17

Lieber Freitag.

Ich werde dir jetzt jemanden vorstellen, einen Freund, einen wirklich guten Freund, auf den ich baue, dem ich vertraue und der mein Geld bewacht. Deshalb mußt du aber nicht eifersüchtig sein, er ist nur eine Maschine.

Mein Rechner.

Mein treusorgender Kassenwart. Der alle meine Fehler, die mir in meiner Unvernunft unterlaufen, sorgsam und treulich korrigiert. Er ist noch weniger als eine Maschine, nur ein Programm, immer bereit und an jedem x-beliebigen Punkt der Welt abrufbar, in jedem auch nur halbwegs abgefahrenen Internet-Café.

Ich nenne ihn den «Dicken», weil er soviel Platz einnimmt, siebzehn volle Seiten mit allen Unterprogrammen und Statistiken, und es werden noch mehr werden. Und er hat Charakter, ich habe ihn mit einer blaugelben Bauchbinde ausgestattet, oben in der rechten Ecke trägt er ein Image, ein daumennagelgroßes Gesicht, das lachen und weinen kann oder sich in maßlosem Staunen zu einem O rundet, wenn ich wieder einmal einen Fehler begangen habe.

Ich tippe: «Tokio Amalgated 300 kaufen», dann tippe ich: «Performance».

Er rollt eine lange Liste auf, die bis in das Jahr 1968 zurückreicht, dann rollt er Graphiken auf, alle wie Apfelsinenscheiben, und danach Stapelsäulen in den unterschiedlichsten Farben.

Ich tippe: «Kaufen.»

Ich tippe: «Kaufen.»

Er zeigt ein kleines graues Schild: «Wollen Sie wirklich kaufen?»

Ich tippe: «Kaufen.»

Er: «Wirklich?»

Mein zarter Dicker.

Dann ist er beleidigt. Erkennbar an seinem Gesicht, das sich nicht bewegt, nicht lacht oder weint, oder sich zu einem O formt, einfach nur verharrt: Beleidigt.

Mein Kassenwart. Ich weiß, daß er eine Seele hat, und das kann ich auch beweisen, ich glaube, er hat sogar Religion. Dieser «Dicke» existiert, und er weiß, daß er existiert, denn wie sonst könnte er blockieren und sich selbst in Frage stellen, wenn gelegentlich logische Unstimmigkeiten auftreten, die er korrigieren muß. Er weiß, daß er es weiß, also existiert er. Ist das zu sophistisch? Nein, es ist Religion, jedenfalls soweit es meinen Rechner betrifft.

Neulich hat er mich vor einer großen Dummheit bewahrt. Ich wollte unbedingt einen ganzen Block Tsing Tao kaufen, welches natürlich ein höchst problematisches Angebot darstellte. Viermal siebzig Meter, von Ecke zu Ecke, mit der entsprechenden Einwohnerzahl, ich weiß, dümmer geht es eigentlich gar nicht, auch wenn es sich nur um ein Papier handelt. Je mehr du hast, desto mehr können sie dir nehmen, lieber Freitag, je reicher du bist, desto ärmer können sie dich machen, das solltest du wissen.

Mein Dicker wußte es und konterte kurz: «Access denied.» Zugang verweigert.

Ich konnte mir das natürlich nicht gefallen lassen und drückte auf: «Kaufen, kaufen, kaufen.»

Er zeigte ein kleines graues Schild:

«Access denied.»

Hinterher hatte sich ganz offen herausgestellt, daß es sich um eine Finanzgruppe äußerst windiger Hypothekenanlagen handelte, ich habe vergessen, wie die Brüder hießen, aber mein Geld wäre weg gewesen. Also erzähle man mir nicht, Maschinen hätten keine Seele.

«Access denied.»

Nein, er hat meinen größten Respekt, und ich nehme es respektvoll hin, wenn er mich zur Ordnung ruft: In diesem Fall hatte er vorher lange gerummelt, hatte alle möglichen Graphiken von Mobilien und Immobilien aufgerollt, auch Unterlagen zur proportionalen Berechnung des Gesamtvermögens abgerollt — ich hätte gar nicht gewußt, woher nehmen.

«Data unprotected.»

Dazu hatte er mit seinem Image die Stirn gerunzelt. Also wenn das nicht überzeugt! Obwohl es ja diese eigenartig rüde Sprache im Computerleben gibt, die «Master» und «Slave» unterscheidet. Also, manchmal weiß ich wirklich nicht, wer hier was ist. Obwohl. Ich meine, ich bin schließlich derjenige, dem der ganze Laden gehört, sozusagen, der Besitzer, wenn ich das anführen darf.

Und die Größenordnung des Vermögens, von dem hier die Rede ist, dürfte schließlich auch noch eine Rolle spielen.

– –

Du hättest gern gewußt, wieviel es ist. Lieber Freitag, ich könnte es dir sagen, ich könnte dich mit der Anzahl der Nullen zutiefst erschrecken. Nur soviel: Es ist nur Papier, für meine Vorstellung sind es gar keine richtigen Gelder, ich meine, wenn ich mir vorstelle, was ich mir dafür kaufe, eigentlich nur Notierungen. Bei dieser Anzahl von Nullen. Nicht einmal Papier ist es, genau genommen, es ist nur ein Programm, das mir ein eigenwilliger Kassenwart aufgerollt hat, ein bei Licht besehen doch sehr eigenwilliger.

Das ich aber in diesem Augenblick mit einem einzigen Knopfdruck löschen könnte. Also, wer ist hier «Master».

Soll das wirklich gelöscht werden?

– –

Wirklich?

Загрузка...