ELF




Also ich erklär’s dir nochmal genau: Ich klingele und gehe schnell weg, du behältst die Rose im Maul und bleibst sitzen, bis sie die Tür aufmacht. Und wenn sie dann hoffentlich begeistert ist, komme ich als Überraschung wieder um die Ecke. Verstanden, Kumpel?«

Sagen wir mal so: Ich hab’s gehört. Verstanden habe ich es nicht. Wieso soll es Carolin besänftigen, wenn ich mit einer Rose im Maul vor der Tür sitze? Auf mich ist sie doch gar nicht sauer. Aber wenn die Nummer hier zur schnellen Versöhnung der beiden beiträgt, dann meinetwegen. An mir soll’s nicht scheitern.

Ich setze mich also hin, Marc hält mir die Rose vor die Nase, und ich schnappe zu. Wenigstens hat er vorher die Dornen abgemacht, sehr umsichtig. Dann drückt er die Klingel zur Werkstatt und verschwindet über die drei Stufen in Richtung Haustür. Kurz darauf öffnet Carolin und starrt mich an. Ist das jetzt die Begeisterung, die sich Marc erhofft hat?

»Was machst du denn hier, Herkules? Und was soll die alberne Nummer mit der Rose?«

Na gut, vielleicht kann sie ihre Freude einfach nicht so zeigen. Sie nimmt mir die Blume ab, dann geht sie an mir vorbei in den Hausflur und beginnt laut zu rufen.

»Marc, was soll das? Wir sind hier doch nicht im Zirkus. Wenn du mir etwas sagen willst, dann versteck dich bitte nicht hinter meinem Dackel.«

Marc kommt die Stufen wieder herunter.

»Hallo, Schatz!«

O je, er klingt kläglich. Jetzt tut er mir wirklich leid. Komm schon, Carolin! Ich habe zwar nicht verstanden, worum euer Streit eigentlich ging, aber kannst du Marc nicht einfach verzeihen? Vielleicht ist er auch gar nicht schuld an woranauch-immer. Mein Instinkt sagt mir nämlich, dass das ganze Schlamassel auch irgendetwas mit Nina zu tun haben könnte. Und der Tatsache, dass sie sich Sabine gegenüber als Caro ausgegeben hat. Aber das kann ich hier leider nicht zum Besten geben, sonst hätte ich es längst getan.

Wortlos stehen Carolin und Marc sich gegenüber, dann nimmt Marc sie in seine Arme und gibt ihr einen sanften Kuss auf die Lippen.

»Es tut mir echt leid. Ich habe doof reagiert, aber das lag nur daran, dass ich so perplex war – das musst du mir einfach glauben. Bitte!« Marcs Stimme klingt flehentlich.

Carolin windet sich aus seiner Umarmung und macht einen Schritt zurück.

»Weißt du, Marc, das war heute eine sehr unangenehme Situation für mich. Ich möchte wirklich, dass das mit uns funktioniert. Aber das habe ich nicht allein in der Hand, du musst dich genauso einbringen.«

»Aber das mache ich doch!«

»Nein, das finde ich nicht. Wenn ich dich in letzter Zeit gefragt habe, ob bei dir alles in Ordnung ist, weil ich eben das Gefühl hatte, dass etwas nicht stimmt, hast du sofort dichtgemacht. Du bist nicht offen mit mir.«

»Ich weiß jetzt wirklich nicht, wovon du redest.«

»Nein? Dann denk mal drüber nach. So, Herkules, kommst du rein mit mir? Oder bleibst du lieber bei Marc?«

Äh, ich, äh … hallo? Nicht streiten! Was soll denn das?! Gut, die Sache mit der Rose war anscheinend nicht die Idee des Jahrhunderts, aber es war immerhin eine Idee. Eine ganz nette, wie ich mittlerweile finde. Carolin ist zu streng mit Marc. Wenn jemand einen Fehler einsieht, sollte man nicht noch mit ihm schimpfen.

Ich denke daran, wie ich einmal auf dem weißen, flauschigen Teppich im Salon von Schloss Eschersbach ein dringendes Geschäft verrichtet hatte. In dem Moment, in dem es passiert war, wusste ich schon, dass das ein Fehler war. Und als der alte von Eschersbach dann auf mich zuschoss, um mit mir zu schimpfen, habe ich mich gleich in einer Geste der Unterwerfung vor seine Füße gerollt und meinen Hals angeboten. Trotzdem hat er mich geschnappt und meine empfindliche Nase mitten in die Bescherung gedrückt. Obwohl ich mich gewissermaßen entschuldigt hatte. Das habe ich mir gemerkt. Wenn ich danach etwas ausgefressen hatte, habe ich mich nie wieder freiwillig gemeldet, sondern immer zugesehen, dass ich ganz schnell Land gewinne.

Auch Marc guckt Carolin nun so finster an, als hätte er gerade beschlossen, nie wieder irgendeinen Fehler zuzugeben. Das allerdings kann Carolin nicht sehen, weil sie sich schon umgedreht hat und wieder auf dem Weg in die Werkstatt befindet. Ich überlege kurz, mit Marc zu gehen. Immerhin erholt sich Cherie in der Praxis noch von ihrem Unfall. Andererseits soll sie über Nacht bleiben, wird also später auch noch da sein, und vielleicht kann ich bei Carolin ein bisschen gut Wetter für Marc machen. Schweren Herzens trotte ich deshalb hinter ihr in die Werkstatt.

Drinnen angekommen, legt Carolin die Rose achtlos auf den kleinen Tisch im Flur, auf dem auch das Telefon steht. Dann schnappt sie sich selbiges und geht ins nächste Zimmer, um zu telefonieren. Nicht einmal Wasser für die arme Blume holt sie. Pfui, wie gemein! Ich beschließe, ein Zeichen zu setzen. Carolin soll wissen, dass ich ihr Verhalten nicht gutheiße. Einer muss ja hier zu Marc halten. Stichwort Solidarität unter Männern.

Das Telefontischchen ist so niedrig, dass ich mit den Vorderpfoten leicht daraufspringen kann. Kaum habe ich das getan, komme ich auch mit der Schnauze an den Rosenstiel. Ich fasse zu und habe die Rose im Maul. Dann ziehe ich sie vorsichtig vom Tisch herunter. Noch einmal fest nachfassen – passt! Ich trabe mit der Rose im Maul zu Carolin, setze mich vor sie und gucke sie möglichst vorwurfsvoll an. Leider telefoniert Carolin und bemerkt mich nicht gleich.

»Ja, Herr Lemke, ich habe mir die Instrumente bereits angesehen. Sie sind wirklich sehr schön. Das ist natürlich ein sehr großer Auftrag, der einige Zeit in Anspruch nehmen wird.«

Sie horcht auf die Stimme aus dem Telefon. »Hm, aber Herr Carini arbeitet nicht mehr in Hamburg. Ja. Sie haben Recht, wir waren ein tolles Team. Ihn gewissermaßen einkaufen für diesen Auftrag? Ich weiß nicht, aber ich kann ihn natürlich fragen.«

Der Mensch am anderen Ende der Leitung redet jetzt sehr eindringlich auf Carolin ein, ich kann seine Stimme ab und zu hören. Carolin hört ihm aufmerksam zu, dann nickt sie.

»Ja, ja. Das stimmt. Vielleicht hat er Zeit und Lust. Ja, versprochen, ich werde mit ihm sprechen. Danke, Herr Lemke, ich melde mich dann.«

Sie beendet das Gespräch und schaut den Telefonhörer eine Zeitlang versonnen an.

»Daniel Carini, wird das wieder etwas mit uns?«

Sie lächelt, macht einen Schritt nach vorne – und tritt mir auf den Schwanz. Aber richtig! JAUL, aua, geht’s noch? Ich bin doch wohl nicht unsichtbar!

»O Gott, Herkules, das tut mir leid! Ich habe dich gar nicht gesehen! Mein Armer – und hattest du etwa noch mal Marcs Rose angeschleppt? Und ich beachte dich gar nicht? O je, komm mal auf meinen Arm.«

Sie hebt mich hoch, geht mit mir zu dem Korbsessel, der neben ihrer Werkbank steht, und setzt sich mit mir. Dann beginnt sie, mich hinter den Ohren zu kraulen. Recht so! Ein bisschen Zärtlichkeit ist jetzt wohl das mindeste, was ich als Wiedergutmachung erwarten kann. Vielleicht auch noch einen Zipfel Fleischwurst.

»Ein verrückter Tag heute, nicht wahr? Ich weiß langsam gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Erst der Unfall heute früh, mein erster Einsatz als OP-Schwester, der Auftritt von dieser blöden Kuh, der Streit mit Marc – puh, mir reicht’s so langsam.« Zärtlich streicht sie mir über den Kopf. Mhm, wenn ich Herr Beck wäre, würde ich jetzt schnurren.

»Aber der letzte Anruf war nett. Herr Lemke, ein sehr guter Kunde. Er handelt mit Instrumenten und hat vielleicht einen Großauftrag. Den schaffe ich allein gar nicht, und er hat sich deshalb gleich nach Daniel erkundigt. Du erinnerst dich doch noch an Daniel, oder?«

WUFF! Natürlich erinnere ich mich an Daniel! Was für eine Frage, Daniel ist schließlich einer der nettesten Menschen überhaupt. Früher hat er zusammen mit Carolin in der Werkstatt gearbeitet, er baut nämlich auch Geigen. Als wir endlich Carolins blöden Freund Thomas los waren, hatte ich lange Zeit gehofft, dass Daniel mein neues Herrchen werden würde. Daraus wurde aber nichts, obwohl Daniel in Carolin verliebt war. Am Ende blieb mit Marc noch genau ein Kandidat übrig, auf den Carolin und ich uns einigen konnten – und trotzdem musste ich gaaanz tief in die Trickkiste greifen, damit aus den beiden etwas wurde. Purer Stress war das damals! Aber wo war ich stehengeblieben ? Richtig. Daniel. Der setzte sich dann kurzerhand mit Aurora ab, einer sehr attraktiven Stargeigerin. Also, dass sie attraktiv war, hat Daniel behauptet. Ich persönlich fand ihre Eigenart, sich im Gesicht mit Farbe anzumalen, höchst suspekt.

Die Aussicht, dass Daniel nun vielleicht zurück in die Werkstatt kommt, finde ich allerdings klasse. Tagsüber mal ein Gespräch unter Männern, noch dazu mit einem so netten Hundefreund wie Daniel, ist doch eine willkommene Abwechslung nach den ganzen menschlichen Problemgesprächen, die ich mir hier in letzter Zeit anhören muss. Ich bin dafür!

»Jedenfalls muss ich Daniel mal anrufen und ihn fragen, ob er Zeit und Lust hätte, sich für ein paar Wochen von Aurora loszueisen und mir zu helfen.«

Als Zeichen meiner Zustimmung wedele ich begeistert mit dem Schwanz, was gar nicht so einfach ist, weil ich noch auf Carolins Schoß sitze.

»Hey!« Carolin kichert. »Das kitzelt, Herkules! Komm, ich setz dich wieder runter.«

Auf dem Boden lande ich direkt neben der Rose, die von dem ganzen Hin und Her schon ein bisschen mitgenommen aussieht. Carolin hebt sie auf und schaut sie nachdenklich an. Dann geht sie zum Waschbecken in ihrem Werkraum, nimmt ein Glas vom Regal darüber, füllt es mit Wasser und stellt die arme Rose hinein. So versorgt, landet diese schließlich auf Carolins Werkbank.

Die nächste Stunde verbringt Carolin damit, Holzstücke zu hobeln. Immer wieder setzt sie den Hobel ab und betrachtet das Holz, setzt wieder an, arbeitet ein wenig, setzt ab, guckt. Sie sieht sehr konzentriert dabei aus, fast habe ich das Gefühl, dass sie gerade ganz froh ist, sich endlich wieder mit Holz beschäftigen zu können.

Das Klingeln an der Werkstatttür reißt sie schließlich aus der Arbeit. Sie seufzt und geht nach vorne – es ist Nina, die einigermaßen aufgeregt aussieht.

»Grüß dich, Carolin! Du, ich muss dir unbedingt etwas erzählen.«

Na, endlich rückt sie mit der Sprache raus! Es geht doch bestimmt um Sabine.

»Muss das jetzt sein? Ich habe so viel zu tun und habe schon den ganzen Vormittag in Marcs Praxis verplempert.«

»Echt? Seit wann bist du denn Sprechstundenhilfe?«

»Gar nicht. Aber Frau Warnke, seine Assistentin, ist einfach nicht gekommen, und gleich heute früh gab es einen Notfall. Da brauchte Marc dringend etwas Hilfe.«

»Wie nett von dir. Aber es ist trotzdem wichtig. Magst du nicht kurz hochkommen? Falls du noch nichts gegessen hast, gibt’s bei mir noch Mozzarella mit Tomate. Was meinst du?«

Carolin lächelt.

»Das klingt natürlich gut. Okay, ich komme gleich rauf. Muss nur noch eine Sache zu Ende machen.«



»Diese Sabine war in Marcs Wohnung? Und ich habe nichts davon mitbekommen? Unglaublich.« Herr Beck ist fassungslos. Wir liegen unter dem Esstisch in Ninas Küche, und ich gebe Beck eine kurze Zusammenfassung der letzten 24 Stunden.

»Genau so war es. Und was noch unglaublicher ist: Sie dachte, Nina sei Carolin. Und Nina hat nichts dazu gesagt, sondern sie einfach in dem Glauben gelassen. Heute Morgen ist Sabine nochmal aufgekreuzt und dachte dann, die echte Carolin sei Frau Warnke. Deshalb hat sie Marc geküsst, obwohl Carolin daneben stand.«

Beck schüttelt den Kopf.

»Kleiner, jetzt geht die Phantasie mit dir durch. Das bildest du dir eindeutig ein. Ich müsste doch schon völlig senil sein, wenn ich von dem wilden Durcheinander nichts mitbekommen hätte. Das macht wahrscheinlich deine ganze Aufregung um diese Cherie. Da haben dir die Hormone schon völlig den Kopf vernebelt. Nee, nee, mein Lieber, diese wüste Geschichte kauf ich dir nicht ab.«

Hormone? Was meint Herr Beck denn damit? Ob das so was wie dieser Alkohol ist, den sich die Menschen bei jeder Gelegenheit reinkippen und mit dem sie nicht klar denken können? Aber ich habe nichts dergleichen zu mir genommen, eingebildet habe ich mir das ganze Tohuwabohu mit Sicherheit nicht. Außerdem kann ich ganz entspannt bleiben, denn ich gehe mal davon aus, dass die dringende Geschichte, die Nina gleich loswerden will, im Wesentlichen mit meiner übereinstimmt. Und dann wird Beck ganz schön dumm aus der Wäsche gucken. Was schläft der auch an entscheidender Stelle ein? Selbst schuld! Ich krieche unter dem Tisch hervor. Wenn es gleich losgeht, will ich schließlich alles mitbekommen. Beck hingegen bleibt liegen. Er scheint sich seiner Sache sehr sicher zu sein.

Nina stellt zwei Gläser auf den Tisch und gießt sie voll. Alkohol? Hormone? Egal. Hauptsache, sie fängt endlich mal an zu erzählen.

»Also, du wirst nicht glauben, was gestern passiert ist, als ich bei euch gebabysittet habe.«

»Nun mach’s mal nicht so spannend. Es ist bestimmt nicht so unglaublich wie die Geschichte, die ich dir dann noch erzählen werde.«

»Das werden wir sehen! Ich habe jedenfalls einen ziemlichen Knaller: Sabine Wagner war gestern Abend da!«

»Was?! Die war gestern schon da?«

Nina guckt irritiert.

»Wieso schon da? Wusstest du, dass die in Hamburg ist? Ich dachte, die wohnt in München.«

»Erklär ich dir später. Erzähl erst mal weiter – sie war also gestern Abend da. Und was wollte sie?«

»Mit Marc sprechen. Ehrlich gesagt, dachte sie, ich sei du. Tja, und dann habe ich sie reingelassen und mich mit ihr unterhalten. Wollte mal hören, was sie so zu sagen hat.«

»Du hast WAS?!«

»Ich habe mich mit ihr unterhalten.«

»Und dabei so getan, als seist du ich? Bist du eigentlich völlig verrückt geworden?« Carolin ist aufgesprungen. Herr Beck auch. Na, wer sagt’s denn? Wenn ich in der Lage wäre, hämisch zu grinsen – jetzt würde ich es tun.

»Na ja, sie ist mehr oder weniger gleich zur Sache gekommen, ich konnte sie kaum bremsen und das Missverständnis aufklären.«

»Das glaubst du doch wohl selbst nicht! Du wolltest sie aushorchen!«

»Also bitte, warum sollte ich denn so etwas tun, das ist doch völliger Quatsch.«

»Ich kann dir genau sagen, warum: Weil du Marc nicht ausstehen kannst und du gehofft hast, irgendetwas Negatives über ihn zu erfahren.«

Jetzt springt auch Nina auf.

»Wie kannst du nur so etwas von mir denken?«

»Entschuldige, das liegt doch wohl nahe. Jeder normale Mensch hätte Sabine gleich gesagt, dass sie ein anderes Mal wiederkommen soll. Ich bleibe dabei: Seitdem das mit dir und Marc nicht geklappt hat, ist er für dich ein rotes Tuch. Und wenn Sabine irgendwelche Schauermärchen über ihn erzählt hat, war es dir bestimmt sehr recht. Du warst doch auch von Anfang an dagegen, dass ich mit Marc zusammenziehe. Allein dieser gruselige Beziehungsratgeber, den du mir geschenkt hast – negativer geht’s ja kaum.«

Jetzt sagt Nina gar nichts mehr, sondern setzt sich wieder auf ihren Stuhl. Carolin macht das Gleiche, die beiden Frauen starren sich an. Herr Beck und ich sitzen nebeneinander und warten gespannt, was nun passieren wird. Schließlich räuspert sich Nina.

»Es tut mir leid, Carolin. Du hast wahrscheinlich Recht. Unsinn – du hast Recht! Marc ist wirklich ein rotes Tuch für mich, und die Tatsache, dass ihr ein Paar seid und jetzt sogar zusammenwohnt, ist schwer zu verdauen. Aber du bist meine beste Freundin, und ich bemühe mich wirklich, dir dein Glück zu gönnen. Meist klappt das gut, manchmal leider nicht. Tja, und gestern Abend war wohl so ein Fall von manchmal. Nimmst du eine Entschuldigung an?«

Carolin nickt.

»Ich kann verstehen, dass die Situation für dich nicht einfach ist. Aber ich hoffe trotzdem, dass du und Marc euch zusammenraufen könnt. Ihr seid mir beide wichtig, es wäre schlimm, wenn ihr euch dauerhaft nicht versteht. Also, als Wiedergutmachung wünsche ich mir, dass du es nochmal im Guten mit ihm versuchst.«

Nina hebt die rechte Hand.

»Versprochen! Aber was wolltest du mir denn erzählen?«

»Sabine war heute Vormittag in der Praxis. Sie hat sich sehr abfällig über mich geäußert, hat Marc angegraben und entschwand mit einem Küsschen für ihn, obwohl ich direkt daneben stand. Jetzt erscheint mir ihr Auftritt allerdings in einem anderen Licht. Genau genommen hat sie sich ja eher abfällig über dich geäußert.« Carolin muss grinsen, und nun fängt auch Nina an zu kichern. Gott sei Dank – alles wieder gut zwischen den Damen!

»Sie sagte, ich – also du – sei eine Frau ohne Format.« Beide prusten laut los.

»Hat sie gedacht, du seist die Sprechstundenhilfe?«

»Offensichtlich. So muss es wohl gewesen sein. Der arme Marc.«

»Wieso?«

»Ich habe ihn anschließend ganz schön zusammengefaltet. Weil ich mich natürlich gefragt habe, was in aller Welt er Sabine über mich erzählt hat. Und weil er auch nicht sofort zu meiner Verteidigung geschritten ist. Na ja, er war natürlich von ihrem Auftritt ebenso überrascht wie ich, aber in meiner Wut hat mich das überhaupt nicht interessiert. Vielleicht war ich doch ein bisschen ungerecht zu ihm.«

»Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.«

Carolin rollt mit den Augen.

»Was soll das denn nun wieder heißen? Du hast doch gerade versprochen, nicht mehr zu sticheln. Und genau genommen geht ein Teil dieses Streits auch auf dein Konto. Wenn du dich nicht als meine Wenigkeit ausgegeben hättest, wäre es zu der Szene heute gar nicht erst gekommen.«

»Ja doch, du hast ja Recht. Allerdings darf ich wohl schon sagen, wenn ich finde, dass der gute Marc sich etwas ungeschickt verhält. Sabine war nämlich deswegen so spontan bei euch, weil sie sich mit Marc gestritten hat und nun in Ruhe mit ihm reden wollte. Und sie haben sich gestritten, weil Marc ihr überhaupt nicht erzählt hat, dass du bei ihm eingezogen bist. Sie hat es erst von Luisa erfahren. Was sie als Mutter natürlich ziemlich genervt hat. Schließlich will man doch wissen, mit wem das eigene Kind zusammenlebt. Das habe selbst ich als bekennende Nicht-Mutter verstanden.«

Gut, ich als bekennender Fast-Dackel verstehe es nach wie vor nicht so ganz, aber Carolin sieht so aus, als wüsste sie genau, wovon Nina spricht. Herr Beck hingegen scheint sich Mühe zu geben, seine Ohren hängen zu lassen – was ihm als Kater natürlich nicht gelingen kann.

»Irgendwann werden mich die Menschen noch in den Wahnsinn treiben. Zu kompliziert, sie sind einfach zu kompliziert. Kein Wunder, dass ich gestern Abend eingeschlafen bin, bevor diese Sabine aufgekreuzt ist. Das war der reine Selbstschutz. Das hält doch kein Tier auf Dauer aus. Nur gut, dass Nina Single und kinderlos ist. Ich hoffe, das bleibt auf absehbare Zeit so. Ich meine, Luisa ist wirklich ganz zauberhaft – aber dieser ganze Stress? Nä!« Er verdrückt sich wieder unter den Tisch.

»Jetzt verstehe ich auch, warum Marc in letzter Zeit so merkwürdig reagiert hat, wenn ich ihn auf Luisa angesprochen habe. Wahrscheinlich hatte er da schon Ärger mit Sabine. «

»Sabine sagte jedenfalls, dass sie schon versucht hätte, mit Marc darüber zu sprechen«, bestätigt Nina.

»Männer!«, seufzt Carolin. »Im Probleme aussitzen sind sie ganz große Klasse. Sabine einfach nicht von dem Umzug zu erzählen – auf so eine Idee muss man doch erst mal kommen.«

Hm. Ich finde, die Idee liegt ziemlich nahe. Es hätte ja auch gut gehen können, und dann wären es mit Sicherheit mindestens drei Problemgespräche weniger gewesen. Aber ich bin ja auch ein Mann. Kein Wunder, dass ich so denke.

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