11

Die Geschichte von Sindabati, dem Geldträger.

Wenn der Großfürst von Radjnapur dem Großfürsten von Mahadnapur die Daghi, die Mitgift seiner sehr schönen Tochter Namu zustellt, dann hat er zwei Möglichkeiten: Er kann die fünfhundert Goldstücke, die fünf Körbe Perlen und den makellosen Saphir «Himmelsauge» im Geleitzug, bestehend aus vier einander mißtrauenden Hofbeamten sowie vierzig ausgesucht tapferen, kampfkräftigen Wächtern in voller Rüstung und Ausrüstung schicken — womöglich auf Kriegselefanten mit Aufbauten aus gestacheltem Leder, die den ganzen beschwerlichen Weg entlangtrompeten. Woraufhin Räuber aus allen Landesteilen herbeiströmen würden, da ein solcher Zug natürlich nicht unbeachtet bliebe, und es käme dann auf die Kampfeskraft beider Seiten an, ob die Daghi jemals ihr Ziel erreichten. Denn wieviele Räuber gibt es im Land.

Oder.

Oder der Großfürst von Radjnapur kann seine Schätze dem Sindabati anvertrauen, dessen Geschäft und Kunstfertigkeit darin besteht, all diese Räuber aus allen Landesteilen eben n i c h t herbeiströmen zu lassen.

Da wird etwa ein verhärmter Bettler, ein armseliges Stück Mensch, das niemand haben will, mit Fußtritten zum Tor hinausgetreten. Seine unsägliche Habe wird ihm nachgeworfen, ein paar Lumpenballen und dreckige Körbe. Mit Hohn und Gelächter wird er weitergetreten und weiter, weil niemand ihn haben will. Bis nach Mahadnapur wird er getreten, vom dortigen Großfürsten sehnlichst erwartet.

Oder besser noch — der Bote ist mit entsetzlichen Geschwüren behaftet, ein Aussätziger, dessen bloße Nähe genügt, um ihn mit Steinwürfen weiterzutreiben. Und weiter und weiter. Die Schönheit dieser Version aber liegt in der Unberührbarkeit, weil niemand auf dem langen Weg nach Mahadnapur Hand an die unsäglichen Wickel legen würde, mit denen die Kandaharbeulen und Aleppobeulen umwickelt sind und die möglichen Multanbeulen, fünf laufende Meter verkrusteten Tuches, das sich vorzüglich zum Transport von fünfhundert Goldstücken eignet. Ganz zu schweigen vom Bauchsack, der eignet sich noch besser. Und der hängt nun wirklich unsäglich durch.

Obwohl.

Obwohl es den einen oder anderen findigen Räuber geben mag, der — findig wie er ist — trotzdem dort hineingreift, um es dann ein Leben lang (?) bitter zu bereuen: Die eine Möglichkeit birgt immer auch die andere Möglichkeit, lieber Sohn.

Liebes Söhnlein.

Deshalb wäre kontrapunktisch noch eine dritte, eine noch ausschließlichere Bettelversion zu erwähnen, nämlich die des n a c k t e n Bettlers, du siehst, wir bewegen uns hier schon im Sprachgebrauch der Kunst. Und zu Recht. Denn wer kann schließlich einem Nackten in die Tasche greifen. Ein eindrucksvolles Bild übrigens, dieses heulende, sich grauweiß auf der Straße wälzende, nur mit einer notdürftigen Schicht von Fett und Asche bedeckte Wesen, das nichts, aber auch gar nichts sein Eigen nennt, außer vielleicht einen handgroßen Fetzen fürs Geschlecht. Und vielleicht noch seinen Glauben. Denn den hat er ja noch, nehmen wir an, Glauben an ein Vorleben als Käfer, dem es noch erheblich besser ging als diesem Bündel Mensch. Und wo will der findige Räuber denn da noch hineingreifen?

Außer …

Ja, da müßte man schon sehr genau hinsehen, um den vierzehnkarätigen «Großmogul», den gelben Diamanten von Srinagar zu entdecken, den unser Sindabati im Mund trägt, und der ihn auch noch als Taubstummen ausweist. Denn reden kann er ja nicht, mit dem Ding im Mund.

*

Du siehst, mein Sohn, die Kunst wird gemessen an ihrem Feinheitsgrad, für jede elegante Lösung gibt es eine noch elegantere. Du willst deinen Reichtum nicht zeigen, also zeig ihn nicht. Aber weil du ihn nicht zeigst, denkt man, du w i l l s t ihn nicht zeigen — also zeig ihn doch und man denkt, du willst, daß man denkt, du seist reich, also — denkt man — bist du nicht reich!

Ist das einleuchtend? Ich glaube, ja. Es ist nicht nur die doppelte, es ist bereits die dreifache Verneinung, mit der wir es zu tun haben, doch vielleicht ist sie dem Räuber — dem findigen jedenfalls — auch einleuchtend? Denn Sindabati tritt jetzt in vollem Gepränge auf, hoch zu Roß, weit ausladend, Kopf erhoben, unter Umständen dem Bettelvolk kleine Münzen zuwerfend. Vielleicht übernimmt er sich dabei ein wenig, trägt einen goldgewirkten Umhang und einen Dolch im Gürtel, der doch recht protzig ist. Zu protzig, eigentlich, um getragen zu werden. Ein Angeber? Ein Windhund, der sich aufspielt, aus welchen Gründen immer? Oder einfach nur ein Gimpel, ein eitler Fant, der es nötig hat. Auch ist sein Gaul verdächtig hochgewiehert, und das ist immer ein sicheres Zeichen. Nein, der Mann hat kein Geld, bei dem ist nichts zu holen, das ist klar.

Und es ist hohe Kunst, mein Sohn.

Hoher Kunstfertigkeit bedarf es, diesen Balanceakt zwischen Sein und Schein (und Nichtsein) zu vollziehen, die Halbseidenen sind es, die Scheinfürsten, die von Hof zu Hof ziehen und überall vor die Tür gesetzt werden. In unsere Sprache übersetzt «schäbige Eleganz», die ja auch ihre Meriten, vor allem ihre Technik hat: Ich denke da an einen seriösen Nadelstreifen, dessen blanke Stellen mit Hirschhornsalz kaschiert werden, oder an die zu dick gebundene Krawatte, die Schuhe aus Schlangenleder (?), von der Rolex aus Hongkong ganz zu schweigen. Und die Unterwäsche ist wichtig, die muß schäbig sein — obwohl nicht sichtbar — ist doch der Träger immer auch Träger seiner Unterwäsche und benimmt sich dementsprechend. Mit grauen Rändern und Löchern unter der Achsel, möglichst einmal zu wenig gewaschen, der Träger wird dann immer etwas Ausweichendes haben. Es gibt sogar Duftwasser, die diesen Effekt unterstützen, nämlich auf unglaublich billige Weise teuer zu riechen. Hohe Kunstfertigkeit.

Hohe Kunst, mein Sohn.

Doch die höchste …

Die allerhöchste, die wir uns denken können, nicht nur halb, sondern überhaupt nicht vorhanden zu sein, das ist die Kunst des Mittelmaßes, mein lieber Sohn. Die Kunst der absoluten Durchschnittlichkeit! Und da scheiden sich nun die Geister. Nicht arm, nicht reich, nicht groß, nicht klein, nicht grob, nicht fein, nämlich überhaupt nicht, ganz und gar. Ohne jegliche Attribute, ganz ohne Aussatz, ohne hochgestriegelte Gäule, aber auch ohne Duftwasser oder Portemonnaies, bei denen die Pappe durchscheint. Es ist, um es auf höchste Ebene zu stellen, die Kunst des Weglassens.

Mein Sohn.

Dabei schaute er auf meine Socken.

Eines Morgens verläßt Sindabati sein Haus, einen Würfel mit zwei Fenstern und einer Tür, er wird auf der Straße zweimal gegrüßt von Leuten, die er nicht kennt, einmal wird er nicht gegrüßt, den allerdings kennt er. Es ist heiß, er trägt helle Kleidung, wenn es nachher kühler wird, trägt er dunkle, er hat sich die Haare schneiden lassen, aber nicht zu sehr. An diesem Morgen, es ist ein Mittwoch, nimmt man an, daß es abends regnen wird, also nimmt er es auch an. Brille trägt er keine, ist aber kurzsichtig. Aus einem Haus, einem Würfel mit zwei Fenstern und einer Tür tritt ein Mann, geht die Straße hinunter in heller Kleidung, er trägt keine Brille, nimmt aber an, daß es später regnen wird, vorläufig schwitzt er und fährt sich mit der Faust über die Stirn. Der Mann, nein, der andere Mann trägt helle Kleidung und wird einmal gegrüßt, Sindabati zweimal, der dritte Mann, der aus dem Haus getreten ist, grüßt ihn. Er glaubt an Regen, geht die Straße hinunter, wird von dem anderen Mann gegrüßt, Sindabati, der Geldträger, geht die andere Straße hinunter. Siehst du?

Was du nämlich nicht siehst, sind die fünfhundert Goldstücke, die er sich an einer Schnur fünfmal um den Leib gewickelt hat und den sechzehnkarätigen «Stern von Madras» trägt er nicht im Mund, sondern in der Faust, mit der er sich über die Stirn fährt, während er die Straße hinunter geht.

So geht das.

«Ich weiß», sagte mein Vater, «daß du in deiner Bank nicht übermäßig glücklich bist. Daß dir diese geordneten Verhältnisse, wie sie geboten werden, wenig erstrebenswert erscheinen, ich weiß. Das gute Ein- und Auskommen, mit Pensionsanspruch, selbst die vorhandenen Aufstiegsmöglichkeiten erscheinen dir wenig verlockend.

Allzu mittelmäßig.

Ich weiß.

Deshalb laß dir sagen, mein Sohn, Mittelmäßigkeit ist eine Gnade! Das magst du vielleicht noch nicht einsehen, aber laß dir sagen, sie ist die wahre Tugend, die den Menschen durchs Leben bringt.»

Mit einem ausdrücklichen Blick.

«Und deshalb so sehr erstrebenswert.»

«Wie aber», fragte ich beklommen, «ging sie dann weiter, die Geschichte des Sindabati, des Geldträgers, wie ging sie denn aus?»

«Sie ging gar nicht aus», erklärte mein Vater, «sie hat kein Ende.»

*

Eines Tages — eines schönen Tages am Ende des Monsuns, als die Mantu-Bäume ihr rotes Kleid trugen, als Mandelmilch in der Luft lag und jedermann sich leicht fühlte — nahm Sindabati sein Söhnchen beiseite und führte ihn in sein Arbeitszimmer im hinteren Teil des Hauses. Dazu mußten sich beide bücken, um unter dem Türbalken hindurch zu kommen, und drinnen richteten sie sich auch nicht auf, nahmen auf dem mit Perlmuttsternen eingelegten Rosenholzboden Platz, den niemand, der draußen auf der Straße ging, hier drinnen vermutet hätte. Sindabati auf einem großen Pfauenkissen und das Söhnchen auf einem kleinen. Und dann erzählte er ihm die Geschichte vom Geldträger, er erzählte sie ihm sehr schön, damit dieser, das Söhnchen, sie seinem Söhnchen eines Tages genauso schön weitererzählen konnte.

Загрузка...