32. Kapitel Cassy

Es dauerte nicht lange, und Tom war mit allem vertraut, was er in seiner neuen Umgebung zu hoffen und zu fürchten hatte. Er war erfahren und tüchtig bei allem, was er anpackte, und aus Gewohnheit wie aus Prinzip zuverlässig und treu. Von Haus aus ruhig und friedlich, hoffte er durch unablässigen Fleiß wenigstens das Schlimmste von sich fernhalten zu können. Er sah genug Elend und Erniedrigung, um in Verzweiflung zu versinken; aber er beschloß, in himmlischer Geduld auszuharren, sich in die Hände Gottes zu befehlen und die Hoffnung nicht fahren zu lassen, daß ihm noch eine letzte Flucht offenstünde.

Legree nahm wohl Notiz von Toms Anstelligkeit. Er schätzte ihn als erstklassigen Arbeiter; dennoch spürte er eine geheime Abneigung gegen ihn — die innere Antipathie des Bösen gegen den Guten. Er sah deutlich, daß, wenn seine Wut und Heftigkeit auf die Hilflosen niederfiel — wie es häufig geschah -, Tom es bemerkte; denn so fein sind die Schwingungen unserer Gefühle, daß sie sich auch ohne Worte übertragen; selbst die Gefühle eines Sklaven können einen Herrn ärgern. Tom bekundete auf verschiedene Weise ein Zartgefühl, ein Mitleid mit seinen Leidensgenossen, das ihnen seltsam und neu war und von Legree mit eifersüchtigem Auge beobachtet wurde. Er hatte Tom gekauft, halb in der Absicht, eine Art Verwalter aus ihm zu machen, dem er seine Geschäfte für die kurze Zeit seiner Abwesenheit anvertrauen könnte. Die erste, zweite und dritte Vorbedingung für diese Stellung bestand aber seiner Ansicht nach in Härte. Also beschloß Legree, da Tom den Arbeitern gegenüber keine Härte zeigte, ihn zunächst selbst abzuhärten. Nachdem Tom einige Wochen da war, sollte damit der Anfang gemacht werden.

Eines Morgens, als die Arbeiter zur Feldarbeit abgefertigt waren, sah Tom mit Befremden einen Neuling unter ihnen, dessen Äußeres seine Aufmerksamkeit erregte. Es war eine Frau, groß und schlank gebaut, mit auffallend rassigen Händen und Füßen, sauber und anständig gekleidet. Nach ihrem Gesicht zu urteilen, konnte sie zwischen fünfunddreißig und vierzig sein; aber es war ein Gesicht, das man nicht wieder vergaß — eines von denen, die auf den ersten Blick in uns die Vorstellung einer wilden, schmerzlichen und romantischen Geschichte erregen. Ihre Stirn war hoch, und die Augenbrauen waren klar und schön gezeichnet. Ihre gutgeformte Nase, ihr feingeschnittener Mund und die anmutigen Umrisse ihres Kopfes und Nackens verrieten, daß sie einmal sehr schön gewesen sein mußte; aber ihr Gesicht hatte scharfe Linien des Schmerzes, des stolzen, bitteren Leidens gezeichnet. Ihre Hautfarbe war bleich und ungesund, ihre Wangen schmal, ihre Züge scharf, ihre ganze Gestalt abgemagert.

In ihren Augen nachtete eine tiefe Angst — eine unbewegliche Hoffnungslosigkeit, die in erschreckendem Gegensatz zu dem unbeugsamen Stolz stand, den ihr ganzes Benehmen ausdrückte.

Woher sie kam, wer sie war, wußte Tom nicht. Er wußte nur, daß sie aufrecht und stolz im Morgengrauen neben ihm ausschritt. Der Kolonne war sie jedoch bekannt, viele Köpfe drehten sich nach ihr um, und eine unterdrückte, aber deutliche Genugtuung sprach aus den elenden Gesichtern der halbverhungerten Gestalten, die sie umdrängten.

»Mußte sich also doch herbequemen!« sagte jemand.

»Hi, hi, hi!« lachte jemand anderer, »da wird sie merken, wie es ist.«

»Da muß sie auch mal arbeiten!«

»Möchte nur wissen, ob ihr Teil heute abend auch gewogen wird!«

»Ich wär froh, wenn sie dann auch mal Hiebe kriegte«, sagte ein anderer.

Die Frau achtete nicht auf diese Sticheleien, sondern tat, als hörte sie nicht, und schritt weiter. Tom hatte immer unter gebildeten und kultivierten Menschen gelebt und erkannte aus ihrer Haltung, daß sie zu dieser Klasse gehörte; aber wie und warum sie in diese Verhältnisse geraten, konnte er nicht sagen. Die Frau sprach kein Wort, blickte ihn auch nicht an, sondern hielt sich nur dicht an seiner Seite.

Tom war bald mitten in der Arbeit, aber da die Frau nicht weit entfernt war, warf er zuweilen einen Blick auf ihre Arbeit. Er sah sofort, daß ihre angeborene Geschicklichkeit und Genauigkeit ihr die Aufgabe sehr erleichterten. Sie pflückte flink und sauber mit zorniger Miene, als ob sie die Arbeit und die Schande, die sie in diese Umstände gebracht, gleichermaßen verachtete.

Im Laufe des Tages geriet Tom in die Nähe der Mulattin, die mit ihm zusammen im selben Schub gekauft worden war. Sie litt anscheinend große Schmerzen, und Tom hörte wiederholt, wie sie laut betete, während sie taumelte und umzufallen drohte. Als er näher kam, stopfte er ihr mehrere Hände voll Baumwolle in den Sack.

»Oh, nicht doch, nicht doch!« sagte die Frau, überrascht aufsehend; »du schaffst dir Ungelegenheiten.«

Gerade kam Sambo vorbei. Er schien eine besondere Pike auf diese Frau zu haben; die Peitsche schwingend, sagte er mit seiner rohen, gutturalen Stimme: »Was treibst du, Lucy? Mogelst du, wie?«, und schon gab er der Frau mit seinem schweren Lederstiefel einen Tritt und schlug Tom die Peitsche ins Gesicht.

Tom nahm stumm die Arbeit wieder auf; aber die Frau, schon vorher nahe am Zusammenbrechen, fiel ohnmächtig hin.

»Sie wird schon wieder zu sich kommen!« sagte der Treiber, packte die Unglückliche am Arm und schüttelte sie roh. Die Frau stöhnte und richtete sich halb auf. »Steh auf, du Bestie, und arbeite, sonst zeig ich dir noch andere Scherze.«

Die Frau schien für einige Augenblicke zu unnatürlicher Kraft aufgestachelt und arbeitete in verzweifelter Verbissenheit.

»Halte das Tempo durch«, sagte der Kerl, »sonst wärst du lieber tot heute abend.«

»Das wär' ich schon jetzt am liebsten!« hörte Tom sie antworten, und dann hörte er, wie sie sagte: »Herrgott, wie lange noch? Herrgott, warum erbarmst du dich nicht?«

Auf die Gefahr hin, selbst dafür leiden zu müssen, kam Tom abermals heran und leerte alle seine Baumwolle in den Sack der Frau.

»Oh, das darfst du nicht! Du weißt nicht, was sie mit dir machen!« sagte sie.

»Ich kann es tragen«, antwortete Tom, »besser als du«, und er kehrte auf seinen Platz zurück. Es hatte nur eine Minute gedauert.

Plötzlich schlug die fremde Frau, die wir beschrieben und die im Laufe der Arbeit nahe genug an Tom herangekommen war, um Toms Worte aufzufangen, ihre düsteren schwarzen Augen auf und ließ sie einen Moment auf ihm ruhen; dann nahm sie ein Teil Baumwolle aus ihrem Korb und legte es in seinen Sack.

»Du kennst dich hier nicht aus«, sagte sie, »sonst hättest du das nicht getan. Wenn du erst einen Monat hier bist, läßt du das sein; dann weißt du, wie schwer es ist, die eigene Haut zu retten.«

»Das verhüte der Herrgott, Missis!« sagte Tom, die Arbeitsgefährtin instinktiv mit der respektvollen Anrede titulierend, die dem Gebildeten zusteht.

»Der Herrgott besucht diese Gegend nicht«, entgegnete die Frau bitter, als sie behende mit ihrer Arbeit fortfuhr; und wieder kräuselte ein verächtliches Lächeln ihre Lippen.

Aber der Aufseher hatte gesehen, was die Frau getan; er schwenkte seine Peitsche und kam herbei.

»Was soll das?« schrie er mit triumphierender Miene, »du mogelst hier? Da, komm her, jetzt bist du unter mir — nimm dich in acht oder ich schlage!«

Da schoß ein Blick wie ein Blitz plötzlich aus den schwarzen Augen, mit bebenden Lippen und geblähten Nasenflügeln richtete sie sich auf und wendete sich in rasender Wut gegen den Treiber.

»Du Hund!« sagte sie, »rühr mich nicht an, wenn du es wagst! Noch hab ich Macht genug, dich von den Hunden zerreißen, lebendig verbrennen oder in Stücke schneiden zu lassen! Ein Wort von mir genügt!«

»Warum, zum Teufel, seid Ihr dann hier?« sagte der Mann, offensichtlich eingeschüchtert und mürrisch einen Schritt zurückweichend. »Hab's nicht so bös gemeint, Miß Cassy!«

»Dann bleib auf deinem Platz!« antwortete die Frau. Und der Mann schien wahrhaftig eilige Geschäfte auf der anderen Seite des Feldes zu haben, denn er verschwand augenblicklich.

Cassy nahm sofort die Arbeit wieder auf und war so emsig, daß Tom staunen mußte. Es war die reine Zauberei. Der Tag war noch nicht vorüber, und ihr Korb war voll, wurde gepreßt und wieder hoch aufgefüllt, und schon verschiedentlich hatte sie Tom Hände voll abgegeben. Es war schon dämmrig, als der müde Zug, die Körbe auf den Köpfen, sich vor dem Gebäude aufreihte, in dem die Baumwolle gespeichert und abgewogen wurde. Legree stand schon da und redete eifrig mit den beiden Treibern.

»Der Tom da hat lauter Unheil gestiftet; immer Lucys Korb gefüllt. Alle Niggers ärgern sich schon, wenn Master nicht eingreift!« sagte Sambo.

»Na«, antwortete Legree, »das beste wird sein, wir übertragen ihm heute die Peitsche, da wird er diese Zicken lassen.«

»Au, Herr, das wird ein schweres Stück sein, ihn dazu zu bewegen!«

»Er wird sich schon bequemen müssen«, sagte Legree, während er seinen Priem in die Backe schob.

Langsam zogen die müden, abgearbeiteten Leute herein und zeigten mit bangem Zögern ihre Körbe vor.

Legree notierte auf einer Schiefertafel, die seitlich eine Namenliste enthielt, die abgelieferte Menge.

Toms Korb wurde gewogen und gebilligt. Mit ängstlichem Blick verfolgte er, ob die Frau, welcher er geholfen, die genügende Menge hatte.

Taumelnd vor Schwäche trat sie heran und lieferte ihren Korb ab; er hatte volles Gewicht. Legree sah es wohl, aber mit gespieltem Ärger sagte er: »Was? Du faules Stück! Wieder zu wenig! Geh auf die Seite, diesmal kriegst du es!«

»Und jetzt«, wandte er sich an Tom, »komm du einmal her. Du weißt ja, ich hab dich nicht für diese gemeine Arbeit gekauft. Ich will dich befördern und dich zum Treiber machen; heut abend kannst du gleich anfangen. Da, nimm die Person und peitsche sie; du hast es oft genug gesehen, du wirst schon wissen, wie man es macht.«

»Der Herr muß entschuldigen«, erwiderte Tom; »das wird der Herr nicht verlangen. Das bin ich nicht gewöhnt, das kann ich unmöglich tun.«

»Du wirst noch eine Menge lernen, was du nicht gewöhnt bist«, sagte Legree.

»Ja, Herr, aber das arme Geschöpf hier ist schwach und krank; es wäre einfach grausam, und das tu ich nicht, das fang ich gar nicht an. Herr, wenn Sie mich töten wollen, töten Sie mich; aber niemals erhebe ich meine Hand gegen diese hier — lieber sterbe ich.«

Tom sprach in ruhigem Ton, aber mit einer unmißverständlichen Entschiedenheit. Legree wurde von Wut geschüttelt.

»Ha, da hätten wir doch endlich einen frommen Hund unter uns Sündern! — einen Heiligen, einen wahren Gentleman, der mit uns Sündern über die Sünden spricht. Muß ja verdammt fromm sein–hast du nie gehört, da in deiner Bibel - >Diener, gehorcht eurem Herrn

Die Frage warf einen Strahl der Freude und des Triumphes in Toms Seele. Er richtete sich plötzlich auf, blickte inständig gen Himmel, während Tränen über sein Gesicht strömten, und rief aus:

»Nein, nein, nein! Meine Seele gehört dem Herrn nicht! Die habt Ihr nicht gekauft — die kann man nicht kaufen! Die hat ein anderer gekauft und bezahlt, der sie behält. Da könnt Ihr nichts machen, mir kann kein Leid geschehen!«

»So«, sagte Legree und grinste, »das wollen wir doch sehen! Hier, Sambo, Quimbo! Gebt dem Hund eine Tracht, die er einen Monat lang nicht vergißt.«

Die zwei mächtigen Neger, wahre Vertreter der dunkelsten Mächte, ergriffen Tom mit teuflischer Genugtuung. Das arme Weib schrie angstvoll auf, alle hatten sich wie auf Verabredung erhoben, während sie ihn widerstandslos wegschleppten.

Загрузка...