35. Kapitel Emmeline und Cassy

Cassy betrat das Zimmer und fand Emmeline blaß vor Angst in der hintersten Ecke kauernd. Als sie eintrat, fuhr das Mädchen nervös in die Höhe, aber als es sah, wer es war, stürzte es herbei und griff nach Cassys Arm. »Oh, Cassy, seid Ihr das? Ich bin so froh, daß Ihr da seid! Ach, Ihr wißt nicht, was es da unten für einen furchtbaren Lärm gegeben hat!«

»Ich sollte es nicht wissen«, erwiderte Cassy trocken. »Ich habe es oft genug mitangehört.«

»Oh, Cassy, sprecht, können wir nicht fort von hier? Mir ist es gleich wohin — in die Sümpfe unter die Schlangen -, irgendwohin? Könnten wir nicht fort?«

»Nur in unser Grab«, sagte Cassy.

»Habt Ihr es schon versucht?« »Ich habe genug Versuche erlebt und alles, was folgt«, erwiderte Cassy.

»Ich wäre bereit, in den Sümpfen zu wohnen und die Rinde von den Bäumen zu nagen. Ich fürchte mich nicht vor Schlangen!«

»Da sind schon viele andere deiner Ansicht gewesen, aber in den Sümpfen kannst du nicht bleiben — die Hunde würden dich aufspüren und zurückbringen und dann — dann…«

»Ach, wäre ich nie geboren!« sagte Emmeline händeringend.

»Das wünschte ich mir schon längst. An diesen Wunsch bin ich schon gewöhnt. Ich würde sterben, wenn ich es nur wagte«, sprach Cassy und blickte hinaus in die Dunkelheit mit jener starren, stillen Verzweiflung, die beständig über ihrem Gesicht lag.

»Es wäre unrecht, wenn man sich selber tötete«, sagte Emmeline.

»Ich weiß nicht warum; kein größeres Unrecht als die Dinge, die wir täglich tun. Aber die Schwestern erzählten mir manches im Kloster. Da hab ich Angst vor dem Sterben. Wenn es nur unser Ende bedeutet — ach, dann — «

Emmeline kehrte sich ab und barg ihr Gesicht in den Händen.

Während dieser Unterhaltung oben in der Kammer war Legree unten in Schlaf gesunken. Er trank nicht aus Gewohnheit. Seine rohe und starke Natur verlangte und vertrug einen Alkoholkonsum, an dem eine feinere Konstitution zugrunde gegangen wäre. Eine ihm tief innewohnende Vorsicht hinderte ihn jedoch, diesem Verlangen allzuoft nachzugeben, so daß er sich stets in der Gewalt behielt.

Aber heute abend hatte er in seinem fieberhaften Bemühen, die bangen Elemente der Reue und Angst aus seinem Geist zu bannen, mehr als gewöhnlich zu sich genommen; seine beiden Diener waren kaum entlassen, als er sich schon auf ein Ruhelager im Zimmer fallen ließ und alsbald fest eingeschlafen war.

Am Morgen erwachte er mit lästerlichem Fluchen. Er stand auf, torkelte zum Tisch und trank ein Glas Schnaps.

»Ich hatte eine Höllennacht!« sagte er zu Cassy, die durch die gegenüberliegende Tür hereintrat.

»Du wirst noch mehr von der Sorte erleben«, entgegnete sie trocken.

»Was willst du damit sagen?«

»Das wirst du schon eines Tages merken«, antwortete Cassy im selben Ton. »Also, Simon, ich kann dir nur einen Rat geben.«

»Zum Teufel damit!«

»Mein Rat geht dahin«, sagte Cassy ungerührt, während sie einige Dinge im Zimmer zurechtrückte, »daß du diesen Tom jetzt in Ruhe läßt.«

»Was geht dich das an?«

»Wie? Gewiß, mich geht es nichts an. Wenn du für einen Arbeiter zwölfhundert Dollar bezahlen und ihn dann mitten in der Saison zugrunde richten willst, dann schadest du dir selbst, meine Sache ist das nicht. Ich habe alles für ihn getan, was ich konnte.«

»So? Was mischest du dich überhaupt in meine Angelegenheiten?«

»Das tue ich gar nicht. Ich habe dir schon verschiedentlich einige tausend Dollar erspart, indem ich mich um deine Leute kümmerte — Dank hab ich nie geerntet. Wenn du weniger Baumwolle auf den Markt bringst als die andern, wie wird das dann mit deiner Wette, he? Tomkins wird dich wohl nicht schlagen, du wirst ihm wohl das Geld manierlich hinzählen, wie? Ich seh dich schon dabei!«

Legree hatte, wie viele andere Pflanzer, nur einen Ehrgeiz: die höchste Ernte des Jahres einzubringen, für diese Saison hatte er verschiedene Wetten in der Stadt abgeschlossen. Cassy hatte daher mit weiblicher Taktik an die einzige Saite gerührt, die bei ihm in Schwingung geriet.

»Na, dann will ich ihn mit seiner Tracht von gestern laufen lassen — aber er soll sich entschuldigen und versprechen, sich künftig besser zu benehmen.«

»Das wird er nicht tun«, sagte Cassy.

»Wird er nicht, was?«

»Nein, er wird es nicht tun.«

»Ich möchte nur wissen warum nicht?« schrie Legree außer sich.

»Weil er recht getan hat und das weiß, da sagt er nicht, daß er unrecht getan hat.«

»Wer zum Teufel fragt danach, was er weiß? Der Nigger hat zu sagen, was ich bestimme, sonst.«

»Sonst verlierst du deine Baumwollwette, wenn du ihn jetzt, wo die Arbeit drängt, entbehren mußt.«

»Aber selbstverständlich gibt er nach; kenne ich mich nicht aus mit diesen Niggers? Wie ein Hund wird er sein, heute morgen.«

»Das wird er nicht, Simon; diese Art kennst du nicht. Du kannst ihn stückweise töten, du wirst kein Geständnis aus ihm herauspressen.«

»Das wollen wir sehen. Wo ist er?« sagte Legree.

»In der Rumpelkammer des Magazins«, antwortete Cassy.

Trotz seiner großen Worte ging Legree mit einer inneren Unruhe aus dem Haus, die er sonst nicht kannte. Er beschloß, ohne Zeugen mit Tom zu sprechen, und entschied sich dahin, falls er ihn nicht ducken konnte, seine Rache auf einen günstigeren Zeitpunkt zu verschieben.

»Na, mein Junge«, begrüßte er den armen Neger mit verächtlichem Fußtritt, »wie geht es dir? Habe ich dir nicht gesagt, du könntest hier noch manches lernen? Hat es dir gefallen?«

Tom antwortete nicht.

»Also, Tom, fall auf die Knie und bitte mich für alle Sünden um Verzeihung!«

»Mr. Legree«, sagte Tom, »das kann ich nicht. Ich tat nur, was ich für richtig hielt. Und wenn es sein muß, tu ich es wieder. Ich werde nie eine Grausamkeit begehen, da komme, was mag. Ich weiß, Ihr könnt schreckliche Dinge tun; aber« - Tom richtete sich auf und faltete die Hände -, »aber nachdem Ihr den Körper getötet habt, könnt Ihr nichts mehr tun. Und danach beginnt die Ewigkeit!«

Die Ewigkeit! Das Wort tönte durch die Seele des schwarzen Mannes mit machtvollem Klang — es tönte auch durch die Seele des Sünders und traf ihn. Die Wut verschlug ihm die Rede, und Tom sprach mit klarer, heiterer Stimme:

»Mr. Legree, da Ihr mich gekauft habt, will ich Euch ein guter treuer Knecht sein. Ich will die Arbeit meiner Hände geben, meine Zeit und meine Kraft; aber meine Seele gebe ich keinem Menschen. Ich hänge dem Heiland an und stelle seine Gebote über alles, im Leben und im Sterben. Mr. Legree, ich fürchte mich nicht vor dem Tode. Je eher ich sterbe, desto besser.«

»Vorher mußt du nachgeben!« schrie Legree aufschäumend.

»Das gelingt Euch nicht, ich werde Hilfe haben«, sagte Tom.

»Wer zum Teufel wird dir helfen?« fragte Legree zornig.

»Gott, der Allmächtige«, erwiderte Tom.

»Verdammt!« rief Legree und streckte Tom mit einem Faustschlag zu Boden.

In diesem Augenblick legte sich eine kalte, sanfte Hand auf den Wütenden. Er drehte sich um — es war Cassy; aber die kalte, sanfte Berührung brachte ihm die Träume der Nacht zurück, und durch alle Zellen seines Gehirns blitzten ihre grausigen Bilder mit allen begleitenden Schrecken wieder auf.

»Wirst du so töricht sein?« fragte Cassy auf Französisch. »Laß ihn gehen! Überlaß ihn mir, daß ich ihn für die Feldarbeit wieder aufrichte. Hatte ich es dir nicht vorhergesagt?«

»Gut, dann laß ich dir den Willen«, sagte er mürrisch zu Cassy.

»Hör zu«, wandte er sich an Tom, »ich werde jetzt noch nicht mit dir abrechnen, weil die Arbeit drängt und ich alle Leute brauche, aber ich vergesse nichts. Ich kreide es dir an, und eines Tages werde ich es deiner alten schwarzen Haut einbleuen — nimm dich in acht!«

Und damit ging Legree hinaus.

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