ZWANZIG

Manchmal braucht man nur ein Quäntchen Glück. Kaum habe ich Cherie einen Tag lang mehr schlecht als recht ignoriert – was im Wesentlichen nur bedeutete, dass ich ihr nicht mehr auf Schritt und Tritt gefolgt bin –, schon kündigt sich am nächsten Morgen genau der Besuch an, den ich für meine Taktik brauche. Und zwar tut er das durch hektisches Aufräumen und Putzen der Werkstatt seitens Carolin. Selbst Daniel wundert sich, warum Carolin auf einmal anfängt, im Flur staubzusaugen, und schaut von seiner Werkbank auf.

»Sag mal, habe ich irgendetwas verpasst ?«

»Ja, hast du. Frau Hohwenser hat vorhin angerufen. Sie ist gerade in der Nähe und will kurz vorbeikommen. Ich möchte nicht, dass sie den Eindruck erhält, ihre wertvollen Instrumente würden demnächst in einer ollen Rumpelbude liegen. Du könntest übrigens schnell mal die Küche in Ordnung bringen.«

Hohwenser. Bienes Frauchen ! Mit einem Mal bin ich wie elektrisiert: Das ist meine Chance ! Ich werde Cherie zeigen, dass sie nicht die einzige attraktive Frau auf diesem Planeten ist. Und dass ein schneidiger Kerl wie ich alle Möglichkeiten hat, wuff ! Begeistert springe ich von meinem Platz neben Carolins Bank und schmeiße mich in Position. Wenn Biene durch die Tür kommt, soll sie gleich sehen, wie sensationell gut ich eigentlich aussehe.

»Wirst du eigentlich irgendwie krank, Herkules ?«

Cherie mustert mich.

»Nein. Warum ?«

»Du bist seit gestern so komisch.«

»Komisch ?«

Sehr gut ! Es ist ihr also schon aufgefallen.

»Na, so abwesend.«

»Findest du ?«

»Ja. Finde ich. Du hast gestern kein Wort mit mir gesprochen. Hast du Halsschmerzen ?«

Ich könnte mich kringeln ! Es funktioniert tatsächlich – Cherie macht sich meinetwegen Gedanken. Das sollte ausbaufähig sein.

»Nee, ich hab keine Halsschmerzen. Ich bin gedanklich ganz woanders. Habe da neulich jemanden kennengelernt.«

»Aha.«

Mehr sagt Cherie dazu nicht. Gut, war vielleicht ein bisschen platt. Egal. Hauptsache, die Botschaft kommt an.

Kurze Zeit später klingelt es an unserer Tür. Ich überlege, ob ich gleich nach vorne stürzen soll, bleibe dann aber auf meinem Platz. Schließlich will ich möglichst lässig wirken. Hoffentlich ist Biene überhaupt mitgekommen. Dass ich Cherie nur durch Erzählungen von meiner neuen Bekanntschaft eifersüchtig machen kann, wage ich zu bezweifeln.

Als Caro die Tür öffnet, weiß ich sofort, dass meine Sorge unbegründet ist. Noch bevor ich Biene sehen kann, habe ich sie erschnuppert. Los geht es mit der Operation Herzensbrecher ! Offenbar hat Biene auch gleich gemerkt, wo sie sich befindet, denn schon kommt sie in den Werkraum gelaufen und begrüßt mich freudig.

»Hey, Herkules ! Du wohnst wirklich hier, wie toll !«

Sie springt vor mir hin und her und schleckt mir schließlich einmal über die Schnauze. Ah, das ist doch mal ein gebührender Empfang ! Ich stelle mich ganz dicht neben Biene und versuche, aus den Augenwinkeln Cheries Reaktion zu beobachten. Hoffentlich hat sie das auch alles gesehen !

»Biene, wie schön, dass du da bist ! Soll ich dir gleich mal alles hier zeigen ? Wir haben auch einen Garten, natürlich nicht so ein Riesenteil wie bei euch, aber nicht schlecht.«

Mittlerweile ist auch Cherie von ihrem Platz aufgestanden.

»Willst du mir deine neue Bekannte nicht mal vorstellen ?«

Täusche ich mich, oder klingt Cherie tatsächlich schon ein wenig zickig ? Grandios ! Die Beck’sche Strategie scheint zu verfangen.

»Oh, natürlich, entschuldige. Das ist Biene von der Harkortshöhe. Biene stammt aus einer extrem vornehmen Familie und wohnt in einer Art Schloss.«

Bei dieser Vorstellung schaut Biene schüchtern zu Boden.

»Ach, nun übertreib mal nicht. So toll ist es auch wieder nicht.«

»Doch, ist es – sei nicht so bescheiden ! Euer Garten ist ein Park, und der reicht bis zur Elbe. Toll ! Cherie wohnt hier im Haus in einer Studenten-WG.«

Cherie funkelt mich böse an, sagt aber nichts dazu.

»Was ist denn eine WG ?«, will Biene wissen.

»Ach, das ist, wenn sich mehrere Leute eine Wohnung teilen. Ist ganz praktisch, vor allem, wenn man nicht so viel Geld hat.«

»Interessant. Kannte ich gar nicht.«

»Kein Wunder – du bist ja gewissermaßen eine Tochter aus gutem Hause. Da gibt es das wahrscheinlich gar nicht. Komm, ich zeig dir den Garten.«

Als ich an Cherie vorbei zur Terrassentür laufe, knurrt sie mir ins Ohr: »Was soll denn das ? Bin ich etwa nicht aus gutem Hause ? Und überhaupt: Daniel ist nicht arm. Der hatte nur keine Lust mehr auf Yoga.«

Ich mache, was mir Beck geraten hat – Cherie ignorieren und einfach weiterlaufen. Biene folgt mir, und kurz darauf stehen wir im Garten.

»Ui, hier ist es aber auch schön.«

»Genau wie du«, versuche ich mich an einem Kompliment. Vielleicht ein bisschen klebrig, aber ich habe eben nicht viel Übung. Biene scheint’s nicht zu stören, die legt den Kopf schief und wedelt mit dem Schwanz.

»Gott, Herkules, schlimmer geht’s nimmer !« Cherie ist uns gefolgt und teilt Bienes Freude über meine Charmeoffensive nicht. »Das ist ja zum Fremdschämen !«, raunt sie mir zu.

Ich gebe mich unbeeindruckt und mache einfach weiter.

»Weißt du, Biene, heute ist ein ganz besonderer Tag für mich.«

»Ehrlich ?«

»Ja. Denn heute kann ich mein bescheidenes Heim endlich jemandem zeigen, der mir wirklich wichtig ist: nämlich dir !«

»Oh, danke, das ist aber nett !«, antwortet Biene artig, während Cherie im Hintergrund anfängt zu jaulen.

»Weiter hinten im Garten gibt es sogar einen Durchgang zu einem richtigen Park. Dort gibt es auch Kaninchen und Eichhörnchen – genau wie bei dir. Willst du mal sehen ?«

»Gern.«

Gemeinsam laufen wir zum hinteren Gartentörchen. Cherie folgt uns in sicherem Abstand. Die Pforte steht einen Spalt offen, sodass wir uns gar nicht erst durch die Latten quetschen müssen. Auf der anderen Seite des Zauns bleiben wir stehen, und Biene schaut sich um. Sie ist sichtlich beeindruckt.

»Wow – und das gehört alles zu eurem Haus ?«

»Ja, gewissermaßen schon«, übertreibe ich ein wenig.

»Nein, überhaupt nicht«, widerspricht Cherie, die schon wieder neben uns steht. »Das hier ist ein öffentlicher Park, in dem jeder spazieren gehen kann. Mit unserem Haus hat der rein gar nichts zu tun.«

Menno, was soll das denn ? Ich meine, natürlich will ich in Wirklichkeit Cherie eifersüchtig machen – wie ein Trottel will ich trotzdem nicht vor Biene dastehen.

»Ach so.« Biene klingt verunsichert. Ich glaube, Cherie ist ihr nicht geheuer. »Aber schön ist er trotzdem. Wollen wir ein bisschen herumlaufen, Herkules ?«

»Gern.« Ich überlege einen kurzen Augenblick, ob ich mich traue, richtig cool zu sein – und dann drehe ich mich zu Cherie und sage es einfach: »Tschüss, Cherie, wir sehen uns später.«

Uff, es ist raus. Cherie schaut mich völlig fassungslos an, dreht sich um und trottet wieder in unseren Garten. Jaul, hoffentlich habe ich es mit der Taktik nicht übertrieben !

Nachdem ich Biene meine Lieblingsecken im Park gezeigt habe, traben wir wieder in die Werkstatt zurück. Normalerweise wäre ich so lange geblieben, bis Caro am Zaun aufgetaucht wäre und nach mir gerufen hätte. Aber obwohl der kleine Ausflug mit Biene viel Spaß gemacht hat, fühle ich mich nicht ganz wohl in meinem Fell. Ich komme mir vor wie ein Lügner oder jedenfalls wie ein Schauspieler, und das behagt mir nicht.

Cherie liegt auf ihrer Decke neben Daniels Werkbank und würdigt uns keines Blickes, als wir wieder reinkommen. Das ist bestimmt ein Zeichen dafür, dass der Trick funktioniert, und ich sollte über den Dingen stehen – trotzdem gibt es mir einen Stich. Sie ist sauer auf mich, ein Zustand, mit dem ich nicht gut umgehen kann. Hoffentlich hat Herr Beck wirklich recht mit seiner These, und ich bin auf dem besten Weg in ihr Herz. Fühlt sich gerade gar nicht so an.

Biene hingegen ist bestens gelaunt. Sie ist fröhlich, weil wir fast ein Eichhörnchen geschnappt haben, und stolz, mit mir zusammen einen Kaninchenbau ausgehoben zu haben. Ohne Kaninchen zwar, aber mit jeder Menge Spaß. Wir sind noch dreckiger als bei unserem Ausflug an die Elbe, und ihr Frauchen schlägt die Hände über dem Kopf zusammen, als sie uns sieht.

»Du liebe Güte, Frau Neumann, schauen Sie mal, die beiden sehen schlimm aus. Biene verdreckt Ihnen die ganze Werkstatt – das ist mir aber unangenehm !«

Carolin lacht.

»Das muss es nicht sein. Wahrscheinlich hat Herkules mal wieder den Jagdhund raushängen lassen, und die beiden waren verbotenerweise im Park und haben hinter Kaninchen hergebuddelt. Ich muss das hintere Grundstück echt besser sichern, irgendwann kriege ich sonst garantiert richtig Ärger.«

Sie beugt sich zu mir herunter und krault mich unten am Hals.

»Herkules, du weißt doch, dass du das nicht darfst ! Aber war bestimmt schön, oder ?«

Daniel dreht sich mit einem Grinsen zu Caro.

»Da siehst du mal, wie gut erzogen mein Hund ist. Wohnt noch keinen Monat hier und weiß schon, dass er im Park nichts zu suchen hat. Vorbildlich !«

Von wegen, wenn der wüsste ! Cherie wäre bestimmt auch gern mitgekommen. Der Blick, den sie mir jetzt zuwirft, sorgt jedenfalls dafür, dass sich mir die Nackenhaare aufstellen. Wuff, sie ist richtig wütend !

Das Telefon klingelt, und Daniel geht ran.

»Carini, hallo. Frau Neumann ? Ja, die ist da. Moment.« Er reicht Caro den Hörer. »Ist für dich. Das Standesamt Altona.«

»Neumann. Genau.« Sie lauscht und fängt an zu lächeln. »Oh, das ist ja toll. Richtig. Am 15. Juni, 14 Uhr. Passt super. Danke, dass Sie an uns gedacht haben.« Sie greift nach einem Blatt auf ihrer Werkbank und wedelt mit der Hand, Daniel gibt ihr einen Stift. »Ja, habe ich notiert. Machen wir gleich heute noch. Okay, da rufe ich an.« Kurze Pause. »Ja. Super ! Vielen, vielen Dank ! Tschüss.«

Kaum liegt der Hörer wieder auf dem Tisch, schon macht Caro einen Luftsprung.

»Hurra ! Endlich mal gute Neuigkeiten in Sachen Hochzeit ! Das war das Standesamt Altona – da hat eben ein Paar seinen Samstagstermin abgesagt. Und weil ich erst gestern dort angerufen hatte, konnte sich der Beamte noch an mich erinnern und hat Bescheid gesagt. Und jetzt haben wir den Termin. Klasse, oder ?«

Daniel nickt, Frau Hohwenser lächelt.

»Ach, Sie wollen heiraten ?«

»Ja, schon in drei Wochen. Aber ehrlich gesagt ist bei unseren Vorbereitungen so einiges schiefgegangen. Wir haben nämlich überraschend einen Wedding-Planer an Bord bekommen, und seitdem ist unser Fest nicht mehr ganz so, wie wir uns das eigentlich vorgestellt haben.«

»Einen Wedding-Planer ?« Frau Hohwenser klingt erstaunt. »Ich dachte immer, den muss man extra engagieren. Wie kann man denn überraschend an den geraten ?«

Caro lacht.

»Na ja. Es ist nicht wirklich ein Profi, sondern meine angehende Schwiegermutter. Sie meint es vermutlich gut. Aber das Gegenteil von gut ist eben gut gemeint.«

»Oh, oh«, Frau Hohwenser seufzt, »das kenn ich – allerdings von meiner eigenen Mutter. Die mischte sich auch in bester Absicht immer in alles ein.«

»Na ja, eigentlich wollten wir ganz klein und beschaulich in einem alten Kloster in Uetersen heiraten – nur wir, unsere Kinder und Eltern und die Trauzeugen. Mit zehn Leuten ist man natürlich viel beweglicher bei der Planung. Aber kaum hatte Hedwig ihre Finger im Spiel, schon hat sich die Gästezahl mehr als verdoppelt, und nun passt es mit dem Termin nicht mehr, und wir brauchen plötzlich eine neue Location. Und ein neues Standesamt. Also habe ich gestern alle Hamburger Standesämter angerufen, ob sie am 15. Juni noch einen Termin frei haben. Ich habe aber selbst nicht geglaubt, dass das noch klappt.«

Auch Daniel scheint sich mittlerweile für das Hochzeitsdrama zu interessieren, jedenfalls hat er seinen Stuhl zu Caros Bank gezogen.

»Normalerweise trauen die Standesämter samstags nicht, oder wie ?«

»Doch, schon. Aber so kurz vorher sind natürlich meistens alle Termine weg. Als sich der Standesbeamte in Altona gestern meine Nummer notiert hat – nur für den Fall der Fälle, wie er sagte –, dachte ich, das macht der nur, um mich zu trösten. Ich war nämlich schon ganz schön verzweifelt. Tja, und jetzt, tataa, ist wohl ein Termin geplatzt. Eine Außentrauung im Gartensaal vom Goßlerhaus in Blankenese. Ein ganz toller Ort !«

»Außentrauung ?«

Daniel ist genauso unwissend wie ich.

»Ja, außen im Sinne von nicht in den Amtsräumen des Standesamtes.«

»Das Goßlerhaus ist wirklich schön«, bestätigt Frau Hohwenser, »liegt mitten in einem traumhaften Park. Ist gar nicht weit von uns, ich gehe da ab und zu mit Biene spazieren.«

»Ja, so ein Glück !«, freut sich Caro. »Und ich dachte schon, wir müssten nur für die Trauung nach Uetersen fahren. Dreiviertelstunde hin, Dreiviertelstunde zurück und dann feiern in Hamburg.« Sie atmet tief durch. »Jetzt brauchen wir nur noch ein nettes Restaurant an der Elbe. Feiern können wir im Goßlerhaus selbst nicht, nach uns findet noch eine Trauung statt. Da gibt’s nur ein Glas Sekt, und dann müssen wir das Feld räumen. Aber das Problem löse ich auch noch.«

»Nun, ich will jetzt nicht Ihrer Schwiegermutter Konkurrenz machen, aber ich hätte da eine Idee.« Bienes Frauchen lächelt. »Sie könnten doch bei uns feiern. Wir haben unser Haus schon öfter an Filmteams vermietet – ich würde denken, mehr Chaos können Sie mit Ihrer Hochzeit auch nicht anrichten. Früher haben wir oft richtig große Feste bei uns gefeiert. Als unsere Familienstiftung ihr fünfzigjähriges Bestehen beging, hatten wir fast fünfhundert Gäste ! Aber seit mein Mann tot ist und meine Tochter in den USA studiert, ist es ziemlich ruhig bei uns geworden. Eigentlich viel zu ruhig.«

Caro reißt erstaunt die Augen auf.

»Meinen Sie wirklich ? Ist das nicht viel zu viel Aufwand für Sie ?«

Frau Hohwenser schüttelt den Kopf.

»Nein. Wie ich schon sagte: Es ist viel zu ruhig bei uns. Zeit, das zu ändern ! Alles, was Sie brauchen, ist ein guter Caterer. Vielleicht darf sich Ihre Schwiegermutter ja um den kümmern, dann hat sie etwas zu tun.«

Daniel lacht und knufft Caro in die Seite.

»Das trifft den Nagel auf den Kopf: Hedwig sollte man gut beschäftigt halten. Dann kommt sie nicht so schnell auf dumme Gedanken. Und wenn es noch etwas anderes zu organisieren gibt, helfe ich auch gern. Bin ja schließlich Trauzeuge.«

Caro räuspert sich.

»Ich würde gern mit meinem Mann vorbeikommen und ihm Ihr Haus zeigen. Wenn er die Idee genauso toll findet, nehme ich Ihr großzügiges Angebot gern an.«

Frau Hohwenser nickt.

»Machen Sie das. Eine Bedingung habe ich aber doch noch. Sozusagen anstelle der Miete.«

Sie macht eine kleine Kunstpause.

»Nämlich ?«, fragt Caro.

»Sie müssten zwei weitere Gäste einplanen. Biene und mich. Wir würden gern mitfeiern. Ich war schon so lange bei keinem schönen Fest mehr.«

Caro lächelt und reicht Frau Hohwenser die Hand.

»Abgemacht.«

Ich kann sehen, wie Cherie ihre Schnauze unter ihren Vorderläufen vergräbt. Der Gedanke an eine gemeinsame Feier mit Biene scheint ihr überhaupt nicht zu gefallen.

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