ACHT




Ich habe eine Superidee in Sachen Tussi-Club!«

Carolin fällt Marc um den Hals und küsst ihn, kaum dass wir durch die Praxistür gekommen sind. Normalerweise ist sie diesbezüglich etwas zurückhaltender und die Praxis erst recht nicht der Ort für innige Zweisamkeit bei den beiden. Aber es sind keine Patienten mit den dazugehörigen Menschen mehr da, also scheint das aus ihrer Sicht in Ordnung zu sein. Marc schaut zuerst etwas überrascht, dann erwidert er ihren Kuss.

»Na, erzähl mal. Ich bin gespannt.«

Ja? Ich nicht. Etwas Langweiligeres, als jetzt Carolins Ideen zu dieser Kinderveranstaltung zu lauschen, kann ich mir gerade nicht vorstellen. Viel spannender ist doch, dass Herr Beck nun dauerhaft bei Nina wohnen wird! Warum erzählt Carolin denn das nicht als Erstes?

»Luisa hat doch gesagt, dass diese Lena einen Pony-Geburtstag veranstaltet hat. Also offensichtlich stehen Pferde bei den Damen hoch im Kurs. Was hältst du davon, wenn wir den gesamten Club zu einem Außentermin mit Pferden und echtem Schloss einladen? Dafür müsstest du allerdings mal deine guten Verbindungen spielen lassen.«

Gähn! Pferde? Wen interessiert’s? Gut, ich weiß, dass meine Vorfahren oft auch Jäger begleitet haben, die mit Pferden unterwegs waren. Opili sagt, dass das immer die tollsten Erlebnisse waren – eine ganze Meute Hunde und die Menschen auf den Pferden natürlich viel schneller als sonst zu Fuß. Allerdings bin ich mir sicher, dass Carolin mit dem Tussi-Club keine Treibjagd plant. Ohne Jagd kann ich mit Pferden aber nichts anfangen. Auf Schloss Eschersbach standen auch so einige davon rum, mir persönlich kamen die immer ein wenig blöd vor. Marc runzelt die Stirn. Ob er meine Ansicht über Pferde teilt?

»Ich fürchte, ich kann dir momentan nicht ganz folgen.«

»Macht nichts, ich erkläre es dir. Wir waren doch letztes Jahr einmal zusammen mit Herkules bei seinem Züchter – diesem etwas kauzigen Grafen, oder Herzog, oder was auch immer der ist, auf diesem riesigen Landgut.«

Herkules? Züchter? Landgut? Mit einem Mal bin ich wie elektrisiert. Carolin muss einfach von Schloss Eschersbach reden. Tatsächlich war ich einmal mit Carolin und Marc dort zu Besuch. Es war das erste und letzte Mal, dass ich meine Familie wieder zu Gesicht bekommen habe, nachdem mich der alte von Eschersbach ins Tierheim abgeschoben hatte. Es war ein traumhafter Tag. Alle haben sich gefreut, mich wiederzusehen: meine Schwester Charlotte und Mama, Emilia, die Köchin, und natürlich Opili. Es schien mir, dass selbst von Eschersbach ein bisschen gerührt war. Wahrscheinlich hatte er es schon bitter bereut, mich so schlecht behandelt zu haben. Aber das Tollste von allem war fast, als Hund des Tierarztes auf dem Schloss aufzutauchen. Ich habe regelrecht gerochen, wie viel Respekt die anderen auf einmal vor mir hatten. Leider haben wir diesen Ausflug nie wiederholt, ich hätte riesige Lust dazu gehabt.

»Äh, du meinst den alten von Eschersbach?«

»Genau. Du betreust doch seine Dackelzucht, oder?«

»Ja, das hat schon mein Vater gemacht, und ich habe das übernommen. Aber was hat das mit dem Tussi-Club zu tun?«

»Wenn ich mich recht erinnere, gibt es auf dem Gut auch Pferde.«

»Richtig. Deswegen war von Eschersbach auch schwer begeistert, als ich Vaters Praxis übernommen habe. Schließlich war ich in München lange Assistent in der Pferdeklinik der Uni.«

»Ja, du bist ein ganz Toller. Aber darauf wollte ich gar nicht hinaus.«

Marc grinst, schnappt plötzlich nach Carolin und kippt sie in die Waagerechte. »So, wolltest du nicht? Na warte, bevor ich nicht einen Kuss bekomme, lasse ich dich nicht wieder los.«

Hey, Leute, nicht flirten, weitererzählen! Ich will jetzt unbedingt wissen, was Carolins Plan mit Schloss Eschersbach zu tun hat. Ob nun Marc auch ein klasse Pferdedoc ist oder nicht, tut doch hier gar nichts zur Sache!

Carolin windet sich lachend aus Marcs Griff. »Nee, nee, mein Lieber, erpressen ist nicht! Hör mir lieber weiter zu.«

Marc seufzt und nickt. »Hat von Eschersbach auch Ponys?«

»Ja, hat er. Beziehungsweise seine Schwiegertochter hat welche. Er war erst überhaupt nicht begeistert davon, aber mittlerweile stehen dort meines Wissens auch noch drei oder vier Isländer. Viel habe ich mit den Pferden aber nicht zu tun, die sind Gott sei Dank ziemlich gesund.«

»Meinst du, Luisa könnte mal mit ein paar Mädchen zum Reiten vorbeikommen?«

Eine echte Knaller-Idee! Und ich komme gleich mit! Großartig, Carolin! Du bist wirklich zu gebrauchen. Marc allerdings scheint mir nicht ganz so euphorisch. Er zuckt bloß mit den Schultern.

»Weiß nicht. Von Eschersbach ist da immer sehr eigen. Allerdings mag er mich wohl recht gerne. Ich kann ihn mal fragen. Aber was spricht eigentlich gegen einen normalen Reitstall?«

»Echt, Marc – du verstehst auch gar nichts von jungen Damen. Schon gar nicht von Tussis. Schloss Eschersbach ist doch eine sehr exklusive Location. Da werden die Mädchen schon aus purer Neugier nicht Nein sagen. Ich will nicht, dass Luisa noch einmal so eine Schlappe wie mit der Pyjama-Party erlebt.«

»Nein, das will ich auch nicht«, erwidert Marc sehr knapp. Carolin schaut ihn erstaunt an.

»Sag mal, was ist eigentlich mit dir los? Nervt es dich, wenn ich solche Vorschläge mache? Findest du, dass mich das nichts angeht? Oder ist es was anderes?«

»Überhaupt nicht. Im Gegenteil, ich freue mich, dass du dir Gedanken um Luisa machst.«

»Aber was ist es dann? Stress mit Sabine?«

Sabine? Da klingelt doch etwas bei mir. Ich muss sofort an Marcs Telefongespräch im Park denken.

»Quatsch, wie kommst du denn darauf? Es ist alles in bester Ordnung.«

In bester Ordnung? Wenn das mal stimmt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Marc mit der Sabine, die Luisas Mutter ist, telefoniert hat und dass sich die beiden gestritten haben. Also, entweder ich habe das im Park völlig falsch verstanden – oder es handelt sich hierbei um eine faustdicke Lüge. Ich tippe auf Letzteres, denn auf einmal beginnt Marc, nach Stress zu riechen. Und ein kleines bisschen nach Angst. Auch Carolin scheint das zu bemerken, obwohl sie wie alle Menschen ziemlich taub auf der Nase sein dürfte. Sie zieht die Augenbrauen nach oben und mustert Marc eindringlich. Er weicht ihrem Blick aus.

»Also, wie dem auch sei – vielleicht ist deine Idee wirklich gut. Ich werde morgen bei von Eschersbach anrufen und einen Termin machen. Muss sowieso mal wieder nach den Dackeln gucken.«

Ohne weiter nachzudenken, fange ich an zu bellen. Marc und Carolin schauen sich überrascht an – und lachen gleichzeitig los. Dann bückt sich Carolin und streichelt mir über den Kopf.

»Hast du uns etwa verstanden?«

»Ich glaube schon. Keine Sorge, Herkules. Wenn es so weit ist, nehme ich dich mit. Und jetzt habe ich auch einen Wunsch.«

Ach ja? Carolin und ich schauen Marc interessiert an.

»Ich möchte gerne mit meiner Liebsten ein romantisches Abendessen verbringen. Meinst du, Nina könnte spontan babysitten?«

Carolin nickt. »Klar, ich rufe sie gleich mal an. Auf ein Dinner zu zweit hätte ich auch Lust. Schade, dass Herkules uns im Zweifel nicht anrufen kann. Sonst wäre er bestimmt der perfekte Babysitter für Luisa.«

Marc guckt mich an und grinst. »Tja, Herkules ist schon ziemlich gut – aber er ist kein Superdackel.«

Bitte? Bodenlose Frechheit.



Als Nina zwei Stunden später tatsächlich im Hause Wagner-Neumann aufkreuzt, bringt sie Herrn Beck mit. Luisa ist begeistert, Herr Beck wahrscheinlich weniger.

»Oh, wie süß! Eine Katze!«

»Genau genommen ein Kater«, erklärt ihr Nina und gibt ihr Herrn Beck auf den Arm. Hoffentlich kriegt unser Kinderfreund da nicht gleich einen Herzinfarkt! Aber zu meiner großen Überraschung lässt sich Beck offenbar ganz entspannt von Luisa kraulen und fängt sogar an zu schnurren. Ganz neue Töne – aber ich freue mich natürlich, dass die beiden sich offenbar auf Anhieb verstehen.

»Wie heißt er denn?«, will Luisa wissen.

»Herr Beck. Er ist schon ein etwas älterer Herr, ich habe ihn gewissermaßen geerbt.«

Luisa lächelt und wiegt ihn hin und her, Beck schnurrt noch lauter.

»Heuchler!«, zische ich ihm zu, aber er ignoriert mich. Stattdessen schmiegt er sich sogar noch ein bisschen näher an Luisa.

»Ich glaube, er mag Kinder.«

»Bestimmt!«

Gut, dass ich nicht sprechen kann.

»Dein Vater hat gesagt, dass du noch eine halbe Stunde aufbleiben darfst. Soll ich dir etwas vorlesen?«

Luisa schüttelt den Kopf.

»Nein danke, lesen kann ich ja schon selbst, das mache ich nachher im Bett. Lieber spiele ich noch etwas mit Herkules und Herrn Beck. Oder vertragen sich die beiden nicht? Ich meine, so von wegen Hund und Katze?«

»Im Gegenteil, die beiden sind Kumpels. Sozusagen beste Freunde«, beruhigt sie Nina. Luisa seufzt, setzt Herrn Beck neben mich auf den Boden und sich selbst gleich dazu.

»Das ist schön, wenn man einen besten Freund hat. Oder eine beste Freundin.«

Auch Nina setzt sich auf den Boden.

»Stimmt. Ich bin auch froh, dass ich Carolin habe. Wer ist denn deine beste Freundin?«

Luisa zuckt mit den Schultern. »Niemand. Johanna war meine beste Freundin in München, aber hier in Hamburg habe ich noch keine.«

»Verstehe. Das ist natürlich doof.«

»Weißt du, ich habe schon versucht, ein paar Mädchen aus meiner Klasse einzuladen, aber die wollten leider nicht kommen. Ich habe es neulich schon Carolin erzählt – und die hat sich jetzt etwas überlegt, wie ich vielleicht doch noch Freundinnen finde. Ist aber noch geheim, sie will mich überraschen.«

»Das klingt doch gut. Bestimmt hat Caro eine richtig tolle Idee, du wirst schon sehen.«

Herr Beck robbt an mich heran. »Muss man sich Sorgen um Luisa machen? Das arme Kind!«

»Sag mal, seit wann bist du denn so ein Kinderfreund? Neulich hast du wegen der Gören von Wiese junior noch Gift und Galle gespuckt.«

»Was heißt hier Gift und Galle? Ich war lediglich ein wenig ungehalten, vielleicht hatte ich auch einen schlechten Tag wegen der ganzen Geschichte mit Frau Wiese.«

Hört, hört. Herr Beck räumt einen schlechten Tag ein. Eine interessante persönliche Entwicklung. Allerdings nicht so interessant wie das Gespräch zwischen Luisa und Nina. Letztere kann es sich nämlich nicht verkneifen, sich mal genauer nach dieser Sabine zu erkundigen.

»Und deine Mama? Wie findet die, dass du jetzt bei deinem Papa wohnst?«

Wenn Marc das wüsste, wäre es ihm bestimmt nicht recht. Ich kann gar nicht genau sagen, warum ich das glaube – aber ich habe das Gefühl, dass Nina die Familiengeschichte eigentlich nichts angeht.

»Mama findet das gut. Wir haben uns das zusammen überlegt.«

»Wer ist denn wir

Mann, diese Nina ist aber richtig neugierig. Warum will sie das bloß so genau wissen?

»Na, Mama, Papa und ich. Und auch Jesko. Das ist Mamas Freund. Der wohnt mit ihr zusammen.«

»Aha. Dann ist ja alles gut.«

Eben. Und so hat es ihr doch auch schon Carolin erzählt. Aber der wollte Nina das wohl nicht glauben. Wobei – so ganz gut scheint es nicht zu sein, sonst hätte Marc keinen Streit mit Sabine gehabt. Glaube ich jedenfalls. Und ich könnte einen großen Kauknochen darauf verwetten, dass Nina auf die gleiche Idee gekommen ist.



Luisa ist längst im Bett, und Herr Beck und ich lümmeln mit Nina vor dem Fernseher auf dem Sofa herum. Eine gute Gelegenheit, Herrn Beck endlich mal von dem Thema zu erzählen, das mich am meisten bewegt: Cherie. Ich habe ihm gegenüber zwar schon die ein oder andere Andeutung gemacht, aber bisher hat er darauf überhaupt nicht reagiert. Was ich schon ein bisschen ungerecht finde. Schließlich habe ich mir auch das ganze Elend über Frau Wiese, Wiese junior, die kleinen Monster und die Sorgen über die Suche nach einer neuen Bleibe von ihm angehört. Da wird er doch mal fünf Minuten Zeit übrig haben, sich anzuhören, wie es um mein kleines Dackelherz bestellt ist.

»Weißt du, was ich dir schon die ganze Zeit erzählen wollte?«

Herr Beck rollt sich herum und dreht den Kopf in meine Richtung. »Nee, was denn?«

»Ich habe jemanden kennengelernt.«

»Ach.« Besonders interessiert klingt Beck nicht, aber das ist mir egal.

»Ja, eine Golden-Retriever-Hündin. Sie heißt Cherie und ist schön. Wunderschön.«

Herr Beck rückt näher an mich heran. »Sag bloß, du hast dich verliebt?«

»Na ja, also, ich weiß nicht so genau. Aber ein bisschen Herzklopfen kriege ich schon, wenn ich sie sehe. Genau genommen ziemlich viel Herzklopfen.«

Wenn er es könnte, würde Herr Beck in wieherndes Gelächter ausbrechen, das sehe ich ihm genau an. So allerdings muss er sich auf etwas beschränken, das wie ein heiseres Fauchen klingt.

»Cherie? Golden Retriever? Oh, Mann, Herkules, die ist doch mindestens doppelt so groß wie du! Wenn nicht dreimal! «

Er rollt sich vor Vergnügen auf dem Boden herum. Irgendwie hatte ich mir von einem guten Freund eine andere Reaktion erhofft.

»Also, ich weiß wirklich nicht, was daran so komisch ist. Sicher, ich bin kleiner, aber eigentlich bin ich doch auch ein Jagdhund und da …«

Es klingelt an der Wohnungstür. Nanu? Ganz schön spät für Besuch. Wahrscheinlich haben Carolin und Marc nur den Schlüssel vergessen. Nina läuft in den Flur, um zu öffnen, ich folge ihr.

Aber vor der Tür stehen nicht Marc und Carolin. Sondern eine Frau, die ich noch nie zuvor gesehen habe.

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