18. Kapitel Miß Ophelias Ansichten und Erfahrungen

Unser Freund Tom verglich oft auf seine einfache Weise sein glückliches Los in der Sklaverei mit dem Schicksal Josephs in Ägypten, und als die Zeit voranschritt und er sich tatsächlich mehr und mehr unter den Augen seines Herrn entwickelte, drängte sich auch ihm dieser Vergleich immer stärker auf.

St. Clare war nachlässig und achtlos in Geldsachen. Bisher hatte Adolf grundsätzlich das Einteilen und Einkaufen besorgt und sich darin mindestens so leichtsinnig und verschwenderisch wie sein Herr erwiesen; gemeinsam hatten beide mit großer Leichtigkeit die Verschwendung beschleunigt. Seit Jahren daran gewöhnt, seines Herrn Eigentum als eigene Verpflichtung zu betrachten, sah Tom mit einer Besorgnis, die er kaum verhehlen konnte, diese riesige Verschwendung an allen Ecken des großen Haushalts und machte zuweilen auf die leise indirekte Weise seiner Klasse Vorschläge, dem Unwesen zu steuern.

Zunächst stellte St. Clare ihn nur gelegentlich an, als ihm aber Toms gesunder Verstand und sein heller Geschäftssinn auffiel, zog er ihn allmählich ins Vertrauen, bis ihm schließlich alle Einkäufe für den Haushalt übertragen wurden.

»Nein, nein, Adolf«, sagte er, als Adolf sich eines Tages beschwerte, daß alle Befugnisse seinen Händen entglitten; »laß du Tom in Ruhe, du verstehst dich nur auf deine Wünsche, Tom versteht sich auf Kosten und Auslagen, und es muß sich einmal jemand darum kümmern, sonst wird das Geld eines Tages zu Ende sein.«

Tom wurde nun jeder Versuchung zur Untreue ausgesetzt, denn sein sorgloser Herr vertraute ihm grenzenlos und übergab ihm Rechnungen, die er selbst nicht ansah, und nahm das Wechselgeld, ohne es zu zählen in Empfang. Aber mit der unerschütterlichen Einfalt seines Herzens, verstärkt durch den christlichen Glauben, widerstand Tom jeder Verlockung. Im Gegenteil, ein schrankenloses Vertrauen war für seinen Charakter nur Schwur und Siegel zu einer noch peinlicheren Genauigkeit.

Bei Adolf war es genau umgekehrt gegangen. Gedankenlos, genußsüchtig und unbeaufsichtigt von einem Herrn, der es bequemer fand, ihn gewähren zu lassen, anstatt ihn zu beaufsichtigen, war er in bezug auf Mein und Dein einer völligen Verwirrung anheimgefallen, die zuweilen selbst St. Clare beunruhigte. Er sah wohl ein, daß seine Nachsicht für seine Leute gefährlich und nicht richtig war. Daher fühlte er sich von dauernden Gewissensbissen verfolgt, die jedoch nicht heftig genug waren, um sein Verhalten zu ändern; gerade diese Gewissensbisse veranlaßten ihn zu immer größerer Nachsicht. Die ernstesten Vergehen überging er leichthin, weil er sich sagen mußte, daß seine mangelnde Strenge seine Dienerschaft erst dazu gebracht hatte.

Tom betrachtete seinen leichtlebigen, heiteren und schönen jungen Herrn mit einer merkwürdigen Mischung von Unterwürfigkeit, Verehrung und väterlicher Besorgnis. Daß er niemals in der Bibel las, niemals zur Kirche ging, daß er sich über alles und jedes lustig machte, was seine Spottlust erregte, daß er die Sonntagabende in der Oper oder im Theater verbrachte, daß er öfter als nötig zu Galagelagen und Abendgesellschaften ging — das waren Dinge, die Tom so gut wie jeder andere bemerkte, und worauf er seine Überzeugung gründete, daß >der Herr kein Christ< war — eine Überzeugung, die er allerdings kaum einem anderen gegenüber ausgedrückt hätte, wenn sie ihm auch Anlaß war zu heißen Gebeten aus seinem einfachen Gemüt, die er in seiner kleinen Schlafkammer vor sich hinsprach. Das will nicht heißen, daß Tom nicht auch seine eigene Weise hatte, einmal seine Meinung zu sagen, wobei er jenen Takt bewies, der kennzeichnend ist für seine Klasse. Das geschah zum Beispiel am Tage nach jenem Sonntag, den wir beschrieben hatten, an dem St. Clare abends zu einem vergnügten Weingelage geladen und nachts zwischen ein und zwei Uhr in einem Zustand nach Hause gebracht worden war, als sein geistiges Bewußtsein bereits dem körperlichen Befinden weit unterlegen war. Tom und Adolf hatten ihm ins Bett geholfen, der letztere war dabei äußerst belustigt gewesen und hatte den Vorfall für einen guten Witz gehalten. Über Toms kindliches Entsetzen hatte er sich ausgeschüttet vor Lachen, jener war in der Tat einfältig genug gewesen, die restliche Nacht aufzubleiben und für seinen jungen Herrn zu beten.

»Na, Tom, auf was wartest du noch?« sagte St. Clare am nächsten Tage, als er in Morgenrock und Pantoffeln in seiner Bibliothek saß. St. Clare hatte Tom gerade mit etwas Geld und verschiedenen Besorgungen beauftragt. »Ist noch etwas nicht in Ordnung?« setzte er hinzu, als Tom noch immer wartend dastand.

»Ich befürchte es beinahe, Herr«, erwiderte Tom mit ernstem Gesicht. St. Clare ließ seine Zeitung sinken und setzte seine Kaffeetasse hin.

»Ja, Tom, was ist denn los? Du siehst wie ein Sarg so feierlich aus.«

»Mir geht es schlecht, Herr. Ich habe immer gedacht, der Herr sei gut zu jedermann.«

»Na, Tom, und das bin ich nicht? Schieß los, was möchtest du? Wahrscheinlich fehlt dir etwas, und dies ist die Einleitung.«

»Der Herr ist immer gut zu mir. In diesem Punkt kann ich nicht klagen. Aber zu jemand anders ist der Herr nicht gut.«

»Aber Tom, was ist denn in dich gefahren? Sprich frei heraus; was willst du?«

»Heute nacht zwischen eins und zwei, da fiel es mir auf. Seitdem habe ich darüber gegrübelt. Der Herr ist zu sich selbst nicht gut.«

Tom hatte seinem Herrn den Rücken zugekehrt, während er sprach, seine Hand lag auf dem Türgriff. St. Clare fühlte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg, aber er lachte.

»Oh, ist das alles?« fragte er wohlgelaunt.

»Alles!« sagte Tom, drehte sich plötzlich um und fiel auf die Knie. »Oh, lieber, junger Herr! Ich befürchte, Sie werden alles verlieren–Leib und Seele — alles! Die Heilige Schrift sagt: >Er beißt wie eine Schlange und sticht wie eine Otter!<«

Toms Stimme erstickte und Tränen liefen über seine Backen.

»Du alter Narr!« sagte St. Clare, selber mit Tränen in den Augen. »Steh auf, Tom. Ich bin nicht wert, daß man um mich weint.«

Aber Tom wollte sich nicht erheben und blickte mit flehenden Augen auf.

»Na also, ich werde nicht wieder hingehen zu diesen blöden Gesellschaften, Tom«, sagte St. Clare. »Auf mein Ehrenwort, nie wieder. Es hat mich immer geekelt, auch vor mir selber — also Tom, wisch dir die Tränen ab, und geh deinen Geschäften nach. Komm, laß sein«, setzte er hinzu, »keine Segenssprüche. Ich verdiene das gar nicht«, sagte er und schob Tom sanft zur Tür. »Also, Tom, auf Ehrenwort, du wirst mich in diesem Zustand nicht wieder sehen«, wiederholte er, und Tom ging hinaus, nachdem er sich tiefbefriedigt die Augen getrocknet hatte.

»Und ich werde Wort halten«, sagte St. Clare, als er die Tür schloß.

Und St. Clare hielt es, denn seiner Natur war grobe Sinnlichkeit keine gefährliche Versuchung.

Aber wer will unterdessen die vielfachen Bedrängnisse unserer Freundin Miß Ophelia schildern, die inzwischen das Amt einer Hausfrau in den Südstaaten übernommen hatte?

Am ersten Morgen ihrer Regentschaft erhob sich Miß Ophelia um vier Uhr. Nachdem sie ihr eigenes Zimmer in Ordnung gebracht, was sie zur staunenden Verwunderung des Stubenmädchens seit ihrer Ankunft jeden Morgen eigenhändig getan hatte, traf sie alle Vorbereitungen, um eine Untersuchung der Wandschränke und Kammern in Angriff zu nehmen, zu denen sie die Schlüssel hatte. Vorratskammer und Wäscheschränke, Porzellankammer, Küche und Keller mußten sich alle eine schreckliche Musterung gefallen lassen.

Da kamen verborgene Dinge der Dunkelheit in einem Ausmaß ans Tageslicht, das alle Gewaltigen im Küchenbereich in Schrecken versetzte und unter dem ganzen Personal Staunen und Murren über diese >nördliche Dame< erregte.

Die alte Dinah, Oberköchin und Inhaberin aller Herrschaft und Gewalt im Küchenbereich, wurde vom heiligen Zorn ergriffen über diesen — wie sie es empfand — Eingriff in ihre Rechte.

Dinah war auf ihre Weise ein besonderer Charakter, und wir täten ihrem Andenken unrecht, wenn wir dem Leser nicht einen näheren Begriff von ihrem Wesen vermittelten. Sie war die geborene Köchin, ebenso wie Tante Chloe — wie ja die Kochkunst eine besondere Gabe der Neger ist -, aber Chloe besaß Schulung und Methode und arbeitete in einem geordneten Hauswesen, während Dinah ein Genie eigener Prägung war, und wie das Genie im allgemeinen bestand auch sie hartnäckig und über die Maßen exzentrisch auf ihrer eigenen Ansicht. Kein noch so großer Aufwand an Scharfsinn, Autorität und Erklärungen konnte sie jemals überzeugen, daß ein anderes Verfahren besser war als ihr eigenes und daß sich ihre Maßnahmen auch nur im geringsten abwandeln ließen. So viel hatte sich schon ihre alte Herrin, Maries Mutter, eingeräumt, und >Miß Marie<, wie Dinah ihre junge Herrin selbst noch nach der Heirat nannte, hatte es leichter gefunden, ihr nachzugeben, als sich durchzusetzen, und auf diese Weise herrschte Dinah unumschränkt. Dies gelang ihr um so leichter, als ihr die diplomatische Kunst vorzüglich zu Gebote stand, die äußerste Demut im Gebaren mit der Unbeirrbarkeit ihres Handelns zu vereinigen.

Jetzt war die Zeit ihrer dringendsten Vorbereitung zum Mittagessen herbeigekommen. Da Dinah großer Pausen der Ruhe und Überlegung bedurfte und sich in ihren Anordnungen stets der größten Bequemlichkeit befleißigte, saß sie in der Küche auf dem Fußboden und rauchte ihre kurze Stummelpfeife, die sie heiß liebte und stets wie eine Art Opferfeuer anbrannte, wenn es sie nach der nötigen Beflügelung für ihre Anordnung verlangte. Damit lockte sich Dinah die Musen herbei. Um sie her saßen zahlreiche Glieder des kommenden Geschlechts, an denen ein südlicher Haushalt stets einen unbegrenzten Reichtum hat, die mit Erbsenpalen, Kartoffelschälen, Geflügelrupfen und anderen Vorbereitungen beschäftigt waren–wobei Dinah zuweilen ihre Überlegungen unterbrach und mit dem Puddinglöffel neben sich den jungen Gehilfen Schläge und Backenstreiche austeilte.

Jetzt betrat Miß Ophelia auf ihrem Rundgang durch alle Teile des Hauses endlich auch die Küche. Dinah hatte bereits aus verschiedenen Quellen erfahren, was vorging, und beschlossen, eine Stellung der Verteidigung zu beziehen, mit der festen Absicht, sich allen neuen Maßnahmen ohne sichtbaren Kampf zu widersetzen und sie stillschweigend zu übergehen.

Die Küche war ein großer, mit Ziegelsteinen gepflasterter Raum, mit einem großen, altmodischen Küchenherd, der eine ganz Seite einnahm; vergeblich hatte St. Clare Dinah zu überreden versucht, ihn mit einem modernen Kochherd zu vertauschen, aber das tat sie im Leben nicht.

Als Miß Ophelia die Küche betrat, blieb Dinah ruhig sitzen und rauchte in göttlicher Ruhe ihre Pfeife, nur aus einem Augenwinkel verfolgte sie die Schritte der anderen, sonst scheinbar völlig vertieft in die Vorgänge um sie her.

Miß Ophelia begann, die Fächer einer Kommode aufzuziehen.

»Wozu ist diese Schublade, Dinah?« fragte sie.

»Sie dient zu allem Möglichen, gnädiges Fräulein«, sagte Dinah. Das traf allem Anschein nach zu. Aus dem bunten Allerlei ihres Inhalts zog Miß Ophelia zuerst ein feines Damasttafeltuch voller Blutflecke hervor, offensichtlich benutzt zum Einwickeln von rohem Fleisch.

»Was ist dies, Dinah? Du wickelst doch nicht dein Fleisch in das beste Tafeltuch ein?«

»O Gott, gnädiges Fräulein, gewiß nicht. Mir fehlten die Handtücher, da nahm ich das. Ich hab es da zum Waschen reingelegt, darum liegt es dort.«

»Liederlich«, sprach Miß Ophelia zu sich selbst, zog die Schublade heraus und stülpte sie um. Da fand sie eine Muskatnußreibe und zwei bis drei Muskatnüsse, ein Gesangbuch, ein paar schmutzige bunte Taschentücher, ein Strickzeug mit Garn, Tabakblätter und eine Pfeife, einige Zwiebäcke und verschiedene durchlöcherte Tüten, aus denen getrocknete Küchenkräuter hervorrieselten.

»Wo hebst du deine Muskatnüsse auf, Dinah?« fragte Miß Ophelia und sah aus, als ob sie um Geduld betete.

»Beinah überall, gnädiges Fräulein; ein paar sind in der kaputten Teetasse da oben und ein paar drüben im Schrank.«

»Hier liegen ein paar in der Reibe«, sagte Miß Ophelia und hielt sie in die Höhe.

»Lieber Gott, ja. Heute morgen hab ich sie da hingetan — ich habe meine Sachen gern zur Hand«, erwiderte Dinah. »He, Jake, was reißt du das Maul auf? Hast du es mitgekriegt? Sei still!« und schon schlug sie mit ihrem Stock nach dem Übeltäter.

»Ich werde die ganz Küche durchsehen und alles in Ordnung bringen, ein für allemal, Dinah, und dann erwarte ich, daß du Ordnung hältst.«

»Um Gottes willen, Fräulein Ophelia, das schickt sich nicht für Damen. Das habe ich bei Damen nie erlebt! Meine alte Gnädige und auch Miß Marie haben das nie getan, und ich wüßte auch nicht, wozu es gut wäre.« Tief gekränkt schob Dinah ab, während Miß Ophelia Geschirr sortierte und auftürmte, den Inhalt verschiedener Zuckerdosen in ein Gefäß leerte, Servietten und Handtücher zur Wäsche heraussuchte und mit eigener Hand, mit einer Geschwindigkeit und einem Unternehmungsgeist alles selber abwusch und auswischte, daß Dinah vor Erstaunen erstarrte.

»Du lieber Gott, wenn so die Damen im Norden wirtschaften, dann sind es keine Damen«, sagte sie zu ihren Untergebenen, als sie außer Hörweite war. »Ich habe meine Sachen auch in Ordnung, wenn es Zeit zum Aufräumen wird; aber Damen mag ich nicht im Wege haben, die mir alles wegkramen, damit ich nichts mehr finden kann.«

In wenigen Tagen hatte Miß Ophelia jeden Teil des Hauses nach einem bestimmten Muster auf das Gründlichste umgekehrt; aber ihre Anstrengungen auf allen Gebieten, die der Zusammenarbeit mit den Leuten bedurften, waren vergeblich. Verzweifelt wandte sie sich eines Tages an St. Clare.

»Es ist einfach unmöglich, in deine Familie System zu bringen.«

»Ganz recht, das ist unmöglich«, sagte St. Clare.

»Solche liederliche Führung, solche Verschwendung und Verwirrung habe ich noch nie gesehen!«

»Das kann ich mir denken.« »Aber Augustin, du weißt nicht, in welchem Zustand ich alles fand.«

»Das wüßte ich nicht? Ich wüßte nicht, daß sie das Nudelholz unter ihrem Bett verwahrt und die Muskatreibe in ihrer Tasche mit dem Tabak, daß sie über fünfundsechzig verschiedene Zuckerdosen hat, eine in jeder Ecke des Hauses, daß sie einen Tag das Geschirr mit einer Tischserviette wäscht, und am nächsten mit einem Stück alten Unterrock? Aber das Entscheidende ist, sie bringt herrliche Mahlzeiten zustande und bereitet einen wunderbaren Kaffee; du mußt sie beurteilen, wie Feldherren und Staatsmänner beurteilt werden, nach ihrem Erfolg.«

»Aber die Verschwendung — die Ausgaben?«

»Na, ja! Verschließe, was du kannst, und nimm den Schlüssel an dich, gib alles einzeln heraus, aber frage nie, was übrigbleibt.«

»Das bekümmert mich, Augustin. Ich kann mir nicht helfen, deine Leute kommen mir nicht absolut ehrlich vor. Kann man sich auf sie verlassen?«

Augustin lachte unmäßig über das ernste und bange Gesicht, mit dem Miß Ophelia diese Frage stellte.

»O Kusine, das ist unbezahlbar — ehrlich! — Als ob man das erwarten könnte! Ehrlich — natürlich sind sie das nicht. Wozu sollten sie auch? Wie in aller Welt kämen sie dazu?«

»Warum unterweisest du sie nicht?«

»Unterweisen! Larifari! Wie sollte ich sie unterweisen? So sehe ich aus! Was Marie angeht, so hat sie Gemüt genug, eine ganze Plantage zu töten, wenn ich sie gewähren ließe. Aber das Betrügen könnte sie ihnen nicht austreiben.«

»Und es gibt keine Ehrlichen?«

»Nun, hin und wieder wohl einen, den die Natur so unpraktisch einfach, aufrichtig und treu angelegt hat, daß ihn der schlimmste Einfluß nicht verderben kann. Aber siehst du, schon an der Mutterbrust spürt und sieht das farbige Kind, daß ihm nur die krummen Wege offen sind.«

»Und was wird aus ihren Seelen?«

»Soviel ich weiß, geht mich das nichts an«, sagte St. Clare; »ich befasse mich nur mit den Tatsachen des irdischen Lebens. Tatsächlich ist man wohl allgemein dahin übereingekommen, ihnen hier auf Erden zu unseren Gunsten die Hölle zu bereiten, was danach kommt, soll uns nicht kümmern.«

»Das ist ja wirklich entsetzlich!« sagte Miß Ophelia; »ihr solltet euch schämen!«

»Das weiß ich nicht recht. Wir befinden uns dabei in keiner schlechten Gesellschaft«, sagte St. Clare, »wie das Leuten auf der breiten Straße zu gehen pflegt. Betrachte dir hoch und niedrig in der ganzen Welt, überall ist es dieselbe Geschichte. Die niedere Klasse wird verbraucht, mit Leib und Geist und Seele zugunsten der oberen. So geschieht es in England, so geschieht es überall, und doch erbleicht die ganze Christenheit in tugendhafter Entrüstung, weil bei uns dasselbe nur ein klein wenig in anderer Form geschieht.«

»Aber in Vermont ist es nicht so.«

»Nun ja, in Neu–England und den freien Staaten seid ihr uns voraus, das gebe ich zu. Aber da läutet die Glocke, also lassen wir unsere Vorurteile vorderhand ruhen, Kusine, gehen wir zu Tisch.«

Wir laufen Gefahr, unseren bescheidenen Freund Tom über den Erlebnissen der feinen Leute ein wenig zu vernachlässigen. Aber wenn der Leser uns hinauf in die kleine Kammer über den Ställen folgen will, mag er vielleicht ein wenig mehr über seine Sorgen und Nöte erfahren. Es war ein sauberes Stübchen und enthielt ein Bett, einen Stuhl und einen kleinen rohgezimmerten Tisch, auf dem Toms Bibel und Gesangbuch lagen und an dem er gegenwärtig sitzt; seine Schiefertafel vor sich und ganz vertieft in eine Tätigkeit, die ihm anscheinend große Mühe macht. Tatsächlich hatte Toms Heimweh so zugenommen, daß er Eva um einen Briefbogen gebeten hatte und nun sein ganzes literarisches Wissen, das er sich unter Herrn Georgs Belehrung erworben hatte, aufbot und mit dem kühnen Gedanken spielte, einen Brief zu verfassen. Und jetzt war er dabei, auf der Schiefertafel einen ersten Entwurf anzufertigen. Tom war in großen Nöten, denn er hatte die Form mancher Buchstaben ganz und gar vergessen und die, an die er sich erinnerte, wußte er nicht mehr genau anzuwenden. Während er sich abmühte, ließ sich Eva wie ein Vogel auf der Rücklehne seines Stuhles nieder und lugte ihm über die Schulter.

»Oh, Onkel Tom, was machst du da für komische Sachen!«

»Ich versuche, an meine Alte und die kleinen Kinderchen zu schreiben, Miß Eva«, sagte Tom und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen, »aber ich befürchte, ich kriege es nicht zustande.«

»Ich würde dir gerne helfen, Onkel Tom. Ich habe ja ein bißchen Schreiben gelernt. Im vorigen Jahr kannte ich alle Buchstaben, aber ich fürchte, ich habe viele vergessen.«

So beugte sich Evas goldenes Köpfchen neben ihm über die Tafel, und beide begannen eine ernste und besorgte Unterhaltung, alle beide tiefernst und unwissend. Mit vielem Grübeln und Nachdenken begannen ihre Worte eine Form anzunehmen, die sie in ihrer Begeisterung für ganz leserlich hielten.

»Ja, Onkel Tom, es sieht schon ganz schön aus«, rief Eva, ihr Werk mit Entzücken betrachtend. »Wie wird sich deine Frau freuen und erst die armen kleinen Kinder! Ach, es ist eine Schande, daß du sie verlassen mußtest. Ich will doch Papa fragen, ob er dich nicht eines Tages ziehen läßt.«

»Die gnädige Frau hat gesagt, sie wolle Geld schicken, sobald sie es zusammen hätte«, sagte Tom. »Sie wird es sicher tun. Und der junge Herr Georg hat gesagt, er wolle mich holen, und er gab mir diesen Dollar hier als ein Zeichen«, und Tom zog den kostbaren Dollar unter seinen Kleidern hervor.

»Oh, dann kommt er gewiß«, sagte Eva, »da freue ich mich!«

»Und ich wollte ihnen jetzt einen Brief schicken, damit sie wissen, wo ich bin, und der armen Chloe sagen, daß es mir gutgeht–weil es ihr so naheging, der armen Seele!«

»Hallo, Tom!« ertönte da St. Clares Stimme, der in diesem Augenblick zur Tür hereintrat.

Tom und Eva fuhren beide auf.

»Was geht denn hier vor?« fragte St. Clare herankommend und blickte auf die Tafel.

»Ach, das ist Toms Brief. Ich helfe ihm beim Schreiben«, erwiderte Eva. »Ist er nicht sehr schön?«

»Ich will euch beide nicht entmutigen«, sagte St. Clare, »aber ich würde meinen, Tom, es wäre besser, wenn du ihn mich schreiben ließest. Ich schreibe ihn dir, wenn ich von meinem Ausritt zurück bin.«

»Es ist sehr wichtig, daß er schreibt«, erklärte Eva, »weil seine Herrin Geld schicken will, um ihn loszukaufen, weißt du, Papa. Er hat mir erzählt, daß sie ihm das versprochen haben.«

St. Clare dachte im stillen, daß es sich hier wieder einmal um ein Versprechen handelte, wie es gutherzig Eigentümer ihren Sklaven geben, um ihren Schrecken vor dem Verkauf zu mildern, ohne dabei die Absicht zu hegen, die so erregte Erwartung auch zu erfüllen. Aber davon ließ er nichts verlauten, sondern befahl nur Tom, die Pferde für den Ritt zu satteln.

Am Abend wurde Toms Brief in gehöriger Form geschrieben und sicher auf dem Postamt abgegeben.

Miß Ophelia setzte ihre Bemühungen um die Wirtschaft unbeirrt fort. Im Haushalt war man — von Dinah abwärts bis zum jüngsten Gemüse — allgemein der Ansicht, daß Miß Ophelia völlig >komisch< sei, eine Bezeichnung, mit der im Süden die Dienerschaft umschreibt, daß ihre Herrschaft ihnen nicht recht zusagt.

Dagegen erklärte der höhere Haushaltszirkel — Adolf, Jane und Roland — übereinstimmend, daß sie keine Dame sei; Damen rackerten sich nicht so ab. Damen hätten etwas >Feines<, und sie waren überrascht, daß sie eine Verwandte des Mr. St. Clare war. Selbst Marie behauptete, es sei ermüdend, Kusine Ophelia immer so in Tätigkeit zu sehen. Und in der Tat war Miß Ophelias Fleiß ohne Ende und gab alle Ursache zu diesen Klagen. Sie säumte und nähte vom Morgen bis zum Abend mit einer Energie, als würde sie beständig zur Eile angetrieben; war dann das Tageslicht verblaßt, kam blitzschnell das stets bereite Strickzeug zum Vorschein, und schon ging es wieder los, und sie war so tätig wie vorher. Es war wirklich sehr anstrengend mitanzusehen.

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