31. Kapitel Dunkle Orte

Müde schleppten sich, hinter einem großen Karren auf steiniger Straße einhergehend, Tom und seine Gefährten voran.

Im Karren saß Simon Legree; die beiden Frauen, noch immer zusammengekettet, waren mit dem Gepäck in dem rückwärtigen Teil verstaut worden, die ganze Gesellschaft befand sich auf dem Wege nach Legrees Plantage, die noch eine gute Stunde entfernt lag.

Es war ein schlechter, verlassener Weg, der sich abwechselnd durch öde Kiefernbestände schlängelte, wo der Wind traurig heulte, dann wieder, an langen Dämmen entlang, durch weite Sümpfe führte, in denen hohe Zypressen, überhangen mit langen Trauerfahnen aus schwarzem Moos, melancholisch aus dem schleimigen, schwammigen Boden aufragten, und hin und wieder zwischen abgebrochenen Baumstümpfen und verstreutem Gestrüpp, das dort im stehenden Wasser verrottete, die scheußliche Mokassinschlange auftauchte.

Simon Legree war offensichtlich in bester Laune und stärkte sich von Zeit zu Zeit aus einer Schnapsflasche, die er in der Tasche trug.

»Hört, Leute«, rief er, als er sich umdrehte und hinter sich die freudlosen Gesichter sah, »stimmt mal ein Lied an, Jungens — los!«

Die Männer sahen sich an, das »los!« wurde mit einem scharfen Peitschenknallen wiederholt. Da stimmte Tom einen Choral an:

»Jerusalem, du Heimatstadt,

Dein Name bannt das Trauern Wann hat mein Leid ein Ende hier?

Wann grüß ich deine Mauern?«

»Halts Maul, du schwarzer Hund!« brüllte Legree; »bildest du dir ein, ich will dein frommes Geplärr hören? Stimmung, Leute, singt was Lustiges! Bißchen flott!«

Darauf sang einer der anderen Männer eines der sinnlosen Lieder, die unter Sklaven üblich sind:

»Der Herr sieht mich das Mäuschen fangen,

Hei, Jungens, hei!

Er lacht sich krumm–Am Himmel kommt der Mond gegangen,

Ho! ho! ho! Ho, Jungens, ho!«

Der Sänger schien, nur dem Rhythmus folgend, den Text ohne Rücksicht auf den Sinn zu erfinden; die ganze Gesellschaft wiederholte den Refrain:

»Ho! ho! ho!, Jungens, ho!

Heisa! Jungens, hei–a!«

Sie sangen mit erzwungener Heiterkeit, prahlend und laut; aber keine Klage der Verzweiflung hätte eine solche Tiefe des Jammers ausdrücken können wie diese wilden Schreie des Chores.

»Na, mein Schätzchen«, sagte Legree und kehrte sich zu Emme–line, ihr die Hand auf die Schulter legend, »jetzt sind wir bald zu Hause!«

Wenn Legree tobte und schrie, ängstigte sich Emmeline; aber wenn er sie anfaßte und freundliche Töne anschlug, wäre es ihr lieber gewesen, er hätte sie geschlagen.

»Du hast wohl noch keine Ohrringe getragen«, fragte er und griff mit den groben Fingern nach ihren kleinen Ohren. »Nein, Herr«, sagte Emmeline zitternd und schlug die Augen nieder.

»Na, ich werde dir welche schenken, wenn wir heimkommen, wenn du brav bist.«

Legree hatte der Flasche in einem Maße zugesprochen, daß er eine Anwandlung von Großmut verspürte; jetzt aber war es so weit, daß die Einzäunung der Plantage sichtbar wurde. Die Anlage hatte früher einem reichen Herrn gehört, der viel Geld auf den Ausbau verwandt hatte. Bei seinem Tode war sein Vermögen erschöpft, so daß Legree das Besitztum für ein Spottgeld erstand und es, wie alle Dinge, die er erwarb, nur zum Geldmachen verwendete. Das Ganze machte einen verkommenen und verwahrlosten Eindruck, der immer entsteht, wenn die Pflege des früheren Besitzers langsam in völligen Verfall gerät.

Der Karren holperte über eine grasbewachsene Allee, die an beiden Seiten mit edlen Chinabäumen bestanden war, deren anmutige Formen und immer bewegtes Laub das einzige zu sein schienen, dem die allgemeine Vernachlässigung nichts hatte anhaben können.

Das Haus war einst geräumig und stattlich gewesen. Es war im üblichen Kolonialstil des Südens erbaut; eine breite Veranda, auf die alle Türen mündeten, lief zweistöckig um jeden Teil des Hauses, Säulen aus Ziegelsteinen stützten die untere Fläche.

Aber jetzt sah das Gebäude verlassen und wenig einladend aus; einige Fenster waren mit Pappe versehen, andere hatten geborstene Rahmen, die Läden hingen nur an einem Dübel.

Pappstückchen, Stroh, alte, vermoderte Fässer und Kisten bedeckten überall den Boden, drei oder vier verwilderte Hunde, durch das Räderrollen aufgescheucht, trollten heran und ließen sich nur mit Mühe von den zerlumpten Dienstboten, die ihnen folgten, abhalten, Tom und seine Gefährten anzuspringen.

»Da, seht ihr, was euch blüht«, sagte Legree und liebkoste die Tiere mit grimmiger Zärtlichkeit, indem er sich den Sklaven zukehrte; »da seht ihr, was euch blüht, wenn ihr versuchen solltet wegzulaufen. Diese Hunde sind auf Nigger dressiert; lieber vertilgen sie euch als ihre Abendmahlzeit. Also hütet euch! Da wären wir, Sambo!« wandte er sich an einen zerlumpten Kerl, dessen Hut ohne Krempe war und der seinen Herrn sehr beflissen begrüßte. »Wie ist es euch hier ergangen?«

»Glänzend, Herr.«

»Qmmbo«, sagte Legree zu einem andern, der sich ebenfalls in Freudenbezeugungen überbot, »hast du beherzigt, was ich dir aufgetragen habe?«

»Und ob, Herr!«

Diese beiden Farbigen waren die Vorarbeiter der Plantage.

Legree regierte seine Plantage durch eine Verteilung der Gewalten.

Sambo und Quimbo haßten einander aus tiefstem Herzen, die Plantagenarbeiter haßten sie alle beide; indem er einen gegen den an–dern ausspielte, konnte er ziemlich sicher sein, daß er wenigstens von einer der drei Parteien ständig über das, was draußen vorging, auf dem laufenden gehalten wurde.

Niemand kann ganz ohne menschlichen Umgang auskommen, und Legree ermunterte seine beiden schwarzen Vasallen zu einer Art plumper Vertraulichkeit, die allerdings jederzeit gefährlich werden konnte, denn bei der geringsten Dreistigkeit war jeder auf einen Wink bereit, an dem andern blutige Rache zu nehmen.

Als sie jetzt mit Legree zusammenstanden, bewiesen sie so recht, daß Menschen gemeiner sind als Tiere. Ihre groben, dunklen, schweren Züge, ihre großen Augen, die einander mißtrauisch anstierten, ihre barbarische, gutturale, halbtierische Aussprache, ihre zerfledder–ten Kleider, die sich im Winde blähten, alles stimmte prächtig zu dem verkommenen, ungesunden Eindruck, den die ganze Umgebung machte.

»Hier, Sambo«, sagte Legree, »nimm diese Leute hinunter ins Quartier, und hier hab ich dir ein Weib mitgebracht«, fügte er hinzu, als er die Mulattin von Emmeline trennte und sie ihm hinstieß.

»Du, mein Fräulein«, sagte er zu Emmeline, »du gehst mit mir.«

Für einen Augenblick erschien ein dunkles, wildes Gesicht an einem der Fenster; als Legree die Tür öffnete, gab eine weibliche Stimme rasch einige Befehle. Dies hatte Tom, der mit banger Teilnahme Emmeline nachgeblickt hatte, gehört und auch noch, daß Legree ärgerlich antwortete: »Du hältst deinen Mund! Das mach ich, wie es mir paßt.«

Mehr hörte Tom nicht, denn schon folgte er Sambo ins Quartier. Das Quartier war eine Art kleine Gasse mit rohen Hütten auf beiden Seiten in vier Reihen, in einem Teil der Plantage, der weit vom Hause entfernt war. Die Hütten hatten ein vernachlässigtes, unfertiges Aussehen. Toms Mut sank, als er sie erblickte. Er hatte sich mit dem Gedanken an eine Hütte getröstet, die gewiß unbequem war, doch die Möglichkeit bot, sie sauber und reinlich zu halten, wo er ein Bord für seine Bibel und einen Platz gehabt hätte, um sich nach der Arbeit auszuruhen. Er besichtigte verschiedene: Es waren reine Höhlen, ohne die geringsten Möbel, außer einer Strohhütte, die aber von Schmutz starrte und deren Boden aus der nackten, von unzähligen Füßen festgetrampelten Erde bestand.

»Welche soll mir gehören?« fragte er Sambo unterwürfig.

»Weiß nicht. Geh meinetwegen hier rein«, antwortete dieser. »Da ist vielleicht noch Platz für einen; schon jetzt ein ganzer Haufen Nigger in jeder; weiß nicht, wo ich die andern unterbringen soll.«

Spät am Abend strömten die müden Bewohner der Hütten heim–Männer und Frauen, in schmutziger, zerrissener Kleidung, verdrossen und abgearbeitet, keineswegs geneigt, die Neuankömmlinge freundlich zu begrüßen. Die kleine Siedlung hallte wider von Geräuschen, die wenig ermunternd klangen; heisere gutturale Stimmen stritten um die Handmühlen, in welchen die Arbeiter noch Mais mahlen mußten, um daraus einen Kuchen zu backen, aus dem ihr Abendbrot bestand. Vom ersten Morgengrauen an waren sie auf dem Feld gewesen, wo die Aufseher sie mit schwingender Peitsche zur Arbeit trieben, denn man stand mitten in der Ernte und unterließ kein Mittel, um aus jedem Arbeiter das letzte an Kraft und Leistung herauszupressen.

Als die Kolonne hereinströmte, blickte Tom vergeblich nach einem Gefährten aus. Er sah nur verdrossene, verbitterte, mürrische Männer und schwache, mutlose Frauen; die Starken stießen die Schwachen — er sah die tierische Selbstsucht von Menschen, von denen nichts Gutes mehr erwartet oder verlangt wird und die, in jeder Weise wie Tiere behandelt, so tief gesunken waren, als es für Menschen nur möglich ist. Noch bis in die späte Nacht hinein währte das Maismahlen, denn für die vielen waren verhältnismäßig wenig Mühlen vorhanden, und die Schwachen und Müden wurden von den Stärkeren verdrängt und kamen erst zuletzt an die Reihe.

»Heda«, sagte Sambo, ging zu der Mulattin und warf ihr einen Sack Mais vor die Füße, »wie zum Teufel heißt du?«

»Lucy«, antwortete das Weib.

»Also, Lucy, du bist jetzt mein Weib, du mahlst hier den Mais und backst meine Kuchen, verstanden?«

»Ich bin nicht dein Weib und will es nicht sein!« stieß sie mit dem Mute der Verzweiflung hervor; »geh weg!«

»Du kriegst einen Fußtritt«, sagte Sambo und hob drohend seinen Fuß.

»Bring mich ruhig um — je eher, desto besser! Ich wollte nur, ich wäre schon tot!« erwiderte die Frau.

»Wart, Sambo, wenn du die Arbeiter verminderst, sag ich es dem Herrn«, sagte Quimbo, der fleißig die Mühle drehte, von welcher er hinterhältig drei müde Frauen weggestoßen hatte, die auch ihren Mais mahlen wollten.

»Und ich sage ihm, daß du die Weiber nicht an die Mühle läßt, du alter Nigger«, entgegnete ihm Sambo. »Bleib du nur in deiner Reihe.«

Tom war hungrig von seinem Tagesmarsch und fiel fast um vor Erschöpfung.

»Da«, sagte Quimbo und warf einen groben Sack zu Boden, der einen Scheffel Mais enthielt; »da, Nigger, greif zu — und heb es gut auf, das muß eine Woche reichen.«

Tom wartete bis zu später Stunde auf einen Platz an der Mühle; aber als es dann soweit war, mahlte er mitleidig für zwei Frauen, die sich mit der Mühle mühten, schürte ihnen das herabgebrannte Feuer zu neuer Glut und richtete dann sein eigenes Mehl. Das war bisher noch nie geschehen, dieses kleine Zeichen der Nächstenliebe, und es erweckte ein Echo — ein Ausdruck weiblicher Güte erschien auf ihren harten Gesichtern. Sie rührten ihm seinen Kuchen an und überwachten das Backen; Tom aber saß im Schein des Feuers und zog seine Bibel heraus — ihn verlangte nach Trost.

»Was ist das?« fragte eine der Frauen.

»Eine Bibel«, antwortete Tom.

»Großer Gott, hab keine mehr gesehen, seit ich in Kentucky war.«

»Seid ihr in Kentucky aufgewachsen?« fragte Tom.

»Ja, in guten Verhältnissen; dachte nie, daß ich es bis hier bringen würde«, erwiderte die Frau und seufzte.

»Na, lies doch mal!« forderte eine andere Tom neugierig auf, als sie sah, wie aufmerksam er darin vertieft war.

Tom las: »Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, denn ich will euch erquicken.«

»Das sind gute Worte«, meinte die Frau; »wer sagt das?«

»Der Heiland«, erwiderte Tom.

»Ich wollte nur, ich wüßte, wo er zu finden ist, dann würde ich hingehen. Manchmal denke ich, ich finde keine Ruhe mehr. Mein Körper ist so ausgelaugt, ich zittere jeden Tag, und Sambo geifert immer hinter mir her, weil ich nicht schneller pflücke, und abends wird es oft Mitternacht, bevor ich mein Essen kriege. Dann hab ich mich kaum umgedreht und meine Augen zugemacht, da hör ich schon wieder das Horn zum Aufstehen blasen, und dann fängt der Morgen wieder an. Wenn ich nur wüßte, wo der Heiland ist, würde ich es ihm klagen.«

»Er ist hier, er ist überall«, sagte Tom.

»Ach, das kannst du mir nicht weismachen. Der Heiland ist nicht hier, aber alles Reden hat keinen Zweck. Besser, man kriecht hinein und schläft.«

Die Frauen verschwanden in ihrer Hütte, und Tom saß allein beim sinkenden Feuer.

Silbern und hellstirnig ging der Mond am purpurnen Himmel auf und blickte still und ruhig herab, wie Gott herabblickt auf die Stätte des Elends und der Unterdrückung — auf den einsamen schwarzen Mann, als er mit verschränkten Armen dasaß, die Bibel auf den Knien.

Auf dem Boden lagen bereits müde Schläfer hingestreckt, und die abgestandene Luft stieß ihn fast zurück; als einzige Hülle eine zerlöcherte Decke um sich schlagend, kroch er ins Stroh und schlief ein.

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