FÜNF

Deine Fleischwurst-und-Schinken-Theorie finde ich gut.«

Wow ! Herr Beck lobt mich freiwillig – sensationell ! Wir sind wieder in der Werkstatt, Carolin und Daniel besprechen offenbar ihren neuen Superauftrag, Henri haben wir bei Hedwig geparkt, und Herr Beck und ich lungern im Flur herum.

»Danke, ich finde sie auch ziemlich gut. Sie zeigt auf alle Fälle, wie kompliziert Menschen ticken. Typisch Zweibeiner eben. Ich hatte ja schon länger den Verdacht, dass der aufrechte Gang irgendwie dem Hirn schadet.«

Herr Beck prustet.

»Na, mein Lieber, und hier ist auch der einzige Makel deiner Theorie. Sie trifft nicht nur auf Menschen zu. Ich glaube nämlich, was dem Daniel seine Caro, ist dem Dackel seine Cherie. Sonst würdest du ihr doch nicht so hinterhertrauern. Die Theorie ist gut, trifft aber auf Menschen und Dackel zu. Hat also nix mit dem aufrechten Gang zu tun. Eher mit der Angewohnheit, sein Herz unvernünftigerweise so an ein anderes Wesen zu hängen, dass es richtig wehtut, wenn die Liebe nicht erwidert wird. Da könntet ihr euch mal ein Beispiel an uns Katzen nehmen – das würde uns im Leben nicht passieren. Wir sind zwar sehr sensibel und nehmen jede Schwingung auf, aber wir machen uns nicht so abhängig von anderen.«

Beck spricht im Brustton der Überzeugung, und ich würde mich wahrscheinlich sehr darüber aufregen, wenn ich nicht wüsste, dass der Kater nur so cool tut. Ich habe ja erlebt, wie mickrig er war, als sein altes Frauchen ins Heim musste und er nicht mitkonnte. Und Nina hat er während ihres Jahres in Stockholm auch oft vermisst. Also: Ich glaube, Katzen haben ebenfalls ein großes Herz. Sie zeigen es nur nicht so schnell. Und nicht so gern. Ich belasse es deshalb bei einem hingenuschelten Wie du meinst.

Das Thema Herz bringt mich allerdings auf einen anderen Gedanken: Nina und Alexander. Schließlich ist Herr Beck hier Augenzeuge, weil Mitbewohner.

»Sag mal, ist dir eigentlich in letzter Zeit etwas an Nina und Alex aufgefallen ? Ich meine, seit Nina wieder da ist ?«

Beck schüttelt den Kopf.

»Nein. Warum ?«

So viel zum Thema Katzen sind so sensibel und nehmen jede Schwingung auf.

»Na, Nina war gestern bei uns zu Besuch und hat da so etwas angedeutet. Dass es mit ihr und Alex nicht mehr so gut läuft. Da dachte ich natürlich, du hättest etwas bemerkt. Es ist schließlich dein Frauchen. Irgendwelche Schwingungen aufgenommen ?«

Zack, diese Spitze konnte ich mir einfach nicht verkneifen ! Zufrieden stelle ich fest, dass Beck jetzt ein ziemlich dummes Gesicht macht. Er hatte tatsächlich keine Ahnung.

»Schwingungen … äh … klar. Natürlich. Jetzt weiß ich, was du meinst. Nina ist in letzter Zeit so … äh … und auch Alex …«

»Ja ? Alex ist was ?«

»Na, irgendwie … äh…«

Ich wackle mit dem Kopf, bis meine Ohren fliegen.

»Kumpel, gib’s zu: Du hast keinen blassen Schimmer. Nina ist gerade nicht besonders glücklich mit Alex, und du hast es nicht bemerkt.«

Schweigen. Dann Schnaufen.

»Hmpf. Stimmt. Das habe ich nicht mitgekriegt. Woran hapert’s denn ?«

»Keine Ahnung. Ich hatte ja gehofft, dass du mir das erzählen kannst. Nina sagte, es sei irgendwie nicht so wie vorher.«

Herr Beck wiegt seinen Kopf bedächtig hin und her.

»Also, wenn ich so direkt darüber nachdenke, dann war in letzter Zeit tatsächlich das ein oder andere seltsam. Nina telefoniert zum Beispiel in letzter Zeit sehr häufig, und ich verstehe nichts.«

»Was soll daran besonders sein ? Frauen telefonieren einfach gern. Und wahrscheinlich wirst du langsam taub. Ich finde …«

Herr Beck schüttelt energisch den Kopf.

»So doch nicht ! Ich höre jedes Wort. Ich verstehe es nur nicht.«

»Ja, ja, kenne ich. Das geht mir mit Menschen häufig so.«

Beck stößt einen Laut aus, der sehr seltsam klingt und wahrscheinlich Unzufriedenheit ausdrücken soll. So eine Art Aaargh. Tja, manchmal ist das Zusammenleben mit Menschen extrem frustrierend. Da meint man, seinen Zweibeiner nach langen Jahren in- und auswendig zu kennen, und plötzlich versteht man ihn nicht mehr. Schon traurig so was. Was das allerdings mit Ninas Liebesleben zu tun hat, begreife ich nicht ganz. Sie hat ja nicht gesagt, dass es zwischen ihr und Herrn Beck nicht mehr so läuft, sondern zwischen ihr und Alex. Wahrscheinlich hat Herr Beck bis heute nicht verstanden, dass Ninas Herz nicht ihm, sondern einem Zweibeiner gehört. Oder von mir aus auch gehörte.

»Herkules, du hörst mir nicht richtig zu ! Du kapierst es einfach nicht.«

Ach, jetzt soll ich auf einmal schuld sein, dass Herr Beck Kommunikationsprobleme mit seinem Frauchen hat ? Das ist mal wieder typisch. Der kann einfach nicht zugeben, wenn es bei ihm nicht so läuft.

»Ich sagte, ich habe kein Wort verstanden. Obwohl ich jedes Wort gehört habe. Und das meine ich nicht im übertragenen Sinne: Nina hat irgendwie ganz anders gesprochen als sonst. Eine andere Sprache. Nicht so, wie sie mit mir oder Caro spricht.«

Hä ? Eine andere Sprache ? Wie meint er das denn ? Herr Beck deutet meinen erstaunten Blick richtig. Immerhin, Hund und Katze verstehen sich immer noch bestens.

»Also, Menschen haben verschiedene Sprachen. Nicht überall sprechen sie so wie hier. Du warst doch schon mal mit Caro und Marc im Urlaub, richtig ?«

Ich nicke.

»Und – ist dir da nichts aufgefallen ? Ich meine, wenn die Menschen gesprochen haben ? Immer, wenn ich mit Frau Wiese im Urlaub war, sprachen die Menschen dort eine andere Sprache.«

»Nee. Bei uns war alles so wie immer.«

»Hm, wo wart ihr denn ?«

»Ich glaube, es war ein Ort namens St. Peter-Ording.«

»Kenne ich nicht. Wir waren immer in Rimini, da war das so. Immer, wenn wir zum Meer spaziert sind und Frau Wiese ein Eis oder etwas anderes gekauft hat, hat sie sich mit den anderen Menschen dort ganz seltsam unterhalten.«

»Ha ! Jetzt, wo du es sagst: In St. Peter-Ording war auch etwas seltsam !«

»Siehst du ! Was denn ?«

»Na, das Meer war manchmal weg. Ab und zu war es da – und dann war es wieder weg. Komisch, oder ? Wer kann denn so viel Wasser auf einmal wegschaffen ?«

Herr Beck zuckt mit dem Schwanz.

»Mann, Herkules, was hat denn das mit der Sprache zu tun ?«

»Äh – nix. Aber du wolltest wissen, ob mir etwas aufgefallen ist. Und das ist mir aufgefallen. Sonst war alles wie immer.«

»Na gut. Vielleicht ist St. Peter-Ording dann einfach anders als Rimini. In Rimini jedenfalls reden die Leute so miteinander, dass man nichts versteht. Und sie reden nicht nur anders – sie bewegen sich auch ungewohnt. Beim Sprechen fuchteln sie so mit den Armen rum, dass einem angst und bang wird.«

»Also in St. Peter-Ording hat niemand beim Reden gefuchtelt. Überhaupt wurde dort eher wenig geredet.«

Ich werde langsam ungeduldig. Wahrscheinlich, weil ich Hunger habe. Aber wenn Herr Beck nicht mal bald auf den Punkt kommt mit seiner Geschichte, dann verziehe ich mich lieber zu Carolin und Daniel und mache deutlich, dass es Zeit für die Napfbefüllung ist. Allein bei dem Gedanken füllen sich meine Lefzen mit Speichel. Hunger !

»Hey, Kumpel, du sabberst ! Worauf ich eigentlich hinauswollte, war …«

»Lass gut sein, ich mach mich auf die Suche nach etwas Essbarem. Das mit der menschlichen Sprache kannst du mir wann anders erklären. Ich wollte sowieso keinen Unterricht, sondern lediglich wissen, ob dir etwas Komisches an deinem Frauchen aufgefallen ist. Offenbar ist das nicht der Fall, sonst müsstest du hier nicht von ollen Kamellen wie deinen Urlauben mit Frau Wiese erzählen. Mach’s gut.«

Ich drehe mich um und trabe los.

»Nun warte doch mal !« Herr Beck trabt hinter mir her.

»Ich wollte dir doch nur erklären, was mir bei Nina aufgefallen ist. Und damit du mich überhaupt verstehst, musste ich ein bisschen weiter ausholen. Übrigens: Bildung schadet nicht. Selbst Hunden nicht !«

Ich laufe einfach weiter. Soll er jemand anderen belehren, der Kater. Meinetwegen den Wellensittich. Der kann schließlich nicht weg, wenn ihn die Müller im Käfig auf den Gartentisch stellt. Und als Alternative zum Gefressenwerden ist eine Stunde Oberlehrer Beck zu ertragen vielleicht gerade noch drin.

Mit der Schnauze stoße ich die Tür zum großen Werkraum auf. Daniel und Caro stehen dort und betrachten irgendetwas, was auf der Werkbank liegt. Was genau es ist, kann ich von hier unten nicht sehen. Ist aber auch egal, es gibt schließlich Wichtigeres. Wie zum Beispiel meinen Magen. Ich jaule ein bisschen und springe an Caros Bein hoch.

»Hoppla, Herkules, hast du mich erschreckt ! Warum schleichst du dich denn so an ?«

Sie dreht sich zu mir, beugt sich herunter und krault mich hinter den Ohren. Ich versuche, möglichst auffällig zu sabbern, was mir überhaupt nicht schwerfällt.

»Igitt ! Was ist denn mit dir los ?« Sie zieht die Hand zurück und wischt sie an ihrer Jeans ab. »Also, da hat aber einer großen Riesenhunger !« Sie schaut auf ihre Uhr. »Oh, schon zwölf. Kein Wunder, du Armer ! Komm mit, du bekommst gleich was.«

Vor Freude mache ich Männchen und springe sofort zur Tür, vorbei an Herrn Beck, der es mittlerweile auch in die Werkstatt geschafft hat.

»Guck mal, da scheint sich jemand dem Lunch anschließen zu wollen ! Ich glaube, du musst dem Kater auch etwas geben.«

Daniel ist einfach ein netter Mensch – und das trotz seines blockierten Herzchakras ! Claudia weiß offenbar nicht, was sie an ihm hat. Fleischwurst und Schinken. Das alte Problem. Aber momentan glücklicherweise nicht meins, denn tatsächlich öffnet Carolin jetzt die Kühlschranktür in der Küche und greift – wuff, wuff, WUFF ! ! ! – tatsächlich zu der Box mit dem Aufschnitt, den sie gerade eingekauft hat. Hurra ! Ein seltener Glücksfall ! Ich bekomme tatsächlich ein Stück Fleischwurst, bevor sie meinen Napf mit Hundefutter füllt. Und selbst dem ollen Beck hält sie ein Stück unter die Nase. Er schnuppert kurz, schnappt, schluckt und setzt sich neben mich. Es ist ziemlich unangenehm zu fressen, während man von der Seite durchdringend gemustert wird ! Ich hebe den Kopf.

»Was ist denn ? Kann man hier nicht mal in Ruhe eine Mahlzeit einnehmen ?«

»Doch, doch. Lass dir Zeit. Wenn es denn irgendwann konveniert, sag Bescheid.«

Konve… was ? Meine Güte, ist der nervig. Und anstarren tut er mich immer noch. Hastig schlinge ich die letzten Bissen hinunter.

»Also gut. Was genau ist dir an Nina aufgefallen ?«

Wenn Herr Beck breit grinsen könnte – jetzt würde er es tun.

»In den letzten Wochen hat Nina immer sehr viel in einer Sprache telefoniert, die ich nicht verstanden habe. Sie klang auch anders als die Sorte Sprache, die ich in Rimini gehört habe. Irgendwie verwaschener. Jedenfalls war es immer ziemlich spät abends, und immer, wenn Alex oben in seiner WG im Stockwerk über uns war. Da ist er ja eigentlich nicht mehr sehr häufig, ich glaube, wenn Nina gewollt hätte, wäre er längst schon bei uns eingezogen. Jedenfalls: Kaum war er mal dreißig Sekunden aus der Tür, hat sie schon zum Hörer gegriffen. Seltsam, nicht ? Außerdem bin ich mir sicher, dass sie mit einem Mann telefoniert hat. Ich konnte es zwar nicht genau hören, aber die Stimme klang tief.«

»Ich sag’s ja: Du wirst langsam taub.«

Normalerweise kann man, jedenfalls mit einem Dackelgehör, die Stimme am anderen Ende der Leitung schon ganz gut hören. Also, nicht Wort für Wort. Aber ob Mann oder Frau – das kriege ich immer mit. Herr Beck schnaubt. Die Sache mit der Taubheit will er einfach nicht einsehen.

»So ein Unsinn. Ich werde nicht taub. Dass ich mir nicht ganz sicher bin, liegt an der nächsten Merkwürdigkeit: Immer, wenn Nina diese seltsamen Telefonate führt, verkrümelt sie sich in ihr Schlafzimmer und macht die Tür hinter sich zu. Fast, als solle das selbst vor mir geheim bleiben. Verrückt, nicht ?«

Ich nicke. Beck hat recht. Das ist wirklich merkwürdig. Und was könnte es damit zu tun haben, dass sie sich mit Alex nicht mehr so versteht ? Gibt es da einen Zusammenhang ? Herr Beck scheint über das Gleiche nachzudenken.

»Vielleicht hat sie sich in einen anderen Mann verliebt. Und mit dem telefoniert sie jetzt immer heimlich.«

»Meinst du ? Aber sie hat doch nicht gesagt, dass sie jemand anderes liebt, sondern, dass sie Alex nicht mehr liebt.«

»Tja, das kommt beim Menschen oft auf dasselbe raus. Als ich vor langen Jahren noch bei dem Scheidungsanwalt lebte, habe ich von diesen Geschichten so einige mitbekommen. Die Menschen merken offenbar häufig erst, dass sie ihren alten Partner nicht mehr lieben, wenn ihnen ein neuer begegnet. Müsste dir als Hund doch bekannt vorkommen: Ihr könnt doch auch nicht allein sein.«

Immer diese Spitzen – Beck kann es einfach nicht lassen !

»Lieber ein geselliger Hund als eine eigenbrötlerische Katze. Trotzdem habe ich noch von keinem Hund gehört, der einfach sein Herrchen verlässt, weil ihm ein anderer Zweibeiner irgendwie besser gefällt !«

»Tja, wahrscheinlich seid ihr einfach treuer als die Zweibeiner. Bei denen kommt das häufiger vor. Das menschliche Herz ist kein besonders zuverlässiges Organ.«

Das ist mir beim Menschen in den letzten drei Jahren auch schon aufgefallen. Trotzdem stört mich noch etwas an Becks Theorie.

»Aber nehmen wir mal an, es ist so, wie du sagst. Warum ist Nina dann nicht glücklich ? Frisch verliebt sind doch die meisten Zweibeiner kaum zu ertragen vor guter Laune. Nina hingegen war richtig niedergeschlagen. Da stimmt doch etwas nicht !«

»Tja, vielleicht klappt es mit dem anderen nicht so richtig, und sie ist deswegen unglücklich.«

Ich schüttle den Kopf.

»Aber nach deiner Theorie würde sie dann doch einfach Alex behalten wollen. Von wegen Menschen können nicht allein sein und so.«

Herr Beck seufzt.

»Ach, was weiß denn ich ? Vielleicht stimmt das auch alles nicht, und es ist etwas völlig anderes faul. Versteh einer die Zweibeiner. Ich nicht.«

Hoppla ! Und das aus dem Maul von Herrn Beck ! Die Einsicht, etwas geistig nicht zu durchdringen ! Schade, dass ich nicht schreiben kann – diesen Tag müsste ich dringend im Kalender notieren !

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