13. Kapitel Das Quäkerdorf

Jetzt eröffnet sich eine ruhige Szene. Eine große, geräumige, sauber gestrichene Küche mit gelbem, glänzendem und glattem Fußboden, auf dem kein Stäubchen liegt; ein schmucker, gutgeschwärzter Küchenherd; Reihen blinkender Töpfe, die dem Appetit herrliche Dinge verheißen; glänzend grüne Holzstühle, alt und fest; ein kleiner, strohgeflochtener Schaukelstuhl mit einem Kissen, aus lauter Wollresten in den verschiedensten Farben säuberlich zusammengesetzt, und ein ebensolcher, nur größer, mütterlicher und alt, dessen weite Lehnen einladend wirken, unterstützt von der freundlichen Aufforderung seiner Federkissen — ein richtiger, behaglicher, tröstlicher alter Stuhl, in dem es sich bequemer ausruhen läßt als in einem Dutzend feiner Plüsch–und Brokatgestelle, die eure Salons bevölkern. Und in diesem Stuhl, sich sanft auf und ab schaukelnd, eine feine Handarbeit im Schoß, saß unsere gute Freundin Eliza. Ja, sie war es, blasser und dünner geworden als in ihrem Heim in Kentucky, im Schatten ihrer langen Wimpern lagerte ein stiller Schmerz, der sich auch in den Umrissen ihres sanften Mundes abzeichnete. Es war deutlich zu sehen, wie in der Zucht des Schmerzes ihr mädchenhaftes Herz gewachsen und gefestigt war. Als sie jetzt die dunklen Augen aufschlug, um den lustigen Sprüngen des kleinen Harry zu folgen, der wie ein bunter Schmetterling über den Boden hüpfte, spiegelte sich darin eine ruhige und tiefe Entschlußkraft, die ihr in ihren früheren und glücklicheren Tagen völlig fremd gewesen war. Ihr zur Seite saß eine Frau mit einer blanken Zinnschüssel im Schoß, in der sie sorgfältig getrocknete Pfirsiche sortierte. Sie mochte fünfundfünfzig oder sechzig Jahre alt sein, aber ihr Gesicht gehörte zu denen, welche die Zeit nur verschönern und erleuchten kann. Das schneeweiße Spitzenhäubchen, nach schlichtem Quäkerschnitt gefertigt, das einfache, weiße Musselintuch, das hübsch gefaltet über ihrer Brust lag, das naturfarbene Kleid verrieten sofort, zu welcher Gemeinschaft sie gehörte. Ihr Gesicht war rund und rosig, von einer gesunden, samtenen Weichheit, die an einen Pfirsich gemahnte. Ihr Haar, vom Alter leicht versilbert, war glatt aus einer hohen, ruhigen Stirn zurückgebürstet, auf welche die Zeit nur dieses eine eingegraben hatte: Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen; darunter leuchtete ein großes Paar klarer, aufrichtiger, liebevoller, brauner Augen; man brauchte nur hineinzusehen, um zu wissen, daß man auf den Grund eines Herzens blickte, wie es in keiner Frau besser und wahrer schlagen konnte. Von schönen jungen Mädchen wird so viel gesagt und gesungen, warum spricht niemand von der Schönheit alter Frauen? Wer sich hierfür erwärmen will, mag getrost zu Rachel Halliday gehen, wie sie dasitzt in ihrem kleinen Schaukelstuhl. Dieser Stuhl hatte eine besondere Art, zu quietschen und zu knarren — vielleicht hatte er sich in seiner Jugend erkältet oder litt jetzt an Asthma, oder war mit seinen Nerven nicht ganz in Ordnung; aber während Rachel sanft darin auf und ab schaukelte, gab der Stuhl eine Art quäkender Melodie von sich, die bei jedem anderen unerträglich gewesen wäre. Aber der alte Simeon Halliday hatte oft erklärt, es sei ihm die liebste Melodie, und die Kinder beteuerten alle, daß sie um keinen Preis der Welt Mutters quietschenden Stuhl entbehren möchten. Und warum? Seit mehr als zwanzig Jahren waren von diesem Stuhl aus nur liebevolle Worte ausgegangen — unzähliges Kopf–und Herzweh war dort geheilt — weltliche und gesetzliche Schwierigkeiten dort gelöst worden -, alles von einer guten, liebevollen Frau.

»Also beabsichtigst du noch immer, nach Kanada zu gehen, Eli–za?« fragte Rachel, als sie ruhig ihre Pfirsiche durchsah.

»Ja, Madam«, sagte Eliza entschlossen. »Ich muß weiterziehen. Ich wage nicht hierzubleiben.«

»Und was hast du vor, wenn du dort angekommen bist? Das mußt du dir auch überlegen, meine Tochter.«

>Meine Tochter<, floß Rachel Halliday ganz natürlich von den Lippen, denn ihr Gesicht und ihre Gestalt verkörperten auf natürlichste Weise das Wort >Mutter<.

Elizas Hände zitterten, und ein paar Tränen fielen auf ihre feine Handarbeit, aber sie antwortete fest:

»Ich werde jede Arbeit annehmen, die ich finden kann. Ich hoffe, daß ich etwas finde.«

»Du weißt, du kannst hierbleiben, solange du magst.«

»Oh, ich danke Ihnen«, erwiderte Eliza, »aber« - sie deutete auf Harry - »ich kann nachts nicht schlafen, ich finde keine Ruhe. Vorige Nacht habe ich geträumt, ich sah jenen Mann auf den Hof kommen«, sagte sie schaudernd.

»Armes Kind!« sagte Rachel und wischte sich die Augen. »Aber du mußt keine Angst haben. Der Herrgott hat es so gefügt, daß aus unserem Dorf noch nie ein Flüchtling gestohlen wurde. Da sollst du nicht die erste sein.«

Jetzt öffnete sich die Tür, und eine kleine Frau, kurz und rund wie ein Nadelkissen, stand auf der Schwelle mit einem fröhlichen, blühenden Gesicht wie ein reifer Apfel. Sie war wie Rachel in ein strenges Grau gekleidet, und das Musselintuch war über ihrer vollen runden Brust gefaltet.

»Ruth Stedman!« rief Rachel und ging ihr freundlich entgegen. »Wie geht es dir, Ruth?« sagte sie und ergriff sie herzlich an beiden Händen.

»Großartig«, erwiderte Ruth, indem sie ihren grauen Hut abnahm, mit dem Taschentuch darüber fuhr und dabei einen runden kleinen Kopf zeigte, auf dem ganz keck das Quäkerhäubchen saß, trotz allen Streichens und Rückens der kleinen Patschhände, die es eifrig zurechtzupften. Einige lose Locken ihres geringelten Haares waren ihr auch hier und da entschlüpft und mußten wieder gebändigt werden. Dann drehte sich der Gast, der wohl fünfundzwanzig Jahre sein mochte, vom Spiegel ab, vor dem er sich in Ordnung gebracht hatte, und sah allerliebst aus, auch jeder andere konnte an der jungen Frau Wohlgefallen haben, denn sie war entschieden eine gesunde kleine Person, von munterem Wesen und gutherzigem Aussehen, das nur je eines Mannes Herz erfreute.

»Ruth, diese Freundin ist Eliza Harris, und dies ist der kleine Junge, von dem ich dir schon erzählte.«

»Das freut mich, daß ich dich treffe, Eliza — wirklich«, sagte Ruth und schüttelte ihr die Hand, als sei Eliza eine alte Freundin, auf die sie lange gewartet hatte; »und dies ist dein lieber Bub — ich habe ihm einen Kuchen mitgebracht«, sagte sie und hielt dem Kind einen Kringel hin, das herankam, blinzelnd durch seine Locken blickte und das Geschenk annahm.

»Wo ist dein Kleiner, Ruth?« fragte Rachel.

»Er kommt gleich; aber deine Mary nahm ihn mir ab, als wir kamen, und ist mit ihm in die Scheune gelaufen, um ihn den anderen Kindern zu zeigen.«

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, und Mary, ein Mädchen mit offenem, rosigem Gesicht und den großen braunen Augen ihrer Mutter, kam mit dem Baby herein.

»Ah, sieh da!« rief Rachel, kam herbei und nahm den dicken, hellen, kleinen Kerl in ihre Arme; »wie gut sieht er aus und wie ist er gewachsen!«

»Ja, das ist wahr«, sagte die geschäftige kleine Mary; sie nahm das Kind, band ihm ein kleines, blauseidenes Häubchen ab und befreite es aus seinen Windeln und seinen äußeren Umhüllungen; nachdem sie es zurechtgezupft und auf die verschiedenste Weise geputzt und ausstaffiert hatte, küßte sie es herzlich ab und setzte es auf den Boden, damit es wieder zur Besinnung kam. Aber das Baby schien eine solche Behandlung ganz gewohnt zu sein, denn es streckte prompt sein Däumchen in den Mund (als ob es so sein müßte) und schien alsbald seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, während seine Mutter Platz nahm und einen langen Strumpf aus blau–weißem Garn hervorholte, an dem sie eifrig zu stricken begann.

»Mary, ob du nicht lieber den Kessel füllen gehst?« erinnerte sanft die Mutter.

Mary nahm den Kessel, ging zum Brunnen und kam gleich zurück und setzte ihn auf den Herd, wo er bald anfing zu singen und zu dampfen wie eine Art Symbol heiterer Gastlichkeit. Die Pfirsiche wurden gleichfalls auf einige sanfte Flüsterworte ihrer Mutter hin von Mary in einer Schmorpfanne über das Feuer gestellt.

Dann nahm Rachel ein schneeweißes Kuchenbrett herunter, band eine Schürze um und machte sich daran, kleine Kuchen zum Tee zu bereiten, nachdem sie Mary noch rasch zugeflüstert hatte: »Mary, ob du wohl schon Bescheid sagst, John möchte ein Huhn schlachten?«

»Wie geht es Abigail Peters?« fragte sie jetzt und knetete ihren Teig.

»Ach, ihr geht es besser«, erwiderte Ruth; »ich habe sie heute morgen besucht; ich habe ihr das Bett gerichtet und ein bißchen im Haus sauber gemacht. Leah Hills ist heute nachmittag hin und hat für ein paar Tage Brot und Auflauf gebacken, und ich habe versprochen, heute abend noch einmal nach ihr zu sehen.«

»Dann kann ich morgen hingehen und das Aufräumen besorgen und nachsehen, ob es etwas zu flicken gibt«, sagte Rachel.

»Ja, das ist sehr schön«, antwortete Ruth. »Ich habe gehört«, fuhr sie fort, »daß Hannah Stanwood erkrankt ist. John ist gestern abend dort gewesen — dann werde ich morgen dorthin gehen.«

»Dann soll John zu uns zum Essen kommen, wenn du den ganzen Tag dort bleiben solltest«, schlug Rachel vor.

»Danke vielmals, Rachel; das können wir ja morgen abwarten; da ist ja Simeon!«

Simeon Halliday, ein baumlanger, muskulöser Mann in naturfarbenem Rock und Hosen, mit einem breitkrempigen Hut, trat herein.

»Grüß dich Gott, Ruth«, sagte er herzlich, als er ihre kleine Grübchenhand in seine große offene Rechte nahm; »was macht John?«

»Oh, John geht es gut, ebenso allen übrigen«, antwortete Ruth vergnügt.

»Was gibt's Neues, Vater?« fragte Rachel und schob ihre Kuchen in den Ofen.

»Peter Stebbins sagte mir, sie würden heute abend mit Freunden vorbeikommen«, sagte Simeon bedeutungsvoll, während er sich an dem hübschen kleinen Waschtisch in einem kleinen Vorraum die Hände wusch.

»Aha!« sagte Rachel nachdenklich und blickte auf Eliza.

»Sagtest du nicht, dein Name sei Harris?« fragte Simeon Eliza, als er wieder zum Vorschein kam.

Rachel warf einen scharfen Blick auf ihren Mann, während Eliza mit einem zitternden »Ja« antwortete; sofort stand die Angst in ihr auf, man möchte sie mit Steckbriefen verfolgen.

»Mutter!« rief Simeon aus dem Waschraum, Rachel zu sich winkend.

»Was willst du denn, Vater?« fragte Rachel, ihre mehligen Hände abreibend, und trat zu ihm hin.

»Der Mann der jungen Frau ist in der Siedlung und kommt heute abend herüber«, sagte Simeon.

»Was, Vater, ist das möglich?« antwortete Rachel mit freudestrahlendem Gesicht.

»Es ist wirklich wahr. Peter war gestern mit dem Wagen auf der anderen Station und traf dort eine alte Frau und zwei Männer, und der eine nannte sich Georg Harris, und aus allem, was er erzählte, entnahm ich, daß er es ganz gewiß sein muß. Er ist ein hübscher, stattlicher Mensch.«

»Wollen wir es ihr jetzt gleich sagen?« fragte Simeon.

»Wir sagen es erst Ruth«, erwiderte Rachel. »Komm doch einmal her, Ruth!«

Ruth legte ihr Strickzeug hin und erschien sogleich im Vorraum.

»Ruth, was sagst du nur«, sagte Rachel. »Vater erzählt gerade, daß Elizas Mann im letzten Transport dabei ist und heute abend hier eintrifft.«

Ein Freudenschrei der kleinen Quäkerin unterbrach ihre Rede. Sie klatschte in die Hände und machte einen solchen Freudensprung, daß sie zwei lose Locken unter ihrem Quäkerhäubchen lösten und auf ihr weißes Halstuch fielen. »Still, still, liebes Kind!« beschwichtigte sie Rachel sanft; »pst, Ruth, sollen wir es ihr gleich sagen?«

»Sofort! Ganz gewiß, in diesem Augenblick. Denke nur, es wäre mein John, wie wäre mir dann zumute? Schnell, sage es ihr!«

»Du liebst deine Nächsten auch nur nach deinen eigenen Gefühlen, Ruth«, meinte Simeon; auch sein Gesicht strahlte vor Freude.

»Natürlich. Sind wir nicht dazu da? Wenn ich nicht meinen John und das Baby so liebte, könnte ich jetzt Eliza die Freude nicht nachfühlen. Komm jetzt, erzähle es ihr gleich!« Und sie legte beschwörend ihre Hand auf Rachels Arm. »Führe sie in dein Schlafzimmer, ich will so lange das Hühnchen braten!«

Rachel kam zurück in die Küche, wo Eliza an ihrer Näharbeit saß. Die Tür zu ihrer Schlafstube öffnend, sagte sie sanft: »Komm einmal hier herein, meine Tochter; ich habe eine Neuigkeit für dich.«

Das Blut stieg Eliza in ihr blasses Gesicht; sie erhob sich in zitternder Angst und blickte auf ihren Knaben.

»Nein, nein«, rief die kleine Ruth herbeistürzend und ihre Hände ergreifend. »Hab keine Angst; es ist eine gute Nachricht, Eliza, geh nur hinein, geh nur hinein!« Und sie drängte sie sanft zur Tür, die sich hinter ihr schloß; dann drehte sie sich herum, ergriff den kleinen Harry und küßte ihn ab.

»Du wirst deinen Vater wiedersehen, mein Kleiner. Verstehst du das? Dein Vater kommt heute«, sagte sie immer aufs neue, während das Kind sie verwundert anblickte.

Währenddessen ging hinter der Tür eine andere Szene vor sich, Rachel Halliday zog Eliza zu sich und sagte: »Der Herrgott hat sich deiner erbarmt; dein Mann ist der Knechtschaft entflohen.«

Das Blut stieg Eliza in plötzlicher Glut zu Kopf und schoß ebenso plötzlich zum Herzen zurück. Blaß und fast bewußtlos setzte sie sich.

»Habe Mut, mein Kind«, sagte Rachel und legte ihr die Hände auf den Scheitel. »Er befindet sich unter Freunden, die ihn heute abend herbringen.«

»Heute abend!« wiederholte Eliza, »heute abend!« Die Worte hatten keine Bedeutung für sie; ihr Geist war wie umnebelt, alles schwamm ihr vor den Augen.

Als sie wieder zu sich kam, fand sie sich behaglich ins Bett gepackt, eine Decke über sich gebreitet, während die kleine Ruth ihr die Hände mit Kampfer einrieb. Eliza öffnete ihre Augen und fühlte einen Zustand traumhafter, köstlicher Erschlaffung, wie jemand, der lange eine schwere Last getragen, sich auf einmal befreit fühlt und die Entspannung genießt. Elizas Nerven waren angespannt gewesen seit der ersten Stunde ihrer Flucht, nun konnte sie nachgeben, und ein merkwürdiges Gefühl der Sicherheit und Ruhe überkam sie; und während sie mit weit geöffneten dunklen Augen dalag, folgte ihr Blick wie in einem ruhigen Traum den Hantierungen der anderen. Sie sah durch die offene Tür ins Nebenzimmer; sie sah den Eßtisch mit seinem schneeweißen Tuch; sie hörte den Teekessel summen und sah, wie Ruth mit Kuchenplatten und Schüsseln mit Eingemachtem hin und her trippelte und ab und zu innehielt, um Harry einen Kuchen in die Hand zu stecken, ihm den Kopf zu streicheln oder seine langen Locken um ihre schneeweißen Finger zu wickeln. Sie sah Rachels füllige, mütterliche Gestalt, wie sie hin und wieder an ihr Bett trat, das Laken glattstrich und an den Kissen zupfte, um ihren guten Willen kundzutun. Sie sah ferner, wie Ruths Mann hereinkam — wie Ruth auf ihn flog und mit ihm bedeutungsvoll zu flüstern begann, indem sie eifrig mit ihrem kleinen Finger auf das Nebenzimmer deutete; Eliza sah, wie sie sich mit dem Baby auf dem Arm zum Tee setzte; sie sah die ganze Gesellschaft um den Tisch sitzen, der kleine Harry auf dem hohen Stühlchen unter Rachels Obhut; sie vernahm das halblaute Murmeln des Gesprächs, das sanfte Klirren der Teelöffel, das melodische Klappern der Tassen und Teller, alles mischte sich ihr zu einem herrlichen Traum der Erquickung; und Eliza schlief, wie sie nie zuvor geschlafen hatte seit der furchtbaren mitternächtlichen Stunde, als sie ihr Kind genommen und in die frostige Sternennacht geflohen war.

Sie träumte von einem schönen Land — einem Land der Ruhe, wie ihr schien — mit grüner Küste, lieblichen Inseln und herrlich funkelndem Wasser; und dort, in einem Haus, das freundliche Stimmen ihr als Heim zuwiesen, sah sie ihren Knaben spielen als ein freies, glückliches Kind. Sie hörte die Schritte ihres Mannes; sie fühlte ihn näherkommen, seine Arme umschlangen sie, und seine Tränen fielen auf ihr Gesicht. Da erwachte sie, und es war kein Traum! Das Tageslicht war schon verblichen; das Kind lag friedlich schlafend an ihrer Seite, eine Kerze brannte sanft auf dem Nachttisch, und ihr Mann barg schluchzend sein Gesicht in ihren Kissen.

Am nächsten Morgen ging es fröhlich zu im Quäkerhaus. Mutter war beizeiten auf den Beinen, geschäftige Buben und Mädchen hantierten um sie her, die vorzustellen wir gestern keine Gelegenheit hatten; jetzt waren sie alle auf Rachels sanftes Geheiß »Möchtest du wohl?« oder noch sanfter »Möchtest du nicht lieber?« in Bewegung, das Frühstück auf den Tisch zu bringen; denn ein Frühstück in den üppigen Tellern Indianas ist eine vielfältige und umständliche Angelegenheit. Während also John zur Quelle sprang nach frischem Wasser und Simeon der Jüngere das Maismehl für den Kuchen siebte und Mary Kaffee mahlte, ging Rachel ruhig und gelassen hin und her, richtete die Kuchen her, schnitt das Huhn auf und warf ringsumher einen Blick auf alle Vorbereitungen. Drohte ein Zusammenstoß unter den übereifrigen, zahlreichen jungen Helfern, genügte ihr sanftes »Na, na!« oder »Nicht doch!«, um alle Erregung zu glätten.

Während alle Vorbereitungen in vollem Gange waren, stand Simeon der Ältere in Hemdsärmeln vor dem kleinen Spiegel in der Ecke und war von der Tätigkeit des Rasierens vollständig in Anspruch genommen. Alles ging in der großen Küche so gesellig, so ruhig und harmonisch vor sich — jedem einzelnen erschien seine Tätigkeit im Augenblick willkommen, und es herrschte allgemein ein solcher Geist des Friedens und der Verträglichkeit — selbst die Messer und Gabeln klapperten gesellig, als man sie auf den Tisch legte, und Hühnchen und Schinken bruzzelten so vergnüglich in der Pfanne, als sei ihnen dieser Zustand durchaus behaglich -, daß Georg und Eliza und der kleine Harry, als sie aus der Stube traten und so freudig begrüßt wurden, sich wie im Traum vorkamen.

Endlich hatte man sich allgemein um den Frühstückstisch eingefunden, nur Mary stand am Herd und buk die leckeren Griddle–Ku–chen, die dann, kaum daß sie die goldbraune Knusprigkeit erreicht hatten, dampfend auf den Tisch kamen.

Rachel sah nie so von Herzen und gesegnet glücklich aus wie im Kreise der Familienrunde. In der Art, wie sie dann die Kuchenplatten weiterreichte oder den Kaffee einschenkte, lag so viel Mütterlichkeit und Herzlichkeit, daß sie sich dem Essen und Trinken förmlich mitzuteilen schienen.

Es geschah zum erstenmal, daß sich Georg gleichberechtigt an den Tisch eines weißen Mannes setzte, zuerst war er noch etwas befangen und zugeknöpft, aber seine Bedenken zerstreuten sich wie Nebel vor den Sonnenstrahlen dieser einfachen und überströmenden Herzlichkeit.

Dies war in der Tat eine Heimat, ein Wort, das bisher für Georg keine Bedeutung besessen hatte; und ein neuer Glaube an Gott, ein Vertrauen an seine Vorsehung begannen sein Herz zu erfüllen, als sich alle dunklen, menschenfeindlichen, harten Zweifel, alle wilde Verzweiflung in einer goldenen Wolke der Zuversicht und der Geborgenheit verflüchtigten in dem Licht eines lebendigen Evangeliums, das in den Gesichtern ringsum atmete und sich in tausend unbewußten Gesten der Liebe und der Hilfskraft kundtat.

»Was geschieht, Vater, wenn sie dich wieder erwischen?« fragte Simeon der Jüngere, während er sich Butter auf seinen Kuchen strich.

»Dann werde ich meine Strafe bezahlen müssen«, sagte Simeon ruhig.

»Aber wenn sie dich ins Gefängnis werfen?«

»Kannst du dann nicht mit Mutter zusammen die Farm bewirtschaften?« fragte Simeon lächelnd.

»Mutter kann freilich alles«, meinte der Junge. »Aber ist es nicht eine Schande, daß es solche Gesetze gibt?«

»Du sollst von deiner Obrigkeit nichts Böses reden, Simeon«, sagte sein Vater ernst. »Der Herrgott gibt uns unsere irdischen Güter bloß, damit wir Gerechtigkeit und Erbarmen üben, verlangt die Obrigkeit dafür einen Preis, müssen wir ihn erstatten.«

»Ach, wie ich sie doch hasse, diese alten Sklavenhalter!« sagte der Junge.

»Das überrascht mich aber, mein Sohn«, sagte Simeon; »das hat dich deine Mutter nicht gelehrt. Ich würde dem Sklavenhalter dieselben Dienste erweisen wie dem Sklaven, sollte er in einer Heimsuchung an meine Tür klopfen.«

Simeon der Zweite wurde puterrot; aber seine Mutter lächelte nur und sagte: »Simeon ist mein lieber Junge, er wird langsam größer werden und dann seinem Vater nacheifern.«

»Ich hoffe, guter Herr, daß Ihr unsertwegen nicht in Schwierigkeiten geratet«, sagte Georg ganz ängstlich.

»Keine Angst, Georg, dazu sind wir in die Welt gesandt. Wenn wir nicht gewillt sind, einer guten Sache wegen Mühsal auf uns zu nehmen, sind wir unseres Namens nicht wert.«

»Aber meinetwegen«, sagte Georg, »das könnte ich nicht ertragen.«

»Sei unbesorgt, Freund Georg, es geschieht nicht deinetwegen, sondern wir tun es vor Gott und den Menschen«, entgegnete Simeon. »Und nun mußt du dich den Tag über ruhig verhalten, denn heute abend, um zehn Uhr, wird dich Phineas Fletcher weiter zur nächsten Siedlung bringen — dich und den übrigen Transport. Die Verfolger sind euch hart auf den Fersen; wir dürfen keine Zeit verlieren!«

»Wenn es an dem ist, warum warten wir dann bis zum Abend?« fragte Georg.

»Bei Tageslicht seid ihr hier sicher, denn in der Siedlung ist jedermann euer Freund, und alle passen auf. Zu reisen ist es in der Nacht sicherer.«

Загрузка...