ZWEI




Wirklich, Marc. Entweder du trennst dich endlich mal von ein paar dieser Uralt-Klamotten, oder wir brauchen einen neuen Kleiderschrank. Du hast selbst gesagt, du wolltest mal ausmisten.«

Carolin und Marc stehen vor dem großen Schrank im Schlafzimmer der neuen Wohnung. Vor Carolin liegt ein großer blauer Plastiksack, in den sie gerade ein paar von Marcs Sachen aus dem Schrank gelegt hat. Oder besser gesagt: legen wollte. Denn schon das erste Teil hat Marc umgehend wieder aus dem Sack gefischt.

»Dieses Hemd ist noch so gut wie neu. Guck mal, da ist sogar noch das Preisschild dran.«

»Marc, es sieht aus wie ein Küchenhandtuch. Blau-grün karierter Flanell, gekauft bei Tchibo. Das ist jetzt nicht dein Ernst.«

Das Teil wandert wieder in den Müllsack. Carolin greift erneut in den Schrank und holt etwas hervor, was mich von der Form entfernt an einen der Kittel erinnert, die Marc bei der Arbeit trägt. Es hat allerdings eine Art Blümchenmuster. Sehr ungewöhnlich.

»So. Was spricht für dieses Teil?«

Marc schnappt empört nach Luft.

»Hallo? Das ist ein echtes Designerstück. Habe ich mal von einem Kurztrip nach London mitgebracht.«

»Und? Schon mal getragen?«

»Äh, na ja …«

Der Blümchenkittel wandert in den Sack. Der nächste Kandidat ist eine Hose. Marc sieht sie und richtet sich spontan zu voller Größe auf.

»Also echt jetzt! Das ist meine absolute Lieblingshose! Und die sieht doch noch super aus!«

»Marc, wenn es deine absolute Lieblingshose ist, wieso habe ich sie dann noch nie an dir gesehen? Wir kennen uns jetzt ein Jahr, ich würde sagen, du hattest sie noch nie an. Und offen gestanden glaube ich, sie passt dir auch gar nicht mehr.«

»Entschuldige mal! Natürlich passt die mir noch!«

»Ja? Das will ich sehen.«

Carolin hält ihm die Hose unter die Nase. Marc seufzt und zieht seine aktuelle Hose aus. Er schlüpft in die andere, zieht sie hoch und lächelt triumphierend.

»Da siehst du’s. Passt!«

Carolin verzieht keine Miene.

»Zumachen.«

»Bitte?«

»Du musst sie zumachen. Sonst zählt es nicht.«

Marc schüttelt unwillig den Kopf und macht sich daran, die vielen Knöpfe zu schließen. Gar nicht so einfach. Jedenfalls schnappt er auf einmal nach Luft und zieht den Bauch ein, dann erst ist die Hose endgültig zu. Ich bin wahrlich kein Experte für Hosen, aber es sieht relativ unbequem aus, so, als sei Marc in seiner eigenen Hose eingeklemmt. Jetzt lächelt Carolin.

»Also, wenn du damit leben kannst, den ganzen Tag keine Luft zu holen, dann sitzt die Hose in der Tat noch wie angegossen. «

Marc rollt mit den Augen, zieht die Hose wieder aus und schleudert sie zur Seite. Dabei wirft er sie mir direkt auf die Nase, ich jaule überrascht auf und springe zurück.

»Ups, tschuldige, Herkules. Ich habe dich gar nicht gesehen. Aber du kommst gerade recht. Du kannst hier etwas lernen, was auch für dich als Haustier interessant sein dürfte: die Domestizierung des Mannes. Will sagen: vom Mann zum Milchbrötchen.«

Hä? Milchbrötchen? Wovon spricht Marc? Und was hat das mit Haustieren zu tun. Carolin holt Luft.

»Also echt, Marc. Was soll denn das? Wir waren uns einig, dass Nina meinen Kleiderschrank behalten sollte, weil in deinem angeblich genug Platz für uns beide sei und mein Schrank auch gar nicht in dieses Zimmer passt. Und wenn du schon dieses olle Teil, das dir noch dazu viel zu eng ist, behalten willst, dann sehe ich für den Rest wirklich schwarz.«

»Ist ja gut, ist ja gut. Reg dich nicht auf. Es ist eben nur so, dass ich mit dieser Hose viele Erinnerungen verbinde. Ich habe sie mir gleich im ersten Semester in München gekauft, und sie war damals schweineteuer und supersexy. Auf Partys kam ich damit sensationell an.«

»Tja, das war dann doch wohl eindeutig noch zu D-Mark-Zeiten. Ich finde, du solltest kleidungstechnisch langsam mal in der Eurozone ankommen. Aber ich habe auch gar keine Lust, mich hier mit dir über deine alten Hosen zu streiten. Ich schlage vor, ich gehe eine Runde mit Herkules einkaufen, und du sortierst deinen Schrank selbst neu. Und wenn es dann eben doch keinen Platz für meine Sachen gibt, dann fahre ich nachher zu Ikea und kaufe einen neuen Schrank für mich. Ich habe jedenfalls keine Lust, noch die ganze Woche aus dem Koffer zu leben.«

Spricht’s, dreht sich um und geht aus dem Zimmer. Hoppla, das klang schärfer, als Carolin sonst mit Marc spricht. Offensichtlich scheint diese Kleiderschranknummer irgendwie wichtig zu sein. Ich folge Carolin, die sich ihre Jacke schnappt und Richtung Treppenhaus steuert. Marc guckt noch einmal aus dem Schlafzimmer.

»He, bist du jetzt sauer?«

Carolin bleibt stehen.

»Nein. Na ja. Vielleicht ein bisschen.«

Marc kommt uns hinterher, nimmt sie kurz in den Arm und küsst sie.

»Ich gelobe hiermit feierlich: Wenn ihr vom Einkaufen zurückkommt, hast du mindestens die Hälfte des Kleiderschranks für dich. Und wenn ich dafür alle Hosen, die ich vor 1975 gekauft habe, rituell verbrennen muss. Ehrenwort.«

Carolin kichert und erwidert seinen Kuss.

»Ich bin gespannt.«



Nach dem Einkaufen treffen wir einen alten Bekannten: Willi. Er steht direkt am Eingang vom Supermarkt und baut gerade einen Stapel mit Zeitungen neben sich auf. Willi ist ein älterer Herr, der auf einer Bank in unserem Park wohnt und mich einmal aus einem Kaninchenbau gerettet hat. In letzter Zeit habe ich ihn allerdings kaum noch gesehen, umso mehr freue ich mich, ihn hier zu treffen.

»Grüße Sie, Willi!« Auch Carolin scheint sich zu freuen.

»Hallo, Frau Neumann!«

»Wie geht es Ihnen denn?«

»Prächtig! Ich habe endlich wieder eine Wohnung – und auch einen Job! Sehen Sie mal«, er hält Caro eine Zeitung unter die Nase, »ich bin jetzt Zeitungsverkäufer. Ist ein Projekt extra für Obdachlose, von jedem verkauften Exemplar bekomme ich auch Geld.«

»Klasse, da kaufe ich Ihnen gleich mal eine ab.«

»Danke.« Dann beugt er sich zu mir hinunter. »Und du, Kleiner? Hast du mich schon vermisst?«

Ich wedele mit dem Schwanz. Na klar!

»Weißt du, dem Willi geht’s jetzt wieder richtig gut. Deswegen bin ich so selten in eurer Ecke. Aber ich komm dich mal besuchen.«

Ich schlecke ihm die Hände ab, er lacht, und Caro verabschiedet sich. Sie will unserer alten Wohnung noch einen Besuch abstatten. Oder besser gesagt: Nina, die in Carolins Wohnung gezogen ist. Nina ist ihre beste Freundin und ganz anders als Carolin: Groß und dunkelhaarig – und während Carolin für mich die Sanftmut in Person darstellt, ist Nina meist sehr bestimmt und energisch.

Sie öffnet die Tür, sieht uns und strahlt.

»Mensch, das ist ja eine nette Überraschung! Komm rein, ich bin mal gespannt, wie es dir gefällt.«

Sie winkt uns ins Wohnzimmer, das nun mit Ninas Sofa und einem einzigen Bücherregal sehr mager bestückt und so kaum wiederzuerkennen ist. Nina und Carolin setzen sich, und ich lege mich auf mein ehemaliges Lieblingsfleckchen vors Sofa. Schon komisch, der Raum ist natürlich derselbe geblieben, aber er riecht schon ganz anders. Eben deutlich nach Nina, auch wenn ich noch eine leichte Note Carolin erschnuppere.

»Willst du vielleicht etwas trinken?«

Carolin schüttelt den Kopf.

»Nee, danke. Ich war einfach nur neugierig, wie meine Wohnung aussieht, wenn sie deine ist.«

»Tja, so richtig viel kann man noch nicht erkennen. Ich hatte zwar längst nicht so viele Kartons wie du, trotzdem habe ich sie noch nicht alle ausgepackt. Wahrscheinlich brauche ich auch noch jede Menge neuer Möbel, meine alte Wohnung war deutlich kleiner als deine. Gut, dass ich deinen Kleiderschrank behalten konnte.«

Carolin lacht.

»Du wirst es nicht glauben. Über das Thema Kleiderschrank hatten wir eben unsere erste kleine Kabbelei.«

»Wirklich? Ich hoffe doch, nicht meinetwegen?«

»Nein, nein. Marc ist nur der Ansicht, dass er sämtliche Klamotten horten muss, die er seit seinem Eintritt in den Stimmbruch angeschafft hat. Also, da sind Sachen dabei – unglaublich. Aber wir haben im Schlafzimmer keinen Platz für einen weiteren Schrank, und deswegen muss er jetzt mal ausmisten, sonst passen meine Sachen da definitiv nicht rein.«

»Aha. Also zeigt Marc eindeutiges Revierverhalten.«

»Ist das die Diagnose der Psychologin?«

»Gewissermaßen.«

Revierverhalten. Das klingt für mich endlich mal nachvollziehbar, und jetzt verstehe ich auch, warum die Stimmung im Schlafzimmer eben so angespannt war. Sein Revier muss man natürlich verteidigen, das leuchtet jedem Hund sofort ein. Nicht umsonst habe ich vor noch nicht allzu langer Zeit als Welpe eifrig das Beinchenheben geübt. Das ist nämlich gar nicht so einfach, wie es aussieht. Aber sehr, sehr wichtig. Eine eindrucksvolle Duftmarke zu setzen ist eben die effektivste Methode, das eigene Revier zu kennzeichnen. So weit, so gut. Eine Sache gibt mir dennoch zu denken: Warum verteidigt Marc das gemeinsame Schlafzimmer gegen Carolin? Also gewissermaßen gegen sein eigenes Weibchen? Das macht aus Hundesicht nun überhaupt keinen Sinn. Es gilt zwar, das Revier von lästiger Konkurrenz freizuhalten, die Mitglieder des eigenen Rudels sind aber willkommen. Insbesondere die Weibchen. Im Grunde genommen veranstaltet der Rüde den ganzen Zirkus doch nur für die Hündin. Ob bei Menschen auch Paare miteinander konkurrieren können? Und falls ja, um was? Es ist und bleibt rätselhaft mit diesen Zweibeinern.

Während ich noch darüber sinniere, ob Marc Carolin demnächst auch den Zugang zum Kühlschrank erschweren könnte – denn schließlich geht es da ums Futter! –, gibt Nina ein paar praktische Tipps, um das Kleiderschrank-Problem aus der Welt zu räumen.

»Vielleicht schmeißt du seine Sachen einfach heimlich weg oder spendest sie der Kleiderkammer, wenn er in der Praxis ist?«

Für meinen Geschmack ein etwas simpler Plan. Dass Marc das nicht merkt, halte ich für geradezu ausgeschlossen. Auch Carolin scheint nicht überzeugt.

»Also, das klingt doch etwas rabiat. Ich setze lieber erst einmal auf Freiwilligkeit. Marc hat versprochen, radikal aufzuräumen, bis ich wieder zu Hause bin.«

»Dann lass dir lieber ein bisschen Zeit. Musst du heute nochmal in die Werkstatt?«

»Wo ich gerade hier bin, schau ich mal kurz nach der Post. Ansonsten hatte ich mir die Tage für den Umzug eigentlich freigehalten.«

Wenn Carolin in die Werkstatt möchte, kann ich bestimmt noch ein Weilchen im Garten verbringen. Nicht, dass sich da nun fremde Hunde aus dem Park breitmachen, Stichwort Revierverteidigung. Direkt an den Garten hinterm Haus grenzt nämlich ein Park, und manchmal verirrt sich der ein oder andere Artgenosse auf die falsche Seite des Tors, das unseren Garten vom Park trennt. Da kann ich gleich mal nach dem Rechten sehen und Besuchern nötigenfalls freundlich, aber bestimmt, klarmachen, wer hier Herr im Haus beziehungsweise Hund im Garten ist. Außerdem schwirrt Herr Beck bei dem schönen Wetter bestimmt auch irgendwo durch die Gegend, und mich würde interessieren, wie er die letzten beiden Tage so verbracht hat. Mit Sicherheit ist ihm ohne mich entsetzlich langweilig.



Von der Werkstatt aus führt eine Terrassentür direkt in den Garten, es sind nur drei Stufen nach oben, schon sitzt man im Gras. Das ist natürlich enorm praktisch, denn manchmal arbeitet Carolin stundenlang an einer Geige und hat keine Zeit, mit mir spazieren zu gehen. Meist ist mir das ganz recht, denn ohne Frauchen durch den Park zu stromern ist eindeutig spannender, als an der Leine hinter ihr herzulaufen. Ich erschnüffele Kaninchen, jage Eichhörnchen oder Amseln – kurz: Ich bin ganz ich. Eigentlich ist das total verboten, und wenn Carolin mich dabei erwischt, schimpft sie. Aber als Dackel bin ich nun einmal ein Jagdhund – geboren für das große Abenteuer, nicht für das Leben auf der Etage.

Im Garten riecht es wie immer im Sommer: nach Gras, den großen Blumen im Beet und eben nach mir. Der Duft von Herrn Beck schwebt über dem Rasen, allerdings nur so schwach, dass er wohl schon länger nicht mehr hier war. Komisch, normalerweise ist Herr Beck im Sommer fast immer hier unterwegs. Ich muss spontan daran denken, wie wir uns kennengelernt haben. Dieses denkwürdige Ereignis fand nämlich genau vor dem großen Baum direkt am Haus statt. Kaum zu glauben, dass der Kater und ich uns bei unserem ersten Treffen fast geprügelt hätten. Er hatte mich beim Pinkeln beobachtet und sich über mein noch relativ wackeliges Beinchenheben lustig gemacht. Was natürlich eine Frechheit war. Dass ich ihm dann versehentlich in den Schwanz biss, war natürlich auch nicht so nett. Schon erstaunlich, dass wir trotzdem noch die besten Freunde geworden sind. Aber wo steckt der fette Kater jetzt?

Ich suche hinter dem großen Blumenbeet, auf der Wiese vor dem Zaun zum Park, beim Komposthaufen, laufe in den Vorgarten – selbst die Nische mit den Mülltonnen lasse ich nicht aus. Aber nirgends eine Spur von Herrn Beck, ich kann überhaupt keine Witterung aufnehmen. Betrübt schleiche ich zurück und trolle mich mit hängenden Öhrchen in die Werkstatt. Schade, ich hätte Beck so gerne von meinem neuen Zuhause berichtet.

»Nanu, Herkules, was ist los? Keine Lust mehr auf Garten ?«

Carolin hebt mich hoch und setzt mich auf den Tisch, vor dem sie gerade steht.

»Oder bekommst du Heimweh nach deinem alten Zuhause? Du guckst irgendwie so traurig. Aber mach dir nichts draus, ich fand es eben auch ein bisschen seltsam, in meiner Wohnung auf Ninas Couch zu sitzen. Ich denke, wir werden uns schon dran gewöhnen, oder?«

Ich lege mich hin und lasse den Kopf auf meine Vorderläufe sinken. Tja, werden wir uns daran gewöhnen? Vermutlich schon, auch wenn es sich gerade anders anfühlt. Schließlich haben wir uns wirklich nicht verschlechtert. Marcs Wohnung ist viel größer als die von Carolin, es gibt ebenfalls einen tollen Garten und, auch nicht ganz unwichtig: Da im Erdgeschoss gleichzeitig Marcs Tierarztpraxis ist, fühle ich mich seinen Patienten gegenüber wie der Chefdackel. Es ist ja nun auch mein Haus, und all die anderen Hunde, Katzen, Meerschweinchen und was sonst noch so zu Marc gekarrt wird, sind eindeutig nur von mir geduldete Gäste. Ein sehr erhabenes Gefühl.

Auch die ganze Hin- und Her-Schlepperei unseres halben Hausstands entfällt zukünftig. In den letzten Wochen und Monaten haben Carolin und ich zwar schon fast jede Nacht bei Marc und Luisa geschlafen, aber meist hatten wir irgendwas in unserer eigentlichen Wohnung vergessen: Mal Carolins Haarspange, ein bestimmtes Buch oder – noch viel schlimmer – meinen neuen Kauknochen. Das kann nun nicht mehr passieren. Und es wohnt auch kein Fremder in unserer alten Wohnung, sondern Nina. Wir können also jederzeit zu Besuch kommen.

»Weißt du, ich bin hier gleich fertig, und dann machen wir etwas Schönes zusammen. Wir könnten zum Beispiel eine Runde durch den Park drehen. Wie findest du das?«

Natürlich großartig! Meine schlechte Laune ist sofort wie weggeblasen, ich springe auf und wedele mit dem Schwanz.

»Siehst du, wusste ich es doch. Also, abgemacht: Wir gehen spazieren, sobald ich alles auf meinem Tisch wegsortiert habe. Die Einkäufe lassen wir einfach hier, die können wir auch noch später nach Hause bringen.«

Sie kichert.

»Dann hat Marc auch wenigstens genug Zeit für das Projekt Kleiderschrank.«



Als wir am frühen Abend wieder nach Hause kommen, duftet es schon im Flur verführerisch nach Essen. Hm! Verheißungsvoll! Hoffentlich hat der Koch auch an mich gedacht. Es klappert hinter der Küchentür, und einen kurzen Moment später erscheint Luisa mit einem Stapel Teller in den Händen.

»Hallo ihr beiden! Papa hat euch schon vermisst. Wir haben nämlich für euch gekocht.«

Carolin lächelt und stellt die Einkaufstüten ab.

»Wie nett! Es riecht auch schon sehr lecker. Was gibt es denn?«

»Rahmgeschnetzeltes mit Reis. Ein Rezept von Oma. Das schmeckt immer.«

Das glaube ich nur zu gerne. Ob ich etwas davon abbekomme? Marc ist da leider immer ein wenig streng und behauptet, menschliches Essen sei für Dackel gänzlich ungeeignet.

»Wir haben sogar eine kleine Portion für Herkules zubereitet. Ohne Gewürze oder so. Zur Feier des Tages wollte Papa ihm auch etwas gönnen.«

Juchhu! Eine echte Spitzenidee vom Herrn Doktor! Der biegt in diesem Moment selbst um die Ecke.

»Hallo, Süße! Ihr wart ja ganz schön lange weg. Hattest du Angst, ich hätte sonst nicht genug Zeit zum Entrümpeln?« Er grinst.

»Nee, aber ich war noch in der Werkstatt und habe bei Nina vorbeigeschaut.«

»Aha. Schon Sehnsucht nach der alten Wohnung?«

»Tja, ein bisschen komisch war es schon. Ich hatte auch den Eindruck, dass Herkules etwas wehmütig war. Falls Tiere so etwas sein können.«

Marc nickt.

»Klar können sie das. Gerade Hunde binden sich meist sehr an den Ort, an dem sie leben. Es gibt immer wieder Berichte von Tieren, die erstaunliche Distanzen überwinden, um in ihre alte Heimat zurückzukehren. Aber nachdem Hunger ja bekanntlich schlimmer ist als Heimweh, haben Luisa und ich jetzt das perfekte Mittel gegen beides parat. Ich bin gespannt, wie es euch schmeckt.«

Im Esszimmer füllt Marc die Teller auf, Luisa stellt mir ein Schälchen mit besagtem Geschnetzelten neben den Tisch. Ich probiere und bin begeistert! Das Fleisch ist ganz zart und saftig, der Bratensaft ist längst nicht so salzig wie das, was Carolin immer in der Pfanne zaubert. Wenn Marc von nun an jeden Abend für mich kocht, ist die Sehnsucht nach unserer alten Heimat bestimmt schnell Geschichte. Oder ich lade Herrn Beck mal zum Essen ein? Vielleicht zieht er dann auch noch bei uns ein.

Auch Carolin scheint es zu schmecken.

»Hm, köstlich. Deine Mutter scheint ja eine gute Köchin zu sein.«

»Meine Mutter? Wie kommst du denn da drauf?«

»Luisa sagte, es sei ein Rezept deiner Mutter.«

Luisa lacht.

»Nee, nicht von Oma Hilde. Das ist ein Rezept von Oma Burgel.«

»Oma Burgel?«

Carolin schaut Marc fragend an.

»Äh, das ist ein Rezept von Burgel, Sabines Mutter. Also quasi meine Ex-Schwiegermutter. Und die kann in der Tat ausgezeichnet kochen. Sie hat mir das Rahmgeschnetzelte mal gezeigt, weil ich es so gerne bei ihr gegessen habe.«

»So, hast du das.«

Carolin wirft Marc einen Blick zu, den ich von hier unten nicht richtig deuten kann. Irgendetwas in Carolins Stimme aber sagt mir, dass er nicht allzu freundlich ausgefallen ist. Komisch, was spricht denn auf einmal gegen die Weitergabe von Kochrezepten? Scheint mir doch eine sehr sinnvolle Aktion zu sein.

Den Rest des Essens schweigen Marc und Carolin größtenteils, stattdessen erzählt Luisa von der Schule und von etwas namens Pyjamaparty, das sie dringend veranstalten möchte. Was das wohl sein mag?

»Ach bitte, Papa! Das ist sooo cool! Und wenn ich nicht bald mal selbst etwas mache, dann laden mich die anderen Mädels nicht mehr ein. Bei Lenas Geburtstag war ich auch nicht dabei, das war voll doof! Die waren nämlich beim Ponyreiten, und ich hätte so gerne mitgemacht.«

Marc seufzt.

»Na gut. Wenn es unbedingt sein muss. Aber gib uns wenigstens noch zwei Wochen Zeit, um den Umzug zu bewältigen. Dann kann deine Party von mir aus steigen, oder, Carolin?«

Die nickt.

»Super, Papa! Vielen Dank! Dann werde ich gleich mal Einladungskarten basteln!«

»Gut, aber hilf uns zuerst, den Tisch abzuräumen.«

»Lass sie ruhig schon basteln, Marc. Schließlich habt ihr zusammen gekocht. Jetzt kann ich mich mal ums Aufräumen kümmern.«

Luisa ruft kurz: »Danke!«, und springt geradezu aus dem Zimmer. Carolin fängt an, die Teller zusammenzuräumen. Marc steht auf und stellt sich neben sie.

»Lass mal, die Küche können wir nachher auch noch saubermachen. Erst will ich dir etwas anderes zeigen. Könnte auch deine Laune verbessern.«

»Meine Laune ist gar nicht schlecht!«

Marc lächelt.

»Natürlich nicht.«

Dann geht er aus dem Zimmer, Carolin folgt ihm. Ich auch, denn ich bin schließlich neugierig, was Marc vorhat. Er geht Richtung Schlafzimmer.

Dort angekommen, schaltet er mit einem lauten »Tataa!« das Licht an.

Ich sehe den Kleiderschrank. Seine Türen sind geöffnet – und anders als heute Morgen ist die linke Seite tatsächlich komplett leer. Jedenfalls fast. Das Einzige, was sich noch darin befindet, ist eine ziemliche Menge Blumen. Dem Duft nach eindeutig Rosen. Pflanzen im Kleiderschrank? Was hat das nun wieder zu bedeuten? So passen da Carolins Sachen doch erst recht nicht rein. Also eine besonders perfide Art der Revierverteidigung?

Carolin scheint das aber nicht zu stören, denn sie fällt Marc um den Hals und küsst ihn.

»Danke, Marc!«

Er streicht ihr übers Haar und guckt sie ganz ernst an.

»Ich liebe dich. Schön, dass du da bist.«

He! Und was wird jetzt mit dem Blumenbeet? Über die naheliegenden Dinge denken Menschen einfach nicht nach. Typisch.

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