VIERUNDZWANZIG




Kein Zweifel: Daniel ist mehr als überrascht, uns hier zu sehen. Er öffnet die Tür zu seinem Hotelapartment, und seine Lippen formen ein lautloses Oh.

»Darf ich reinkommen?« Carolin hat schon im Auto geweint, und man hört es ihr deutlich an. Daniel macht die Tür weit auf und legt seine Hand auf Caros Schulter.

»Um Gottes willen, was ist denn los?«

»Hier, lies selbst!«

Sie drückt ihm das Buch in die Hand. Er studiert den Titel und liest laut vor. »Die zweite Chance. Ehekrisen überwinden, zueinanderfinden. Aha. Muss mir das irgendetwas sagen?«

Er schlägt das Buch auf und liest weiter. »Lieber Marc! Hast du darüber nachgedacht? Wie hast du dich entschieden? Ruf mich an. In Liebe, Sabine.«

Er räuspert sich.

»Okay. Nicht ganz unverfänglich. Aber vielleicht schon älteren Datums? Bevor du ihn kanntest?«

Caro schüttelt den Kopf und geht an Daniel vorbei in das kleine Wohnzimmer hinter dem Flur.

»Darf ich mich setzen?«

»Klar, entschuldige. Setz dich. Ich hatte irgendwie nicht mit Besuch gerechnet, aber du bist mir immer willkommen.«

»Danke.«

»Willst du etwas trinken?«

»Wenn du etwas mit Alkohol hast, gerne.«

O je. Alkohol. Mit Alkohol und Liebeskummer habe ich bei Carolin schon mal ganz schlechte Erfahrungen gemacht. Als wir damals endlich Thomas losgeworden waren, hat sie davon so viel getrunken, dass sie im Krankenhaus gelandet ist. Ich hoffe also, dass Daniel ihr jetzt nur einen Tee anbieten kann.

»Tja, mal sehen, was die Minibar hergibt.«

Er geht zu einem Schrank und öffnet ihn. Die Flaschen, die zum Vorschein kommen, sind zwar ziemlich klein, sehen ansonsten aber genauso aus wie die, in denen die Menschen für gewöhnlich Alkohol aufbewahren. Mist. Na, immerhin passt nicht so viel davon in eine Miniflasche.

»Also, ich kann dir anbieten: Sekt, Weißwein, Rotwein, Bier, Whisky, Gin und Cognac.«

»Okay, bitte genau in dieser Reihenfolge.«

Beide müssen lachen. Ich verstehe zwar nicht, was daran lustig sein soll, bin aber erleichtert, dass Carolin überhaupt noch lachen kann. Daniel nimmt zwei Gläser, öffnet eine der kleinen Flaschen, gießt ein und setzt sich neben Carolin.

»Du glaubst also nicht, dass das ein älteres Geschenk ist? Die Widmung hat immerhin kein Datum.«

»Nein. Sie hat das Buch Luisa erst heute mitgegeben. Und sie hat Marc getroffen. Erst vor ein oder zwei Wochen. Und er hat mir nichts davon erzählt.«

»Aber kann das nicht noch etwas anderes bedeuten? Ich meine hast du darüber nachgedacht – vielleicht meint das irgendetwas mit dem Kind oder so. Das heißt doch möglicherweise gar nicht das, was du denkst.«

Carolin nimmt einen tiefen Schluck aus ihrem Glas. »Ja, und den Weihnachtsmann gibt’s bestimmt auch. Mensch, Daniel: Die zweite Chance – darüber soll er nachdenken. Das liegt doch auf der Hand. Sie haben darüber gesprochen, es wieder miteinander zu versuchen.« Noch ein Schluck, dann schluchzt Caro. Daniel legt den Arm um ihre Schulter.

»Caro, das kann ich mir nicht vorstellen. Das muss ein Missverständnis sein.«

Daniel, du hast ja so Recht! Mir wird in diesem Moment klar, was es mit dem Buch und der Widmung wirklich auf sich hat. Ich erinnere mich an das Treffen von Marc und Sabine im Violetta. Stimmt, sie hatte damals schon von dem Buch erzählt. Und dann hat sie sich entschuldigt. Wofür eigentlich? Das weiß ich nicht mehr genau. Auf alle Fälle wollte Marc darüber nachdenken, ob er die Entschuldigung annimmt. Und nicht etwa die ganze Sabine. Genau so war es. Aber wie mache ich das Carolin klar? Die scheint nun tatsächlich zu glauben, dass Marc sie verlassen will.

Mittlerweile hat Daniel schon die zweite kleine Flasche geöffnet, dazu eine kleine Dose, die er jetzt auf den Sofatisch vor sich stellt. Ich hebe meine Nase auf Tischkantenhöhe. Hm, Erdnüsse, also nichts für mich. Schade, ich bekomme langsam ein wenig Hunger.

»Weißt du, er war in letzter Zeit auch irgendwie komisch. So angespannt und gereizt. Ich habe allerdings gedacht, dass er Ärger mit Sabine hat, nicht, dass sich bei den beiden wieder etwas anbahnt.« Sie schluchzt, Daniel reicht ihr ein Taschentuch, in das sie sich geräuschvoll schnäuzt.

»Aber das weißt du doch gar nicht. Ich finde, du solltest erst mal mit Marc sprechen, bevor du gleich vom Schlimmsten ausgehst.«

Carolin schüttelt den Kopf. »Nein. Ich kenne dieses Gefühl. Damals bei Thomas war es genauso. Und dabei liebe ich Marc doch so. Wie kann er mir das antun?« Sie schluchzt lauter, Daniel streicht ihr über das Haar.

Was gäbe ich in diesem Moment darum, sprechen zu können! Ich weiß schließlich ganz genau, dass Marc kein Betrüger wie Thomas ist. Gut, vielleicht ist er ein nicht ganz so netter Kerl wie Daniel, aber der war ja auch zu nett für Carolin. Unruhig laufe ich hin und her – was soll ich bloß tun?

»Muss Herkules mal raus?«, erkundigt sich Daniel.

»Nee, ich bin ja gerade erst mit ihm hierhergelaufen. Wahrscheinlich spürt er, wie schlecht es mir geht. Nicht wahr, Herkules? Du merkst, dass Frauchen traurig ist.«

Ich setze mich neben Caros Füße, sie hebt mich hoch auf ihren Schoß und vergräbt ihr Gesicht in meinem Fell.

»Mein Süßer, ich glaube, du bist der einzige Mann, auf den ich mich wirklich verlassen kann.«

»An dieser Stelle muss ich scharf protestieren!«

»Tut mir leid. Du hast Recht. Auf dich kann ich mich auch immer verlassen.« Sie kommt wieder nach oben, nimmt Daniels Hand und drückt sie.

Er guckt Caro nachdenklich an. »Ich kann allerdings nicht sagen, dass mich das als Mann bei dir weitergebracht hätte.«

Caro schluckt. »Ja. Vielleicht war das falsch von mir.«

Beide schweigen, die Stille fühlt sich fast unangenehm an. Dann steht Daniel auf, geht nochmal zu dem Schränkchen und nimmt eine der ganz kleinen Flaschen.

»Ich glaube, ich brauche jetzt etwas Härteres.«

»Warum?« Caro klingt erstaunt.

»Das weißt du doch.«

»Nein, wirklich nicht.«

»Na, wir sitzen hier, und ich tröste dich wegen Liebeskummer mit einem anderen Mann. Es gibt schönere Momente.«

»Aber du bist doch mein Freund!«

»Ja!« Daniel lacht, es klingt bitter. »Genau. Ich bin eben immer der nette Kumpel. Weißt du, ich habe gerade genau das gleiche Gefühl wie vor einem Jahr. Als ich dir gesagt habe, dass ich nach München gehe, weil ich Abstand brauche. Und nun ist es, als hätte es diesen Abstand nie gegeben. Ich hänge wieder genauso drin wie vorher.«

Caro reißt die Augen auf. »Aber … aber … ich dachte, du wärst mit Aurora glücklich. Ich meine, ihr seid doch ein Paar.«

»Ja. Sind wir. Mal mehr, mal weniger. Trotzdem ist es für mich immer noch schwer mit dir. Merke ich gerade. Hätte ich auch nicht gedacht. Tja, und deswegen trinke ich jetzt mal einen schönen Whiskey.«

»Sind da zwei in der Bar? Dann gib mir auch einen!«

Daniel nickt und holt noch ein Fläschchen.

»Auf die Freundschaft. Und die Liebe.« Sie prosten sich zu. Daniel leert sein Glas in einem Zug, Caro macht es genauso, schüttelt sich danach aber.

»Puh, ganz schön scharf. Vielleicht sollte ich auf den Sekt umsteigen, das liegt mir doch mehr.«

»Oder mal ein Wasser zwischendurch?«

Caro kichert. »Quatsch. Das wirft uns doch Stunden zurück. «

»Hast Recht. Dann nehme ich den Cognac, und du kriegst den Sekt.«

Auf dem Hinweg zum Schränkchen stellt Daniel noch das Radio an. Langsam geht es hier zu wie in einer Bar, und ich überlege, ob mir diese Entwicklung gefällt.

Irgendwann ist das Schränkchen leer. Dafür stehen alle Flaschen und Fläschchen, die es zuvor enthielt, schön ordentlich in Reih und Glied auf dem Tisch vor dem Sofa. Und es ist eine ziemlich lange Reihe – erstaunlich, was so alles in diesen kleinen Schrank reingepasst hat. Caro sitzt nicht mehr auf dem Sofa, sondern liegt, und Daniel krault ihren Kopf, denn der wiederum liegt praktischerweise auf seinem Schoß. Gesagt haben die beiden schon eine ganze Zeitlang nichts mehr, sie gucken sich einfach nur in die Augen.

Auweia. So schön friedlich dieses Bild auch ist – ich kann mich daran nicht erfreuen. Denn Caro ist doch Marcs Frau, nicht Daniels. Und auch, wenn sie von Marc nun das Schlechteste denkt – ich weiß ja, dass es nicht stimmt. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass wiederum Marc nicht begeistert wäre, wenn er Caro und Daniel so sähe. Das wäre vielleicht sogar das Ende unserer kleinen Familie, oder? Immerhin hat Caro damals mit Thomas kurzen Prozess gemacht, als sie ihm auf die Schliche mit der anderen Frau gekommen ist. Oh, oh, oh, diese Menschen! Die treiben mich irgendwann noch in den Wahnsinn! Dabei will ich doch einfach nur friedlich mit ihnen zusammenleben.

Jetzt sagt Caro doch etwas. »Weißt du, ich bin schon ganz schön müde. Und ganz schön betrunken. Kann ich vielleicht bei dir übernachten? Ich will heute nicht nach Hause.«

»Wenn du möchtest, gerne. In meinem Schlafzimmer steht ein sehr komfortables Doppelbett. Da passt du locker mit rein.«

»Danke, das klingt geradezu verführerisch.« Carolin kichert.

Mir hingegen stellen sich die Nackenhaare auf. Ins Bett? Gemeinsam? Das verheißt nichts Gutes – jedenfalls nicht, wenn man wie ich der Meinung ist, dass Carolin und Marc sehr gut zusammenpassen und deswegen bitteschön ein Paar bleiben sollen. Denn nach meiner Kenntnis nutzen Männer und Frauen das Bett auch gerne für andere Dinge als den reinen Nachtschlaf. Kein Dackel käme zwar auf die Idee, mit der Dame seines Herzens im Hundekörbchen … aber lassen wir das. Fakt ist: Hier ist Gefahr im Verzug, und ich muss einschreiten.

Als Daniel und Caro Richtung Schlafzimmer wanken – und wanken ist hier wörtlich zu nehmen, denn die vielen sehr kleinen und etwas größeren Fläschchen scheinen ihre Wirkung zu tun – trabe ich sofort hinterher. Das Gute daran ist, dass die beiden so mit ihrer Koordination beschäftigt sind, dass sie mich überhaupt nicht beachten. Ich gelange also problemlos ins Schlafzimmer. Caro wirft sich aufs Bett, Daniel legt sich dazu. Ich überlege kurz – dann springe ich hinterher und platziere mich möglichst unauffällig am Fußende. Von hier aus kann ich alles gut beobachten und notfalls sofort eingreifen. Und ich werde nicht zögern, es zu tun!

Während ich noch überlege, ob mich ein beherzter Biss in empfindliche Teile von Daniel wohl die Freundschaft zu ihm kosten würde, deutet ein Geräusch direkt über mir darauf hin, dass zumindest Carolin heute Nacht keine wilden Dinge mehr plant: Sie schnarcht, und zwar ziemlich laut. Daniel dreht sich zu ihr – will er sie etwa wecken? Untersteh dich! Ich schiebe mich ein Stück höher und knurre ihn ganz unmissverständlich an. Hände weg von meiner Carolin!

»He, Herkules – willst du dein Frauchen beschützen? Brav! Ist aber nicht nötig. Bei mir ist sie sicher wie in Abrahams Schoß. Ich weiß ja, dass ihr alles andere als ein friedliches Nickerchen in meinem Bett morgen leidtun würde. Also, Kumpel, keine Sorge. Ich gebe dir mein Wort als Gentleman. « Er streichelt mir kurz über den Kopf.

Na gut. Ich habe zwar keine Ahnung, wer nun wieder dieser Abraham ist. Aber Daniels Wort vertraue ich. Und mit diesem sicheren Gefühl schlafe auch ich beruhigt ein.



»Weißt du noch, was du beim Umzug zu mir gesagt hast?«

Beck schüttelt den Kopf.

»Nein, was denn?«

»Dass es deiner Erfahrung nach kein Happy End bei Menschen gibt.«

»Echt? Das habe ich gesagt?«

»Ja, hast du. Und langsam glaube ich, du hattest Recht.«

Meine Laune könnte heute kaum schlechter sein. Erstens habe ich nicht besonders gut geschlafen, weil ich trotz aller Beteuerungen von Daniel zwischendurch immer wieder kontrolliert habe, ob jeder von den beiden auch noch brav auf seiner Seite des Betts lag. Zweitens zerbreche ich mir den Kopf darüber, wie man das Missverständnis zwischen Marc und Caro aus der Welt schaffen könnte – doch leider fällt mir nichts ein. Drittens – und das ist nun wirklich eine Katastrophe – habe ich heute Morgen im Garten gleich als Erstes nach der versteckten Tasche geschaut. Weg! Spurlos verschwunden! Unser schöner Plan komplett zunichte! Der Schmerz in meinem eigenen kleinen Herzen erinnert mich daran, dass ich auch auf ein Happy End für mich persönlich gehofft hatte. Beck starrt mich an.

»Kein Happy End? Ach, ich weiß nicht. Vielleicht lag ich damit auch falsch.«

Bitte? Endlich will ich den Grundpessimismus von Herrn Beck mal gebührend würdigen, da ändert der seine Meinung? Offenbar sehe ich sehr erstaunt aus, denn Herr Beck setzt zu einer Erklärung an.

»Ja, möglicherweise wird manchmal doch alles gut. Nehmen wir zum Beispiel Nina: Zum einen hat sie jetzt einen total netten und zuverlässigen Mitbewohner – nämlich mich. Und zum anderen scheint sie frisch verliebt zu sein. Und das, obwohl sie den Typen neulich noch unangespitzt in den Boden rammen wollte. Tja – und heute früh kommt sie bestens gelaunt und fröhlich pfeifend in unsere Wohnung spaziert. Mit dem Herrn Nachbarn an der Hand. Die beiden haben zusammen gefrühstückt, was gar nicht so einfach war, weil sie sich zwischendurch immer küssen mussten. Und dann ist sie mit ihm wieder abgedüst. So schnell kann’s also gehen mit dem Glück.«

Ich bin beeindruckt. Aber nur kurz. Dann fallen mir alle Sachen wieder ein, die bei mir für extremes Kopfzerbrechen sorgen.

»Trotzdem. Ich fürchte, dein Verdacht war richtig. Bei Marc und Carolin sieht es eher so aus, als würde dort alles mächtig schiefgehen. Wegen eines ganz blöden Missverständnisses.«

Ich schildere Herrn Beck haarklein die ganze Geschichte von Caro, Marc und Sabine und zwar inklusive des Treffens im Violetta und des verdächtigen Buches. Beck hört aufmerksam zu und schüttelt hin und wieder den Kopf.

»Und leider ist das mit dem fehlenden Happy End nicht auf Menschen beschränkt: Ich weiß immer noch nicht, ob ich jemals wenigstens ein Rendezvous mit Cherie haben werde. Denn irgendjemand hat die blöde Tasche aus dem Blumenbeet geklaut.«

»Ja, das habe ich auch schon gesehen. Ärgerlich, aber kein Drama.«

»Kein Drama? Mit unserem tollen Plan ist es jetzt Essig! Die ganze Mühe umsonst. Ach, es ist einfach alles aussichtslos. « Frustriert lasse ich mich neben Beck ins Gras fallen. Wenigstens fühlt sich das gut an, denn es ist warm und weich.

»Herkules, das ist ein klarer Fall von Katzenjammer, den du da gerade hast.«

»Katzenjammer? Was ist denn das? Klingt wie etwas, das Hunde gar nicht bekommen können.«

Herr Beck schüttelt den Kopf. »Nee. Den kann jeder kriegen, der eigentlich besonders gut gelaunt ist. Damit hängt der nämlich zusammen. Mit der guten Laune, oder besser gesagt: mit zu guter Laune. Also, wenn sich jemand ganz doll freut und dann plötzlich merkt, dass doch nicht alles so rund läuft, wie er dachte, dann ist er natürlich besonders enttäuscht. Und diese Enttäuschung nennt man Katzenjammer. Was eigentlich eine Frechheit ist, weil gerade wir Katzen doch viel zu schlau sind, um so übertrieben euphorisch zu sein. Es müsste vielleicht eher Hundeunglück heißen.«

Na, vielen Dank. Wenn mir noch etwas gefehlt hat, dann Becks Schlaumeierei. Ich rapple mich wieder auf und laufe in Richtung Terrassentür zur Werkstatt. Anstatt mich weiter verspotten zu lassen, gucke ich mal, ob es nicht wenigstens etwas zu fressen für mich gibt. Immerhin ist die Mittagszeit schon fast vorbei.

»He, warte doch!«, ruft mir Beck hinterher. »Das war nicht so gemeint! Entschuldige!«

Pah. Der kann mich mal. Bevor ich jedoch die Treppen zur Werkstatt hinunterspringen kann, kommt Herr Beck im gestreckten Galopp angeprescht und direkt neben mir zu stehen.

»Hallo, Herr von Eschersbach! Ich habe mich entschuldigt. Nun sein Se mal nicht nachtragend, sondern lassen Sie uns lieber überlegen, wie wir Sie aus diesem Stimmungstief wieder nach oben kriegen.«

Ich setze mich.

»Na gut. Was schlägst du vor?«

»Mal sehen. Die Sache mit der Tasche, um die kümmere ich mich. Es war meine Idee, also bringe ich das auch zu Ende. Wirst schon sehen.«

»Aber wie willst du das denn machen? Ohne die Tasche geht’s doch gar nicht. Wir hätten sie einfach besser verstecken müssen – sie draußen liegen zu lassen war echt hirnrissig.«

»Mag sein, aber Selbstvorwürfe bringen uns nun auch nicht weiter. Und Aufgeben kommt nicht in Frage. Mir wird schon etwas einfallen. Mir fällt immer etwas ein.«

Ich seufze. Der Kater scheint wild entschlossen.

»Und mit Marc und Carolin?«

»Auch da würde ich sagen: nur die Ruhe. Denn sein wir mal ehrlich: Wenn Carolin mittlerweile so wenig Vertrauen zu Marc hat, dass sie ernsthaft glaubt, er würde hinter ihrem Rücken wieder was mit seiner Exfrau anfangen, dann kannst du auch nichts dran machen. Wenn sie ihn wirklich liebt, muss sie sich ein Herz fassen und mit ihm sprechen. Dir empfehle ich, dich da rauszuhalten. Das ist eindeutig Menschenkram.«

Wahrscheinlich hat Beck Recht. Ich sollte mich da raushalten. Das wird mir allerdings verdammt schwerfallen. Vielleicht haben wir auch Glück, und alles regelt sich von selbst? Ich beschließe vorzufühlen, ob die Stimmung in der Werkstatt vielleicht schon ein bisschen besser ist. Eben war Caro verdammt schweigsam, hoffentlich ist sie mittlerweile munterer.

Nein. Sie steht immer noch an ihrer Werkbank, scheinbar konzentriert auf ihre Arbeit. Daniel lehnt neben ihr an der Wand und mustert sie nachdenklich.

»Willst du ihn denn nicht wenigstens mal zurückrufen?«

»Nein.«

»Er hat schon dreimal angerufen. Beim vierten Mal verleugne ich dich nicht mehr.«

Schweigen. Daniel zieht sich seine Jacke an. »Ich fahre jetzt noch mal zu Lemke und komme heute nicht mehr rein. Und ich glaube, du machst einen Fehler. Marc weiß doch gar nicht, was eigentlich los ist.« Dann schnappt er sich die Schlüssel, die auf seiner Werkbank liegen, und geht los.

Als die Tür ins Schloss fällt, nimmt sich Caro das Telefon und tippt eine Nummer ein.

»Hallo, Nina. Bist du an der Uni? Und noch mit deinem Experiment beschäftigt? Ach so … na, ich dachte, wir könnten vielleicht einen Kaffee zusammen trinken.« Nina scheint etwas länger auszuholen, jedenfalls sagt Caro eine ganze Weile gar nichts. »Aha. Na gut, dann komme ich später auf ein Glas Wein vorbei … nee, muss ich dir persönlich erzählen. Bis dann.« Klick.

Sie hat aufgelegt. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, geht Caro in die kleine Küche und holt sich ein Glas Wasser. Aus ihrer Handtasche kramt sie ein kleines Pappschächtelchen, holt zwei kleine weiße Bonbons daraus hervor und schluckt diese. Dann stapft sie wieder zu ihrer Werkbank zurück.

Wenn Carolin in dieser Stimmung ist, mag ich sie gar nicht. Gut, so grimmig wie heute ist sie selten, und es ist überdeutlich, dass es ihr nicht gut geht. Aber ist das ein Grund, seinen treuen vierbeinigen Freund zu ignorieren? Ich laufe hinter ihr her, springe dann auf den Korbsessel neben ihrer Werkbank und belle einmal laut und kräftig. Hallo, Caro! Nun guck mich doch wenigstens mal an! Endlich dreht sie sich zu mir um.

»Mann, Herkules! Jetzt nerv du nicht auch noch!«

Bitte? So eine Unverschämtheit! Ich, der immer nur ihr Bestes im Sinn hat. Undank ist der Welten Lohn. Ach, Quatsch: Undank ist der Menschen, insbesondere der Frauen Lohn. Beleidigt igle ich mich im Kissen des Sessels ein und starre böse zu Caro hinüber. Aber sie beachtet mich schon nicht mehr, sondern blättert wieder in dem unseligen Buch von Sabine. Von wegen du bist der einzige Mann, auf den ich mich wirklich verlassen kann. Wenn du alle anderen Männer auch so behandelst wie mich, dann bist du bald verlassen. Du wirst schon sehen, was du davon hast.

Genau – das ist überhaupt die Idee! Verlassen! Warum bin ich nicht schon eher darauf gekommen? Ich werde sie verlassen. Ich haue ab! Und zwar noch heute. Vielleicht kommt Caro dann wieder zur Besinnung. Ha, ein Spitzenplan! Wenn sie nachher mit Nina ein Glas Wein trinkt, mache ich mich davon. Ich weiß auch schon genau, wohin ich flüchten werde. Zu einem Leidensgenossen. Und ich bringe ihm etwas mit. Etwas, das ihm gehört.

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