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Geliebte Freitag.

Ich erwarte dich voller Ungeduld, wachsender Ungeduld, mein Herz ist ein Vogelkasten. Alles ist bereit, New York wartet mit dem schönsten Maiwetter, die Luft hier oben im Himmel streichelt sanft, hell wie die Meeresbrise, die Turmspitzen ringsum schimmern, es schimmern die liebestrunkenen Straßenzüge und in der blauen Ferne schimmert der Ozean. Liebste Freitag, alles, alles ist bereit, die letzten Bauarbeiter sind gegangen, die letzten Kalkreste entfernt, soeben sehe ich Mr Dobs den letzten Eimer hinaustragen. Mit großer Liebe, großer Leidenschaft und sechs Stockwerken Sehnsucht wartet auf dich

Dein Robbie (hätte ich fast geschrieben).

*

Hier nun die Vorbereitungen für das erste glückliche Zusammentreffen, — das allererste will ich nicht zählen. Ich habe das Restaurant selbst ausgesucht, Luigi’s, eine kleine, gewissermaßen heimische italienische Affäre in der unteren Bronx, wo gut gekocht wird, wo man noch ungestört sitzen kann, genügend weit von den Forzas und Papazzos entfernt. Ein Spezial der Marconi Familie, wenn ich das in dieser Form sagen darf, vollkommen nagelfest mit guten Leuten im Haus. Reserviertes Parken direkt vor dem Eingang, es besteht auch die Möglichkeit, besetzte Wagen frei an die Ecken zu stellen, und einen frei gegenüber. Die Bedienung ist handverlesen, zwei Kellner, ein Barmann, ein Türsteher, alle von außerhalb (Miami), dazu die Band, ein Trio, das auf der Bühne sitzt und sich nicht von der Stelle rührt, ich habe mir «Volare» und «Periculo numero uno» — so in der Art — ausgebeten. Das Lokal ist natürlich für diesen Abend exklusiv gemietet. Gekocht wird von Luigi selbst, nebst Sohn und Enkel — es ist an alles gedacht, Hintereingang blockiert, und der Türsteher vorn ist natürlich nicht nur Türsteher.

Banal könnte man sagen: Damit hier keine unliebsamen Überraschungen vorkommen.

Größten Wert habe ich auf das Arrangement gelegt, alles rot in rot, rosenfarben und flamingo, Geschirr, Tischdecke, Kerzen, rote Palmwedel. Ein einzelner Tisch steht vor der Tanzfläche, alle anderen, bis auf die in den Wandnischen, sollten fortgeräumt sein, habe ich verlangt. Und hochlehnige Stühle, die sich gegenüberstehen, habe ich mir ganz speziell ausgebeten, es sollte doch etwas feierlich werden. Und was das Menü angeht, verlasse ich mich ganz und gar auf Luigi. Er schlägt einen Antipasto von Seeschnecke vor, gekocht im eigenen Sud, mit einer Kaviar-Sherry-Tunke vor. Danach Riesengarnelen gegrillt mit Yams, Ananas und Limonen, argentinische große Rindernüsse als Fleischgang, alternativ Polenta in einem Ring von honiggesottenen Krammetsvögeln — ich weiß nicht so recht —, oder bloß Spaghetti à la Luigi, die ich meiner Dame empfehlen kann, wenn sie nicht allzusehr auf Figur achtet. Ich persönlich werde mich wohl dazu entschließen (der Knoblauch muß mit der Rasierklinge geschnitten sein).

Als Nachtisch wird Luigi dann einen venetianischen Sorbet in gebackener Mandelkruste servieren, das macht er ganz reizend, singt sogar dazu, ein wirklicher Genuß.

Beleuchtung gedämpft.

Darüber habe ich ausführlich nachgedacht: Lasse ich sie zu stark dämpfen, denkt die Dame, es soll etwas verdeckt werden, dämpfen wir zu wenig, läßt sich nichts verdecken. Am besten, ich lasse überall diese Milchglasglocken verteilen, die verschleiern genug, ohne daß man darüber nachdenkt, weil sie keinen Schatten geben. Ja, wenn ich darüber nachdenke (ich muß auf Ringe unter den Augen achten), so soll es gemacht werden. Als Zusatz rote Schirmchen?

Aber zur Tanzfläche.

Da werde ich ganz professionell. Ein erster Slow oder finnischer Tango ist die allererste Ansprache überhaupt. Ein «wie geht es dir», und «wo warst du all die Jahre» wird im Unterton auch einiges transportieren, aber ein erster zarter Druck, eine Wendung, eine gleitende Wendung beim Fox oder langsamen Peabody ist eine andere Mitteilung. Ich persönlich bevorzuge die mäßig schnelle oder langsame Salsa, die Königin, die eine eigene Sprache spricht, und ich horche auf Antwort. Nichts kann eine solche Mitteilung ersetzen. Es ist die Verschleppung, die entweder wahrgenommen oder nicht wahrgenommen wird. Ich wage zu behaupten, daß ich die Dame Freitag nach den ersten drei Takten erkennen werde, und wenn ich ein glücklicher Mann bin, wird sie mich (erkennen).

Das ganze von unten beleuchtet — Luigi’s hat nämlich einen Glasboden unter der kleinen Tanzfläche, man kann also sagen, ganz professionell. Feierlich, würdig, intim sowohl als auch geschäftsmäßig, üppig und professionell. Insgesamt gedämpft. Eile, eile, meine Geliebte, dein Robbie erwartet dich heißen Herzens, und so weiter — —

Mit Alkohol möchte ich vorsichtig umgehen, es könnte da etwas mißverstanden werden. Nur regionale Weine aus dem Piemont, ein fast schwarzer Barolo Vecchio zum Beispiel, auf keinen Fall Champagner, der wäre zu banal. Allenfalls ein Aperitif zur Begrüßung, Campari-Minze mit Fähnchen und kleinen Artischockenherzen. Wir werden uns da noch etwas einfallen lassen.

*

Insofern auch heiteren Herzens.

*

Und nun die furchtbare Nachricht:

Meine Liebe, meine ferne Geliebte, es ist etwas Furchtbares geschehen! So furchtbar, daß ich es der Dame Freitag gar nicht mitteilen kann. Oder, um mich jetzt noch sibyllinischer auszudrücken, ich drehe mich im Kreis, die furchtbare Nachricht ist, daß — — nein, daß ich sie dir nicht mitteilen kann, die Nachricht, das ist die furchtbare Nachricht.

Um wem soll ich sie nun mitteilen?

*

Aber der Reihe nach.

Pünktlich um acht betrete ich das Lokal.

Ich habe Luigi gesagt, daß man mit Musik und Barbetrieb bereits beginnen soll, damit wir hier nicht ins Leere stoßen. Lichtspiele flimmern, der Barmann schüttelt seine Chrombecher. Um anfängliche Steifheiten zu vermeiden. Ich komme um acht, die Dame wird wahrscheinlich etwas später eintreffen, das Trio spielt «di me (sag mir)».

Der Tisch steht tatsächlich an einem guten Platz, prominent einerseits, weil er allein steht, andererseits abgeschirmt durch einen Schatteneffekt, der sich aus der Beleuchtung ergibt. Ich hatte eine ähnliche Position einmal in einem Film gesehen und schon damals wahrgenommen. Wechsele einen Blick mit dem Bandleader, der — geblendet — mich allerdings kaum sehen kann, ein dunkelhaariger Typ mit einer linken hängenden Schulter. Jedenfalls sitzt das Jackett schief, was er im Stehen mit der Trompete in der Hand kaschiert, wahrscheinlich wird er auch singen. Alle drei tragen das gleiche cremefarbene Jackett und eigentlich sitzt es bei jedem schief.

Wechsele auch einen Blick mit dem Barmann hinter der Bar, und der hört sofort auf zu schütteln. Ein eher vierschrötiger Mann, der eigentlich nicht hinter die Bar paßt. Sie ist rot und vanillefarben beleuchtet, eigentlich. Der Türsteher, den schaue ich mir von meinem Platz aus auch genauer an, der Türsteher ist der Hat-check-man, er steht nicht nur an der Tür, sondern nimmt den Gästen auch die Garderobe ab — als ich hereinkam, wollte er meinen Hut haben. Außerdem ist er wahrscheinlich bewaffnet, man sieht eine Beule. Und was soll ich sagen, die Kellner haben auch ihre Eigenheiten, dem einen steht der Mund weit vor, und der andere hat sich die Haare derartig geölt, wie man es heute wirklich nicht mehr sieht — heute haben sie ja diese Stachelhaare. Es ist jetzt acht Uhr dreißig und meine Dame läßt auf sich warten.

Ich habe bereits drei von diesen Piscos getrunken, sie sind sehr hübsch mit Minzesträußchen garniert und haben eine gewisse Wirkung, die ich vielleicht nicht unterschätzen sollte.

Ein Anruf.

Nein, wahrscheinlich nur ein fehlgeleiteter Anruf, vom Barmann an der Bar kurz beantwortet, dabei wirft er mir einen kurzen eher vierschrötigen Blick zu, der auch nicht ganz paßt. Danach kein Anruf mehr. Einmal kommt Luigi hochrot aus der Küche herein, offensichtlich begeistert von seinen eigenen Kochkünsten, ob er mit den Seeschnecken noch warten solle? Ja, er solle. Es ist jetzt fast neun, und von der Dame immer noch keine Spur, draußen fährt ein Wagen vor, schwarze Stretchlimousine vier Fenster lang, ich kann ihre Umrisse durch die Tüllgardinen erkennen über vier der Restaurantfenster reichend. Die Kapelle intoniert auf mein Zeichen «Volare», und dann kommt dieses Männchen herein.

Klein, nett, ein älterer Herr.

Moment mal.

Wer hat denn den hereingelassen?

Gibt auch Hut und Mantel ab, als ob er hier eingeladen sei, und der Türsteher, offenbar blind, nimmt Hut und Mantel — ich werde künftige Sicherheitsmaßnahmen viel deutlicher machen müssen (Security). Ob ich für den Herrn zu sprechen sei? Ich denke, wo befinden wir uns denn, wie kommt denn der überhaupt hier herein, schließlich erwarte ich jeden Augenblick meinen Gast, die Dame meines Herzens.

«Sie kommt nicht.»

Moment mal.

Sie wird nicht kommen.

Erscheint hier unangemeldet — ein, zugegeben, sympathisch aussehender älterer Herr, körperlich eher auf der gebrechlichen Seite, eher etwas dünn in den Zügen. Aber gut gekleidet und mit leuchtenden Augen versehen, die mir später, wenn ich gefragt werde, eine eigentümliche Jugendlichkeit in Erinnerung bringen. Ich sage «versehen», denn die Gestalt, die hier aus dem Nichts erscheint (in der langen Limousine) hat etwas Konstruiertes.

In meiner Erinnerung.

Hat auch noch den Nerv, hier unbedenklich, oder zumindest unbedarft an meinen Tisch zu treten und in dem für meine Dame bestimmten hochrückigen Stuhl Platz zu nehmen, vorsichtig, zumindest höflich, aber ohne jede Feierlichkeit. Ich fasse es nicht.

Habe mich später gefragt, wieso ich den Kerl nicht einfach an die Luft gesetzt habe. Hätte dazu nicht einmal das Personal oder mein Trio, das sowieso wie ein Gangster-Trio ausgesehen hat, bemühen müssen. Sitze dort also plötzlich mit diesem Männlein zu Tisch, als ob es so vorgesehen wäre, wunderbar rot dekoriert, mit bestem Geschirr gedeckt, flankiert von Blumenarrangements, es fehlt jetzt nur noch, daß sie jetzt die Camparis, oder was immer vorgesehen ist, servieren. Und da werden sie auch schon gebracht.

«Ihre Dame Freitag kann leider nicht kommen», mit diesen ganz hellen, leuchtenden Augen inmitten dieses kleinen Mannes. Was heißt, sie kann nicht, wieso kann sie nicht?

«Weil es sie nicht gibt.»

Weil es sie nicht gibt.

«Nie gegeben hat.»

Nie gegeben hat.

Die Vorspeise ist noch nicht eingetroffen — ich war später der Meinung, daß wir wenigstens die Vorspeise hätten genießen sollen, Seeschnecken in Sherrysauce —, es ist neun Uhr fünfzehn und der Abend ist fortgeschritten. Damen sind nicht pünktlich, sie sind, genauer gesagt, sogar sehr unpünktlich. Alles ist bereit, der Mann ist bereit, der Tag, die Stunde — — und dann kommt sie nicht.

«Ich weiß sehr wohl, wer Sie sind», sage ich mit fester Stimme, «Sie sind das Männlein, das mir auf der Pelle sitzt, im Zug nach Grevesmühlen, in London, nein, in London nicht», überlege ich.

«Doch», sagt er, «in London auch, ich saß im Neunzehner, du saßt im Fünfzehner Bus, und die beiden Brüder im Siebzehner.»

«Wie auch immer», sage ich, «wir saßen eben im Bus. Ich kenne dich, du sitzt mir seit Jahren auf der Pelle, und ich nehme stark an, du hast eine irgendwie geartete Botschaft an mich — nur daß dies so ziemlich der unpassendste Augenblick ist, den du dir dafür ausgesucht hast.»

Er blickt mich an, fast gütig.

«Ich bin Freitag.»

Du bist Freitag.

«Immer gewesen.»

Immer gewesen.

«Und jetzt werde ich dir das Leben retten», sagt er.

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