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Lieber Freund, wohnen auf engstem Raum erfordert Luxus, und zwar ganz ausgepichten Luxus, er ist der Schlüssel.

Als ich an diesem Morgen aufwache, fallen die Dinge sofort an ihren Platz. Ich sehe die Holzmaserung, den teefarbenen Teppichbelag, die teefarbenen Polster, die Karaffe mit dem Glenfiddich, aber ich sehe auch meinen Reisemantel über der Stuhllehne hängen und weiß sofort, wo ich mich befinde: In Sicherheit. Wieder einmal bis Grevesmühlen geschafft, bis in die Bahnmeisterei.

Die Schönheit des morgendlichen Aufstehens, du öffnest die Augen und auf engstem Raum, dreimal drei Meter, umgibt dich ausgepichter Luxus. Wohltemperiert. Edelholz umgibt dich, jede Ecke ist gerundet, jedes Detail vom Besten. Vom ausgesucht Besten. Die gläserne Runddusche, die verspiegelte Frühstückstheke, die Kaffeemaschine in Form eines Delphins — es gibt immer noch ein besseres Aroma, das erzielt werden kann. Selbst die Zahnbürste auf dem Bord ist illuminiert.

Und wenn ich jetzt in meinen abgewetzten Butte-Beerbohm-Anzug steige, dann ist das das ausgesucht Beste für meinen Zweck. Brille! Brille ist wichtig, sie verallgemeinert das Gesicht, und ein gerader Haarschnitt, den ich jetzt noch etwas begradige, trägt auch noch dazu bei. Und eine Mütze.

So verlasse ich meine Kammer auf dem gegenläufigen Weg durch den langen Korridor, durch den Keller, den Durchstieg zum Fußgängertunnel. Hätte mich jemand im Haus gesehen, hätte er mich kaum zuordnen können. Erster Stock? Zweiter Stock? Ich glaube, mich kann niemand zuordnen, und wenn mir auf der Treppe jemand entgegenkommt, steige ich noch ein Stockwerk höher, während ich dann im anderen Treppenhaus wieder herunterkomme.

Im Augenblick also strebe ich das Internet-Café in der Otto-Grotewohl-Straße an, erstens weil ich dort ein ausgezeichnetes Frühstück bekomme, zweitens um mit meinem lieben Freund zu korrespondieren, das ist in der Frühe immer eine Notwendigkeit. Bevor ich mit dem Stadtbild verschmelze.

*

Angefangen hatte es mit einer Kleinanzeige im Immobilienteil des Grevesmühlener Stadtboten. Reiner Zufall, daß mir das Blatt unterkam — beim Friseur — und ein noch größerer, daß mir das Inserat auffiel:

Gewbl. gen. Räume ca. 10 qm z. verk. 11.500, vent. beh. Wss. Frst.

Was mir auffiel, war die Kleinheit des Objektes, das ja auch nicht gerade billig war, es hieß wohl «gewerblich genutzt, ventiliert, beheizt, Wasseranschluß». Frst konnte ich nicht ganz unterbringen, aber es waren definitiv Besenkammern oder Kabuffs, die hier angeboten wurden, und der Makler brachte sich am Telefon fast um, wenn auch mit einem gewissen Unterton, jawohl, es seien acht Objekte insgesamt, 11.500 pro Objekt (wohlgemerkt), konnte sich danach gar nicht beruhigen, als ich tatsächlich eines kaufen wollte. Wo? In der Bahnmeisterei, jawohl Gewerberäume mit Gleisanschluß, ein seltenes Angebot.

«Ist es für Lagerungszwecke?»

Wenn man es so wollte, ja, für Lagerungszwecke.

«Für eine Firma?»

In gewissem Sinn.

«Gebäudereinigung?»

Gebäudereinigung, also, Gebäudereinigung war nicht das Schlechteste.

«Ich bin eine Firma», erklärte ich mit großer Bestimmtheit und hoffte, den Mann damit ein für allemal glücklich gemacht zu haben. Sogar eine Besichtigung fand statt, die allerdings wegen der Weitläufigkeit des Komplexes einigermaßen im Laufschritt stattfand und mich auch etwas ernüchterte. Möchte aber trotzdem darauf eingehen, um diese Örtlichkeiten zu klären, aus strategischen Gründen. Es gab in dem langgestreckten Gebäude tatsächlich acht Abstellkammern oder Zellen, zwei in jedem Stockwerk, je eine am vorderen und eine am hinteren Treppenaufgang, kenntlich an den schmalen Türen mit Rautenfensterchen. Einige anscheinend noch in Gebrauch. Frühere Bahnmeister hatten zum Beispiel die Tür im ersten Stock vorne mit einem großen roten F versehen, was sonstwas heißen mochte, Feuerwehr oder Fahrdienstleiter, eine andere im zweiten hinten trug ein A wie Abfall oder Apotheke, ich weiß es nicht. Alle mehr oder weniger mit Gerümpel angefüllt, und die Türen sahen alle aus, als ob ein Kind sie eintreten könnte.

Nun, ich zog nach strategischer Lage die Kammer am hinteren Aufgang im dritten Stock in Betracht und erhielt gleich beim Eintreten die volle Breitseite, ich darf sagen, es hat mich rückwärts rausgehauen. Es roch sogar nach Hering. Der Putz fiel von den Wänden, ganze Putzwangen, es gab wohl einen verrosteten Wasserhahn, den gab es tatsächlich, und ein durchlaufendes verrostetes Heizungsrohr, die Lüftung, wo befand sich die Lüftung? Wahrscheinlich war damit der blinde Fensterspalt an der Stirnseite gemeint. Der Blick? Kein Blick. Ein Trauerspiel.

«Eigentlich sollten Sie sich ja schämen.»

– — Jetzt wußte ich auch, was der Unterton zu bedeuten hatte. Ich schritt die Länge und Breite ab, und dann noch einmal die Breite und Länge.

«Das sind aber keine zehn Quadratmeter.»

– –

«Ich biete achttausend», sagte ich. Und der Mann konnte es gar nicht fassen, daß überhaupt jemand etwas bot. Ich übrigens auch nicht.

Hatte ich doch sogar ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, alle acht dieser Rumpelkammern, den ganzen Satz sozusagen, aufzukaufen. Etwa verschiedene Reinigungsfirmen einzurichten, «Blitzblank», «Sauber & Co.», «Alles unter einem Hut», die sich dann wohlmöglich untereinander Konkurrenz machten, kein Mensch hätte sich ausgekannt. Ließ den Gedanken Gott sei Dank aber fallen, es wäre eine Idee zuviel gewesen.

*

Zunächst verstärkte ich die Tür.

Ich werde jetzt einmal ins Detail gehen. Ich ließ also eine 8 mm Stahlplatte hinterschrauben, im Stahlrahmen, der seinerseits in einen Stahlrahmen fiel, der in die Wand eingelassen war. Von außen nicht erkennbar, ein Kind hätte diese Tür wohl doch nicht …

Die ganze Affäre also war nicht viel größer als ein Eisenbahnabteil, mit dem tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit bestand. Frischer Verputz war nicht notwendig, da ich die Kammer ringsherum mit Schall- und Wärmeisolierung versehen ließ, die ihrerseits — alle Wände, auch Decke und Fußboden — mit Stahlblech (2 mm) hinterlegt wurde, erst darauf lag die Holztäfelung. Das ganze 5–6 mm dick, den Raum allerdings weiterhin verkleinernd, ich gebe hier einmal die exakten Maße: 284 × 238 in der Grundfläche und 314 in der Höhe, mit einem erstklassigen Schloß versehen. Kannst du dir das vorstellen? Ein Safe, ein bewohnbarer Tresor am Treppenhaus, und durch den Fensterschlitz könnte sich auch niemand hereinzwängen.

Doch um nun noch weiter ins Detail zu gehen, die Höhe (314) war ja beträchtlich, sie gestattete eine Art Zwischenstock — hier benötige ich eigentlich eine Skizze —, eine in der Höhe vorspringende Schrankwand, erreichbar durch eine polierte Holzleiter. Stauraum für Garderobe, Kleinkram, Getränke. Darunter eine lange gepolsterte Bank — kannst du dir die auch noch vorstellen — ein Flachbildschirm, schwenkbares Klo aus England, vergoldete Wasserhähne. Und, wird man mir glauben, sogar an Fitness hatte ich gedacht, eine Querstange oben, an der ich hätte den Aufschwung üben können.

Wohnlich?

– –

Der Zug heult, in der Ferne bellt ein Hund. Man hatte einen wenig erfreulichen Tag, wenig ermutigend, den ganzen lieben langen Tag lang, nur mißbilligende Blicke, nur Verzweiflung, die ganze Strecke von Schwerin bis Grevesmühlen. Es ist November, man fröstelt, es ist schon dunkel. Die Otto-Grotewohl-Straße in ihrer ganzen Länge leer. Würstchenbude geschlossen. Weit und breit keine Spur einer Käthe.

Und dann steht man vor dieser Tür und steckt den Schlüssel ins Schloß. Und dann — — Wärme, Wärme, Ruhe, Ruhe, teefarbene Beleuchtung, das Bernsteinlämpchen. Und, ja, der leise zimtartige Geruch, der ist auch ganz wichtig, es ist die Täfelung aus Dengue-Holz, die nur sehr schwer zu beschaffen war, nur unter größten Umständen.

*

Dreyerley sei deyn Haus,


deyn Hüll, so weder Wind noch Wetter,


deyn Seel, so es dich habet,


deyn Burg, so dich nachtens gar keines


abschlachtet.

*

Die Bautätigkeit, übrigens, wurde hingenommen in diesem Haus, sie erregte kein Aufsehen. Immerhin gab es einige Umstände, Isolierplatten mußten geliefert werden, Holz, Stahlbeschläge. Rohrleitungen mußten verlegt werden. Die Arbeiten gingen nicht gerade leise vonstatten, ein Teil des Flures wurde beansprucht, und das zog sich bis zum Treppenhaus hin. Nun hätte ich mich ja als stiller Bastler in meine Kammer zurückziehen können, um heimlich übers Jahr mein Schächtelchen zu bauen — das war aber gar nicht nötig. Ich ließ nämlich bei dieser Gelegenheit gleich den ganzen Flur renovieren. Was? Ja, tut mir leid, in seiner ganzen Länge, neue Fliesen, Verputz, alles. Veranlaßt von der Bahndirektion? Vom Baudezernat? Alles ist eine Frage der Zuständigkeit, jedenfalls hat sich niemand beklagt. Daß da nebenher auch eine Besenkammer renoviert wurde, konnte beim besten Willen nicht ernstlich ins Gewicht fallen. Zumal ich Sorge trug, daß jeglicher Bauschutt sofort verschwand. Kam der Hausmeister vorbei: Schön, schön, wurde ja auch mal Zeit. Schön, schön. Jawohl, ich ließ sogar den graugrünen Behördenfarbton nachmalen und die beiden Topfpflanzen an den Enden des Korridors stammten von mir.

Übrigens, was den Aufwand anging, möchte ich noch einmal das Klo aus England erwähnen. Es wurde also ein Extra-Spezial-Automat der Londoner Firma Wincastle bestellt, einer der in der Wand verschwindet und sich selbst reinigt, und zwar nahezu geräuschlos. Soviel zum Thema Luxus, der immerhin der Schlüssel ist.

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