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Lieber Freitag.

Du hast richtig gehört. Ich habe diesen Käpten Kuk gefeuert, kurzerhand, der Mann war einfach zu weit gegangen. Natürlich gehörte mir das Schiff, da liegst du auch richtig, das heißt, es gehört mir immer noch, eine der Annehmlichkeiten, die man hat. Ein ganz ähnliches Projekt verfolge ich zur Zeit in New York, wenn auch unter anderen Voraussetzungen. Eine Immobilie, in der ich als mein eigener Hausmeister herumlaufe, oder besser noch als bloße Reinigungskraft, die dann noch unsichtbar ist.

Aber zurück zur «Insel des Schweigens», wie Naoumu auch genannt wird: Panu titti lanki pai, «die Schöne redet nicht». Sie hat eine Länge von knapp drei Meilen und ist eine halbe breit. Und sie ist schön. Als Freitag und ich den Strand erreichten, lag sie vor uns wie Geschmeide. Ganz im Westen erhoben sich zwei Felsspitzen, leuchtend grüne Hexenhüte, dicht bewachsen mit Riesenfarnen, und wo der Felsen blank lag, schien er durchsichtig zu sein. Jedenfalls schienen alle Reichtümer hindurch, die dort lagen, alle Früchte, Düfte, alle silbernen Perlen und alle blauen Papageienvögel. Das Glück.

Ja, das Glück. Freitag rollte sich, naß wie er war, im weißen Sand, so dass er wie überzuckert aussah, ein Stück gezuckerte Lakritze, und ich war nicht minder glücklich, während draußen vor Reede die «Cook» ihre fruchtlosen Kanonenschüsse abgab. Sie konnte nicht hereinkommen, weil ganz Naoumu von einem Ring von Korallenzähnen umgeben ist, die ihr die Planken weggerissen hätten. Wie wir dort beim Schwimmen einen Durchschlupf fanden, hatte in der Hand Gottes gelegen, ich erinnere mich an den delphingleichen Rücken Freitags, wie er nur um eine Handbreit einem tödlichen Sägezahn entkam. In weißer Gischt.

Naja, vielleicht ein bißchen übertrieben.

Doch wie sonst sollte der Eintritt ins Paradies geschehen. Gleich hinter dem Strand erhob sich eine Wand von Kokospalmen, die vorderen schräg, einige sogar waagerecht über den Strand gelehnt. Ja, die vorderste hatte sich so weit herabgebeugt, daß ich die großen grünen Nüsse mit der Hand greifen konnte. Es war dies das erste Stadium der Reife, das den grünen Saft liefert, einen ganzen Liter, ich kenne mich da aus — dazu trägt der Seemann sein Messer. Nicht um groß zu protzen.

Ich bekam eine Nuß und Freitag auch eine. Dann holte ich ein paar Guaven aus dem Unterholz und eine Handvoll Brotfrucht. Hatten dann noch eine grüne Nuß, Freitag auch, danach jeder eine mit weißem Fleisch und weißer Milch, das ist dann das zweite Stadium, wenn sich innen der Ölkern bildet — ich kenne mich ja aus. Zum Nachtisch jeder eine ganze Ananas (gibt es auch in zwei Stadien).

Banane? Vergiß es.

Nach diesem unserem üppigen Mal legten wir uns in den Sand und schliefen auf der Stelle ein. In der Wärme, im Schatten, im üppigen Schoß Naoumus. Wir schliefen durch den Rest des Tages und durch die Nacht, bewacht von Elmsfeuern und schwarzen glänzenden Träumen, schwarzen Perlen und einem leisen Fischgeruch. Ist das zu üppig? Ja. Aber ich sage, fürchtet euch nicht, ich werde wohl noch sehr viel üppiger werden.

Denn der Morgen.

Mein Gott.

Als ich erwachte, war es noch dunkel, nur ganz weit draußen, oberhalb einer geraden Linie stand ein fahler Schein, ein helleres Schwarz über einem dunkleren. Ein warmer Luftzug trocknete den Nachtschweiß. Freitag, neben mir, war noch vorhanden, noch tief im Schlaf, aber er bewegte einen Finger. Drüben in der Palmenwand fiel eine Nuß.

Ich sage, niemand, der nicht eines Morgens, eines seidigen frühen Morgens auf Naoumu erwachte, kann ermessen, was ihn dort erwartet. Das Wunder.

Es beginnt mit einer leisen Aufhellung. Die gerade Linie wird gepunktet mit zehn, zwölf Inselchen, weit draußen, groß wie Erbsen. Das Perllicht wandelt sich ganz langsam in ein sanftes Grün, gleichzeitig aber in ein sanftes Dunkelrot, wie der Alexandrit, der in sich selbst die Farbe wechselt, heller jetzt mit grünrosa Sprenkeln und Goldaugen auf dem Wasser. Die neun Inselchen draußen, jede mit einem spitzen Hut, wandeln sich zu plötzlich beleuchteten Eidechsen, und das Meer wird zu einer Scheibe aus Perlmutt. Das Farbwunder, das wir immer verschlafen haben. Das tiefe Indigo, das Kupfer, das Messing und die Rosentöne japanischer Kugelfische, die wir auch immer verschlafen haben.

Und dann erhebt sich der Feuerball.

Ich habe da halbwach in meinem Traum, in meinem sandigen Bett gelegen und gesehen, wie die Schöpfung geschah. Über mir stand ein Vogel am Himmel und schrie, völlig lautlos. Stand still auf der Stelle. Ruhe. Ich habe dann noch ein wenig geschlafen, bis es heiß wurde im Sand.

Der Tag.

Man wünscht sich einen guten Morgen. Man erkundigt sich, wie man geschlafen hat, und fügt noch gute Wünsche für den kommenden Tag hinzu, aber nur der Mund bewegt sich. Das schadet ja nicht.

Der Tag ist wunderbar anzusehen, die Sonne scheint, vorn ist das Wasser vom weißen Untergrund her hell beleuchtet. Dort steht Freitag im Seichten und ist glücklich, er ruft mir eine Botschaft zu, die auf halbem Weg erstickt, jedenfalls erreicht sie mich nicht. Aber das macht ja auch nichts, denn jetzt watet Freitag auf seinen feinen, feinen Beinen im Seichten herum, und es könnte nicht besser sein. Was sonst noch?

Das Donnergetöse.

Das mag nun wie ein Widerspruch klingen, ist aber keiner: Draußen, wo das Wasser dunkler wurde und somit auf große Tiefe deutete, herrschte ein fortwährendes Donnergetöse. Anders konnte man es nicht bezeichnen, ein fortwährendes, immerwährendes, und von Anfang an — ich habe das bisher nicht erwähnt, weil es eigentlich unhörbar war. Aber so laut, so ungeheuerlich laut, daß es sich sozusagen in sich selbst aufhob, wie ein gestopftes Kissen. Und zwar — jetzt muß ich es doch erwähnen — eigentlich nur mit den Füßen spürbar, ein Dauerdonnern unter den Fußsohlen. Was immer das bedeuten mochte.

Wir haben dann die Insel erforscht, Freitag und ich, den Kokosgürtel, den Regenwald im Inneren, Anhöhen mit Brotbäumen, Tümpel mit tonnenweise Wassersalat. Wir fanden zwei Schweine, die davonstoben. Fanden sogar Hühner und ein Gelege. Erstiegen schließlich den höchsten der Hüte bis zur Spitze, von wo sich ein göttlicher Rundblick ergab, er zeigte, wie dieses leuchtende Eiland inmitten eines Ringes dunklen Wassers lag, der sich vom hellen Wasser in Strandnähe scharf abgrenzte. Als ob dort eine plötzliche Stufe abwärts führte. Schön anzusehen.

Dazu gab es aber noch eine andere Freude. Beim Abstieg. Nämlich unten auf der Flanke des Hutes hatten sich durch Kalkablagerung lauter kleine Becken gebildet, schneeweiß und glatt, eines über dem anderen. Das war nun wirklich schön anzusehen. Lauter Botticellimuscheln, und das Wasser, das sich dort gesammelt hatte, war auch noch warm wie Badewasser, der reine Luxus. Freitag in dem einen Becken winkte mir als Botticellischönheit zu, und ich lag in einem anderen und winkte zurück, auch als Schönheit — das vielleicht weniger, aber irgendwie muß ich ja auch ausgesehen haben. Es war erfülltes Leben.

Die ganze Insel ein einziger Luxus.

Und die Luft wie Götterspeise.

Den letzten Luxus aber durften wir am Abend, am Spätnachmittag erfahren, als das Licht sich senkte, teefarben wurde, — ich scheue mich nicht, bernstein- und havannafarben wurde und jeden Stein, jeden Baumstrunk in ein eßbares Objekt verwandelte. Ich glaube, das ist so ziemlich das Äußerste, das dem Menschen beschieden sein kann, sich in einer wirklich großen Sarah Bernard-Torte zu befinden. Wie es uns beschieden war. Freitag mit seinem törichten Stöckchen versuchte Fische aufzuspießen, die sowieso stillstanden, um sich greifen zu lassen. Traf natürlich keinen einzigen. Stand immerhin sehr schön wie ein Stück schwarze Schokolade im Seichten, es war eine Pracht mit dem Jungen.

Zum Abschluß spät am Abend gab es dann noch ein Gewitter draußen, fern am Horizont. Mit himmelhohen, zuckend beleuchteten Wolkentürmen. Dazu aßen wir Schildkröteneier. Und der Brandungsdruck, oder wie man das Getöse nennen mochte, war in dieser Nacht besonders laut, der Boden zitterte, überall fielen Nüsse. Es war ein rauschendes Fest.

Am Morgen war Freitag verschwunden.

Er war weg.

Wie, weiß ich nicht, ich habe die ganze Insel abgesucht, jeden Busch, jede Ecke, jeden verdammten Hexenhut, und kann mir sein Verschwinden nur mit einer Landbrücke erklären, die es eben doch gegeben haben muß. Oder nächtliche Besucher haben ihn aufgegessen, in der Südsee weiß man nie, wer, wann und wo.

Meine eigene Abreise stellte dann kein Problem dar, in dieser heutigen Welt. In einer früheren hätte ich vielleicht dreißig Jahre lang am Strand gesessen und auf ein vorbeifahrendes Schiff gewartet, das dann tatsächlich vorbeigefahren wäre. Bis endlich das nächste, nach weiteren dreißig Jahren, ebenso vorbeifährt. Heute zücke ich mein Mobilphone und bestelle mir ein Taxi — es sind ohnehin nur anderthalb Flugstunden bis Pago Pago, also kein Problem (sprich Pengo Pengo).

Ja, das Phänomen, über das so lange gerätselt wurde. Im Korallenmeer gibt es merkwürdige Formationen unter Wasser, es gibt gewaltige Korallenbrücken von einem Pfeiler zum anderen. Man sieht sie nicht, man sieht nur die Schwellung. Der Pazifik drückt herein, drückt unter die Brücke und erzeugt einen anschließenden Wasserbuckel von beträchtlichen Ausmaßen, die «Schwellung». Die macht die Stille, wenn ich das noch erwähnen darf.

Ich verlasse jetzt dieses Haus.

Den Schlüssel lege ich für dich unter die Matte.

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