DREIZEHN




Von außen betrachtet wirkt der heutige Tag völlig unspektakulär. Draußen nieselt es, im Wartezimmer der Praxis sitzt nur ein einziger Herr mit seiner Katze, und Marcs Mutter sortiert am Tresen einen Papierstapel von links nach rechts. Sie kommt nun jeden Tag, um Marc zu helfen, und was auch immer Carolin befürchtet hatte – bisher ist noch nichts Schlimmes passiert. Im Gegenteil, meist kocht Oma Wagner nach Ende der Sprechstunde noch etwas Schönes für die ganze Familie und denkt dabei auch an mich. Wenn ich also mit Carolin aus der Werkstatt komme, freue ich mich schon richtig auf das Abendessen.

Heute allerdings bin ich gleich zu Hause geblieben, denn in Wirklichkeit ist dieser Tag doch spektakulär: Ich werde mit Marc Schloss Eschersbach besuchen! Offenbar soll an einem der nächsten Wochenenden die Ponyüberraschungsparty für Luisa steigen. Jedenfalls wenn alles so klappt, wie Carolin sich das vorstellt. Es wird also höchste Zeit, dass Marc sein Versprechen einlöst und den alten von Eschersbach endlich nach seinen Pferden fragt.

Jetzt nur noch der Typ mit der Katze – dann kann es losgehen. Marc schaut aus dem Behandlungszimmer.

»So, Herr Weiler, dann lassen Sie uns mal nachsehen, was Lucy haben könnte. Kommen Sie bitte?«

Und zwar ein bisschen dalli, möchte ich hinzufügen, wenn ich mir ansehe, mit welchem Schneckentempo dieser Herr Weiler in Marcs Richtung schleicht. Wir haben schließlich noch etwas Besseres vor!

Ich lege mich vor die Tür des Behandlungszimmers. Nicht, dass sich hier noch irgendein Notfall reinmogelt. Nach der Katze ist Schluss, basta!

»Na, Herkules, brauchst du auch einen Arzt?« Marcs Mutter hockt sich neben mich und krault mich unter dem Kinn. »Oder willst du noch ein kleines Fresschen, bevor ihr losfahrt?«

»Mutter, hör bitte auf, den Hund zu mästen. Der braucht weder drei Mahlzeiten am Tag noch zwei Kilo mehr auf den Rippen. Und dann bring mir doch bitte mal die Patientenakte von Lucy Weiler, hier liegt leider die falsche.« Marc steckt den Kopf durch die Tür des Behandlungszimmers.

»Ja, mache ich sofort. Aber drei Kilo würden Herkules auf keinen Fall schaden. Und dir übrigens auch nicht, mein Schatz. Deine neue Freundin hält euch ja offensichtlich etwas kurz. Wenn ich die letzten Abende nicht gekocht hätte …« Sie lässt offen, was dann gewesen wäre.

Was sie damit sagen will, verstehe ich nicht. Es klingt aber nicht so, als ob es unbedingt nett gemeint war. Kurz gehalten? Bezieht sich das etwa auf meine Beine? Aber für die kann Carolin ja gar nichts. Und sie sind wegen meines Terrier-Vaters auch eher ein Stück länger als bei Dackeln üblich. Außerdem ist Marc ziemlich groß. Das kann es also auch nicht sein. Aber was meint sie dann?

»Mutter, Carolin ist eine ausgezeichnete Köchin. Aber sie ist gleichzeitig eine berufstätige Frau, sie hat also gar nicht die Zeit, mich ständig zu verpflegen. Das muss sie auch nicht. Ich bin schließlich schon groß und kann mir im Zweifel selbst ein Brot schmieren.«

Frau Wagner schnappt hörbar nach Luft. »Na ja, mein Junge. Man muss wissen, wie man seine Prioritäten setzt. Nicht jede Frau stellt immer den Beruf an erste Stelle.«

Jetzt ist es an Marc, tief einzuatmen. Fast scheint es, als wolle er noch etwas sagen. Dann aber nimmt er nur die Akte, die ihm seine Mutter entgegenhält, und geht wieder ins Behandlungszimmer zurück.

Kurze Zeit später ist Lucys Problem anscheinend gelöst und Marc mit seiner Sprechstunde fertig.

»So, Herkules, dann wollen wir mal in deine alte Heimat starten. Hoffentlich klappt diese Ponygeschichte gleich. Ich könnte einen Erfolg bei Carolin momentan gut gebrauchen. Irgendwie läuft es gerade nicht ganz rund bei uns, mein Freund.«

Es läuft nicht rund? Bei Marc und Carolin? Was denn? Also, laufen tut doch sowieso nie jemand von den beiden. Marc springt in sein Auto, sobald er die Praxis verlässt. Und Carolin fährt eigentlich immer Fahrrad. Wenigstens geht sie noch mit mir spazieren, in letzter Zeit absolviert sie dabei aber auch nur das absolute Pflichtprogramm. Also, dass es mit dem Laufen ein Problem gibt, ist eine Diagnose, die ich schon vor Monaten hätte stellen können.

Wir verlassen das Haus, Marc verfrachtet mich – natürlich! – kurzerhand auf den Beifahrersitz seines Autos und fährt los. Es ist ziemlich viel Verkehr auf den Straßen. Als wir wieder einmal anhalten müssen, fasst Marc mit seiner rechten Hand kurz unter meinen Bauch.

»Also, mein Lieber, es tut mir leid, dir das so sagen zu müssen: Aber du hast eine ganz schöne Wampe bekommen. Meine Mutter kocht jetzt seit zwei Wochen für uns, und du hast schon mindestens ein Kilo zugenommen. Wenn das in dem Tempo weitergeht, können wir dich bald rollen. Ich glaube, ich muss mal dein Fressen rationieren. Übergewicht ist gar nicht gesund, schon gar nicht für Hunde mit so einem langen Rücken.«

Ich starre Marc fassungslos an. Was fällt dem ein? Ich bin doch nicht dick! Und falls ich tatsächlich ein klein wenig zugelegt haben sollte, dann eindeutig nur, weil ich in letzter Zeit zu wenig Auslauf habe. Marc nimmt die Hand zurück und legt sie wieder ans Steuer.

»Aber andererseits: Warum soll es dir besser gehen als mir? Mich mästet sie ja auch. Ist eben meine Mutter. Ich hoffe nur, sie fällt Caro noch nicht auf die Nerven. Vielleicht war meine Idee mit der Krankheitsvertretung doch nicht so gut.«

Dazu kann ich wenig sagen. Also, sagen kann ich natürlich sowieso nichts. Aber selbst wenn ich könnte – ich finde es schön, dass Frau Wagner nun da ist. Auch wenn ich ein klitzekleines bisschen zugenommen haben sollte. Und Luisa ist glücklich, ihre Oma so oft zu sehen. Denn die kümmert sich nicht nur um die Praxis, sondern auch um Luisas Hausaufgaben. Vor dem Abendessen zeigt Luisa ihr jetzt immer ihre Schulhefte, und Oma Wagner sagt ihr, ob sie das richtig oder falsch gemacht hat. So lernen Menschenkinder lesen und schreiben. Ob ich das auch könnte? Wäre bestimmt spannend. Ich würde mir ein Buch schnappen und diese Zeichen anstarren, und dann würden auch in meinem Kopf Bilder entstehen. Bei einem Buch über die Jagd bestimmt welche von Füchsen und Kaninchen.

Das Auto wird langsamer, ich schaue aus dem Fenster. Wir haben die Stadt verlassen und fahren an einem Wäldchen vorbei. Marc biegt von der großen Straße ab, jetzt geht es direkt durch den Wald. Von hier oben aus dem Auto heraus ist es sehr schwer zu erkennen – aber ich glaube, dies ist bereits die Auffahrt zum Schloss! Aufgeregt hüpfe ich auf dem Sitz auf und ab.

»Da freust du dich, nicht? Aber bleib noch sitzen, wir halten ja gleich an.«

In diesem Moment taucht auch schon das Schloss auf. Es ist im Wesentlichen ein riesiges weißes Haus mit einem großen Portal in der Mitte und zwei hohen Türmen an der Stirnseite. Davor ein Schlossplatz mit einem Springbrunnen und dahinter ein riesiger Park. Marc parkt sein Auto auf dem Schlossplatz und lässt mich heraus. Ich atme tief ein und genieße den Geruch, der immer noch so viel von Heimat für mich hat. Klar, ich wohne jetzt schon mehr als mein halbes Leben bei Carolin, aber den Ort, an dem man seine Kindheit verbracht hat, vergisst man wohl nie.

Und er vergisst einen auch nicht: In diesem Moment kommt meine Schwester Charlotte auf mich zugeschossen. Sie wedelt wie wild mit dem Schwanz und kann nur mühsam vor meinen Pfoten bremsen.

»Carl-Leopold! Das ist ja toll! Du bist es wirklich!« Sie schlabbert mir über die Schnauze, dann setzt sie sich. »Immer, wenn der Tierarzt kommt, renne ich sofort zu seinem Auto in der Hoffnung, dich mal wiederzusehen. Schade, dass du so selten mitkommst.«

»Tja, ich bin ja meistens bei meinem Frauchen in der Werkstatt. Aber heute hat Marc selbst daran gedacht, dass er mich mitnehmen könnte. Er will irgendetwas über eure Pferde und Ponys wissen.«

Charlotte schaut erstaunt. »Nanu? Ich glaube, die sind alle gesund. Ansonsten sind die ja sooo langweilig. Furchtbar dumme Tiere. Gänzlich uninteressant. Was will er denn mit denen?«

»Ich habe es auch nicht ganz verstanden. Aber Marc hat eine Tochter, Luisa, und die mag Ponys. Damit hat es irgendwas zu tun. Und mit ihren Freundinnen.«

»Aha. Menschenkinder und Ponys. Der Alte wird begeistert sein. Ich glaube, wenn es nach ihm ginge, wären die Gäule schon längst abgeschafft. Aber die junge Gräfin ist auch so ein Pferdenarr – und deswegen bleiben die Viecher. Sag mal, was ganz anderes«, Charlotte mustert mich, »hast du irgendwie zugenommen? Du siehst so … so … kräftig aus.«

Jetzt fängt die auch noch damit an!

»Vielleicht ein ganz kleines bisschen. Aber ich glaube eher nicht.« Ich hoffe eher nicht! Was wird sonst Cherie denken, wenn wir uns das nächste Mal begegnen? Golden Retriever sind extrem sportliche Zeitgenossen, ich kann mir nicht vorstellen, dass ein kleiner, dicker Dackel bei ihr besonders gut ankommt. Ich versuche, mein Bäuchlein einzuziehen und Charlotte besonders selbstbewusst anzustrahlen.

»Du hast nicht zugenommen? Okay, dann bilde ich es mir wohl ein. Ist ja auch kein Wunder – der Alte drillt hier alle Hunde auf schlanke Linie, ein Stück Herz zu viel, und es gibt Ärger. Selbst hinter mir ist er her, obwohl ich doch Emilia gehöre und sowieso nicht zur Zucht tauge.«

Emilia ist die Köchin auf Schloss Eschersbach. Als der alte Schlossherr auf die glorreiche Idee verfiel, uns beide Mischlingskinder ins nächste Tierheim zu verfrachten, beschloss Emilia, wenigstens eines von uns aufzunehmen. Warum ihre Wahl gerade auf Charlotte fiel, weiß ich nicht. Vielleicht Solidarität unter Frauen?

Mittlerweile steht auch der alte von Eschersbach neben uns und unterhält sich mit Marc. Ich kann mir nicht helfen, und auch, wenn ich längst ein erwachsener Dackel bin: Vor dem Alten habe ich immer noch Angst. Neben Marc sieht er nicht einmal besonders imposant aus, für einen Menschen eher schmal und gebrechlich, aber sobald ich seine schnarrende Stimme höre, werde ich ganz unruhig. Brrr, besser ich stromere ein wenig mit Charlotte herum.

»Weißt du«, schlage ich ihr deshalb vor, »ich würde furchtbar gerne Mama und Opili begrüßen.«

»Tja, Opili, äh – das weißt du ja noch gar nicht, aber …«

»Mama ist auch erst mal wichtiger!«, unterbreche ich sie.

»Klar, kein Problem. Komm mit. Mama dürfte momentan zwar nicht die beste Laune haben, aber vielleicht heiterst du sie ja auf.« Charlotte trabt los, ich hinterher.

»Wieso ist Mama schlecht gelaunt? Was ist denn los?«

»Sie wird gerade getrimmt. Soll bestimmt wieder auf irgendeine Hundeschau. Sie hasst es, aber der Alte kann es einfach nicht lassen.«

»Hm.« Stimmt. Meine Mutter ist ein gefeierter Dackelchampion. Sie war sogar schon Bundessiegerin, ein riesiger Pokal in der Glasvitrine im Salon zeugt von diesem Triumph. Für von Eschersbach ist dies neben dem Jagen sein liebstes Hobby. Macht auch Sinn, denn schließlich züchtet er Dackel, und da kommt ihm jeder Titel recht – Prämiumnachwuchs ist teuer. Umso entsetzter muss er gewesen sein, als er feststellte, dass Mama ihr Herz ein einziges Mal nicht an einen Herrn mit den besten Dackelpapieren, sondern an den Terrier des benachbarten Jagdpächters verschenkt hatte.

Wo die Liebe eben hinfällt. Aber so ist Mama: eine Frau mit eigenem Kopf. Und sosehr sie es hasst, selbst für eine Hundeschau zurechtgemacht zu werden, so egal werden ihr auch die züchterischen Ambitionen von von Eschersbach gewesen sein. Jedenfalls im Fall unseres Vaters. Sie hat es mir nie erzählt, aber ich glaube, der Terrier war ihre große Liebe. Wann immer sein Name fiel – und der fiel oft, wenn von Eschersbach wieder einmal dazu ansetzte, über die Schlechtigkeit der Welt im Allgemeinen und die Ungezogenheit von Dackeln im Besonderen zu wettern –, lag in ihren Augen etwas Sanftes.

Liebe – wie die sich wohl anfühlt? Ist es dieses Herzrasen, das ich spüre, wenn ich an Cherie denke? Das Ohrensausen, das ich bekomme, wenn ich sie rieche? Ist das Liebe? Das Gefühl, dass ich am liebsten jeden Tag mit ihr verbringen würde? Ich kann es gar nicht genauer beschreiben, aber es steckt wirklich tief in mir, macht mich ganz fahrig – aber erfüllt mich gleichzeitig mit so viel Glück und Energie, dass ich mich nie, nie wieder anders fühlen möchte.

»Hey, schläfst du?« Charlotte ist stehen geblieben und knufft mich unsanft in die Seite.

»Äh, nein, warum?«

»Na, ich habe dich nun schon zweimal nach deiner neuen Familie gefragt, aber du antwortest nicht.«

»Entschuldige, ich war in Gedanken. Was wolltest du wissen?«

»Wie isses denn jetzt so mit dem Tierarzt? Als du das letzte Mal da warst, kannte dein Frauchen ihn ja noch nicht so lange.«

»Oh, es ist schön. Wir sind jetzt eine richtige Familie. Vater, Mutter, Kind, Hund.«

»Kind? Wo kommt das denn so schnell her? Die Frau des jungen Stallmeisters hat vor einiger Zeit ein Baby bekommen, das hat aber ganz schön lange gedauert, bis es fertig war. Also, bestimmt den ganzen Winter lang und das Frühjahr noch dazu.«

»Das Tierarzt-Kind war schon fertig, bevor Marc mein Frauchen Carolin kennengelernt hat.«

»Ach?« Charlotte bleibt schon wieder stehen und mustert mich.

»Ja. Marc ist nämlich ein gebrauchter Mann«, füge ich mit wichtiger Miene hinzu. »Das heißt, er hatte schon mal eine Frau, und von der stammt das Kind. Luisa, sehr nett.«

»Und was ist jetzt mit der alten Frau? Wohnt die auch bei euch, oder was habt ihr mit der gemacht?«

»Nein, die wohnt natürlich nicht bei uns. Menschenpaare bestehen doch immer nur aus zwei Leuten. Glaube ich jedenfalls. Dass ein Mann mit zwei Frauen zusammenlebt oder eine Frau mit zwei Männern, habe ich noch nicht gehört. Die alte Frau wohnt irgendwo anders. Aber neulich war sie da und hat ganz schön Ärger gemacht. Ich dachte schon, sie will Luisa klauen. Wollte sie dann aber doch nicht.«

»Vielleicht will sie eher den Tierarzt klauen?« Charlotte stellt da eine interessante neue Theorie auf. »Wenn er ihr mal gehört hat, will sie ihn doch womöglich zurückhaben.«

Könnte das sein? Es würde zumindest erklären, warum Carolin so sauer über den ganzen Vorfall war. Aber wie klaut man einen Mann? Marc ist mindestens einen Kopf größer als diese Sabine – ich glaube nicht, dass sie kräftig genug wäre, Marc aus unserer Wohnung zu schleifen. Luisa hätte sie raustragen können, aber Marc? Keine Chance.

Wir kommen am Schlossportal an, und Charlotte hüpft sehr beschwingt die Stufen zum Eingang hinauf. Die schweren Türen zum Innenhof stehen auf, was tagsüber immer so ist. Ich merke, dass sich in meiner Nase ein leichtes Kribbeln ausbreitet, denn mit dem Geruch kommt auch die Erinnerung: an eine unbeschwerte Kindheit voller Abenteuerlust, an Abende, die Opili mit Geschichten über Kaninchen und Wildschweine füllte – und an meine Mutter. So schnell ich kann, laufe ich hinter Charlotte her, quer über den Innenhof, durch die nächste Tür, Stufen hinauf und hinunter.

Kurz darauf landen wir im kleinen Salon, der eigentlich nichts weiter als ein schmuckloser Aufenthaltsraum neben der Küche ist. Hier steht das große Hundekörbchen, in dem Charlotte und ich die ersten Wochen mit unserer Mutter verbracht haben. Eigentlich ist es eher eine große Kiste, die mit dicken Wolldecken ausgelegt ist. Ich erinnere mich noch sehr gut an den ersten Ausflug. Aufgeregt und auf ziemlich wackeligen Beinen, erkundeten Lotti und ich den gesamten Salon. Er kam mir damals riesig vor, und nach einiger Zeit war ich so erschöpft, dass ich kaum noch laufen konnte. Schließlich hob mich Mama sanft am Nacken auf und trug mich wieder in die Kiste. Wenn ich bedenke, wie klein mir der Salon heute vorkommt, kann ich kaum glauben, dass der Rückweg von der Tür zur Kiste damals zu anstrengend für mich war.

Jetzt allerdings ist die Kiste leer, von meiner Mutter keine Spur. Ich drehe mich zu Charlotte.

»Wo ist sie denn?«

Charlottes Schwanzspitze zuckt. »Tja, dann ist sie wohl wirklich noch beim Trimmen. Wollen wir hier warten oder nach ihr sehen?«

»Wer weiß, wie lange Marc noch mit von Eschersbach spricht. Lass uns lieber zu ihr flitzen, sonst verpasse ich sie am Ende noch.«

In diesem Moment öffnet sich die Tür zur Küche.

»Carl-Leopold! Nein, ist das schön, dass du uns mal wieder besuchst!« Emilia! Ihre Stimme würde ich jederzeit unter tausenden erkennen. Sie ist für eine Frau sehr dunkel und klingt fast so, als würde Emilia singen, auch wenn sie nur spricht. Sofort renne ich zu ihr und springe an ihr hoch.

»Ja, mein Braver, du freust dich auch, nicht? Warte mal, ich hole etwas Leckeres für dich.« Es ist eindeutig von Vorteil, mit der Köchin befreundet zu sein!

Als Emilia wieder auftaucht, hat sie ein kleines Schälchen in den Händen, das sie mir direkt vor die Nase stellt. Lecker! Pansen und Herz! Sofort schlinge ich los. Ich liebe meine Schwester zwar sehr, aber dies ist eindeutig mein Willkommensgeschenk. Zwei Sekunden später steht Charlotte neben mir und schmollt.

»Hey, kein Wunder, dass du zugenommen hast! Hättest mir ruhig etwas abgeben können.«

Ich ignoriere diesen Einwand und schlinge hastig das letzte Stück Herz hinunter. Abnehmen kann ich immer noch, und vielleicht kommen auch irgendwann mal schlechte Zeiten. Dann bin ich gewappnet.

»Hast du denn deine Mutter schon gesehen, Carlchen?« Emilia hebt mich hoch und streicht mir über den Kopf. »Ach nein, die ist ja noch mit dem Hundefrisör zugange. Am Wochenende ist die Hundeschau, da muss sie doch besonders schön sein. Aber warte mal, ich bringe dich hin. Die sind im Anbau hinter den Pferdeställen.« Spricht’s und klemmt mich unter den Arm. Charlotte beeilt sich hinterherzukommen, und so stehen wir schon bald darauf vor der Tür zu dem gekachelten Raum am Stall, in dem auch immer die tierärztlichen Untersuchungen auf dem Schloss stattfinden. Emilia setzt mich wieder auf den Boden und öffnet die Tür.

Brrr, auch wenn ich Marc nun sehr gut kenne und mag – der Gedanke an die Untersuchungen und Impfungen, die ich durch ihn in diesem Raum erdulden musste, lässt mich sehr zögern, hineinzugehen. Obwohl das natürlich Quatsch ist. Aber offensichtlich haben Dackel ein gutes Gedächtnis.

»Komm schon, Carl-Leopold, auf was wartest du?«

Okay, soll schließlich niemand sagen können, ich sei ein Feigling. Ich drücke mich also an der Tür vorbei – und stehe sofort vor dem Tisch, den Tierarzt und Hundefrisör anscheinend gleichermaßen benutzen. Und auf dem Tisch: Mama! Ich belle aufgeregt, sie dreht den Kopf zur Seite.

»Mensch, Daphne, stillhalten! Sonst schneide ich dir noch ins Ohr!« Der Hundefrisör, der eine Hundefrisörin ist, schimpft. Aber meiner Mutter ist das völlig egal. Sie hüpft einfach zu mir herunter.

»Junger Mann, wir kennen uns doch!«

Begeistert schlecke ich ihr die Schnauze ab. Meine Mutter ist einfach eine ganz tolle Frau!

»Hey, nicht so stürmisch! Deine Mutter ist mittlerweile schon eine ältere Dame, Carl-Leopold. Und was machst du überhaupt hier?«

»Er ist wieder mit dem Tierarzt da, Mama.«

»Ach so? Ja, den Arzt habe ich eben schon gesehen. Hat auch mit dem Alten hier reingeschaut. Dann sind sie wohl zu den Pferden gegangen. Hach, es ist wirklich schön, dich zu sehen, mein Junge.« Mama erwidert mein Schlecken.

Die Hundefrisörin scheint nun genug von unserer spontanen Familienzusammenführung zu haben. Sie beugt sich herunter, schnappt sich meine Mutter und setzt sie wieder auf den Tisch.

»So. Stillgehalten jetzt, Daphne. Sonst kann ich aus dir keinen Champion machen.«

Ergeben setzt sich Mutter auf ihr Hinterteil.

»Du siehst es, Carl-Leopold. Mir bleibt hier nichts erspart. Vielleicht sehen wir uns später nochmal.«

»Alles klar. Dann gehen wir erst einmal Opili suchen.«

Mama fährt so schnell herum, dass die Frisörin den Trimmkamm fallen lässt.

»Hat dir Charlotte etwa noch nichts erzählt?«

Ich schüttele den Kopf. »Nein, was denn?«

Mama senkt die Schnauze. »Opili ist im letzten Winter gestorben.«

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