27

Liebe, liebste Freitag.

Ich verhandle noch mit dem Architekten.

Ein schönes Projekt eigentlich, ein Wolkenkratzer der alten Schule, dessen Spitze in ein Himmelshaus verwandelt werden soll — mit den modernsten Mitteln versteht sich —, doch ich gebe zu, daß ich den armen Mann zum Wahnsinn treibe. Ich habe Frank C. Wainright auf der Eröffnungsfeier des Lincolncenters am East Hudson kennengelernt und mit einem Honorar interessiert, das er nicht gut ablehnen konnte. Ich sagte, es sei ein nur kleines, für einen Mann seiner Geltung vielleicht uninteressantes Projekt, die sechs oberen Stockwerke des Wyman Towers, ob er davon gehört habe?

Ja, er hatte davon gehört, und es interessierte ihn, wie sich bei der Besichtigung herausstellte, sogar beträchtlich. Insbesondere die Diskrepanz des mit seinen vier auf dem Dach aufsitzenden Eckpylonen klassisch konzipierten Dreißigerjahrestils im Gegenspiel zu den vertikalen Granitlinien des Turmaufbaus. Das müßte alles weggespiegelt werden. Der Turmaufbau? Nein, die Pylonen, oder wollen Sie da oben vier Teehäuschen haben? Das will ich natürlich nicht, obwohl er damit nicht sehr weit entfernt liegt. Und wenn er sagt: Wegspiegeln, dann sicherlich nur von innen her gesehen, nehme ich an.

Ich laß den Mann erstmal machen.

*

Der Mann ist ein Purist, ohne Frage, ich habe den Eindruck, am liebsten würde er einen fünfstockwerkhohen Würfel aus massivem Garnichts aufsetzen, möglichst farblos. Um ihn dann als bewohnbar zu erklären. Aber er wäre ja bereit zu Kompromissen.

Zunächst schaffte er eine Menge Materialproben herbei, in sämtlichen Grautönen, der Mann war fleißig. Nie gesehene Gesteinssorten aus entlegensten Gegenden, aus Chipehuahua, aus Ponseng, Korea, aus der Wildschönau, feuerveredelter Granit, der milchig weißlich war, totenkopffarbener Alabaster aus Italien, zehn Zentimeter dickes perlgraues Glas für Fußböden, Feigenholz, hochpoliertes Schwemmholz für Wandverkleidungen.

Wieso denn Totenkopf?

Caput mortuum, erklärte er, das sei eine Naturfarbe, die südlich von Siena gefunden werde, sehr elegant.

Na ja, sagte ich, Sie sollen ja erst mal machen.

– –

Also die Eckpylonen wollten sich mit seiner Modernität nicht vertragen — oder eben doch vertragen? Indem sie gar nicht mehr vorhanden waren? Von innen zugemauert, oder — hier kam der Einfall, der uns alle verblüffte — er wollte sie soweit verspiegeln, daß sie nur noch das Gesamtkonzept widerspiegelten, hellgrau in hellgrau, ohne jegliche Kontur?

Aha.

Ursprünglich hatte ich ja eine ganz andere Vorstellung gehabt — ich muß das jetzt einfügen, obwohl es überhaupt nicht hierher gehört. Ursprünglich wollte ich überhaupt nicht in Manhattan bauen, es war eine Frage des Prinzips: Manhattan ist eine Gebirgslandschaft, ein Hochgebirge, in Manhattan baut man unbezwingbare Höhenlagen, für Mrs Waldorf und Mrs Helmsley von denen sie auf eine aufgebrachte Menge herabblicken können. Auf Straßenniveau würden sie keine vierundzwanzig Stunden überleben. Ich spreche von der Vertikalen, vom Sicherheitsabstand der hundert Stockwerke. Bei Mrs Jones und Mrs Keller mag er dann nur noch siebzehn betragen, ist aber immer noch vorhanden.

Wie aber steht es mit der Horizontalen? Dem Sicherheitsabstand nach vorn und nach hinten, den sollte man vielleicht auch in Betracht ziehen. Den Freiraum rechts und links, wo sich niemand und nichts, kein Pizzamann und kein Serienkiller unbemerkt annähert. Das wäre doch auch eine schöne Vorstellung.

Also sieht man mich eines Tages auf der Fahrt zwischen Vegas und Boulder City. Sehr schöne Töne herrschen vor, Rot, Braun und Blau bis zu der rosa Sägelinie einer fernen Sierra. Die Straße verläuft hier über fünfzig Meilen durch einen Zipfel der Mojave-Wüste, einer bis zum Horizont flachen Ebene, die sich frei befahren ließe — das heißt, man muß nicht auf der Straße bleiben, solange man einen Fixpunkt im Auge behält. Und hier, etwa auf der halben Strecke und einer weiteren halben Meile südlich der Straße fand ich den Felsenzahn. Von weitem gewaltig aufragend, beim Näherkommen vielleicht zehn oder zwölf Meter hoch, vielfach gezackt, oben platt, mehr einem Backenzahn ähnlich, einem, der übrig geblieben war, im Lauf der Zeit. Jedenfalls erklomm ich ihn und verbrachte hier einen ganzen langen Tag.

Es war heiß, aber nicht zu heiß im Schatten, ich hörte die Sandkörner rieseln, mal rieselten sie stärker, mal weniger, ab und zu knackte mein Fahrzeug, das sich abkühlte, dann knackte es nicht mehr. Eine Wegstunde entfernt schrie ein Vogel, mehrmals.

Hier ein Buch zu schreiben, eine Religion zu erfinden, eine neue Zeituhr. — Jemand, der sich hier näherte, konnte auf eine Entfernung von drei Meilen von meinem Standpunkt aus eingesehen werden. Ein heller rötlicher Sandstein, auf dem ich lag, leicht zu bearbeiten und zu schleifen. Ich legte ein Dach auf den Zahnkranz ringsum, eine große, flache Betonscheibe, einen weißen Deckel, die Zwischenräume, u-förmig, unterschiedlich breit, würde ich mit Glasplatten ausfüllen. Und hier drinnen im Auf und Ab des Sandsteinbodens boten sich Stufen, Terrassen und Treppen an, die noch herauszuarbeiten wären. Auch eine große flache Plattform als Bettstatt, die war schon vorhanden.

Ein offenes Haus, ein gastliches Haus, ein kühler Hort inmitten fünfzig Meilen Feuerwüste, ich habe nun einmal den Sinn für Luxus.

Ich lasse frische Datteln, Kumquats, Limonensorbet servieren. Einen Tequila Sunrise, bitte sehr. Dabei immer den Horizont im Auge. Nicht durchzuführen wegen technischer und praktischer Einwände? Ich habe den Bau einen Nachmittag lang durchdacht — auf dem warmen Boden liegend, im Schatten einer aufragenden Felswurzel — es war durchaus durchzuführen! Einziges Problem war das Wasser, und das war kein Problem. Hier würde es niemals regnen, hatte es noch nie geregnet, selbst in zweitausend Metern Tiefe würde man nie auf Wasser stoßen, allenfalls auf Öl. Die Lösung hieß Tankwagen, ein schöner großer hauseigener Tankwagen war die Lösung: Einmal im Monat ließe man ihn in der Stadt vollaufen, zehntausend Gallonen Wasser, rechnete ich aus, reichten dann für Pool und Drinks. Müßten nur großzügig gehandhabt werden (im Geiste hörte ich bereits das Plätschern von Brunnenspielen).

Und dann erschien ein einzelner Mann.

Er erschien als Punkt, den ich erst sah, als er sich bewegte, ja er bewegte sich, ich mußte allerdings genau hinsehen. Wurde größer und größer. Und hinkte. Das nun war ein merkwürdiges Phänomen, ein Punkt, der eine durchgehend stockende Linie beschrieb, eine Bewegung mit Zacken. Nun war es ja eine weite Ebene, und ich konnte in Ruhe abwarten, was sich da begeben würde. Das war der Vorteil dieser Position.

Es begab sich ein Mann, der sich offenbar zuviel vorgenommen hatte. Er trug ein Khaki-Hemd und unter seinem Khaki-Hut war er rot angelaufen, Mund halb offen, keuchend, ich konnte es zwar nicht hören, es war wohl ein Rasseln. Und er hinkte, mein Gott, er hinkte wirklich erbärmlich. Wo, um Gottes willen, wollte denn dieser Mann hin. Wahrscheinlich hatte er auch noch Durst.

Mein Fahrzeug hinter dem Felsen konnte er nicht sehen, dennoch steuerte direkt darauf zu.

«Halt! Gehen Sie zurück!»

Er winkte (und hinkte), eigentlich ganz freundlich, er hatte sich einen Fotoapparat umgehängt.

«Sie sind trespassing!» Dafür gibt es kein anderes Wort, es handelte sich hier um privates Gelände, aber jetzt winkte er noch freundlicher. Ein freundlicher kleiner Herr war das, der mir sogar irgendwie bekannt erschien, doch das war ja nicht gut möglich.

«Keinen Schritt weiter! Ich habe auf Sie angelegt!!!», rief ich und war nun ernsthaft entschlossen, meine Rechte durchzusetzen. Im Fall eines Unglücks, eines fatalen Unglücks, kam es darauf an, den Leichnam auf das Grundstück zu ziehen, hatte man mir gesagt, dann läßt sich immer noch Selbstverteidigung geltend machen.

Also, sein Name war Griffin. Griffin C. G. Tott MD, aus Anchorage, Alaska, und er war hier, um die Felsen zu fotografieren. Wir verstanden uns auf Anhieb, verdösten den Nachmittag zusammen, angenehm im Schatten liegend. Im Schatten, erst der einen, dann der anderen Felsnase, je nach fortschreitendem Sonnenstand. Sprachen über Gott und die Welt, über Reisen, Beruf, Familie, sogar über unglückliche Liebschaften.

Ich servierte zwar keinen Sorbet und keine frischen Feigen. Immerhin ein anständiges Budweiser aus der Kühlbox. Bis die Sonne niederging und alle schönen Dinge der Welt zunächst einmal vertagte. Er hat mir auch geschrieben, aus Spokane, hatte ein paar gute Aufnahmen von mir und dem Felsen gemacht, die er mir zuschickte.

*

Um aber auf meine Pylonen zurückzukommen, auf die allerdings lege ich Wert und werde sie mir auf gar keinen Fall wegspiegeln lassen. Ich spreche von den konischen Ecken auf meinem Wolkenkratzer — sie haben etwas, ja, etwas Babylonisches, ich spreche es aus. Wenn mein Architekt sich entsetzt, dann wahrscheinlich zu Recht. Aber ich lasse den Mann ja erst einmal machen, und sein erster Entwurf, mit dem Silberstift gezeichnet, sieht beeindruckend aus.

Je zwei Geschosse will er vereinen und das Ganze dann mit einem zentralen Lichthof nochmals vereinen. Dieser völlig transparent oben mit einem Glasdach, unten mit einem kreisrunden Swimmingpool versehen, in der Tiefe das darunterliegende Stockwerk einnehmend. Kreisrund und schwarz.

Schwarz?

Der Swimmingpool wird schwarz, da ist nichts zu machen, darauf besteht er. Gedacht als Kontrapunkt zum durchgehend hellichten und hellgrauen Gesamtkonzept, mit ganz wenig Weiß, Puderweiß.

Und ganz wenig Totenkopf?

Ganz wenig Totenkopf, ergänzt er, durchgehend als milchige Nebellandschaft konzipiert, irrsinnig elegant mit Fußböden aus angerauhtem Glas. Etwa durchsichtig? Halbdurchsichtig, konzipiert er und läßt keinen Zweifel, daß es sich hier um einen Meilenstein zeitgenössischer Architektur handelt, daran ist überhaupt nicht zu zweifeln, sowohl unbewohnbar als auch preisverdächtig.

Wie steht es mit den Lichtverhältnissen, gibt es Fenster?

Der Rundung seines Mundes nach zu urteilen, nein. Das Licht wird gefiltert, ein gefiltertes Licht, das die Gesamtkonzeption durchdringt, er deutet mit seinen Händen eine Rundung an, sowohl von den Decken als auch den Fußböden her, er zeigt mit den Händen, wie. Wie der Gedanke das Gehirn durchdringt.

Gibt es Säulen?

Eigentlich nicht, naja, überlegt er, als er meine Enttäuschung sieht, ernsthaft, Säulen ließen sich vielleicht machen. Verspiegelt?

Eher lichtgrau, er deutet mit einer weiteren Rundung an, wie er denkt, daß sie sich einfügen würden.

Der Blick?

*

Der Blick war natürlich eine Sache für sich, fügte sich so überhaupt nicht ein. Der Blick von oben auf die Verhältnisse der sechsunddreißigsten Straße, auf die verrosteten Turmbauten, Teerund Ziegeldächer, Wasserspeicher und die Drahtkäfige der kreisenden Klimaräder war definitiv nicht mit dem Silberstift gezeichnet. Insofern eine echte Aufgabe. Der Mann hatte an gewedeltes Fensterglas gedacht, eine Neuentwicklung, die das Draußen wie Flaumfedern erscheinen läßt, wie durch ein Federkissen gesehen, innen aber das Licht …

Verwedelt?

…nein, mehr entstehen läßt, mehr aus sich selbst heraus, durchdrungen sozusagen, ganz sicher schien er sich da nicht zu sein. Der Perlhuhneffekt? Ich sagte, das hört sich ja alles sehr modern an und ist auch verdammt preisverdächtig, besonders, wenn man an die Konsequenzen denkt, die sich ergäben, die Lebensweise, meine ich, denn wie soll man in diesem Perlhuhn leben, über vier Etagen mit einem schwarzen Loch als Pool.

Auf Wollsocken? Auf dem Glasboden?

Nun war er doch beleidigt, ein Leben, glaube ich, hatte er innerhalb seiner Architektur nicht in Betracht gezogen, ich sah aber auch, wie es in dem Mann sofort zu arbeiten begann. Ich meine, ich konnte die Wellen über sein Gesicht laufen sehen, deshalb möchte ich einmal ein Wort über Genialität sagen: Dieser Mann, der aus sich herausgetreten war, ein unbewohnbares Haus zu zeichnen, zeichnete in letzter Konsequenz eben auch den Bewohner hinzu.

Den neuen Menschen, wahrscheinlich perlgrau.

So wie er ihm vorschwebte.

«Sehr gut!», sagte ich.

*

Und nun werde ich einmal darlegen, was mir vorschwebt — mir — und darf mich dazu in aller Bescheidenheit vorstellen, mein Name ist Marconi, Marco Marconi aus Long Island, obwohl ich annehme, daß es nicht unbedingt notwendig ist.

Man weiß, wer ich bin.

Obwohl ich mich niemals fotografieren lasse, und wenn es doch geschieht, dann sorge ich dafür, daß es nicht geschehen ist. Ich trage mich elegant, man sieht mich hier in dieser Penthousekatastrophe — die ich natürlich selbst verursacht habe, indem ich den falschen Architekten auswählte — in nachlässiger Eleganz, schwarz gestreift, schlank geschnitten in möglichst hauchdünnen Qualitäten, offenes Seidenhemd, Schuhe in Nappaleder, möglichst hell. Ich trage Sonnenbrille, auch in geschlossenen Räumen. Hut. Nein, Hut lieber nicht, aber ich trage wahnsinnig teure Armbanduhren, die für sich allein schon genügend Schrecken verbreiten.

«Augenblick, Mister, was kann ich für Sie tun?»

– –

«Oh — oh — oh — Mr Marconi, ich habe Sie nicht gleich — ich werde sofort — » Schrecken ja, aber der kann auch nicht schaden. Es gibt in New York, wenn ich das einmal ausführen darf, eine unsichtbare Währung, Respekt. Respekt zollt man, oder man zollt ihn nicht.

Da rammt mir doch dieser Hausbote seinen Messingwagen ins Kreuz, das muß man sich ein mal vorstellen, immerhin voll beladen mit Post, allen möglichen Lieferungen, was weiß ich. Stehe da in der Halle und dieser dumme Hausbote, eines dieser Milchgesichter, rammt mir da in die Weichen — –

Totenstille.

Als ob ein Film gerissen wäre.

Der Hausbote totenblaß.

Mit seiner albernen Kappe sowieso als niedere Existenz gezeichnet, weiß er, daß das Leben beendet, daß ein Totenreich sich aufgetan hat. Nur eine Mahnung natürlich, nur ein Blick durch einen Türspalt. Aber ich habe ihn nie wiedergesehen.

Wenn ich morgens als Mr Dobs mit Eimer und Besen vor den Empfangstisch trete, um Instruktionen zu erhalten, frage ich:

«Ist Mr Marconi im Haus?»

Keine Antwort.

Was sollte mich — mit Warze links — was sollte es mich angehen, ob Mr Marconi im Haus ist. Am besten, man sieht und hört nichts, und man fragt nichts. Wahrscheinlich ist er im Augenblick damit beschäftigt, seinen Architekten zum Wahnsinn zu treiben: Jetzt lassen sie mal diesen ganzen modernen Quatsch beiseite und hören Sie sich an, was mir — mir — vorschwebt.

*

Vielleicht, daß mein schlechter Geschmack Schrecken verbreitet, ich weiß es nicht. Was würden Sie von jemandem halten, der ein Herrenparfum namens «Babylon 4» kultiviert, und nicht zu knapp? Was würden Sie aber sagen, wenn auch der schlechte Geschmack nur eine Erfindung wäre, und eine nützliche dazu?

Da gibt es diese denkwürdige Sitzung. Sie fand auf der obersten Plattform statt, wo mit mehreren großen Tischen sowie einer Getränkebar ein Arbeitszimmer eingerichtet war. Ich war an diesem Morgen bester Laune, und er schien auch schon ein paar intus zu haben, als er um zehn Uhr eintraf. Er trug einen steifen Anzug und hatte sich unten bei der Blumenfrau eine weiße Nelke ins Knopfloch gesteckt, sein Gutenmorgen hatte ein leichtes Glucksen. Aber es war ja noch früh am Tage.

Ein Arbeitsfrühstück. Bewußt knapp gehalten mit etwas Ei, Waffeln, Bagels mit Lachs, Ahornsirup und Mengen von Minzkaffee. Genehmigten uns noch je einen Manhattan, ich dachte, die kleine Kirsche kann so früh nicht schaden. Dazu muß ich erwähnen, daß mein Mr Dobs einen ausgezeichneten Manhattan macht, er hatte ihn fürsorglich auf die Bar gestellt.

«Also», eröffnete ich die Sitzung, «um gleich das Konzept zu umreißen, das Gesamtkonzept, versteht sich, ich will es üppig. Wenn das verstanden wird. Ich will es groß, und ich will es vom Besten, ich will schöne Farben, ein schönes Pflaumenblau, ein Burgund, ein schönes Gold, auf keinen Fall aber irgendeine nebulöse Angelegenheit. Ich will Marmorbäder, ich will Wandelgänge mit Gemälden, ich will eine Empfangshalle, die nach etwas aussieht. Wenn das verstanden wird. Jedenfalls nicht mit einem schwarzen Loch im Boden. Ich will reiche Materialien, üppige Beschläge, Wandverkleidung, möglichst auch ein Bernsteinzimmer, meinen Sie, daß Sie das hinkriegen? Und ich will ein großes Becken aus Malachit, egal wo Sie das auftreiben.»

Da war es nun interessant zu sehen, wie der steife Anzug weiterhin aufrecht saß, im Inneren aber sein Träger, C.F. Wainright, irgendwie hing. Und auch seine Nelke ließ den Kopf hängen. Irgendwie.

«Sie sehen, lieber Wainright, ich will Klasse, ich will, daß den Leuten das Maul offensteht. Mystik, mein Lieber, ein mystisches Nachtblau, ein Nachtfalterblau mit einem schönen goldenen Himmel, wenn Sie verstehen, was ich meine. Kann auch Lilienweiß sein, mit Lilien (haha), mystisch, mythisch oder wie man das nennt. Nein, Sie sollen mir hier keinen Mythos hinbauen, und ich will auch keine Geister, die hier nachher einziehen, aber ein paar Rabenflügel könnten angebracht sein. Oder um mich ganz klar auszudrücken», — mit einem Blick auf meine Pylonen, die sich draußen vor den Fenstern abzeichneten — «ich will es babylonisch».

Im Morgendunst.

Da konnte ich nun auch unerbittlich sein.

«Ich will ein Palmenhaus. Eines mit gefältelter Glasdecke, wo das Mondlicht einfällt. Mondstein, verstehen Sie?»

Der Mann verstand natürlich nichts, überhaupt nichts.

«Ich will einen Mondpalast — — und ich will Seide, lieber F.C., ein seidenes Schlafzimmer, wohlmöglich mit einem Wasserlauf, der sich hindurchzieht und beim Schlafen angenehme Geräusche verursacht. Wie ein Tango. O.K.?»

O.K.

«In der Ferne könnte ein Löwe brüllen, das muß doch machbar sein.»

«Ein Rudel Wölfe heulen?»

«Oder ein Rudel Wölfe heulen», bestätigte ich.

Keine schlechte Idee!

*

Nach zwei Tagen erschien er mit einem neuen Entwurf, der im wesentlichen der alte war, allerdings hatte er mir in der Halle auf halber Höhe eine Akropolis eingebaut. Das war nun eine fast tragische Angelegenheit, eine Balustrade mit Säulen, ein Vorsprung, der balkonartig in den Lichthof vorsprang und dort wirklich nichts zu suchen hatte. Mit weißen Säulen. Ich konnte mir ungefähr vorstellen, was es den Mann gekostet hatte, das Ding dort vorspringen zu lassen. Wieviel Selbstverleugnung, wieviel inneren Schweinehund.

«Aber das ist doch schon sehr nett», rief ich aus, «das ist doch schon eher nach meinem Geschmack, was Sie hier liefern — — und wenn Sie jetzt noch ein Übriges tun und ihre Akropolis ganz herumziehen würden, so daß sie sich von allen Seiten im Pool spiegelt …»

Ich zeigte ihm mit ein paar kräftigen Strichen auf seinem Entwurf, wie ich mir das dachte, naja, meine Striche sind vielleicht etwas zu kräftig ausgefallen. Deshalb mußte der Mann ja nicht gleich tot umfallen, bitte sehr, schließlich wurde er ja genügend hoch bezahlt.

«… dann kommen wir der Sache schon näher.»

Ich erlaubte mir noch ein paar kräftige Striche, um meine Ansicht zu verdeutlichen, hier einen bezüglich der Länge, dort einen bezüglich der Breite. Ich zählte die neuentstandenen Säulen — — sechzehn Säulen. Die sollten ausreichen. Bausünden sind so weit zu vertreten, als sie einem guten Zweck dienen, schließlich durfte ich ein paar kleine Zugeständnisse erwarten. Das jedenfalls war meine Meinung, für mein Geld.

«Und wir sollten Marmor bevorzugen», deutete ich weiterhin an, «weißen Marmor, goldgeädert. Naja, nicht Gold, nicht direkt, aber doch in dieser Richtung. Sie werden schon etwas finden.»

Hier sieht man mich die marmornen Stufen herabschreiten, früh am Morgen, New York zu meinen Füßen. Ich will mich jetzt nicht übernehmen, aber ich sehe mich in einem indigofarbenen Morgenmantel, innen Zobel.

«Oder schwarzer Marmor? Sollten wir vielleicht schwarzen Marmor wählen — »

Überlegte ich.

«Ich habe da so eine Vorstellung.»

«Lassen Sie mich raten — goldgeädert?»

Der Mann hatte es erfaßt. Dann waren da noch die Pylonen, die Einbeziehung der Pylonen — die mir am Herzen lagen — zu erörtern.

«Die an den vier Ecken doch eine gewisse monumentale Funktion haben», führte ich aus, «in alle vier Himmelsrichtungen weisend!»

Ich wollte nicht allzu symbolisch werden, aber ich dachte an eine figürliche Darstellung, an ein Fabelwesen, an eine Allegorie, halb Falke, halb Eidechse. Als Dachfigur etwa oder als Wasserspeier, der Phantasie des Architekten wären da keine Grenzen gesetzt.

«Halb Eidechse, halb Frau.»

Und konnte bereits sehen, daß er der Aufgabe vielleicht doch gewachsen war. In weißem Mantel frühmorgens die schwarzen Marmorstufen herabschreitend? New York zu Füßen?

Da war nur noch die Frage des Materials offen, der Verkleidung der Pylonen, sowohl innen wie außen — mir schwebte da etwas Leuchtendes vor, ein Naturstein, schöne polierte Platten in tiefem Blau, obwohl es so etwas in der Natur nicht gibt. Oder doch?

Warum nehmen wir nicht Lapis, fragte ich.

Lapis?

Lazuli.

Lapislazuli?

Goldgeädert.

Wainright griff sich ans Herz.

*

Notiz auf der Kulturseite der New York Times vom 3.4 … Wie wir erst heute erfahren, wurde der bekannte Architekt Frank C. Wainright am Montag in seiner Wohnung tot aufgefunden. Nach den bisherigen Ermittlungen handelt es sich um Freitod, die Waffe befand sich noch in seiner Hand.

Frank C. Wainright galt als Wegbereiter moderner Architektur. Einen Namen machte sich der geniale Konstrukteur und Künstler durch seinen Entwurf zum Brewer Museum, einem in letzter Konsequenz minimalistischen Werk unter Zurückführung der Bauelemente auf einfachste Form, sparsamste Farbgebung. Meilenstein in der Kunst des Sachlichen, des «Neuen Weglassens». Wir trauern um den Verblichenen.

*

Eine gewaltige Ente, ohne Frage, so wie sie es heutzutage fertigbringen. Denn so weit wollen wir doch nicht gehen. Ich schwöre, ich habe ihn erst gestern aus einer Lounge in der Park Avenue treten sehen, rein zufällig. Es handelte sich — also es handelte sich — ich komme gleich darauf — ja, es handelte sich um die Finnische Botschaft, ganz ohne Frage, und quicklebendig ist er gewesen, ich schwöre.

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