VIER




Du kannst dir einfach nicht vorstellen, wie schrecklich diese kleinen Monster sind. Fürchterlich! Grausam!« Herr Beck sitzt vor mir und schnauft gequält. Seine Augen wirken trüb, und ich bilde mir sogar ein, dass seine Schnurrbarthaare nach unten hängen. Keine Frage – die drei Tage bei Familie Wiese haben ihm schwer zugesetzt. Nicht einmal das tolle Wetter und ein gemeinsamer Plausch im Garten können ihn aufmuntern.

»Hm. Luisa ist eigentlich sehr nett zu mir. Ich kann da nichts Negatives berichten.«

Beck starrt mich an.

»Ha! Luisa! Das ist ja nur ein Kind. Ein einigermaßen großes noch dazu. Aber dieser nichtsnutzige Neffe hat gleich drei Stück davon – alles noch kleine Hosenscheißer und eines verzogener als das andere!«

»Hosenscheißer?«

»Ja, mein Lieber, da staunst du! Menschen sind nicht automatisch stubenrein – nein, und es dauert bei ihnen auch nicht nur ein paar Wochen, bis sie kapiert haben, dass man nicht einfach auf den nächsten Teppich pinkelt. Stell dir vor – diese Menschen brauchen JAHRE, um das zu lernen, was unsereins eigentlich ratzfatz raushat. Also tragen die kleinen Menschlein sogenannte Windeln in der Hose, in die sie einfach … na, du weißt schon. Das nur mal, um zu verdeutlichen, wie DUMM Kinder eigentlich sind.«

Ach, das ist in der Tat interessant.

»Also, das ist mir bei Luisa noch nie aufgefallen.«

»Natürlich nicht. Ich sagte doch: Die ist ja schon groß für ein Kind. Aber die Gören von diesem Wiese – einfach schrecklich. Stell dir vor: Sie haben mich angezogen. In Puppenkleidung haben sie mich reingequält. Sogar eine Mütze haben sie mir aufgesetzt, auf meine empfindlichen Ohren! Und dann wurde ich in den Puppenwagen gestopft. Ich konnte mich nicht wehren, die waren ja zu dritt. Durch die Gegend haben sie mich gefahren. Ach was: geschleudert! Mir ist richtig schlecht geworden, ich dachte, mein letztes Stündlein hätte geschlagen.«

Der arme Herr Beck! Was für ein Alptraum. Nur gut, dass ihn Nina aus dieser Hölle befreit hat. Dagegen scheint ja selbst das Tierheim ein Hort der Stille und des Friedens zu sein. Ich beschließe, ihn ein wenig abzulenken.

»Ist es nicht toll, dass du jetzt bei Nina wohnst? Quasi in meiner alten Wohnung?«

Er schaut mich stumpf an.

»Was soll daran toll sein?«

»Du bist wieder hier! Bei deinen Freunden!«

»Ich vermisse mein Frauchen.«

Das allerdings wundert mich fast. Bisher dachte ich, Herr Beck ist niemand, der sein Herz an einen Menschen hängt. Stark und unabhängig. Im Grunde genommen eher Wildkatze als Hauskater.

»Sieh es doch mal so: die ist bestimmt bald wieder gesund, und so lange ist Nina nicht die schlechteste Adresse. Ich finde, ihr passt richtig gut zusammen.«

Wieder dieser stumpfe Blick.

»Wieso?«

»Na ja, weil ihr beide immer so schlecht gelau… äh, weil ihr so ähnliche Ansichten über die Welt und eure Mitmenschen und -tiere habt. Das verbindet euch bestimmt, du wirst schon sehen.«

Herr Beck schnaubt. »Warum sollte ich denn mit der verbunden sein wollen? Du bist doch eigentlich nicht gerade Ninas größter Fan. War die nicht eine Zeitlang auch hinter Carolins Tierarzt her?«

»Ja, aber das spielt doch jetzt keine Rolle. Wärst du lieber im Tierheim gelandet? Oder hättest noch gern ein paar Tage bei den Mini-Monstern verbracht?«

Beck schüttelt den Kopf. »Natürlich nicht. Wahrscheinlich bin ich einfach schlecht drauf. Wie gesagt: Ich vermisse Frau Wiese. Sie ist wahrlich nicht die hellste Kerze auf der Torte, aber enorm zuverlässig. Bei Menschen ein unschätzbarer Wert. Was nützt dir das ganze Rumgekuschel, wenn das Essen nicht rechtzeitig auf dem Tisch steht? Respektive im Fressnapf landet?«

»Immerhin kann Nina gut kochen. Gestern hat sie uns zum Mittagessen eingeladen.«

»Nun lass mal gut sein. Du brauchst sie mir nicht anzupreisen. Ich bin in der Tat froh, dass sie mich aufgenommen hat. Ich dachte immer, sie sei so eine Zicke, aber offenbar hat sie doch einen guten Kern.«

»Freut mich, dass du das so siehst. Ich finde Nina wirklich ganz in Ordnung.« Und sie ist nicht zickiger als du, füge ich in Gedanken hinzu.

»Aber wie läuft’s denn jetzt in der neuen Wohnung? Noch alle glücklich? Oder gab’s schon den ersten Zoff?«

Ich schüttele den Kopf.

»Nein, alles in bester Ordnung. Und damit es noch besser läuft, hat Nina den beiden sogar ein Buch geschenkt, in dem drinsteht, wie sehr so jemand wie Marc gebraucht wird.«

»Aha. Eine Abhandlung über Tiermedizin?«

»Nein, nein, mit Tieren hatte das nichts zu tun. Es ging um Männer. Genauer gesagt, um gebrauchte Männer.«

»Du weißt aber schon, dass es zwischen ›brauchen‹ und ›gebraucht‹ einen Riesenunterschied gibt?«

War ja klar. Wenn hier jemand für eine Wortklauberei gut ist, dann Herr Beck.

»Brauchen, gebrauchen – das ist doch völlig egal. Carolin braucht Marc, und selbst Nina ist dieser Meinung. Das ist doch toll. Du willst ja nur nicht zugeben, dass diese ganze Familiennummer eine Supersache ist. Ist für dich als Einzelgänger wahrscheinlich einfach nicht zu verstehen, wie schön das Zusammenleben mit anderen ist.«

Blöde Katze. Jetzt rutscht Beck mit den Pfoten nach vorne, legt sich auf den Bauch und mustert mich durchdringend.

»Ich sage es wirklich nicht gern, aber: Du musst noch viel lernen, Kleiner.«

Was genau ist es eigentlich, was ich an Beck so nett finde? Seine Überheblichkeit bestimmt nicht. Ich drehe mich um und lasse den Blödmann einfach unter dem großen Baum liegen. Da turne ich lieber noch ein bisschen durch die Werkstatt, als mich hier weiter belehren zu lassen.

»He, nun sei doch nicht gleich beleidigt! Bleib hier!«

Ich schüttle den Kopf und trotte weiter.

»Mensch, Carl-Leopold, ich habe mich total gefreut, dich wiederzusehen. Lass mich bitte nicht allein hier sitzen!«

Alle Achtung – wenn sich Herr Beck dazu aufrafft, mich mit meinem ursprünglichen Namen anzureden, ist es ihm wirklich ernst. Dann will ich mal nicht so sein. Und eigentlich geht es mir ja genauso wie Beck: Ich habe mich auf das Wiedersehen sehr gefreut. Ich drehe mich um und lege mich genau vor Becks Nase.

»Dann gilt in Zukunft aber Folgendes: Du begründest deine Einsichten über Menschen im Allgemeinen und meine Familie im Besonderen mal näher, oder aber: Klappe halten. Verstanden? Dein Rumgestänker nervt mich nämlich gewaltig. «

Herr Beck seufzt und nickt. »Na gut. Vielleicht bin ich in letzter Zeit wirklich etwas griesgrämig. Ich werde zukünftig darauf achten, nicht zu verschroben zu werden.«

»Eine gute Idee. Ich werde dich beizeiten daran erinnern.«

»Mach das. Aber wenn du unbedingt Klartext willst, dann muss ich dir schon sagen, dass Nina mit ihrem Buch über gebrauchte Männer bestimmt nicht sagen wollte, dass Carolin Marc braucht. Vielmehr wollte sie darauf hinweisen, dass Männer, die schon mal eine Familie hatten, nicht der beste Griff für die eigene Familiengründung sind. Und der gute Marc ist eben so ein gebrauchter Mann. Schließlich war er schon mal verheiratet und hat bereits ein Kind. Frauen wollen aber meist lieber einen Mann ohne Anhang und Vergangenheit. «

Tja, und da sieht man wieder deutlich, wie verrückt die Menschen sind. Kein Züchter käme doch auf die Idee, dass der ideale Kandidat für den Aufbau einer neuen Zucht ein Dackel sein könnte, der noch keinen Nachwuchs hat. Da kann man doch gar nicht beurteilen, ob der das überhaupt hinkriegt mit ansehnlichen Kindern. Marc hingegen hat mit Luisa bewiesen, dass er Vater kann.

Ich schüttele den Kopf und schnaufe in meinen nicht vorhandenen Bart.

»Gut, wenn du es so sagst, wird es Nina schon so gemeint haben. Aber Unsinn ist es allemal.«

»Weiß nicht. Ich …«

Bevor Herr Beck noch näher ausführen kann, wie er denn zu der ganzen Geschichte steht, kommt Carolin die beiden Stufen von der Werkstatt zum Garten hoch.

»So, mein Lieber, jetzt mal nicht faul in der Sonne rumliegen. Action ist angesagt! Wir sind mit Marc und Luisa an der Alster verabredet, also auf, auf!«

Lachhaft! Als müsste man mich besonders motivieren, um mich zum Laufen zu kriegen.



An der Alster sind wir an einem schönen Sommertag natürlich nicht allein. Wahre Menschenmassen schieben sich über die Sandwege beim See: Männer, Frauen und Kinder, Babys in Kinderwagen, ältere Herrschaften sind mit Gehstock unterwegs, kurz: Jeder Mensch, der sich halbwegs fortbewegen kann, hat offensichtlich beschlossen, dies auch zu tun. Das wiederum ist ungewöhnlich, denn eigentlich laufen die Zweibeiner nur ungern. Jedenfalls mit ihren eigenen Füßen. Mit Auto oder Fahrrad sieht die Sache schon wieder anders aus. Woran das wohl liegt? Zu weiteren philosophischen Gedanken bleibt mir allerdings keine Zeit, denn ich bin angeleint und muss daher sehen, dass ich im passenden Tempo hinter Carolin herkomme, die gerade recht schnell ist.

»Komm, Herkules, gib mal ein bisschen Gas! Wir sind schon spät dran und wollen doch nicht, dass die anderen auf uns warten müssen.«

Das ist ja mal wieder typisch! Was kann ich denn dafür, wenn wir nicht rechtzeitig aufbrechen? Bin ich hier etwa für die Verabredungen zuständig? Nervig, so was. Die menschliche Zeitrechnung ist sowieso ziemlich undurchsichtig, wenn man dann noch von ihr abhängt und deswegen total hetzen muss, wird es richtig unangenehm. Überhaupt finde ich, dass es in letzter Zeit ziemlich viel Zeitplan und ziemlich wenig Streicheleinheiten von Carolin gab. Ich setze mich auf meinen Po.

»Was wird das? Ein Sitzstreik?«

Carolin klingt vorwurfsvoll. Ich lasse meine Öhrchen hängen und fiepe ein wenig. Sie kniet sich neben mich.

»Herkules, Süßer, was ist denn los mit dir?«

Ich lege meinen Kopf auf ihre Knie und drehe ihn leicht. Ohne ein bisschen Zärtlichkeit werde ich mich nicht von der Stelle rühren. Basta. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass mich Carolin mustert. Offensichtlich denkt sie nach, jedenfalls kneift sie ihre Augen leicht zusammen – ihr klassisches Denkergesicht. Dann fährt sie mir mit einer Hand über den Kopf und krault mich hinter den Ohren.

»War ein bisschen stressig in letzter Zeit, oder? Aber ich verspreche dir, dass es bald wieder ruhiger wird. Du hast auch alles ganz toll mitgemacht, ehrlich! Da bin ich schon ein bisschen stolz auf meinen kleinen Dackel.«

Gut. Das will ich gelten lassen. Ich nutze die Gelegenheit und schlecke Carolin einmal quer übers Gesicht. Ich weiß, sie mag das nicht. Ich aber umso mehr! Sie kichert.

»He, mein Make-up! Das muss ich wohl gleich nochmal überprüfen. Wenn du mir jetzt den Gefallen tun würdest?«

Sie macht eine einladende Handbewegung in die Richtung, in der sich wohl unsere Verabredung befindet.

Gerade will ich aufstehen und Carolin hinterhertrotten, da geschieht ES. Ich sehe SIE und bin – überwältigt! Denn sie ist schön. Nein, sie ist wunderschön. Ich bin fassungslos. Sie geht direkt an mir vorbei, streift mich dabei fast und wirft mir einen kurzen Blick über ihre Schulter zu. Sie ist mir so nah, dass ich sofort in einer Woge ihres unglaublich wunderbaren Geruchs gefangen bin. Ich sage gefangen, weil ich in diesem Moment absolut unfähig bin, mich zu regen. Ich bin gelähmt. Aber glücklich. Denn mir ist gerade ein Engel begegnet.

Ein unsanfter Ruck an meinem Halsband erinnert mich daran, dass ich nicht im Himmel, sondern an der Alster bin.

»Hallo, Erde an Herkules! Du wolltest doch brav sein, oder?«

Hä? Wer? Herkules? Ich schüttele mich kurz und starre dem Wesen hinterher, das mich gerade verzaubert hat. Blonde, lange Haare, schlank, aber sportlich, und ein Gang, der eigentlich mehr ein Schweben ist, kurzum: eine absolute Wahnsinnsfrau. Mir wird schwindelig, ich glaube, ich muss mich kurz hinlegen. Mittlerweile steht Carolin direkt über mir und grinst mich an.

»Du hast Glück, mein Kleiner, wir wollen in die gleiche Richtung wie der hübsche Golden Retriever, der dich so aus den Socken gehauen hat.«

Ertappt! Wie hat sie das bloß gemerkt?

»Also nicht mehr sabbern und jaulen – sondern schnell aufstehen und nichts wie hinterher!«

Wie peinlich! Habe ich tatsächlich gesabbert und gejault? Was ist bloß aus meinen guten Manieren geworden? Es spricht vieles dafür, dass sie sich im Angesicht dieses Naturschauspiels verabschiedet haben. Ich rappele mich auf und laufe sofort hinter Carolin her, die mittlerweile ein paar Schritte vorgegangen ist. Tatsächlich, sie geht in Richtung Traumfrau. Ich mache einen Satz nach vorne und überhole Carolin. Kann die nicht mal schneller machen? Was schleicht sie denn hier lang? Ich dachte, wir hätten es eilig!

»Wow, Herkules – du hast ja dein Gaspedal wieder entdeckt. Wenn du noch schneller wirst, muss ich joggen.«

Carolin legt zwar noch einen Zahn zu, zu laufen beginnt sie allerdings nicht. Mist, gleich ist der Engel verschwunden, und bei den vielen anderen Menschen und Hunden wird es einigermaßen schwierig werden, ihrer Witterung zu folgen.

»Autsch! Halt mal, ich habe mir den Fuß verknackst!«

Auch das noch! Carolin bleibt stehen und reibt sich den Knöchel. Muss das denn sein? Da kann man sich doch wohl mal einen Moment zusammenreißen.

»Hör mal auf, an der Leine zu zerren, ich habe mir wirklich weh getan. Komm zu mir und mach Sitz!«

Missmutig trabe ich zu Carolin und setze mich neben sie. Die soll bloß nicht glauben, dass ich nun den Rettungshund gebe. Wegen ihr habe ich gerade die Chance meines Lebens verpasst. Wer weiß, ob ich Carolin das überhaupt jemals verzeihen kann. Noch nie zuvor habe ich eine so schöne Hündin gesehen. Und wie toll sie roch! Mein Herz beginnt schneller zu schlagen, und in meiner Magengegend macht sich ein Gefühl breit, das ich noch nie zuvor hatte. Ob ich krank werde?

Carolin hat sich hingesetzt, den Schuh ausgezogen und betrachtet ihren Fuß. Zugegebenermaßen sieht der dazugehörige Knöchel auf einmal ziemlich dick aus. Wahrscheinlich tut es auch wirklich weh. Hm. Ich müsste schon sehr hartherzig sein, um das zu ignorieren. Was ich natürlich nicht bin. Wenn es meinem Frauchen schlecht geht, fühle ich mich auch nicht wohl. Schließlich sind meine Ahnen in grader Linie 300 Jahre lang ihrem Jäger treu gefolgt. Und das vermutlich auch, wenn sie gerade einen wunderschönen anderen Hund erblickt hatten. Ich kuschle mich also an Carolins Beine und schlecke ihr die Hände ab, mit denen sie gerade ihren Knöchel abtastet.

»Aua, also das hat mir gerade noch gefehlt! So was Blödes, ich bin richtig umgeknickt und kann mit dem linken Fuß gar nicht mehr auftreten. Hoffentlich kommen wir überhaupt bis ins Cliff. Das ist bestimmt noch ein halber Kilometer, und es tut richtig weh.«

Sie stöhnt, und ich merke, dass ich ein schlechtes Gewissen bekomme. Wenn ich nicht so an der Leine gezogen hätte, wäre das vielleicht nicht passiert. Ein Hund, der sein Frauchen in Schwierigkeiten bringt: Ich will gar nicht wissen, was Opili dazu sagen würde. Vielleicht kann ich zum Ausgleich Hilfe holen? Marc alarmieren? Andererseits – keine Ahnung, wo der steckt.

Ein Fahrradfahrer hält neben uns.

»Kann ich Ihnen helfen? Haben Sie Probleme?«

Er steigt ab. Ein junger Kerl mit einer wirklich riesigen Umhängetasche. Seltsam, dabei dachte ich, große Taschen seien ein Privileg von Menschenfrauen. Der Typ riecht ein bisschen nach Pfefferminz – und irgendwie abenteuerlustig. Ich knurre. Diese Frau ist bereits vergeben, verzieh dich, Freundchen.

»Hoppla, keine Gewalt, Kleiner!«

Er grinst. Ich knurre lauter.

»Herkules, also wirklich! Wo ist dein Benehmen? Der Herr will mir doch nur helfen.«

Nee, schon klar. Und ich trete demnächst dem Verein der Freunde des Zwergkaninchens bei. Der will nicht helfen, der will Beute machen, Carolin! Und wenn ich das ganze Alsterufer nach Marc absuchen muss – so leicht sind wir doch wohl nicht zu haben!

Das Raubtier nimmt den Fahrradhelm ab. Ziemlich viele Haare kommen zum Vorschein.

»Tja, da passt einer gut auf sein Frauchen auf. Ist ja nicht das Schlechteste. Ich bin übrigens Robert.«

Er reicht Carolin die Hand und zieht sie zu sich hoch. Grrrrr!

»Danke. Ich bin Carolin. Ich glaube, ich habe mir den Fuß verstaucht. Und jetzt muss ich noch die 500 Meter bis zum Cliff schaffen – leider weiß ich gerade nicht, wie.«

»Da helfe ich doch gerne. Was halten Sie davon: Sie setzen sich auf mein Fahrrad, ich schiebe Sie hin. Wenn Sie dort erwartet werden, kann Ihre Begleitung vielleicht den nächsten Transport organisieren.«

Er lächelt, Carolin lächelt zurück. Das passt mir zwar nicht, aber eine brauchbare Alternative fällt mir auch nicht ein. Carolin kann schlecht auf meinem Rücken zum Cliff reiten. Dafür bin ich eindeutig zu klein. Dann lieber das Fahrrad von Mr. Raubtier. Er hebt Carolin auf den Sattel und schiebt los. Ich trotte hinterher und komme mir komplett überflüssig vor. Traumfrau weg, Frauchen verletzt, Dackel hilflos. Was für ein ätzender Nachmittag.

Wenig später kommen wir in dem Restaurant an, in dem Carolin und Marc offensichtlich verabredet sind. Sie bedankt sich bei Robert, er hilft ihr vom Fahrrad, und sie humpelt gestützt auf ihn Richtung Terrasse. An einem der hinteren Tische sehe ich Marc und Luisa. Er winkt uns zu, Carolin winkt zurück. Robert verabschiedet sich – mit einem Küsschen auf Carolins Wange und einem kurzen Griff an ihren Po, so, als müsse er sie festhalten. Carolin schaut überrascht, aber bevor sie etwas sagen kann, hat sich Mister Lebensretter schon zu seinem Fahrrad davongemacht. GRRRR. Aber egal, den sind wir los.

Carolin humpelt zu Marc. Er kommt uns entgegen und fasst Carolin um die Hüfte.

»Mensch, Schatz, was ist denn mit dir los?«

»Ich bin umgeknickt, und jetzt tut mein Fuß tierisch weh. Er ist auch schon ziemlich geschwollen. Ohne Hilfe von dem Fahrradkurier hätte ich es gar nicht mehr hierhin geschafft.«

»Hm. Sollen wir gleich gehen?«

Carolin schüttelt den Kopf.

»Nein, lass mal. Ich habe mich auch schon auf das Essen mit euch gefreut. Wenn wir wieder zu Hause sind, werde ich mal den Fuß hochlegen und kühlen. Aber das hat noch ein bisschen Zeit.«

Sie setzen sich, ich lege mich unter den Tisch. Sofort schweifen meine Gedanken wieder zu meiner Begegnung mit dem Engel ab. Ich muss so sehr an sie denken, dass ich fast das Gefühl habe, sie zu riechen. Hm, toll, was Phantasie auszurichten vermag. Fast ist es, als läge sie unter dem Nachbartisch. Ich schließe die Augen und beginne zu träumen. Was sie wohl für ein Hund ist? Schüchtern? Mutig? Vorlaut? Still? In meinem Traum wird ihr Geruch immer stärker. Ich muss mich sehr beherrschen, nicht zu jaulen. Stärker und stärker. Ich öffne meine Augen wieder und versuche mir anzuhören, worüber Carolin, Marc und Luisa reden. Aber gerade jetzt ist der Geruch so stark, dass ich mich beim besten Willen nicht darauf konzentrieren kann. Wie gemein Vorstellungskraft doch sein kann.

»Ich bin übrigens Cherie.«

Meine Vorstellungskraft kann offensichtlich sprechen. Ich drehe den Kopf Richtung eingebildeter Stimme. WAHNSINN! Dort liegt sie tatsächlich! In voller Schönheit. Die Retriever-Dame von der Alster. Und sie spricht mich an! Ich bekomme Herzrasen. Und kein Wort heraus.

Die Schönheit lässt nicht locker. »Kennen wir uns nicht? Ich glaube, ich habe dich schon mal gesehen.«

SIE hat MICH schon mal gesehen? Und kann sich daran erinnern? Ich glaube, ich werde ohnmächtig. Quatsch. Ich werde ohnmächtig.

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