die Pfoten. Ich schaue zu Cherie hinüber – sie guckt betont gelangweilt. Okay, das ist nicht Cherie, das ist ein dicker, fetter Kater, mit dem ich nun einfach mal ein paar Worte wechseln werde.

»Hallo, Cherie. Nette Party, oder ?«

Gut, nicht besonders einfallsreich, aber immerhin zwei gerade Sätze.

Cherie schaut mich an.

»Findest du ?«

»Ja, du nicht ?«

»Geht so. Ist halt eher für Menschen. Für uns ist es doch langweilig.«

»Hm.«

Mehr fällt mir dazu nicht ein. Komm schon, Herkules, da geht noch was !

»Äh, da unten fließt gleich die Elbe.«

Jaul, wenig geistreich !

»Ich weiß. Du erwähntest es schon, als deine neue Freundin zu Besuch war. Vielleicht willst du einfach mit ihr dort ein bisschen spazieren gehen.«

Cherie steht auf und will sich umdrehen.

Los, Herkules, tu was, sonst ist sie gleich weg ! Wagemut, sofort !

»Nein. Ich würde lieber mit dir dort spazieren gehen. Kommst du mit ?«

Cherie reißt die Augen auf und starrt mich an.

»Mit mir ?«

»Habe ich gerade gesagt. Mit dir !«

Sie zögert, dann dreht sie sich wieder in meine Richtung.

»Gut, können wir machen.«

Schweigend laufen wir nebeneinanderher, und ich überlege krampfhaft, was genau ich zu ihr sagen soll, wenn wir unten am Strand angekommen sind. Leider fällt mir nichts Intelligentes, Charmantes, Beeindruckendes ein – nur die Wahrheit. Dann muss es eben die werden.

Wir setzen uns in den Sand. Ich nehme all meinen Mut zusammen.

»Cherie, ich weiß nicht, ob du es schon weißt, aber …«

»Ja, was denn ?«

»Cherie, ich liebe dich. Seit dem ersten Moment, als ich dich gesehen habe, finde ich dich toll. Und dieses Gefühl ist in der vergangenen Zeit nicht weniger geworden, sondern mehr. Ich will, dass du das endlich weißt.«

Mir ist so heiß, am liebsten würde ich in die Elbe springen, aber dann könnte ich natürlich nicht mehr hören, was Cherie dazu sagt. Ob sie überhaupt was sagt – oder ob sie gleich vor Lachen zusammenbricht.

Aber sie lacht nicht. Kein bisschen. Sie guckt mich aus ihren großen braunen Augen ganz lange an, und dann reibt sie ihre Nase an meiner.

»Ich finde dich auch toll.«

Was ? Hat sie gerade tatsächlich gesagt, dass sie mich auch toll findet ? Ich bekomme Herzrasen.

»Äh, echt ?«

»Ja, echt. Ich dachte nur immer, dass du mich mittlerweile viel zu groß findest. Eben nicht passend für dich. Weißt du, ich habe dir schon einmal gesagt, dass du ein ganz besonderer Hund für mich bist. Damals, als du mir zu verstehen gegeben hast, dass du gern mal was mit mir zusammen machen würdest. Und danach haben wir uns so lange nicht gesehen. Als wir uns dann wiedergetroffen haben, hast du nichts mehr gesagt. Na ja, ich habe mir gedacht, dass du mittlerweile erwachsen geworden bist und sich dein Geschmack bestimmt geändert hat.«

Wuff, ich muss bellen ! Das stimmt doch gar nicht !

»Überhaupt nicht ! Mein Geschmack ist immer noch derselbe wie früher ! Du bist für mich die schönste Hündin auf der ganzen Welt.«

»Echt ?« Cherie legt den Kopf schräg. »Ich dachte schon, du stehst jetzt eher auf Dackeldamen.«

»Ich weiß, was du meinst, aber Biene ist nur eine Freundin. Ein echter Kumpel eben. Und das soll sie auch bleiben, das finden wir beide am besten.«

»Ach so.«

Sie schweigt.

»Du, Cherie ?«

»Ja ?«

»Warst du ein bisschen eifersüchtig auf Biene ?«

Sie nickt.

»Schon.«

Wieder wird mir unglaublich warm, aber diesmal ist es ein tolles Gefühl. Es durchströmt mich vom Kopf bis zur Schwanzspitze und macht mich noch mutiger, als ich eben schon war.

»Meinst du, wir könnten mehr sein als nur Freunde, Cherie ?«

Sie wedelt wild mit dem Schwanz.

»Auf jeden Fall.«

Ich rücke noch näher an sie heran und beginne, sie abzuschlecken – sie erwidert es. Mein Fell scheint in Flammen zu stehen, aber um nichts in der Welt würde ich dieses Feuer löschen wollen. Mittlerweile schlägt mein Herz so schnell, dass ich fürchte, es könnte jederzeit aus meinem Schlund hüpfen. Ein unglaubliches Gefühl !

Es ist schon dunkel, als ich mich so weit beruhigt habe, dass ich meine Umgebung wieder wahrnehmen kann. Cherie sitzt noch neben mir. Gott sei Dank, es war kein Traum.

»Guck mal«, sie stupst mich in die Seite, »da drüben sind Daniel und Nina.«

Tatsächlich. Daniel und Nina hat es auch an den Elbstrand verschlagen. Sie sitzen im Sand und reden miteinander. Cherie verrenkt sich fast den Hals, um die beiden hören zu können.

»Hey, die verstehen sich heute ja richtig gut ! Lass uns mal da hinschleichen, ich bin neugierig.«

»Och nö ! Hier ist es gerade so schön«, widerspreche ich.

»Nun komm schon ! Daniel ist immerhin mein Herrchen. Ich will wissen, worüber die reden.«

Ich seufze.

»Na gut. Dann los.«

Wir pirschen uns an die beiden heran, was eigentlich überflüssig ist, da sie sehr ins Gespräch vertieft sind. Etwa drei Hundelängen vor ihnen verstecken wir uns hinter einem angeschwemmten Baumstamm. Von hier kann man sie sehr gut hören und sehen.

»Als die Kutsche heute ohne die beiden ankam, dachte ich schon: Ach, du Scheiße, das geht hier gleich richtig in die Hose«, sagt Daniel.

Nina lacht.

»Aber so war es doch noch eine tolle Feier.«

Daniel nickt.

»Aber eine Sache fehlt trotzdem.«

»Ach ja ? Was denn ?«, will Nina wissen.

»Ein Hochzeitskuss. Ich finde, per Videobotschaft zählt das nicht.«

»Meinst du ?«

»Ja. Und es ist meine Pflicht als Trauzeuge, diesen stellvertretend für den Bräutigam auszuführen. Wenn ich darf.«

Er schaut Nina an, die kichert.

»Na gut. Aber nur aus Gründen der Pflichterfüllung.«

Daniel sagt nichts mehr. Sondern küsst Nina – was übrigens überhaupt nicht nach Pflichterfüllung aussieht.

Diese Menschen. Wohin soll das nur wieder führen ? Ach, ist mir eigentlich auch egal. Für solche Gedanken bin ich heute selbst viel zu glücklich.


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