EINUNDZWANZIG

Und stell dir vor, der Sascha kann sogar das Ave Maria. Was meinst du, wie bewegend das wird !«

Hedwig ist allein bei der Vorstellung so gerührt, dass sie in ein Taschentuch schnäuzt. Caro verdreht die Augen, Marc hüstelt.

»Mutter, ich weiß jetzt nicht – Ave Maria ? Wir heiraten doch gar nicht kirchlich.«

»Na gut, er kann aber auch wunderschön Amazing Grace singen.«

»Ja, ganz wunderschön. Das allerdings passt eher zu einer Beerdigung«, ätzt Caro.

Hedwig schnaubt empört.

»Euch kann man es aber auch nicht recht machen ! Und wenn ihr es schon nicht schätzt: Denkt doch mal an eure Gäste ! Stellt euch vor, ihr kommt nach der Trauung auf diese wunderschöne Terrasse in diesem großartigen Park, und dann steht da der Chor und begrüßt euch. Das ist doch ein Traum !«

Wieder ein lautes Schnäuzen.

»Ja, ein Alptraum«, flüstert Caro Marc schnell ins Ohr. Der muss sich alle Mühe geben, nicht zu kichern.

»Ich finde es wirklich toll, dass du uns eine Freude machen willst, Mutter, aber meinst du nicht, es ist ein bisschen übertrieben, wenn für eine Hochzeitsgesellschaft mit fünfundzwanzig Leuten ein Chor kommt, der doppelt so viele Mitglieder hat ?«

»Nein, das finde ich überhaupt nicht.« Hedwig guckt ihren Sohn über den Küchentisch hinweg sehr böse an. »Der Orff-Chor ist normalerweise das ganze Jahr über ausgebucht. Hochklassige Konzerte bestreiten die. Private Veranstaltungen nur ganz ausnahmsweise. Du weißt gar nicht, wie viel Überredungskunst es mich gekostet hat, Jean noch einen Termin aus den Rippen zu leiern.«

Marc seufzt, und Caro sagt dazu gar nichts, sondern schnappt sich ihre Tasse und verschwindet aus der Küche.

»Wer ist denn nun gleich wieder Jean ? Ich dachte, der Typ heißt Sascha«, will Marc wissen.

»Nein. Sascha ist nur einer der Solisten. Jean leitet den Chor. Und er ist Dirigent. Ein ganz hervorragender. Außerdem der Lebensgefährte von Stefan.«

»Aha. Und wer ist Stefan ?«

»MEIN Chorleiter ! Junge, das habe ich dir nun aber wirklich schon dreimal erzählt. Der mit den Verbindungen zu St. Michaelis. Ohne Stefan wäre ich an einen so besonderen Künstler gar nicht herangekommen.«

»Ach so, stimmt, dein Chorleiter. Dabei fällt mir ein – eigentlich wolltest du doch mit deinem Damenchor singen. Was ist denn aus diesem hübschen Plan geworden ?«

Hedwig schüttelt den Kopf.

»Ihr habt nun endlich so einen schönen Rahmen für euer Fest. Da muss der Chor etwas ganz Besonderes sein. Und das ist der Orff-Chor. Ihr werdet gar nicht merken, dass er so viele Mitglieder hat. Er singt achtstimmig. Und zwar exakt. Einfach großartig. Der beste, den ich kriegen konnte.«

Marc fährt sich mit der Hand durch die Haare.

»Dann kann ich wohl froh sein, dass du nicht die Fischer-Chöre engagiert hast.«

Hedwig runzelt die Stirn.

»Hm, die Fischer-Chöre. Auch eine gute Idee. Meinst du, Gotthilf Fischer hätte so kurzfristig noch Zeit ?«

»Mutter ! Das war ein Scherz !«

»Mit einer Hochzeit scherzt man nicht. Mit der Ehe noch viel weniger. Ich will diesmal eben alles von Anfang an richtig machen.«

Nun lächelt Marc und greift nach der Hand seiner Mutter.

»Ich weiß das wirklich zu schätzen, aber ich glaube nicht, dass es mit Sabine schiefgegangen ist, weil nicht der richtige Chor gesungen hat. Wenn du dich um etwas kümmern willst, habe ich aber eine andere Idee.«

Bei dem Wort kümmern geht ein Strahlen über Hedwigs Gesicht.

»Gern, Junge ! Du musst mir nur sagen, was.«

»Caro hat mir gestern ja die Villa Hohwenser gezeigt. Es ist wirklich der perfekte Ort für unser Fest. Weil es aber ein Privathaus ist, brauchen wir noch einen Caterer. Am besten einen, der auch Stühle, Tische und so weiter hat. Also ein richtig guter Partyservice. Und natürlich richtig gutes Essen.«

Richtig gutes Essen – da sind die Geschmäcker doch sehr verschieden. Vielleicht sollte ich mich auch an der Suche beteiligen, damit später auch richtig gute Fleischwurst angeliefert wird ! Aber wie ich meine Menschen kenne, spielt das leider wieder keine Rolle. Na, Hauptsache, Hedwig ist glücklich und kann mal ihre überschüssigen Energien abbauen.

»Das mach ich, Marc. Darauf kannst du dich verlassen. Ich brauche nur noch die genaue Adresse von der Villa, dann lege ich los.«

»Moment.« Marc steht auf und holt einen Zettel und einen Stift aus dem Wohnzimmer. »So, ich schreibe dir alles auf.« Er kramt sein Handy aus der Hosentasche. »Hier ist auch die Telefonnummer von Frau Hohwenser, dann kannst du dich direkt mit ihr abstimmen. Eine sehr angenehme Frau. Und bitte nett zu ihr sein, ist nämlich gleichzeitig eine extrem wichtige Kundin von Carolin.«

Hedwig schüttelt den Kopf.

»Also wirklich Marc, wie kommst du denn dazu, mir das extra zu sagen ? Ich bin immer nett.«

Marc zuckt mit den Schultern.

»Wie ich darauf komme ? Keine Ahnung. War nur so ein Gedanke. So, ich muss wieder in die Praxis. Danke für die Hilfe !«

Als er aus der Küche ist, murmelt Hedwig etwas, das wie Unverschämtheit ! klingt, und räumt die restlichen Kaffeetassen weg. Dann wischt sie den Tisch und schaut auf die Uhr.

»So, Herkules. Dann will ich mal hoffen, dass Luisa gleich aus der Schule kommt und mir bei diesem Facebook hilft. Irgendwie bekomme ich das allein nicht hin. Bevor ich den Caterer suche, müssen wir doch wissen, wie viele Gäste es wirklich werden.« Sie kichert vor sich hin. »Na, das wird eine Überraschung für die beiden werden !«

O ja. Das wird es garantiert. Allerdings ist mir völlig schleierhaft, warum Hedwig glaubt, dass es eine freudige sein wird. Andererseits: Wenn sie weiterhin denkt, dass Marc und Caro bei ihrem Chor in Begeisterung ausbrechen werden, dann ist sie eben einfach beratungsresistent. Ich wünschte, ich könnte Caro und Marc irgendwie warnen ! Dann wäre das Schlimmste vielleicht noch zu verhindern. Aber ich fürchte, es gibt keinen Weg, wie ich als kleiner Dackel hier die Notbremse ziehen könnte. Mist. Man müsste mit Menschen sprechen können.

Über den Flur kommt ein Quäken. Henri ist wach. Das Quäken kommt näher. Ist er etwa von allein aus seinem Gitterbett geflüchtet ? Das wäre schlecht, denn die Tatsache, dass Henri dort bisher nicht von selbst herauskommt, ist zuweilen sehr praktisch. Babyknast, nennt Luisa das Bettchen manchmal. Ich laufe zur Küchentür, um nachzuschauen.

Nein. Es ist Caro, die mit Henri auf dem Arm in unsere Richtung kommt.

»So, Hedwig. Der Lütte ist wach. Nimmst du ihn ? Ich muss noch mal los.«

Hedwig nickt, steht auf und geht zu Caro hinüber. Kaum sieht Henri seine Oma, schon streckt er die Arme zu ihr aus. Eben ein echter Hedwig-Fan, was sehr selten ist dieser Tage.

»Komm zu Omili ! Wollen wir vielleicht einen Kakao zusammen trinken ?«

Henri strahlt und nickt. Okay, auch wenn er noch nicht in ganzen Sätzen spricht, der Meister der Silbenverdopplung, versteht er jedes Wort.

Ich will gerade hinter Caro herlaufen, da dreht sie sich noch einmal zu Hedwig um.

»Ach, kann ich dir Herkules hierlassen ? Ich muss noch einmal ins Standesamt, da fehlt noch eine Gebühr. Ist mit Hund immer ein bisschen doof.«

»Ja, mach ruhig. Dann schicke ich Luisa später mit ihm Gassi gehen.«

Caro bedankt sich, und weg ist sie. Stört mich nicht weiter. Gassi gehen mit Luisa klingt nach einem ziemlich guten Programm.

Kurz darauf kommt sie auch schon durch die Wohnungstür und schmeißt ihren Schulranzen in die Ecke. Ich warte an der Tür auf sie, die Leine im Maul.

»Hey, hey, Herkules ! Lust auf einen Spaziergang, richtig ? Aber ich muss erst mal irgendetwas essen, hab ’nen Riesenhunger.«

Jaul. Nie wird hier auf meine Bedürfnisse Rücksicht genommen. Keine Fleischwurst zur Hochzeit, zu viele Gäste zum Fest, kein Gassigehen nach der Schule. Immerhin bückt sich Luisa zu mir und krault mich ein wenig, bevor sie zur Küche weitergeht.

»Hallo, Oma ! Ich hab einen Bärenhunger, gibt es noch etwas zu essen ?«

»Natürlich, mein Kind !«

Hedwig stellt einen Teller mit Milchreis, der noch vom Mittagessen mit Henri übrig geblieben ist, auf den Tisch.

»Gut, dass du da bist ! Du musst mir gleich mal mit dem Computer helfen. Ich versuche herauszufinden, wer denn nun alles unserer geheimen Einladung folgen wird. Und ich muss unseren Gästen noch mitteilen, wohin genau sie am 15. Juni kommen sollen. Ich habe mir überlegt, dass wir sie nicht zum Standesamt, sondern gleich zur Party lotsen. So haben dann Papa und Caro die Trauung im kleinen Kreis, und danach steigt die Hochzeitsfeier mit allen Gästen.«

»Ich helfe dir gleich«, murmelt Luisa mit vollem Mund.

Zwei Teller später geht sie mit Hedwig zum Computer rüber, ich hefte mich an ihre Fersen, auch Henri krabbelt hinterher. Luisa setzt sich vor den Computer und tippt los.

»So, mal sehen, wer sich schon gemeldet hat.«

Sie tippt weiter, wartet einen Moment. Und sagt dann nur noch oh, oh. Von unterhalb des Schreibtisches kann ich ihren Gesichtsausdruck dazu nicht sehen, aber die zwei kleinen Ohs klangen irgendwie unheilvoll.

»Sag mal, Oma, ist dir eigentlich klar, dass du alle dreihundertzweiundvierzig Facebook-Freunde von Papa zur Hochzeit eingeladen hast ?«

»Äh, nein. Du hattest mir doch diese Liste gemacht mit den fünfzig Namen. Ich dachte, ich hätte nur die … äh … hab ich etwa nicht ?«

Luisa schüttelt den Kopf.

»Nee. Haste nicht. Und die schlechte Nachricht ist: Es gibt schon zweihunderteinundachtzig Zusagen, sechzehn Leute kommen vielleicht, und nur fünfundvierzig haben abgesagt.«

Hedwig ringt nach Luft.

»Um Gottes willen ! Zweihunderteinundachtzig Zusagen ! Das ist ja entsetzlich !«

Luisa grinst.

»Cool, Oma. Du hast eine Facebook-Party gestartet ! Vielleicht kommen wir damit ins Fernsehen.«

»Aber … aber … was machen wir denn jetzt ?«

»Tja, ich würde sagen: Genug zu essen bestellen. Oder willst du jetzt absagen ?«

»Das geht doch nicht ! Ich kann doch nicht einem Teil absagen, und der andere Teil darf kommen. Unmöglich ! Die Leute kennen sich doch wahrscheinlich untereinander, wie sieht das denn aus ? Nachher fällt da noch etwas auf deinen Vater zurück, das will ich auf keinen Fall.«

Luisa zuckt mit den Schultern.

»Dann musst du da wohl durch. Aber keine Sorge: Ich helfe dir. Wenn du möchtest, bastle ich Tischkärtchen für alle. Und wenn das jetzt zu teuer wird: Ich kann dir auch Geld leihen. Auf meinem Mäusesparbuch sind schon fast 250 Euro.«

»Ach, mein Engelchen«, Hedwig streicht Luisa über den Kopf. »Das ist wirklich sehr lieb von dir. Aber Oma hat die Suppe eingebrockt, Oma löffelt die Suppe wieder aus. Ich habe auch noch einen gut gefüllten Sparstrumpf. Hauptsache, wir finden noch einen Partyservice, der das innerhalb von zwei Wochen hinkriegt. Da wird mir schon ein bisschen bang. Zweihundertachtzig Leute, ogottogottogott …«

»Ich kann Brötchen schmieren helfen. Das kann ich sogar sehr gut.«

»Danke, im Notfall machen wir das so. Dann spanne ich noch meine Chordamen zum Kellnern ein, singen müssen sie nun ja nicht mehr. Ich hoffe aber ganz stark, dass ich mit dem nötigen Kleingeld die passenden Helfer finde – ich werde wohl mein Konto plündern müssen.«

»Sag mal, Omaaa …«

Aha. Das Kind will irgendetwas. Ich kann es genau hören.

»Ooomaaa ?«

»Ja ?«

»Wenn es jetzt sooo viele Gäste sind, dann könnte ich doch auch noch jemanden einladen, oder ? Das fällt gar nicht auf, finde ich.«

Hedwig kneift die Augen zusammen und mustert ihre Enkeltochter.

»Es kommt ganz darauf an, wen du einladen möchtest.«

Dazu sagt Luisa erst mal nichts.

»Nun komm schon: Wer soll noch mit auf die Liste ?«

Hedwig scheint irgendeine Ahnung zu haben. Luisa seufzt.

»Die Mama. Ich würde gern auch Mama einladen.«

»Und hast du das deinen Vater schon gefragt ?«

Luisa nickt.

»Ja. Aber Papa will nicht. Er sagt, Caro und er würden sich dann nicht wohlfühlen. Das versteh ich nicht. Wir sind doch eine Familie. Wieso können die sich nicht einfach verstehen ? Das wäre viel schöner !«

Hedwig steht von dem Schreibtischstuhl auf und nimmt Luisa in den Arm.

»Engelchen, ich verstehe, dass du dir das wünschst. Und ich bin mir sicher, dass Papa sich das eigentlich auch wünscht. Und meistens klappt das zwischen deinen Eltern doch auch ganz gut. Aber es gibt Gelegenheiten, da darf man ruhig sagen, dass man den anderen nicht dabeihaben will. Die eigene Hochzeit ist so eine Gelegenheit.«

Luisa sieht nicht so aus, als sei sie schon völlig überzeugt.

»Aber du hast es selbst gerade gesagt: Mama und Papa haben sich wieder vertragen. Was ist denn so schlimm daran, wenn Mama auch zur Hochzeit kommt ?«

»Guck mal, Mausi: Wenn man jemanden mal sehr geliebt hat und es hat dann nicht geklappt mit der Liebe, dann ist das schon traurig. Und wenn man ein paar Jahre später wieder jemanden sehr liebt und diesmal wieder hofft, dass es für immer hält, dann will man bei der Hochzeit vielleicht nicht daran erinnert werden, dass das schon mal schiefgegangen ist.«

Also, mir leuchtet das sofort ein. Ich bin nur ein kleiner, dummer Hund, und trotzdem würde es mir genauso gehen. Wenn die Taktik von Beck nicht aufgeht, möchte ich auch nicht daran erinnert werden, dass die Liebe zwischen Cherie und mir endgültig gescheitert ist. Keinesfalls möchte ich ihr überraschend auf einem Fest begegnen. Oder ihr überhaupt weiter begegnen. Wie das allerdings funktionieren sollte, obwohl ich Cherie doch jeden Tag in der Werkstatt sehe, ist mir schleierhaft.

»Na gut. Dann ohne Mama. Aber wenn ich mal heirate, dann sollen beide zu meiner Hochzeit kommen !«

Luisa schiebt ihr Kinn entschlossen nach vorn. Hedwig lacht.

»Natürlich, Engelchen ! Wenn du heiratest, dann werden sich Mama, Papa und Caro mit dir freuen, alle werden kommen und gemeinsam ein schönes Fest feiern. Da bin ich mir ganz, ganz sicher ! Und dann wird deine Hochzeit das, was sie für ein Mädchen sein sollte: Der schönste Tag seines Lebens !«

Endlich lächelt Luisa wieder.

»Das klingt gut, Oma. Und wenn ich bis dahin endlich bei Facebook bin, dann kann ich so viele Leute einladen, wie ich will. Mindestens auch dreihundert !«

»Genau. Und ich helfe dir dabei und schmiere Brötchen !«

Ich fasse zusammen: Wir haben Tischkärtchen für dreihundert Leute, Luisas Mäusesparbuch, Omas Sparstrumpf und keine Exfrau. Beste Voraussetzungen für eine Riesensause, würde ich denken. Wenn dann noch Fleischwurst für alle dazukommt, könnte selbst ich mich mit einer Riesenfete anfreunden. Und trotzdem habe ich das Gefühl, dass Marc und Caro die ganze Sache auch ohne Sabine und mit Fleischwurst anders beurteilen werden. Ich muss die beiden irgendwie warnen. Sonst wird dies niemals der schönste Tag im Leben meines Frauchens.

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