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Eines Tages wird sie über dich kommen, die Liebe. Eines Tages, plötzlich über Nacht, wird sie über dich herfallen wie der Habicht, der aus dem Himmel stürzt, und alles wird anders sein. Dein Innerstes wird sich auskehren, und die Welt, die sich ja nicht verändert hat — nur daß du es nicht weißt — wird in dich einkehren, es wird schrecklich sein, und es wird wunderbar sein.

Und der Tag wird kommen.

Eines Tages — ich weiß nicht, wie alt ich war, vielleicht acht oder neun — nahm mich mein Vater beiseite, um ein ernstes Gespräch zu führen. Ich erinnere mich aber sehr gut, daß er sich in einer Verlegenheit befand, er benötigte drei Ansätze, bevor er auf den Punkt kam. Also die Bienen und die Blumen. Nein, es waren die Vögel. Die Vögel also überkam ganz plötzlich das Verlangen, also das unbezwingliche Verlangen, ein Nest zu bauen.

Soweit gut.

Wobei mir die Verlegenheit unerklärlich war, mein Vater benahm sich eigenartig.

Das Zeisigmännchen also, das über Nacht den Kopf verliert und beginnt, Zweige für das Zeisigweibchen herbeizuholen, soweit ich das verstand. Das war durchaus nachvollziehbar, wie das Zeisigmännchen Zweige sammelt und ich konnte mir ein deutliches Bild machen, wie das Nest mit jedem Zweig wuchs, als Wohnstatt gewissermaßen des Zeisigglücks. Doch wozu der Aufwand, dachte ich.

Und der Buntspecht — man staune —, also der Buntspecht, der, plötzlich von demselben Drang gepackt, beginnt, bunte Federn anzuschleppen, Stoffreste, Seidenschnüre, alle zu dem Zweck, ein Nest zu dekorieren, eine anspruchsvolle Heimstatt, eine Vogelvilla, alles nur — man staune — um dem Buntspechtweibchen zu imponieren.

Hier hob Vater den Finger, und ich vermutete, daß er sich jetzt in sicherem Fahrwasser befand.

Der Webervogel imponiert der Glücklichen durch seine große Kunstfertigkeit, ein kugelförmiges Nest zu weben. Und es ist, mein Sohn, sagte Vater, ganz makellos kugelförmig. Dagegen hängt der Anglervogel sein Nest an einem langen roten Faden auf, frei schwebend und schwankend aber sicher, ganz sicher. Er bietet die Sicherheit (und die sei auch nicht ohne Reiz).

Was Vater damit wahrscheinlich zum Ausdruck bringen wollte — ich kann das nur rekonstruieren —, daß sich jegliche Bautätigkeit ganz unmittelbar auf die Weibchen bezieht. Ich weiß es nicht. Das Unstillbare!

Der Mocking Bird baut tief im Baumgestrüpp, wo er mit seinem Weibchen sitzt. Er baut aber ein zweites Nest vorn in voller Sicht, von dem man nur annehmen soll, daß er darin mit ihr sitzt. Er sitzt aber nicht! Ein noch intelligenteres Sicherheitssystem und durchaus imponierend.

Der Mauersegler, der ein Nest aus Spucke baut?

Ja.

Der Yamyam gar, der sein Leben ausschließlich im Flug verbringt, und der ein Wolkenschloß baut?

Der auch.

*

Es war nur nicht ganz klar geworden, was denn die Liebe mit (diesen) Vögeln zu tun hatte. Aber vielleicht sollte ich mich einmal generell über das Hausbauen auslassen. Wir haben hier drei Grundsätze, Sicherheit, Bequemlichkeit und Schönheit, die sich gegenseitig im Weg stehen. Sind die Mauern dick und schwer, hat man ein klammes Interieur, so etwa, ist die Schönheit gewährt, brennt der Feind das Haus nieder.

Das Haus des Nordländers sitzt unter einer dicken Wetterhaube frei im Gelände. Es ist nach allen Seiten offen und für jedermann von allen Seiten her zugänglich. Jedermann ist willkommen. Wenn er an dem Hund vorbeikommt, von dem er zerrissen wird. Muß aber nicht zerrissen werden.

Das Haus des Südländers ist das genaue Gegenteil. Es ist völlig eingemauert, hat keinerlei Fenster oder Türen, höchstens, daß sich irgendwo in einem Mauergang eine Pforte findet, schwer beschlagen und nur gebückt betretbar. Innen aber öffnet sich die Pracht, öffnet sich der Innenhof mit wasserblauen Säulen und dem Gemurmel der Brunnen. Vorhänge wehen, Pfauen schreien, das Haus des Südens hat viel Erotik, aber das Haus des Nordens hat viel Ehre.

Das sicherste Haus ist das Haus des Japaners. Es besteht nur aus Papier, ein Mann könnte diagonal frei durch alle Wände hindurchlaufen, ohne daß ihn etwas hinderte. Ja, aber es hat den Nachtigallenboden, und der zwitschert bei jedem Tritt, bei jeder Fliege, die sich daraufsetzt. Und der Hausherr, der mit dem japanischen Schwert, dem Katana, zur Seite schläft, ist in der Lage, aus dem Schlaf heraus mit einem einzigen Stampfschritt und einem bogenförmigen Schmetterlingshieb zwei Eindringlingen zugleich den Kopf abzuschlagen, einem vor ihm und einem hinter ihm.

Ein Reflex: Zwitschern, Schlagen, Hinlegen, Weiterschlafen. Jedes arme verirrte Huhn ist bereits tot, wenn es nur den Fuß hereinsetzt.

Sicherheit, Schutz und Schönheit, und der Standort natürlich, der ist auch noch wichtig. Das Haus des Russen zum Beispiel ist um einen einzigen großen gemauerten Ofen herumgebaut, auf dem geschlafen, gegessen und geliebt wird. Keine schlechte Lösung, aber es steht eben in Rußland. Das Haus des Afghanen dagegen fällt bei Regen in sich zusammen, ja, doch es regnet dort nicht. Das englische Haus steht eben in England, und das Grevesmühlener in Grevesmühlen — man verzeihe mir —, und doch gibt es ein Idealhaus, das alle Vorzüge vereint, allen Ansprüchen gerecht wird. Ich weiß es, ich habe es selbst entworfen. Das Vierdimensionale.

*

Wenn du vorn aus dem Wohnzimmer auf den Weihnachtsmarkt blickst, dann blitzen dort Lichter, es schneit ein wenig, pausbäckige Kinder werden in Schlitten gezogen, um die Ecke fährt eine Straßenbahn. Was noch? Drüben leuchtet das Kaufhaus Mandel.

Aber dann gehst du in die Tiefe des Hauses hinein, gehst durch den langen Korridor, der nach hinten führt, nimmst einen Glühwein, du kannst auch eine heiße Dusche nehmen. Du passierst die Stelle im Korridor, wo die Uhren falsch gehen, die eine ist sechs und die andere ist auch sechs, aber sechs Uhr früh. Und eine Stufe führt sowohl rauf als auch runter, dieses Haus ist eine langgestreckte Konstruktion, wohlgemerkt, und dann betrittst du das Schlafzimmer.

Aha!

Das Schlafzimmer trägt die berühmte Papageientapete, es hat, wohlgemerkt, eine rückwärtig geöffnete Fensterfront und einen Frühstückstisch mit Blick auf das Korallenmeer: Der Passatwind weht milde herein, die Dünung schlägt in langen Schlägen an den Strand, das Beiwasser blitzt und die Sonne geht auf. Die soeben vorne untergegangen ist.

– –

«Na und», hatte mein Vater gefragt, und er hatte noch nicht einmal leicht gelächelt, «wer ist denn nun die Glückliche?»

– –

«Ist es Jutta Drehfahl von nebenan? Oder ist es die schöne Gitte Rehlein an der Ecke?»

Bin ich rot angelaufen?

Sehr.

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