28. Kapitel Die Schutzlosen

Wir hören so oft, daß Negersklaven beim Tode ihres Herrn sich einfach untröstlich gebärden. Das hat seinen guten Grund; denn kein Geschöpf auf Gottes Erdboden wird so völlig dem Schicksal preisgegeben wie die Sklaven in diesem Moment.

Dem Kind, das seinen Vater verliert, bleibt der Schutz der Freunde und des Gesetzes; es ist etwas und kann etwas tun — es hat eine anerkannte Stellung und anerkannte Rechte, der Sklave hat nichts von alledem. Das Gesetz betrachtet ihn als bar aller Rechte, einfach als Handelsobjekt. Die einzig mögliche Anerkennung seiner Wünsche und Bedürfnisse, die ihm als Menschen mit einer unsterblichen Seele zustehen, kann ihm nur der unbeugsame und niemand Verantwortung schuldende Wille seines Herrn gewähren; und wenn dieser Herr getroffen wird, bleibt ihm nichts übrig.

Die Zahl aller Männer, die mit dieser unumschränkten Macht human und großherzig umzugehen wissen, ist verhältnismäßig gering. Das weiß jeder, und der Sklave weiß es am besten; es bestehen für ihn zehn Möglichkeiten, einen tyrannischen, rücksichtslosen Herrn zu finden, gegen die eine, an einen freundlichen und verständnisvollen zu geraten. Darum ist es wohl verständlich, daß das Wehklagen über einen guten Herrn so laut und lange ertönt.

Als St. Clare seinen letzten Atemzug getan, wurde sein ganzes Haus von Angst und Entsetzen ergriffen. In einem Augenblick war er in der Blüte seiner Kraft und Jugend gefällt worden! Jeder Raum, jede Galerie hallte wider vom Schreien und Schluchzen der Verzweiflung.

Marie, deren Nervensystem durch ihr ständiges Nachgeben erschüttert war, hatte für diesen Schock keine Widerstandskraft mehr; während ihr Mann im Sterben lag, fiel sie von einer Ohnmacht in die andere, so daß der Gefährte, mit dem sie durch das geheimnisvolle Band der Ehe verknüpft war, ohne ein Wort des Abschieds von ihr ging.

Miß Ophelia mit ihrer charakteristischen Kraft und Selbstbeherrschung hatte bis zuletzt ihrem Verwandten beigestanden — ganz Auge, ganz Ohr, voller Aufmerksamkeit, ihm die kleinsten Dienste erweisend und von ganzer Seele einstimmend in das leidenschaftliche Gebet, welches der arme Sklave für die Seele seines sterbenden Herrn gestammelt hatte.

Toms ganze Seele strömte über von Gedanken an die Ewigkeit; während er noch um den Toten beschäftigt war, dachte er nicht ein einziges Mal daran, daß dieser jähe Schlag ihn in hoffnungslose Sklaverei zurückstieß. Er war beruhigt über seinen Herrn; denn in jener Stunde, als er im Gebet den Vater im Himmel angerufen, war als Antwort eine große Zuversicht und Ruhe über ihn gekommen. In der Tiefe seiner eigenen, liebevollen Natur hatte er etwas von der Fülle göttlicher Liebe zu verspüren vermocht; denn schon ein alter Spruch besagt: »Wer in der Liebe wohnet, wohnet in Gott und Gott in ihm.« Tom hoffte, vertraute und lebte in Frieden.

Aber das Begräbnis rauschte vorbei mit prunkvollem schwarzen Krepp, Gebeten und andächtigen Gesichtern; zurück rollten die kalten, trüben Wogen des Alltags, und es erhob sich die ewige harte Frage: Was muß nun geschehen?

Sie drängte sich Marie auf, als sie in fließenden Trauergewändern, umgeben von ihrer ängstlichen Dienerschaft, in ihrem großen Lehnstuhl saß und Stoffmuster von Krepp und Seide aussuchte. Sie beschäftigte Miß Ophelia, deren Gedanken der Heimat zuflogen. Sie verfolgte mit geheimem Schrecken die Gemüter der Sklaven, die den tyrannischen, lieblosen Charakter ihrer Herrin wohl kannten, deren Händen sie jetzt ausgeliefert waren. Alle wußten genau, daß die Nachsicht und Vorteile, die sie genossen, von ihrem Herrn und nicht von ihrer Herrin ausgegangen waren und daß nun, nach seinem Hinscheiden, kein Schirm mehr zwischen ihnen und jeder launischen Tyrannei bestand, die ein von Leiden verbittertes Gemüt nur ersinnen konnte.

Es war ungefähr vierzehn Tage nach der Beerdigung, als Miß Ophelia, die in ihrem Zimmer beschäftigt war, ein leises Klopfen an der Tür vernahm. Sie öffnete, und draußen stand Rosa, die hübsche junge Quadrone, die wir schon öfter trafen, mit zerzausten Haaren und verweinten Augen.

»Oh, Miß Feely«, sagte sie, auf die Knie fallend, und haschte nach dem Saum ihres Gewandes, »bitte, bitte, gehen Sie für mich zur gnädigen Frau! Flehen Sie für mich! Sie will mich zum Auspeitschen schicken — hier, sehen Sie!« Und sie reichte Miß Ophelia einen Zettel.

Es war eine Anweisung in Maries zierlicher, geschwungener Handschrift an den Meister der Prügelanstalt, der Überbringerin fünfzehn Hiebe zu verabfolgen.

»Was hast du denn getan?« fragte Miß Ophelia.

»Oh, Sie wissen doch, Miß Feely, wie leicht ich aufbrause, das ist sehr schlecht von mir. Ich habe der gnädigen Frau bei der Anprobe geholfen, sie gab mir eine Ohrfeige, und ehe ich es bedachte, widersprach ich ihr und war frech. Da sagte sie, sie würde mich schon kleinkriegen, damit ich meinen Kopf nicht mehr so hoch trüge; dann schrieb sie den Zettel und sagte, ich solle ihn hinbringen. Lieber laß ich mich sogleich töten.«

Miß Ophelia sah wieder auf den Zettel in ihrer Hand. »Ach, wissen Sie, Miß Feely«, sagte Rosa, »es sind nicht die Schläge, wenn ich sie von Ihnen oder der gnädigen Frau bekäme; aber von einem Mann — solch einem schrecklichen Mann! Bedenken Sie doch die Schande, Miß Feely!«

Miß Ophelia wußte gut, daß es allgemein üblich war, auch Frauen und junge Mädchen zur Prügelanstalt in die Hände gemeinster Männer — gemein genug, hiermit ihr Brot zu verdienen — zu schicken, um dort brutal zur Schau gestellt und gemaßregelt zu werden. Sie hatte es gewußt, aber sie hatte es sich niemals vorgestellt, bis sie jetzt Rosas schlanke Gestalt, von Schluchzen und Angst geschüttelt, sah. Das ehrliche Blut ihrer Weiblichkeit, das starke, freiheitsliebende Blut Neu–Englands stieg ihr siedend ins Gesicht und klopfte stürmisch in ihrem empörten Herzen; aber in gewohnter Klugheit beherrschte sie sich, zerknüllte den Zettel in der Hand und sagte nur zu Rosa:

»Setz dich her, Kind, solange ich zu deiner Herrin gehe.«

»Wie schändlich, wie haarsträubend!« sprach sie zu sich selbst, als sie das Wohnzimmer durchschritt.

Sie traf Marie in ihrem Lehnstuhl, Mammy neben sich, die ihr die Haare bürstete; Jane kauerte am Boden und rieb ihr eifrig die Füße.

»Wie befinden Sie sich heute?« fragte Miß Ophelia.

Ein tiefer Seufzer, ein Augenschließen war im Moment die einzige Antwort, und dann entgegnete Marie: »Oh, ich weiß nicht, Kusine; wahrscheinlich geht es mir so gut, wie es nur möglich ist.«

Und Marie wischte sich die Augen mit einem zarten Tüchlein, das einen breiten Trauerrand trug.

»Ich bin gekommen«, sagte Miß Ophelia und hüstelte ein wenig, womit man häufig ein schwieriges Thema einleitet - »Ich kam, um mit Ihnen über die arme Rosa zu sprechen.«

Jetzt waren Maries Augen weit geöffnet und eine Röte stieg in ihre bleichen Wangen, als sie in scharfem Ton erwiderte:

»Nun! Und was will sie?«

»Sie bereut ihr Benehmen.«

»So? Allerdings! Sie wird es noch mehr bereuen. Ich habe ihre Unverschämtheit lang genug ertragen; jetzt werde ich sie kleinkriegen — in den Staub werde ich sie zwingen.«

»Aber könnte man sie nicht auf andere Weise bestrafen, in einer weniger beschämenden Art?«

»Aber das will ich gerade; das ist ja meine Absicht. Sie hat sich ihr Leben lang etwas eingebildet auf ihre zarte Haut und ihr hübsches Gesicht und ihre feinen Manieren, bis sie vergaß, wer sie eigentlich ist. Nun, denke ich, wird sie die richtige Lehre empfangen. Da weiß sie es wieder. Sie sollen alle wissen, daß ich sie sofort zum Prügelmeister schicke, wenn sie nur mucksen!« rief Marie und blickte sich entschlossen um.

Jane ließ den Kopf hängen und zuckte zusammen, sie fühlte, die Rede ging zum Teil an ihre Adresse. Miß Ophelia saß einen Augenblick ganz still, als ob sie einen Explosionsstoff geschluckt hätte und nun jeden Moment platzen würde. Dann, sich erinnernd, daß jeder Streit mit einem solchen Menschen Zeitvergeuden sei, preßte sie ihre Lippen zusammen und verließ schweigend das Zimmer.

Es war bitter, zurückzugehen und Rosa sagen zu müssen, daß sie nichts hatte ausrichten können; kurz darauf kam ein Diener und meldete, er sei beauftragt, Rosa in die Prügelanstalt zu bringen, und trotz ihres Flehens und aller Tränen mußte sie mitgehen.

Wenige Tage später stand Tom gedankenversunken auf dem Balkon, als Adolf zu ihm trat, der seit dem Tode seines Herrn völlig verzagt und verzweifelt war. Adolf wußte, daß Marie ihn immer mit ihrem Haß verfolgt hatte, aber solange sein Herr lebte, hatte er wenig darauf geachtet. Seit seinem Tod lebte er nun beständig in Angst und Schrecken, nicht wissend, was ihn noch alles erwartete. Marie hatte verschiedene Beratungen mit ihrem Anwalt gehabt. Nachdem sie sich mit St. Clares Bruder in Verbindung gesetzt, war beschlossen worden, das Haus und alle Dienerschaft zu verkaufen, ausgenommen ihre eigenen Leute, die sie auf ihre väterliche Farm mitzunehmen gedachte.

»Weißt du schon, Tom, daß wir verkauft werden sollen?« sagte Adolf.

»Wo hast du das gehört?« fragte Tom.

»Ich verbarg mich hinter dem Vorhang, als die Herrin mit dem Anwalt sprach. In wenigen Tagen werden wir alle zur Auktion geschickt.«

»Des Herrn Wille geschehe!« erwiderte Tom, verschränkte die Arme und seufzte tief auf.

»Wir werden nie wieder einen solchen Herrn bekommen«, meinte Adolf ahnungsvoll; »aber lieber lasse ich mich verkaufen, als daß ich bei der Gnädigen bleibe.«

Tom wandte sich ab; sein Herz zersprang vor Weh. Die Hoffnung auf Freiheit, der Gedanke an seine fernen Lieben stand vor seiner geduldigen Seele, wie dem schiffbrüchigen Seemann kurz vor dem Hafen das Bild seines heimatlichen Kirchturms und der trauten Dächer seines Heimatdorfes nur zum letzten Lebewohlgruß auf dem Gipfel einer schwarzen Welle erscheint. Fest verschränkte er beide Arme über der Brust, schluckte die bitteren Tränen hinunter und versuchte zu beten. Seine arme, alte Seele trug ein solch unbezähmbares Verlangen nach Freiheit in sich, daß dies eine schwere Prüfung für ihn bedeutete; je mehr er zugab: »Dein Wille geschehe!«, um so elender fühlte er sich.

Er suchte Miß Ophelia auf, die ihm seit Evas Tod immer mit besonderer, respektvoller Freundlichkeit begegnet war.

»Miß Feely«, sprach er sie an, »der gnädige Herr hat mir meine Freiheit versprochen. Er sagte, er hätte es schon eingeleitet, und jetzt, wenn Miß Feely vielleicht so gut ist und mit der gnädigen Frau sprechen wollte, dann ließe es sich vielleicht weitertreiben, der Herr hat es doch gewünscht.«

»Ich werde ein Wort für dich einlegen, Tom, und mein Bestes versuchen«, antwortete Miß Ophelia; »aber wenn es von Mrs. St. Clare abhängt, kann ich dir nicht viel Hoffnung machen. Dennoch will ich es versuchen.«

Dieser Vorfall ereignete sich einige Tage nach dem ersten mit Rosa, als Miß Ophelia schon ihre Vorbereitungen traf, um nach Norden zurückzufahren.

Sie ging ernstlich mit sich zu Rate und überlegte, daß sie vielleicht bei ihrer letzten Unterredung mit Marie zu hitzig gegen sie Partei ergriffen hätte, und sie beschloß, diesmal ihren Eifer zu zügeln und so liebenswürdig wie nur möglich zu sein. Ihr Strickzeug mitnehmend, entschied sie sich, Marie sogleich aufzusuchen und Toms Sache mit der ganzen ihr zu Gebote stehenden diplomatischen Geschicklichkeit vorzubringen.

Sie fand Marie der Länge nach auf ihrem Ruhelager ausgestreckt, mit einem Ellbogen auf zahlreiche Kissen gestützt, während Jane, die Besorgungen gemacht hatte, Proben von dünnen, schwarzen Stoffen vor ihr ausbreitete.

»Ich habe nicht ein einziges Kleid, das ich anziehen könnte, und wenn ich jetzt den Haushalt auflöse und nächste Woche aufbreche, muß ich mich entscheiden«, sagte Marie.

»Gehen Sie schon so bald?«

»Ja, St. Clares Bruder hat geschrieben, er und der Anwalt sind der Ansicht, Möbel und Sklaven am besten auf der Auktion zu versteigern und das Haus in die Obhut des Anwalts zu geben.«

»Über eins hätte ich mich noch gern mit Ihnen besprochen«, sagte Miß Ophelia. »Augustin hatte Tom die Freiheit versprochen und schon die ersten gesetzlichen Schritte dazu unternommen. Ich hoffe sehr, Sie werden Ihren Einfluß geltend machen, damit die Sache in Ordnung kommt.«

»Ich werde mich hüten!« rief Marie scharf. »Tom ist einer der wertvollsten Sklaven des ganzen Besitztums; ihn zu entbehren kann ich mir einfach nicht leisten. Außerdem, was will er mit der Freiheit? So geht es ihm doch viel besser.«

»Aber er erstrebt sie mit aller Kraft, und sein Herr hat sie ihm versprochen«, entgegnete Miß Ophelia.

»Ich kann mir denken, daß er danach strebt. Aber man tut ihnen keinen Gefallen, wenn man sie freigibt.«

»Aber Tom ist fleißig, fromm und rechtschaffen.«

»Oh, das brauchen Sie mir nicht zu versichern! Ich kenne seinen Fall, auch er benimmt sich nur gut, solange man ihn beaufsichtigt, weiter steckt da nichts dahinter.«

»Aber bedenken Sie doch«, sagte Miß Ophelia, »wenn Sie ihn verkaufen, wie leicht kann er einem schlechten Herren in die Hände fallen.«

»Ach, das ist doch alles Lug und Trug. In hundert Fällen gibt es nicht einen, daß ein guter Sklave einen schlechten Herrn erhält; die meisten Herren sind gut, trotz allen Geredes. Ich bin hier im Süden aufgewachsen und habe unter meinen Bekannten nicht einen Herrn gekannt, der seine Sklaven nicht gut behandelt, auf jeden Fall nicht schlechter, als sie es verdienen. In dieser Hinsicht mache ich mir keine Sorgen.«

»Ja, aber«, sagte Miß Ophelia mit Nachdruck, »es war schließlich einer der letzten Wünsche Ihres Mannes, daß Tom seine Freiheit erhalten sollte; er hat es unserer lieben Eva auf dem Totenbett versprochen, ich dächte, Sie werden sich nicht berechtigt fühlen, dies zu ignorieren.«

Bei diesen Worten bedeckte Marie ihr Gesicht mit dem Taschentuch und fing leidenschaftlich an zu schluchzen und ihr Riechfläschchen zu benutzen.

»Alle sind sie gegen mich«, klagte sie. »Alle sind sie rücksichtslos! Von Ihnen hätte ich das nicht gedacht, daß Sie diese Erinnerungen heraufbeschwören, das ist so roh! Niemand bedenkt, wie ich betroffen bin. Es ist ein solch schwerer Schlag, daß mir mein einziges Kind genommen wurde und daß ich meinen Mann, mit dem ich mich so gut verstand — und wie schwer ist das bei mir! — , hergeben mußte. Sie haben wirklich wenig Mitgefühl und reden so leichtfertig von meinem Verlust — wo Sie doch wissen, wie ich leide. Sie mögen es gut meinen; aber es ist doch rücksichtslos!« Und Marie schluchzte, rang nach Atem und rief Mammy, daß sie das Fenster öffne, ihr das Kampferfläschchen bringe, den Kopf kühle und das Kleid aufhake; in der allgemein entstehenden Unruhe floh Miß Ophelia auf ihr Zimmer.

Sie sah ein, daß es keinen Zweck hatte, noch weiter in Marie zu dringen, denn Maries Fähigkeit, hysterische Anfälle in Szene zu setzen, war unerschöpflich. Jedesmal, wenn seither auf die Wünsche ihres Mannes oder Evas hinsichtlich der Dienerschaft angespielt wurde, hatte sie einen solchen zur Hand. Miß Ophelia griff daher zu einem zweiten Mittel, um Tom zu helfen; sie schrieb für ihn an Mrs. Shelby, schilderte seine Lage und drängte sie, ihm zu Hilfe zu kommen.

Am nächsten Tag wurden Tom und Adolf und ein halbes Dutzend andere zum Sklavenspeicher getrieben, um dort abzuwarten, bis der Händler geneigt war, einen Schub für die Auktion abzufertigen.

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