VIERZEHN




Herkules, das ist der Lauf der Dinge. Hunde sterben, Menschen sterben. Ja, sogar Katzen treten irgendwann ab.«

Falls Herr Beck versucht, mich mit diesen halbgaren Überlegungen zur Vergänglichkeit alles Irdischen zu trösten: So klappt das nicht! Wir liegen unter Ninas Tisch im Wohnzimmer, hier hat mich Caro geparkt, weil sie auf einen Termin musste. Auch so ein Ding. Mir geht es schlecht, und sie schiebt mich einfach ab. Heute ist ein furchtbarer Tag. Draußen regnet es schon wieder in Strömen, und hier drinnen ist mir zum Heulen zumute.

»Aber warum hat mir das niemand erzählt?«

Herr Beck starrt mich an. »Ja, um Gottes willen, wer hätte dir das denn erzählen sollen?«

»Na, Marc zum Beispiel. Der wusste es bestimmt. Er ist schließlich Tierarzt auf dem Schloss!«

»Herkules, ich sage es dir wirklich nur ungern, aber: Du bist nur ein Hund. Kein Mensch käme jemals auf die Idee, dass diese Information für dich wichtig sein könnte.«

»Bitte? Es war immerhin mein Opili!«

»Richtig. Aber für Marc war Opili garantiert nur ein alter Dackel. Und damit hat er aus Menschensicht auch nicht ganz Unrecht.«

Ich lege meinen Kopf auf die Schnauze und schweige. Bin ich vielleicht beleidigt? Nein. Ich bin traurig. Und gekränkt. Ich lebe offensichtlich mit Leuten zusammen, die sich nicht im Geringsten um mein Gefühlsleben scheren. Eine erschreckende Erkenntnis. Wieso bloß mache ich mir dann umgekehrt so viele Gedanken um sie? Um ihre Krisen, Sorgen und Nöte? Das lasse ich demnächst doch einfach. Jeder ist sich selbst der Nächste. Schon wahr. Und nicht nur der nächste Mensch. In Zukunft gilt das auch für Dackel.

Herr Beck holt tief Luft. »Sieh es doch mal so: Dein Opili war wahrscheinlich schon ganz schön alt. Möglicherweise auch krank, das geht ja oft Hand in Hand. Und vielleicht hatte er am Ende auch gar keine Lust mehr auf sein Hundeleben. Könnte doch sein.«

Ich schüttele entschieden den Kopf.

»Man merkt, dass du Opili nicht kennst. Er war total fit. Ein Klassehund. Immer gut drauf und voller Ideen. Lustlos? Das Wort gab es für ihn gar nicht.«

»Mein lieber Herkules, abgesehen davon, dass niemand immer gut drauf ist, und sei er noch so jung, muss ich dir leider sagen, dass das Älterwerden nicht immer das reine Vergnügen ist. Ich merke es doch an mir selbst. Was war ich früher für ein tollkühner Kater. Und heute? Liege ich gerne mal den ganzen Tag bei Nina auf dem Fensterbrett und lausche andächtig, wenn sie wieder ein paar arme Verwirrte vor dem Wahnsinn rettet. Herkules, glaube mir, das ist nix, wenn man alt wird. Du wirst es schon noch sehen.«

Jetzt bin ich ernsthaft besorgt. Will mir Herr Beck damit etwa sagen, dass er keine Lust mehr hat, mit mir durch die Welt zu streifen? Opili ist die eine Sache – aber wenn Beck nun auch schwächeln sollte … Der ist doch noch gar nicht so alt, oder? Was würde ich bloß ohne ihn machen?

»Geht es dir nicht gut?«, will ich von Herrn Beck wissen.

»Doch, es geht mir gut. Aber ich bin nicht mehr der Jüngste. Ich renne nicht mehr jeder dummen Maus hinterher. Das ist mir viel zu anstrengend geworden. Und ich brauche mehr Ruhe als früher, mehr Erholung. Gestern war es zum Beispiel so laut in der Wohnung über uns, dass ich tagsüber nicht richtig schlafen konnte. Das merke ich heute. Ich bin ziemlich schlapp.«

»Also geht es dir schlecht?«

»Nein. Wie ich schon sagte: Ich bin nur schlapp.«

Da kommt mir eine Idee. »Aber du würdest mir Bescheid sagen, wenn es dir mal nicht so gut geht, oder?«

Beck guckt erstaunt. »Warum?«

»Na ja, ich dachte, wo ich doch gewissermaßen an der Quelle sitze …«

»An welcher Quelle? Vertickst du illegale Dopingmittel für Katzen?«

»Was?« Wovon redet der Kater?

»Ach, nur ein Scherz. Nein, ich frage mich nur, wie du mir helfen könntest, falls es mir mal schlecht gehen sollte.«

»Du sagst mir Bescheid, und ich informiere Marc. Und der hilft dir dann. Also, bevor die unsensible Nina etwas merkt, nehmen wir die Sache doch lieber selbst in die Hand.«

»He! Nina ist nicht unsensibel! Sie ist eine tolle Frau.«

»Das sind ja ganz neue Töne! Ich dachte immer, du …« Weiter komme ich nicht, denn in diesem Moment übertönt ein ohrenbetäubendes Hämmern alle weiteren Geräusche. Beck rollt sich auf den Rücken und stöhnt.

»O nein! Jetzt geht das schon wieder los. Ich werde noch verrückt.«

»Was ist denn das? Über euch wohnt doch niemand mehr«, wundere ich mich.

»Die Wohnung bleibt aber nicht leer, Herkules. Da ziehen natürlich neue Menschen ein. Und die haben offenbar vor, dort keinen Stein auf dem anderen zu lassen. Schrecklich!«

Das findet offenbar auch Nina, die in diesem Moment mit den Worten Jetzt reicht es mir! an der offenen Wohnzimmertür vorbeischießt und zur Wohnungstür rennt. Irgendetwas sagt mir, dass wir gleich Zeugen einer handfesten menschlichen Auseinandersetzung werden. Ich krieche unter dem Tisch hervor.

»Mann, wo willst du denn hin, Kumpel?« Herr Beck kann sich offenbar nicht aufraffen, seinem Frauchen zu folgen.

»Na, vielleicht braucht Nina Hilfe? Wenn du Recht hast und die Menschen über euch wirklich keinen Stein auf dem anderen lassen, dann sind sie möglicherweise gewaltbereit. Da ist es immer gut, einen Jagdhund an seiner Seite zu haben. Mit schlappen Katern ist das allerdings so eine Sache. Du bleibst mal besser unter dem Tisch liegen, um dich kann ich mich in so einer Krisensituation nicht auch noch kümmern.«

Herr Beck macht ein Geräusch, das wie PPFFF klingt, und taucht kurz darauf neben mir auf. Gemeinsam laufen wir in den Hausflur. Nina steht schon oben vor der Tür und klingelt Sturm. Als wir nach den letzten Treppenstufen um die Ecke biegen, kommen wir gerade im richtigen Moment: Die Türe öffnet sich, dahinter steht ein junger Mann mit wild in alle Richtungen abstehenden hellen Haaren. Ehe er es sich noch versieht, schreit ihn Nina auch schon an.

»Was fällt Ihnen eigentlich ein, hier stundenlang das ganze Haus zu tyrannisieren? Ich habe Patienten – soll ich jetzt meine Praxis wegen Ihnen dichtmachen?«

Der junge Mann tritt einen Schritt zurück und mustert Nina interessiert von oben bis unten. Dann lächelt er. »Nun mal halblang, Frau Nachbarin. Wir haben kurz nach 15 Uhr. Wenn ich die Hausordnung richtig interpretiere, ist das eine ausgezeichnete Zeit für Renovierungsarbeiten. Und die sind in der Wohnung leider dringend nötig. Also – wenn nicht jetzt, wann dann?«

»Von mir aus gar nicht! Wieso können Sie nicht still und leise die Wände streichen, so wie alle anderen Menschen auch? Warum haben Sie die Wohnung überhaupt angemietet, wenn Sie nun anscheinend jede einzelne Wand rausreißen oder versetzen?«

Nina funkelt den Mann böse an, der grinst ziemlich breit.

»Wissen Sie, ich bin Ästhet. Da kann ich mich mit simplem Wändestreichen leider nicht zufriedengeben. Das werden Sie sicher verstehen – Sie scheinen doch auch Wert auf Äußeres zu legen. Hübsches Kleid übrigens.«

Der Typ grinst – sofern das überhaupt möglich ist – noch breiter, Nina schnaubt förmlich.

»Sie … Sie … unverschämter Kerl! Ich werde mich bei der Hausverwaltung über Sie beschweren! Sie hören noch von mir!« Dann macht Nina auf dem Absatz kehrt und stürmt nach unten. Beck und ich bleiben verdutzt sitzen. Der Mann schaut uns an.

»Oh, seid ihr Teil der Abordnung? Eins muss man ihr lassen, euer Frauchen hat Temperament.« Er nickt. Etwa anerkennend? Dann schließt er die Tür. Beck und ich schauen uns einigermaßen ratlos an.

»Also, mein Lieber – wo war denn jetzt dein Einsatz als schützender Jagdhund? Davon habe ich nicht viel gesehen.«

»Dafür ging das alles viel zu schnell. Wenn er sie angefasst hätte, dann hätte ich natürlich eingegriffen. Aber stattdessen hat er ihr doch ein nettes Kompliment gemacht. Ich verstehe gar nicht, warum Nina sich so darüber aufgeregt hat.«

»Welches nette Kompliment? Habe ich da etwas verpasst? Bin ich nicht nur alt, sondern auch taub?« Herr Beck legt den Kopf schief.

»Na, das mit dem Kleid. Er sagte doch, dass Ninas Kleid hübsch sei.«

»Mann, Herkules – das war doch kein Kompliment! Damit wollte er sie ärgern! Und das hat ja auch einwandfrei funktioniert.«

»Bitte? Wie kann ein Mann denn eine Frau damit ärgern, dass er ihr sagt, dass ihr Kleid hübsch ist? Darüber freuen sich Frauen doch. Das macht gar keinen Sinn.«

»Macht es doch. Denn damit sagt er ihr, dass er sie nicht ernst nimmt.«

»Quatsch. Damit sagt er ihr, dass sie ein hübsches Kleid trägt.« Ob Herr Beck Recht hat mit dem Älterwerden? Er ist ganz offensichtlich schon völlig verwirrt. Tüdelig, wie der alte von Eschersbach sagen würde.

»Hach, Herkules, du bist echt kein Frauenkenner. Hoffentlich gehst du bei deiner Cherie etwas geschickter vor, sonst wird das nie was. Also: Normalerweise ist das mit dem Kleid ein Kompliment. Da hast du schon Recht. Aber in diesem Fall war die Lage eine andere: Sie hat sich über ihn geärgert und ihn scharf kritisiert. Das hast du noch mitbekommen, oder?«

Ich nicke. Es war schließlich nicht zu überhören.

»So. Jetzt lenkt er nicht etwa ein, sondern sagt ihr, dass sie Unsinn redet. Und das ihr Kleid hübsch ist.«

»Hä?«

»Na, das bedeutet, dass er sie nicht ernst nimmt. Er sagt damit eigentlich: Du hast keine Ahnung, Schnecke, beschränk dich mal aufs Hübschsein. Für eine schlaue Frau wie Nina eine tödliche Beleidigung.«

Mir schwirren die Dackelohren. »Das sagt er ihr damit?«

»Jepp. Das ist der sogenannte Subtext.«

»Aha.« Ich hoffe ganz stark, dass es so etwas wie Subtext in der Kommunikation zwischen Hündin und Rüde nicht gibt. Sonst bin ich geliefert. Aber so was von.

Schweigend trotten wir nebeneinander die Stufen zu Ninas Wohnung wieder hinunter. Sie hat die Tür einen Spalt offen stehen lassen, also können wir problemlos hineinhuschen. Immer noch schweigend legen wir uns wieder unter den Wohnzimmertisch. Hoffentlich kommt Carolin bald wieder, hier drinnen ist die schlechte Stimmung gerade mit Pfoten zu greifen. Immerhin ist es nun ruhiger, vielleicht hat sich der neue Nachbar Ninas Worte doch zu Herzen genommen, auch wenn er unverschämterweise ihr Kleid schön fand.

Kurze Zeit später klingelt es an Ninas Wohnungstür. Endlich, mein Flehen wurde erhört! Das ist bestimmt Carolin, die von ihrem Treffen kommt und mich abholt. Ich sause schnell zur Tür, nichts wie raus hier.

Aber als Nina, die hinter mir hergekommen ist, die Tür öffnet, steht dort: niemand. Stattdessen liegt ein kleines Päckchen mit einem gelben Zettel darauf auf der Fußmatte. Nina bückt sich und hebt es hoch. Sie liest den Zettel, reißt dann das Päckchen auf, um nachzuschauen, was es enthält. Ich bin natürlich auch neugierig, was ihr da wohl vor die Tür gelegt worden ist, kann es aber von hier unten nicht genau erkennen. Es scheinen kleine Kügelchen in einer durchsichtigen Box zu sein. Seltsam, so etwas habe ich noch nie gesehen. Nina dreht die Box hin und her, murmelt eine Unverschämtheit und schließt die Tür wieder.

Ich trabe zurück zu Beck, der immer noch unter dem Wohnzimmertisch liegt.

»Was war denn los?«, erkundigt er sich.

»Irgendjemand hat etwas auf Ninas Fußmatte gelegt. Aber falls es ein Geschenk sein sollte, hat es ihr nicht gefallen.«

Es klingelt nochmal an der Tür, und ich sause zurück in den Flur.

»Also jetzt habe ich die Schnauze aber wirklich voll! Was fällt dem Typen eigentlich ein?« Nina stürzt aus ihrem Büro in Richtung Tür und reißt sie auf. »Sie können sich Ihre Ohrstöpsel gleich sonst wohin … oh, hallo, Carolin! Komm doch rein.«

Tatsächlich. Vor der Tür steht endlich Carolin und schaut sehr erstaunt.

»Grüß dich, Nina. Ist alles in Ordnung bei dir? Ich wollte nur Herkules abholen.«

»Klar, natürlich. Ich dachte nur, du seist mein neuer Obermieter. «

»Und den begrüßt du derart herzlich? Die Geschichte musst du mir mal genauer erzählen.«

»Sehr gerne. Und noch lieber bei einem Kaffee. Ich kann mich heute sowieso nicht mehr konzentrieren und muss mal raus. Also – wenn du nichts dagegen hast, würde ich mit dir mal eben das nächste Café ansteuern.«

»Ja, warum nicht? Lass uns doch ins Violetta gehen, dann kann sich Herkules auf dem Hinweg im Park noch ein bisschen seine krummen Beinchen vertreten.«

Krumme Beinchen? Da frage ich mich: Wenn Komplimente im Subtext manchmal böse gemeint sind, sind Boshaftigkeiten dann in Wirklichkeit ein Liebesbeweis?



Das Herumsitzen im Café gehört eindeutig zur Lieblingsbeschäftigung von Frauen. Jedenfalls von den beiden Frauen, die ich kenne: Carolin und Nina. Interessanterweise bestellen sie sich aber meist nicht das gleichnamige Getränk. Sondern meist viel lieber einen sogenannten Prosecco. Der kommt zwar in einem etwas anderen Glas daher als der Rotwein, den Marc so gerne mit Carolin trinkt, aber er riecht ähnlich und hat auch eine ähnliche Wirkung auf Menschen. Erst reden sie ein bisschen schneller als sonst und lachen häufiger, dann reden sie viel langsamer und dafür lauter. Offenbar schlagen diese beiden Getränke auf die Ohren. Leider nicht auf meine, die sind ganz ausgezeichnet, und für meinen Geschmack wäre es sowieso schön, wenn Menschen insgesamt ein bisschen leiser veranlagt wären.

Lautstärke ist auch das Thema, das Nina nun gerade mit Carolin vertieft. Natürlich bei einem Glas Prosecco. Den brauche sie jetzt für ihre Nerven, hat Nina angemerkt und gleich mal zwei davon bei der Bedienung geordert. War also wieder nichts mit dem Kaffee. Ich habe es mir vor Carolins Füßen bequem gemacht und höre zu, wie Nina von der unerfreulichen Begegnung mit dem neuen Nachbarn berichtet.

»Ich meine – den ganzen Tag hämmert der da in der Bude rum. Das ist doch nicht normal! Ich hatte heute Vormittag zwei Patienten, die hätte ich fast wieder nach Hause geschickt, weil es wirklich ein ohrenbetäubender Lärm war. Gestern auch schon! Und das ohne jede Vorankündigung durch die Hausverwaltung, so dass ich mich hätte darauf einstellen können. Nichts von alledem. Eine Frechheit! Als es dann heute Nachmittag wieder losging, bin ich hoch und habe mal zart nachgefragt, wie lange das denn noch so gehen soll.«

Unter zart nachgefragt stelle ich mir aber etwas anderes vor. Nach meinem Eindruck war Nina schon ganz schön auf Zinne. Vielleicht wäre das Gespräch auch insgesamt besser verlaufen, wenn Nina den Mann nicht gleich so angefahren hätte. Oder ist der Subtext – was für ein tolles neues Wort! – von Anschreien he, ich finde dich nett?

»Und was hat er dazu gesagt?«

»Im Wesentlichen, dass ich mich mal nicht so anstellen soll und er sich schließlich an die Ruhezeiten der Hausordnung hält. Und dass er ja irgendwann renovieren müsse.«

»Hm, klingt aber ehrlich gesagt, als sei es nicht ganz von der Hand zu weisen«, gibt Carolin zu bedenken.

»Das war nun wieder klar, dass man dich mit dieser Hausordnungsnummer sofort kriegt. Du bist eben viel zu defensiv. Ich meine – hallo? Ich verdiene in der Wohnung mein Geld. Ich brauche Ruhe. Der soll sich gefälligst ein paar vernünftige Handwerker nehmen – dann ist die Renovierung ruckzuck fertig, und ich gehe solange ins Hotel. Auf seine Rechnung.«

»Äh, ja. Und was war das mit den Ohrstöpseln?«

»Ohrstöpsel?« Nina guckt verständnislos.

»Du sagtest, ich solle mir meine Ohrstöpsel sonst wohin … Ich meine, als du mir die Tür geöffnet hast.«

»Stimmt. Ich war nach meiner Beschwerde gerade wieder in der Wohnung angekommen, als es an der Tür geklingelt hat. Na, dachte ich mir, da ist wohl jemand zur Vernunft gekommen und will sich entschuldigen. Stand aber niemand vor der Tür. Stattdessen lag ein Päckchen mit einem Post-it davor. Hier.« Sie kramt in ihrer Handtasche und drückt Caro die kleine Box mit dem gelben Zettel in die Hand. Die fängt an zu lächeln und liest laut vor: »Mit den besten Grüßen an Ihre empfindlichen Ohren, Alexander Klein. Wie süß. Ohropax.«

»Süß?! Also ich bitte dich! Das ist nicht süß, das ist unverschämt. Der Typ will mich provozieren. Und dann so ein Bengel – bestimmt zehn Jahre jünger als ich! Süß? Von wegen!«

Caro schüttelt den Kopf.

»Echt, Nina, jetzt komm mal wieder runter. Oder trink schnell noch ein Glas Sekt. So schlimm ist das nun wirklich nicht. Die Renovierung wird ja nicht ewig dauern, und möglicherweise gewinnst du einen netten neuen Nachbarn. Aber nicht, wenn du ihn gleich so verschreckst. Mit dem hast du doch auch ansonsten gar nichts zu tun. Ich meine – sieh mich mal an. Ich treffe nun jeden Abend auf meine Quasi-Schwiegermutter und mache dazu noch ein freundliches Gesicht.«

»Tja, fragt sich nur, wie lange noch. Außerdem bist du auch kein Maßstab. Du bist eh zu gut für diese Welt.«

»Ich will eben mit ihr auskommen. Selbst wenn sie mich ab und zu nervt. Ist schließlich Marcs Mutter.«

»Sag ich doch: zu gut für diese Welt.«

»Wenn du meinst. Aber damit kannst du mich gar nicht aus der Ruhe bringen. Dafür bin ich heute viel zu gut gelaunt.«

Carolins Lächeln wird tatsächlich noch strahlender und überzieht nun ihr gesamtes Gesicht. Mehr Lächeln geht nicht. Das sieht einfach toll aus, ich liebe es, wenn sie so strahlt. Das können einfach nur ganz wenige Menschen: so von den Augen bis zum Mund durchgehend lächeln. Und meine Carolin gehört dazu.

»Dann lass mich mal an deiner Freude teilhaben«, fordert Nina sie auf, »vielleicht bessert sich meine Laune dann wieder. «

»Das kann sogar sein«, gibt Carolin ihr Recht. »Es hat nämlich mit jemandem zu tun, den du auch kennst und magst.«

»Schieß los – ich bin gespannt.«

»Mein Treffen eben. Rate mal, mit wem das war.«

Nina schüttelt den Kopf. »O nö! Nicht solche Spielchen! Nun sag schon!«

»Hast Recht. Kommste sowieso nicht drauf. Ich habe mich eben mit Daniel getroffen.«

Jetzt reißt Nina wirklich die Augen auf. »Echt? Mit Daniel? Seit wann ist der denn wieder in Hamburg? Das ist ja toll!«

»Aurora gibt morgen ein Konzert in der Laeiszhalle, und Daniel begleitet sie.«

»Also ist er immer noch mit dieser Schnepfe zusammen.«

Caro zieht die Augenbrauen hoch. »Aurora ist ganz nett.«

»Unsinn. Ist sie nicht. Du – ich wiederhole mich – bist einfach zu gut für …«

»Also«, unterbricht Caro sie, »willst du nun weiter rumstänkern oder lieber die Geschichte zu Ende hören?«

Nina rollt mit den Augen, sagt aber nichts mehr.

»Ich wusste von Auroras Konzert und habe Daniel angerufen und ihn gefragt, ob er mitkommt. Ich wollte nämlich etwas mit ihm besprechen.«

»Aha. Du hast erkannt, dass du nicht mit Marc zusammenpasst, und willst es doch noch mal mit Daniel versuchen, der selbstverständlich noch immer heimlich in dich verliebt ist? Sehr clever.« Nina kichert. Findet sie das wirklich lustig, oder ist das der Prosecco?

»Ach, Mann, Nina. Bleib doch mal ernst. Ich habe einen Großkunden, der mit einem noch viel größeren Auftrag winkt. Den kann ich aber nicht allein schaffen. Der Kunde wiederum kennt Daniel noch aus alten Zeiten, und ich habe ihm versprochen, mit Daniel zu besprechen, ob er Lust zu einer zeitlich begrenzten Kooperation mit mir hat. Hier in Hamburg. Also habe ich ihn gefragt, ob er sich vorstellen könnte, die nächsten zwei, drei Monate nach Hamburg zu kommen.«

»Und, konnte er?«

Sagte ich eben, mehr Lächeln geht nicht? Es geht doch. Carolin beweist es gerade, und im Violetta wird es mit einem Schlag heller, so sehr strahlt sie nun.

»Ja. Er hat gesagt, dass er sich über mein Angebot freut und es sehr gerne annimmt.«

»Na, da schau her.« Mehr sagt Nina nicht. Aber jetzt lächelt sie auch.

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