19. Kapitel Topsy

Eines Morgens, als Miß Ophelia ihren häuslichen Pflichten nachging, vernahm man St. Clares Stimme, der unten an der Treppe nach ihr rief.

»Komm doch mal herunter, Kusine, ich habe dir etwas zu zeigen.«

»Was denn?« fragte Miß Ophelia und kam mit der Näharbeit in der Hand herunter.

»Ich habe etwas für dein Arbeitsgebiet gekauft — da sieh«, sagte St. Clare, und mit diesen Worten zog er ein kleines Negermädchen herbei, das ungefähr acht oder neun Jahre alt war.

Die Kleine war pechschwarz, und ihre glänzenden Augen, glitzernd wie Glasperlen, schweiften blitzschnell über alle Geräte im Zimmer. Ihr Mund stand vor Staunen über alle die Wunder im Zimmer ihres neuen Herrn halb offen und ließ zwei Reihen blendend weißer Zähne sehen. Das wollige Haar war in straffe, kleine Zöpfchen geflochten, die nach jeder Richtung abstanden. Der Ausdruck ihres Gesichtes zeigte eine sonderbare Mischung von Schlauheit und Gerissenheit, über den sich wie eine Art Schleier ein Ausdruck beflissener Frömmigkeit legte. Sie war nur in ein Stück schmutzige Sackleinwand gekleidet; unterwürfig stand sie mit gefalteten Händen da. Über ihrer ganzen Erscheinung lag etwas merkwürdig Koboldhaftes — etwas, wie es Miß Ophelia später erklärte, >völlig Heidnisches<, was die gute Dame mit Entsetzen erfüllte. Sich an St. Clare wendend, sprach sie:

»Augustin, wozu in aller Welt hast du das Ding hergebracht?«

»Einzig dazu, daß du es erziehst und ihm den rechten Weg weisest. Sie kam mir wie eine komische kleine Vogelscheuche vor. He, Topsy«, setzte er hinzu und pfiff, wie man einem Hunde pfeift, »sing einmal etwas vor, und zeige, wie du tanzen kannst.«

Die schwarzen Augen blitzten in drolliger Komik, und das kleine Ding fing an, mit klarer, schriller Stimme eine seltsame Negermelodie zu singen, wozu sie mit Händen und Füßen den Takt schlug, herumwirbelte, in die Hände klatschte und in einem wilden, phantastischen Takte die Knie aneinanderschlug und dabei jene gutturalen Kehllaute hervorstieß, die für die Negermusik charakteristisch sind; schließlich landete sie nach ein oder zwei Luftsprüngen und einem langgezogenen Schlußtriller, der so merkwürdig und unwirklich klang wie der Pfiff einer Eisenbahn, plötzlich auf dem Teppich und stand wieder mit gefalteten Händen und einem höchst scheinheiligen Gesichtsausdruck feierlicher Demut da, zu dem nur die listigen Seitenblicke nicht recht passen wollten, die sie aus den Augenwinkeln um sich warf.

Miß Ophelia war stumm vor Staunen.

St. Clare schien sich wie ein Lausbub an ihrem Staunen zu weiden, dann wandte er sich an das Kind und sprach:

»Topsy, dies ist die neue Herrin, ihr übergebe ich dich jetzt, gib acht, und benimm dich gut.«

»Ja, Herr«, sagte Topsy mit scheinheiligem Ernst, während ihre durchtriebenen Augen funkelten.

»Du mußt brav sein, Topsy, verstehst du«, sagte St. Clare.

»O ja, Herr«, antwortete Topsy und funkelte wieder mit demütig gefalteten Händen.

»Aber Augustin, was in aller Welt soll das bedeuten?« fragte Miß Ophelia. »In diesem Haus wimmelt es von diesen kleinen Plagegeistern, kein Mensch kann einen Fuß rühren, ohne auf sie zu treten. Morgens stehe ich auf und finde eins schlafend hinter der Tür, unter dem Tisch taucht ein schwarzer Kopf auf, auf der Türmatte liegt das nächste; sie turnen und balgen sich am Treppengeländer, sie purzeln in der Küche umher, wozu in aller Welt noch eins mehr dazu?«

»Damit du seine Erziehung übernimmst, sagte ich das nicht? Du redest doch immer von Erziehung. Da dachte ich, bringe ich dir eins zum Geschenk, daran magst du dich versuchen und sie in die richtige Bahn lenken.«

»Ich will sie gewiß nicht haben. Ich habe schon mehr mit ihnen zu schaffen, als mir lieb ist.«

»Das nenne ich echt christlich! Ihr gründet einen Verein und beauftragt ein paar arme Missionare, bis an ihr Lebensende bei solchen Heiden zu bleiben. Aber zeige mir einen von euch, der sich die Mühe macht, einen Neger ins Haus zu nehmen und selber die Bekehrung zu vollziehen. Nein. Wenn es dazu kommen soll, sind sie schmutzig und unangenehm, dann macht es zuviel Mühe und so weiter.«

»Augustin, du weißt, daß ich es nicht in dem Licht betrachtete«, sagte Miß Ophelia, offensichtlich weicher werdend. »Es mag wohl wirklich eine Missionsaufgabe sein«, setzte sie hinzu und blickte nachsichtiger auf das Kind.

St. Clare hatte die richtige Saite berührt. Miß Ophelias Gewissenhaftigkeit konnte man immer anrufen. »Aber«, setzte sie hinzu, »daß du dieses Kind extra kaufen mußtest, sehe ich nicht recht ein–in diesem Hause sind genug andere, denen ich Zeit und Kraft opfere.«

»Ach, komm doch, Kusine«, sagte St. Clare und zog sie beiseite. »Ich sollte dich um Verzeihung bitten für meine losen Reden. Du bist doch die Güte selbst. Die Sache ist die, dieses Balg gehörte ein paar Trunkenbolden, die eine billige Kneipe haben, an der ich jeden Tag vorüberkomme, und schließlich hatte ich es satt, immer ihr Geschrei zu hören, wenn die Alten sie schlugen und beschimpften. Sie sah außerdem so lustig und schlau aus, als ob sich aus ihr etwas machen ließe — darum habe ich sie gekauft und will sie dir schenken. Versuche es doch, und erziehe sie auf gute, alte neu–englische Art, und dann warte ab, was daraus entsteht. Du weißt doch, ich habe dazu keine Begabung, aber ich möchte gern, daß du es versuchst.«

»Nun, dann will ich tun, was in meinen Kräften steht«, sagte Miß Ophelia, und sie näherte sich ihrem Zögling, wie man sich ungefähr einer schwarzen Spinne nähert, der man nichts zu Leide tun will.

»Sie ist entsetzlich schmutzig und halbnackt«, bemerkte sie.

»Dann nimm sie hinunter, und laß sie säubern und frisch anziehen.«

Miß Ophelia brachte sie in die Küche.

»Verstehe nicht, daß Mr. St. Clare immer noch neue Nigger kauft«, sagte Dinah und sah recht unfreundlich auf den Neuankömmling. »Hier unten ist sie überflüssig, soviel steht fest.«

»Puh«, sagten Rosa und Jane naserümpfend, »uns soll sie auch fernbleiben. Warum in aller Welt der Herr immer noch neue Nigger anschafft, ist gar nicht einzusehen!«

»Haltet den Mund! Du bist genau so ein Nigger, Fräulein Rosa«, sagte Dinah, die sich von der letzten Bemerkung getroffen fühlte. »Du scheinst dich für eine Weiße zu halten. Du bist gar nichts, weder schwarz noch weiß. Ich bin lieber das eine oder das andere.«

Miß Ophelia mußte einsehen, daß sich in diesem Lager niemand bereit fand, das Säubern und Einkleiden des neuen Ankömmlings zu übernehmen; sie sah sich gezwungen, es selber zu tun, wobei ihr Jane nur sehr widerwillig und ungnädig zur Hand ging.

Vornehme Ohren dürfen sich die Beschreibung der ersten Toilette eines vernachlässigten und mißhandelten Kindes nicht anhören. Es steht fest, daß in dieser Welt zahllose Menschen in Umständen leben und sterben müssen, die nur zu schildern und anzuhören für die Nerven ihrer Mitmenschen einen zu großen Schock bedeutet. Miß Ophelia war voll praktischer und energischer Entschlossenheit. Sie vollzog den Reinigungsprozeß mit heroischer Gründlichkeit — aber wir müssen gestehen, mit keinem sehr freundlichen Gesicht -, sie hielt aus, aber Gefühl vermochte sie nicht aufzubringen. Erst als sie auf des Kindes Rücken und Schultern große Striemen und Narben entdeckte, unauslöschliche Kennzeichen des Systems, unter dem es bisher aufgewachsen war, füllte sich ihr Herz mit Mitleid.

»Da, sehen Sie«, sagte Jane und deutete auf die Narben. »Zeigt das nicht, daß sie ein Teufelsbraten ist? Wir werden unseren Tanz mit ihr haben, schätze ich. Ich hasse diese Niggerbälger, widerlich. Ich staune, daß der Herr sie gekauft hat.«

Der Teufelsbraten hörte sich diese Bemerkung mit der unterwürfigen und kläglichen Miene an, die wir schon an ihm kennen, er streifte nur mit hurtigem, verstohlenem Blick seiner glitzernden Augen Janes Ohrenschmuck. Als sie schließlich ein sauberes und heiles Kleidchen trug und ihr Haar kurz geschnitten war, stellte Miß Ophelia mit Befriedigung fest, daß sie nun schon christlicher aussah, und überlegte die ersten Pläne zu ihrer Unterweisung.

Sie nahm Platz und stellte ein Verhör an.

»Wie alt bist du, Topsy?«

»Weiß nicht, Frau«, sagte der Kobold und zeigte grinsend alle Zähne.

»Weißt du nicht, wie alt du bist? Hat dir das niemand gesagt? Wer war deine Mutter?«

»Habe keine gehabt!« sagte das Kind und grinste wieder.

»Du hast keine gehabt, was soll das heißen? Wo bist du geboren?«

»Bin nicht geboren!« beteuerte Topsy mit neuem Grinsen, das so koboldartig wirkte, daß Miß Ophelia, hätte sie dazu geneigt, sich einbilden mußte, einen Gnom aus dem Teufelsland erwischt zu haben, aber Miß Ophelia neigte nicht dazu; sie war einfach, praktisch und sprach daher mit einiger Strenge:

»So mußt du mir nicht antworten, Kind. Sage mir, wo du geboren bist und wer deine Eltern waren.«

»Bin nicht geboren«, wiederholte das Kind ausdrücklich, »habe keinen Vater, keine Mutter, rein gar nichts. Ein Händler zog mich auf mit einer Masse anderen. Alte Tante Sue hat uns gehütet.«

Das Kind sprach offensichtlich die Wahrheit, und Jane erklärte mit gereiztem Lachen:

»O Gott, gnädiges Fräulein, solche gibt es in Unmassen. Die werden billig aufgekauft, wenn sie klein sind, und für den Verkauf aufgezogen.«

»Wie lange warst du bei deinem letzten Herrn?«

»Weiß nicht, Frau.«

»War es ein Jahr oder länger oder kürzer?«

»Weiß nicht, Frau.«

»O Gott, gnädiges Fräulein, das wissen so niedrige Nigger nicht. Sie verstehen nichts von der Zeit«, sagte Jane; »sie wissen nicht, was ein Jahr ist, sie kennen ihr eigenes Alter nicht.« »Hast du jemals etwas von Gott gehört, Topsy?«

Das Kind machte eine verlegenes Gesicht und grinste wie bisher.

»Weißt du, wer dich erschaffen hat?«

»Niemand, soviel ich weiß«, sagte das Kind lachend.

Die Vorstellung schien sie entschieden zu amüsieren; denn ihre Augen funkelten, und sie setzte hinzu: »Ich bin allein gewachsen, mich hat niemand geschafft.«

»Kannst du nähen?« fragte Miß Ophelia, die ihren Fragen jetzt eine mehr praktische Wendung zu geben trachtete.

»Nein, Frau.«

»Was kannst du denn? — Was hast du für deinen Herrn getan?«

»Wasser geholt, Geschirr gespült, Messer geputzt, Leute bedient.«

»Waren sie gut zu dir?«

»Ich glaube«, sagte das Kind und blickte Miß Ophelia schlau an.

Miß Ophelia erhob sich nach dieser wenig ermutigenden Unterhaltung; St. Clare neigte sich über ihre Stuhllehne.

»Hier findest du jungfräulichen Boden, Kusine; stecke deine eigenen Gedanken hinein — auszuziehen gibt's da keine.«

Miß Ophelias Begriffe von Erziehung waren wie alle ihre Begriffe sehr bestimmt und entschieden und von der Art, wie sie in Neu–England vor einem Jahrhundert bestanden und sich noch erhalten haben in den entlegenen und unberührten Teilen, wo es noch keine Eisenbahn gibt. Sie ließen sich in wenige Worte zusammenfassen; dem Kinde wurde beigebracht, daß es gehorchen muß, es wurde im Katechismus, im Nähen und Lesen unterrichtet, und es wurde geschlagen, wenn es log. Heute fällt natürlich eine Flut von Licht auf alle Erziehung, so daß diese altmodischen Begriffe längst überholt sind, dennoch läßt sich nicht leugnen, daß unsere Großmütter einige recht vernünftige Männer und Frauen danach großgezogen haben, was viele von uns noch bestätigen und bezeugen können. Jedenfalls wußte es Miß Ophelia nicht besser und widmete sich daher ihrem Heidenkind mit der allergrößten Sorgfalt.

Das Kind galt im ganzen Haus als Miß Ophelias Mädchen, und da man es in der Küche nur sehr ungnädig betrachtete, entschloß sich Miß Ophelia, sein Wirkungsfeld und seinen Unterricht hauptsächlich auf ihr Zimmer zu beschränken — mit aufopfernder Überwindung, die einige Leser vielleicht zu würdigen wissen, entschloß sie sich, anstatt in aller Ruhe selbst ihr Bett zu machen und ihr eignes Zimmer zu kehren und abzustauben — was sie bisher, aller angebotenen Hilfeleistung von Seiten des Stubenmädchens ungeachtet, eigenhändig getan hatte — nahm sie das Märtyrertum auf sich, Topsy in der Verrichtung dieser Dinge zu unterweisen — wehe diesem Tag! War jemals einer unserer Leser in der gleichen Lage, wird er ihr die Pein nachfühlen können.

Miß Ophelia fing damit an, daß sie Topsy am ersten Morgen mit in ihr Zimmer nahm und sie feierlich in die Geheimnisse des Bet–tenmachens einweihte.

Da sehen wir also Topsy, gewaschen und geschoren und aller ihrer kleinen Rattenschwänze beraubt, die ihres Herzens Freude waren, angetan mit einem sauberen Kleid und frisch gestärkter Schürze, wie sie ehrerbietig vor Miß Ophelia steht und sie mit einem Ausdruck von Feierlichkeit anstarrt, der einem Begräbnis angemessen wäre.

»Also, Topsy, ich werde dir jetzt zeigen, wie mein Bett gemacht wird. Ich bin sehr eigen mit meinem Bett. Du mußt das genau lernen.«

»Ja, Madam«, sagte Topsy mit tiefem Seufzer und einem Gesicht voll kläglichem Ernst.

»Also, Topsy, sieh her, dies ist der Saum des Lakens — dies die linke Seite -, wirst du das behalten?«

»Ja, Madam«, antwortete Topsy mit einem neuen Seufzer.

»Jetzt also mußt du das untere Laken unter das Polster ziehen–so — und hier unter der Matratze einstecken. Schön glatt — so -, siehst du das?« »Ja, Madam«, sagte Topsy mit tiefer Aufmerksamkeit.

»Aber das obere Laken«, fuhr Miß Ophelia fort, »muß so gelegt und am Fußende fest und glatt eingesteckt werden.«

»Ja, Madam«, sagte Topsy wieder; - aber wir müssen hinzufügen, was Miß Ophelia nicht gesehen hatte, daß es der jungen Schülerin, während ihr die gute Dame im Eifer ihrer Unterweisung den Rücken zugekehrt hatte, gelungen war, ein Paar Handschuhe und ein Seidenband zu erraffen und geschickt in ihren Ärmel zu schieben, um dann wie vorher wieder mit gefalteten Händen dazustehen.

»Nun, Topsy, jetzt versuch du es einmal«, sagte Miß Ophelia, zog die Tücher heraus und setzte sich hin.

Mit Ernst und Geschicklichkeit verrichtete Topsy ihre Arbeit zu Miß Ophelias völliger Zufriedenheit, sie glättete die Laken, strich jede Falte aus und zeigte bei dem ganzen Vorgang einen Ernst und eine Beflissenheit, die ihre Lehrerin höchst erbaute. Jedoch durch eine unglückliche Bewegung glitt ein flatterndes Ende des Seidenbandes aus ihrem Ärmel und erregte Miß Ophelias Aufmerksamkeit, gerade als sie fertig war. Miß Ophelia ergriff es augenblicklich.

»Was ist das? Du böses, schlechtes Kind — du hast mir das gestohlen!«

Das Band wurde aus Topsys Ärmel gezogen, was sie jedoch keineswegs aus der Fassung brachte; sie betrachtete es nur mit der Miene überraschter und arglosester Unschuld.

»O Gott, das ist doch Miß Feelys Band? Wie kam es denn in meinen Ärmel?«

»Topsy, lüge nicht! Du hast das Band gestohlen!«

»Frau, ich sage es dir, ich habe es nicht getan — ich habe es nie gesehen bis zu dieser Minute.«

»Topsy, du kriegst Prügel, wenn du lügst.«

»O Gott, Frau, und wenn du mich den ganzen Tag schlägst, ich war es nicht«, sagte Topsy und fing an zu heulen. »Ich habe es nie gesehen — es muß in meinen Ärmel geschlüpft sein. Miß Feely muß es auf dem Bett gelassen haben, und es verfing sich in meinen Kleidern und fing sich in meinem Ärmel.«

Miß Ophelia war so entrüstet über diese schamlose Lüge, daß sie das Kind ergriff und schüttelte.

»Das sag mir noch einmal.«

Durch das Schütteln waren die Handschuhe aus dem andern Ärmel zu Boden gefallen.

»Oha!« sagte Miß Ophelia, »willst du immer noch behaupten, du hast das Band nicht gestohlen?«

Topsy bekannte jetzt den Diebstahl der Handschuhe, aber in bezug auf das Band blieb sie bei ihrem Leugnen.

»Komm, Topsy«, sagte Miß Ophelia, »wenn du mir alles gestehst, gibt es diesmal keine Prügel.« Auf dieses Versprechen hin gestand Topsy alles, nicht ohne ihre Reue zu beteuern.

»Also, nun sag mir einmal genau: Ich weiß, du hast auch schon andere Sachen genommen, seitdem du im Hause bist, denn gestern habe ich dich überall herumlaufen lassen. Also nun gestehe mir, was du noch genommen hast, und du bekommst keine Prügel!«

»Ach, Frau! Ich nahm das rote Ding von Miß Eva, das sie um den Hals trägt.«

»Wirklich? Du böses Kind! Was denn noch?«

»Ich nahm Rosas Ohrringe — die roten.«

»Geh und bring sie her, alle beide, in dieser Minute!«

»O Gott, Frau! Ich kann nicht — sie sind verbrannt.«

»Warum hast du sie verbrannt?«

»Weil ich bös bin — jawohl. Ich bin mächtig böse. Das ist in mir.«

Im selben Augenblick kam Eva ahnungslos ins Zimmer mit dem fraglichen Halsband um den Hals.

»Ach Eva, wo hast du das Halsband her?«

»Her? Ich trage es schon den ganzen Morgen«, sagte Eva.

»Hast du es gestern auch gehabt?«

»Ja, und komischerweise auch die ganze Nacht, Tantchen. Ich vergaß, es abzunehmen, als ich zu Bett ging.«

Miß Ophelia sah ganz bestürzt aus, um so mehr, als in diesem Augenblick Rosa mit einem Korb frisch geplätteter Wäsche auf dem Kopf und den tanzenden Korallenringen in den Ohren ins Zimmer trat.

»Jetzt weiß ich nicht mehr, was ich mit solch einem Kind anfangen soll«, rief sie in Verzweiflung. »Warum in aller Welt hast du gesagt, du hast Sachen gestohlen, Topsy?«

»Aber Frau hat doch gesagt, ich soll gestehen, und was anderes ist mir nicht eingefallen«, sagte Topsy.

»Aber ich wollte natürlich nicht, daß du mir Dinge gestehst, die du gar nicht genommen hast«, sagte Miß Ophelia, »das ist ebenso gelogen wie das andere.«

»Ach, Gott, wirklich?« rief Topsy mit Unschuldsmiene.

»In dem Teufelsbraten steckt nicht eine Spur von Wahrheit«, sagte Rosa und blickte voll Entrüstung auf Topsy. »Wenn ich Mr. St. Clare wäre, würde ich sie bis aufs Blut peitschen lassen. Bei mir sollte sie es schon kriegen.«

»Nein, nein, Rosa«, sagte Eva gebieterisch, wie das Kind zuweilen sein konnte, »so mußt du nicht reden, Rosa, das ertrag' ich nicht.«

»O Himmel, Miß Eva! Sie sind so gut, Sie wissen gar nicht, wie man mit Niggern umspringen muß, man kann sie nur zuschanden schlagen, sage ich Ihnen.«

»Rosa, sei still!« befahl Eva, »kein solches Wort mehr.« Und das Auge des Kindes flammte auf, und ihre Wangen färbten sich tiefer.

Rosa lenkte sofort ein.

»Miß Eva hat das Blut der St. Clares in ihren Adern, das ist klar. Sie redet ja genau so wie ihr Papa«, sagte sie und verließ das Zimmer.

Eva stand und betrachtete Topsy.

Da standen die beiden Kinder, Vertreter der beiden Extreme der menschlichen Gesellschaft. Das blonde, hochgezüchtete Kind mit seinem goldenen Haar, seinen tiefen Augen, der geistigen, edlen Stirn und dem fürstlichen Anstand und sein schwarzes, schlaues, kriechendes und doch aufgewecktes Gegenüber. Sie waren beide die Vertreter ihrer Rasse. Das angelsächsische Kind, hervorgegangen aus jahrhundertealter Kultur, Herrschaft und Bildung, aus körperlicher und seelischer Auslese; das afrikanische Kind, als Produkt jahrhundertealter Unterdrückung, Unterwerfung, Unwissenheit, Plage und Laster.

Vielleicht dämmerten Gedanken dieser Art in Evas Seele.

Aber die Gedanken eines Kindes sind verworrene, unbestimmbare Instinkte, und in Evas adeligem Wesen war mancherlei Suchen und Sehnen, das sie nicht in Worte kleiden konnte. Als Miß Ophelia sich über Topsys unartiges, böses Wesen beklagte, machte das Kind ein betrübtes Gesicht, sagte aber mit sanfter Stimme:

»Arme Topsy, warum mußt du stehlen? Du sollst doch jetzt in gute Obhut kommen. Ich gebe dir lieber etwas von meinen Sachen, als daß du sie stiehlst.«

Dies war das erste freundliche Wort, das das schwarze Kind in seinem Leben zu hören bekam: die sanfte Art berührte eigentümlich sein wildes, rohes Herz, und etwas wie eine Träne blitzte in den scharfen, runden und glitzernden Augen auf; aber schon folgte das kurze Auflachen und gewohnte Grinsen. Nein! Ein Ohr, das niemals etwas anderes hörte als Beschimpfung, hegt einen besonderen Unglauben gegenüber so himmlischer Freundlichkeit; Topsy fand Evas Worte komisch und unverständlich — sie glaubte ihnen nicht.

Aber was sollte man mit Topsy anfangen? Miß Ophelia war ratlos; ihre Erziehungskünste ließen sie im Stich. Sie wollte sich Zeit lassen und nachdenken. Sie hoffte noch auf ungewisse moralische Tugenden, die manchmal in dunklen Winkeln verborgen sind. Vorläufig schloß sie das Kind ein, bis sie mit ihren Gedanken ins reine kam.

»Ich weiß nicht«, sagte Miß Ophelia zu St. Clare, »wie ich ohne Prügel mit dem Kind fertig werden soll.«

»Na, dann prügle sie doch nach Herzenslust; ich gebe dir zu allem unumschränkte Vollmacht.«

»Kinder brauchen Prügel«, sagte Miß Ophelia, »ich habe nie gehört, daß man ohne Prügel auskommt.«

»Aber natürlich«, erwiderte St. Clare. »Tu ganz, was du für richtig hältst. Ich gebe nur eins zu bedenken: Ich habe gesehen, wie man dieses Kind mit der Feuerzange schlug, mit der Kohlenschaufel, mit allem, was zur Hand war. Bedenkt man nun, daß sie an diesen Stil gewöhnt ist, meine ich, deine Prügel müßten energisch sein, um ihr Eindruck zu machen.«

»Was soll man denn mit ihr machen?«

»Damit schneidest du eine sehr ernste Frage an«, sagte St. Clare; »ich wollte, du beantwortest sie selber. Was macht man mit einem menschlichen Wesen, das nur mit der Peitsche gelenkt wird, die nun auf einmal wegfällt? Das ist hier bei uns ein häufiger Zustand!«

»Ich sehe keinen Ausweg; ich habe nie solch ein Kind erlebt.«

»Solche Kinder haben wir häufig und auch solche Erwachsene. Wie soll man sie regieren?«

»Ich kann nur sagen, ich kann es nicht entscheiden.«

»Ich genausowenig«, sagte St. Clare. »Die entsetzlichen Grausamkeiten und Ausschreitungen, die zuweilen ihren Weg in die Presse nehmen, wo rühren sie her? In vielen Fällen ist es ein allmählicher Verhärtungsprozeß auf beiden Seiten, der Besitzer wird immer grausamer und der Sklave immer verstockter. Auspeitschen und Beschimpfen wirkt wie Opium; man muß die Dosis vergrößern, und die Empfindlichkeit wird geringer. Ich erkannte das sehr früh, als ich die Sklaven übernahm; und ich entschloß mich, niemals damit anzufangen, weil ich nicht wußte, wo ich aufhören würde — und ich beschloß, wenigstens meine eigene Moral zu beschützen. Die Folge ist, daß meine Leute sich wie verwöhnte Kinder gebärden; aber ich halte das für besser, als daß beide Teile sich in der Roheit steigern.

Du hast viel von unserer Verantwortung in der Erziehung gesprochen, Kusine. Da wollte ich gern, du versuchtest es mit einem Kind, das ein Beispiel ist für Tausende!«

»Euer System hat diese Kinder auf dem Gewissen«, sagte Miß Ophelia.

»Ich weiß; aber nun sind sie da, sie existieren — was soll man mit ihnen anfangen?«

»Ach, ich kann nicht sagen, daß ich dir dankbar bin für den Versuch. Aber da es eine Pflicht zu sein scheint, werde ich durchhalten und mein Bestes geben.« Und daraufhin arbeitete Miß Ophelia wirklich mit liebenswertem Eifer und großer Energie an ihrem neuen Zögling. Sie richtete regelmäßigen Unterricht ein, wies ihr gewisse Dienste zu und lehrte sie lesen und nähen.

In der ersten Kunst war das Kind sehr aufgeweckt. Sie lernte die Buchstaben wie durch Zauberei und war gar bald imstande, einen einfachen Text zu lesen. Aber das Nähen war schwierig. Die kleine Person war so flink wie eine Katze und so zappelig wie ein Äffchen, das Stillsitzen beim Nähen war ihr furchtbar; also zerbrach sie die Nadeln, warf sie heimlich aus dem Fenster oder steckte sie in die Mauerritze. Sie verhedderte, zerriß und beschmutzte ihren Faden oder warf eine ganze Garnrolle fort. Ihre Bewegungen waren so flink wie die eines geübten Taschenspielers, und ihre Beherrschung der Gesichtszüge war genauso vollkommen. Miß Ophelia hatte zwar das Gefühl, daß so viele Unfälle hintereinander unmöglich zufällig geschehen konnten, aber sie vermochte die Übeltäterin nicht zu überführen, es sei denn, sie paßte ihr auf die Finger auf, dann hatte sie aber zu nichts anderem Zeit.

Topsy wurde im Haushalt bald wie ein bunter Hund bekannt. Ihr Talent für jede Art von Komik, für Grimassen, für Nachahmung–ihre Begabung für Tanzen und Springen, für Klettern, Singen und Pfeifen — jeden Ton, den sie auffing, konnte sie nachahmen — schien unerschöpflich zu sein. In ihrer Freizeit hingen sämtliche Kinder des großen Hauses wie die Kletten an ihr und rissen vor Staunen und Bewunderung Mund und Nase auf, Miß Eva nicht ausgenommen, die von Topsys Teufelskünsten ganz bezaubert zu sein schien, wie manchmal eine Taube von einer schillernden Schlange hingerissen ist.

Miß Ophelia wurde unruhig, daß Eva Topsys Gesellschaft zu viel aufsuchte, und beschwor St. Clare, es zu verbieten.

»Laß das Kind in Ruhe«, sagte St. Clare. »Topsy tut ihr gut.«

»Aber ein so haltloses Kind — bist du nicht bange, sie bringt ihr nur Unarten bei?«

»Sie kann ihr keine Unarten beibringen, das mag ihr bei anderen Kindern gelingen, aber von Eva rollt das Böse ab wie Tauperlen von den Kohlblättern, es sinkt nicht ein Tropfen ein.«

»Sei nicht so sicher«, sagte Miß Ophelia. »Ich weiß nur, meine Kinder ließe ich nicht mit Topsy spielen.«

»Deine Kinder würden es nicht nötig haben«, sagte St. Clare, »meinem tut es gut. Wenn man Eva verderben könnte, wäre es schon vor Jahren geschehen.«

Topsy wurde zunächst von der feineren Dienerschaft verachtet und über die Achsel angesehen. Sie sahen sich aber alsbald veranlaßt, ihre Einstellung zu ändern. Man stellte bald fest, daß jedem, der Topsy zu nahe trat, sogleich etwas Unangenehmes geschah. Entweder fehlten ein paar Ohrringe oder ein teures Andenken, oder ein Kleidungsstück war völlig verdorben, oder der Betreffende stürzte versehentlich über einen Eimer heißen Wassers, oder ein Stückchen Schmutz fiel gänzlich unvorhergesehen herab, wenn man höchsten Staat angelegt hatte — und jedesmal, wenn man nachforschte, war niemand für die Streiche verantwortlich zu machen. Topsy wurde gerufen und von allen häuslichen Richtern in ein scharfes Verhör genommen, aber sie überstand jede Prüfung mit der erhabenen Miene reinster Unschuld. Niemand hegte den geringsten Zweifel, wer der Spitzbube war, aber nicht die geringste Spur eines kleinsten Beweises konnte die Verdächtigungen unterstützen, und Miß Ophelia war viel zu gerecht, um aufs Geratewohl strafend einzugreifen.

Die Streiche waren auch zeitlich immer sehr sinnig ausgedacht, um den Missetäter auch weiterhin zu schützen. So wurde die Rache an den Stubenmädchen Rosa und Jane immer dann vorgenommen, wenn sie (was nicht selten geschah) bei ihrer Herrin in Ungnade waren, wenn ihre Beschwerden also auf kein Mitgefühl stießen. Kurz gesagt, Topsy hatte dem ganzen Haushalt bald beigebracht, daß man sie besser in Ruhe ließe. Also ließ sie jeder in Ruhe.

Topsy war in allen Handfertigkeiten geschickt und ausdauernd, alles, was man sie lehrte, lernte sie mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Schon nach wenigen Lektionen hatte sie begriffen, Miß Ophelias Zimmer so blitzblank zu halten, daß selbst diese sehr eigene Dame nichts auszusetzen fand. Keine Meisterhände konnten die Laken glatter streichen, die Kissen genauer aufbauen, besser kehren, Staub wischen und aufräumen als Topsy, wenn sie wollte — aber sie wollte nicht sehr oft. Als Miß Ophelia nach drei oder vier Tagen sorgfältiger und peinlicher Überwachung so leichtsinnig war, anzunehmen, daß Topsy sich jetzt daran gewöhnt und ohne Aufsicht arbeiten könnte, so daß sie selber ging, um etwas anderes zu erledigen, da feierte Topsy für zwei, drei Stunden einen wahren Karneval von Unordnung und Tollheiten. Anstatt das Bett zu machen, unterhielt sie sich damit, die Kissenbezüge abzustreifen und ihren wolligen Kopf in das Inlett zu stecken, bis er über und über voll Federn war, die nach allen Richtungen flogen; sie kletterte auf die Bettpfosten und machte Kopfstand; Tücher und Laken verstreute sie auf dem Fußboden; das Keilkissen schmückte sie mit Miß Ophelias Nachthemd und vollführte allerhand Theater damit — sie sang und pfiff und machte Grimassen gegen ihr Spiegelbild; kurzum, wie Miß Ophelia es nannte: sie feierte Kains Auferstehung.

Bei anderer Gelegenheit fand Miß Ophelia Topsy mit ihrem besten, scharlachroten Schal aus indischem Krepp, den sie sich als Turban um den Kopf gewürgt hatte, während sie großartige Bewegungen vor dem Spiegel probte — denn Miß Ophelia hatte in nie gekannter Sorglosigkeit den Schlüssel an ihrem Schrank steckenlassen.

»Topsy!« rief sie, da ihre Geduld erschöpft war, »warum mußt du schauspielern?«

»Weiß nicht, Madam — vielleicht, weil ich so böse bin.«

»Ich weiß nicht mehr, was ich mit dir tun soll, Topsy.«

»Ach, Madam, Sie müssen mich versohlen; meine alte Herrin hat mich immer versohlt. Ich bin nicht an Arbeit gewöhnt ohne Hiebe.«

»Aber, Topsy, ich mag dich nicht hauen. Wenn du willst, kannst du alles sehr schön. Warum willst du nicht immer?«

»Ach, Madam, ich bin an Hiebe gewöhnt, ich weiß, die tun mir gut.«

Miß Ophelia versuchte das Rezept, und Topsy erhob dabei jedesmal einen entsetzlichen Lärm, sie schrie, sie ächzte, sie flehte, um eine halbe Stunde später, auf dem Balkongitter hockend, umgeben von dem jungen Gemüse, ihre abgrundtiefe Verachtung für die ganze Angelegenheit auszudrücken. »Hach, Miß Feely und prügeln! — Ihre Prügel töten keine Fliege. Sie sollte sehen, wie mein früherer Herr schlug, da flog das Fleisch in Fetzen; der hat es verstanden.«

Topsy schlug immer Kapital aus ihren Sünden und Untaten, sie betrachtete sie augenscheinlich als eine Art großer Auszeichnung.

»O Gott, ihr Nigger«, predigte sie ihrem Publikum. »Wißt ihr, daß ihr alle Sünder seid? Ihr seid es — jeder von euch. Die weißen Leute sind auch Sünder — Miß Feely sagte es, aber ich glaube, Nigger sind die schlimmeren. Ich bin so schrecklich böse, mit mir wird keiner fertig. Die ganze Zeit hat früher meine Herrin auf mich geflucht. Ich glaube, ich bin das verdorbenste Geschöpf in der Welt.« Und Topsy schlug einen Purzelbaum, erklomm strahlend und selbstzufrieden einen höheren Balkonpfeiler und brüstete sich mit ihrer Verdorbenheit.

Miß Ophelia war jeden Sonntag sehr bemüht, Topsy den Katechismus einzutrichtern, Topsy hatte ein ungewöhnliches Gedächtnis und lernte mit einer Geläufigkeit, die ihre Lehrerin sehr in ihrem Tun bestärkte.

»Was denkst du, was sie davon gewinnt?« fragte St. Clare.

»Kinder haben immer davon gewonnen. Kinder haben das immer lernen müssen, weißt du«, antwortete Miß Ophelia.

»Ob sie es wohl verstehen?« fragte St. Clare.

»Ach, gleich verstehen Kinder das nicht, aber wenn sie erwachsen sind, fällt es ihnen wieder ein.«

»Mir ist es noch nicht wieder eingefallen«, sagte St. Clare, »obgleich ich bezeugen muß, du hast es mir gründlich eingepaukt, als ich ein Junge war.«

»Du hast immer leicht gelernt, Augustin. Auf dich habe ich große Hoffnungen gesetzt«, sagte Miß Ophelia.

»Nun, und jetzt hast du keine mehr?« fragte St. Clare.

»Ich wollte, du wärst noch so brav, wie du als Junge warst, Augustin.«

»Das wollte ich auch tatsächlich, Kusine. Na, fahr fort, und frag Topsy ab, vielleicht kommt doch etwas dabei heraus.«

Topsy hatte während der Unterhaltung unbeweglich wie ein schwarzes Denkmal mit artig gefalteten Händen dabei gestanden; auf ein Zeichen von Miß Ophelia fuhr sie fort.

»Unsere ersten Vorahnen, ihrer Willensfreiheit überlassen, fielen aus dem Stande der Unschuld, in welchem sie erschaffen waren.« Topsys Augen funkelten, und sie blickte fragend auf.

»Was ist, Topsy?« fragte Miß Ophelia.

»Bitte, Madam, war dieser Stand Kentucky?«

»Welcher Stand, Topsy?«

»Der Stand, aus dem sie fielen? Ich hörte immer, wie der Herr sagte, wir kämen vom Stand Kentucky.«

St. Clare lachte.

»Du mußt ihr schon eine Erklärung geben, sonst gibt sie sich selbst eine«, sagte St. Clare. »Sie verwechselt Stand mit Staat und schlägt da anscheinend einen Zusammenhang mit der Auswanderung vor.«

»O Augustin, sei still!« sagte Miß Ophelia. »Wie kann ich weiterkommen, wenn du dabeistehst und lachst?«

»Na, auf mein Ehrenwort, ich werde eure Übung nicht länger stören«, und St. Clare nahm seine Zeitung und ging ins Nebenzimmer und setzte sich dort hin, bis Topsy fertig war mit Aufsagen. Sie machte es sehr schön, nur daß sie hin und wieder ein wichtiges Wort komisch verdrehte und trotz aller Bemühung auf dem Irrtum beharrte. Und St. Clare hatte trotz aller Versprechungen, sich zu bessern, seinen diebischen Spaß an diesen Irrtümern. Jedesmal, wenn er zu Scherz aufgelegt war, rief er Topsy zu sich und ließ sie die entstellten Sätze hersagen, soviel Miß Ophelia auch protestierte.

»Wie soll ich bei dem Kind zum Guten wirken, wenn du so weitermachst, Augustin?« sagte sie dann.

»Ja, es ist ungezogen — ich will es auch nicht wieder tun. Aber ich finde es unbezahlbar, wie dieser komische Kobold über die langen Worte stolpert!«

»Aber du bestärkst sie in ihren Fehlern.«

»Was schadet das? Für sie ist ein Wort so gut wie das andere.«

»Du erwartest von mir, daß ich sie erziehe; und du solltest dich erinnern, daß sie ganz vernünftig ist, da mußt du vorsichtig sein, daß du sie nicht falsch beeinflußt.«

»Oh, verflixt! Das sollte ich wirklich.«

Auf diese Weise vollzog sich Topsys Erziehung in den nächsten zwei Jahren. — Miß Ophelia ärgerte sich mit ihr tagtäglich wie mit einer dauernden Plage, an deren Heimsuchung sie sich mit der Zeit gewöhnte, wie manche Leute an Nervenschmerz oder Migräne sich gewöhnen.

St. Clare hatte an dem Kind dasselbe Vergnügen wie an einem Papagei. Sobald Topsy bei den anderen Bewohnern des Hauses in Ungnade fiel, suchte sie Schutz hinter seinem Stuhl; und irgendwie schloß St. Clare dann Frieden für sie. Sie bekam manches Trinkgeld von ihm, das sie in Nüssen und Bonbons anlegte und in sorgloser Freigebigkeit an alle Kinder des Hauses verteilte; denn, um ihr gerecht zu werden: Topsy war gutherzig und freimütig und boshaft nur in der Verteidigung.

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