Die Freie Baltische Bibliothek befand sich im dritten Stock über einem verstaubten Antiquariat, das auf Spiritismus spezialisiert war. Seine kleinen Fenster schielten auf einen Vorhof des Britischen Museums hinunter. Bei seinem mühsamen Aufstieg durch ein geschwungenes holzverkleidetes Treppenhaus war Smiley an einigen betagten, handgezeichneten Plakaten vorbeigekommen, die an Reißnägeln hingen, sowie an einem Stapel brauner Schachteln mit Toilettenartikeln, Eigentum des Drogisten von nebenan. Als er schließlich sein Ziel erreicht hatte, bemerkte er, daß er gründlich außer Atem gekommen war, und er legte klugerweise eine kleine Rast ein, bevor er läutete. In seiner momentanen Erschöpfung wurde er dabei von einer Halluzination heimgesucht. Ihm war, als strebe er immer wieder demselben hochgelegenen Ort zu: der sicheren Wohnung in Hampstead, Wladimirs Mansarde in Westbourne Terrace, und jetzt diesem gespenstischen Rückstand aus den fünfziger Jahren, einstigem Sammelpunkt der sogenannten Bloomsbury Irregulars. Die drei Orte fügten sich in seinem Geist zu einem einzigen zusammen, zu ein und demselben Versuchsgelände für unerprobte Tugenden. Das Trugbild wich, er läutete dreimal kurz, einmal lang, fragte sich, ob sie wohl das Signal geändert hatten, bezweifelte es aber; machte sich weiterhin Gedanken um Willem oder um Stella oder vielleicht nur um das Kind. Er hörte das nahe Knacken von Bodenbrettern und vermutete, daß ihn jemand aus einem Fuß Entfernung durch das Guckloch musterte. Die Türe ging schnell auf, er trat in einen düsteren Raum und fühlte sich von zwei sehnigen Armen liebevoll umfaßt. Er roch Hitze und Schweiß und Zigarettenrauch, und ein unrasiertes Gesicht preßte sich gegen seines - rechte Wange, linke Wange, wie bei einer Ordensverleihung -, nochmals linke Wange, als Beweis besonderer Zuneigung.
»Max«, murmelte Mikhel in einem Ton, der für sich genommen schon ein Requiem war. »Sie sind gekommen. Ich bin froh. Ich hatte gehofft, aber nicht gewagt, damit zu rechnen. Ich habe trotzdem auf Sie gewartet. Den ganzen Tag, bis jetzt. Er liebte Sie, Max. Sie waren für ihn der Beste. Hat er immer gesagt. Sie waren seine Inspiration. So drückte er es aus. Sein großes Beispiel.«
»Tut mir leid, Mikhel«, sagte Smiley. »Ehrlich leid.«
»Wie uns allen, Max. Wie uns allen. Unsagbar. Aber wir sind Soldaten.«
Er war gepflegt und drahtig, jeder Zoll der Major der Kavallerie, der er vorgab, gewesen zu sein. Seine braunen, von der Nachtwache geröteten Augen waren dekorativ umschattet.
Er trug einen schwarzen Blazer, den er wie einen Husaren-Dolman über die Schultern geworfen hatte, und schwarze, auf Hochglanz polierte Stiefel, die wirklich zum Reiten hätten dienen können. Sein graues Haar war militärisch korrekt geschnitten und sein üppiger Schnurrbart sorgfältig gestutzt. Sein Gesicht wirkte auf den ersten Blick jugendlich, und erst wenn man genauer auf die zahllosen winzigen Faltendeltas in der bleichen Haut sah, gab es Mikhels sechzig oder noch mehr Jahre preis. Smiley folgte ihm schweigend in die Bibliothek. Sie nahm die ganze Breite des Hauses ein und war durch Nischen in entschwundene Länder unterteilt - Lettland, Litauen und - nicht zuletzt - Estland. In jeder Nische waren ein Tisch und eine Flagge, und auf einigen Tischen lagen, spielbereit, Schachbretter, doch es wurde nicht gespielt, so wenig wie gelesen.
Es war niemand da bis auf eine blonde, ausladende Frau in den Vierzigern, die einen kurzen Rock und Söckchen trug. Ihr gelbes, an den Wurzeln dunkles Haar war zu einem strengen Knoten geschlungen. Sie hatte sich neben einem Samowar eingenistet und las ein Reisemagazin, dessen Titelseite Birkenwälder im Herbst zeigte. Als Mikhel in Höhe ihres Tisches angekommen war, blieb er stehen und schien ihr seinen Begleiter vorstellen zu wollen, doch beim Anblick Smileys flammte in ihren Augen intensiver, unmißverständlicher Zorn auf. Sie sah ihn an, ihr Mund verzog sich verächtlich, und ihr Blick glitt von ihm weg zu einem regenverschmierten Fenster. Ihre Wangen glänzten vom Weinen, und unter ihren Augen mit den schweren Lidern waren dunkle Flecke.
»Elvira liebte ihn auch sehr«, bemerkte Mikhel erklärend, als sie außer Hörweite waren. »Er war für sie wie ein Bruder. Er instruierte sie.«
»Elvira?«
»Meine Frau, Max. Nach vielen Jahren haben wir geheiratet. Ich war lange dagegen. Es ist nicht immer gut für unsere Arbeit. Aber ich war ihr diese Sicherheit schuldig.«
Sie setzten sich. Um sie herum an den Wänden hingen Märtyrer vergessener Bewegungen. Dieser hier im Gefängnis, durch die Stäbe hindurch fotografiert. Jener dort, tot, und wie bei Wladimir hatte man das Tuch weggezogen, um sein blutiges Gesicht freizumachen. Ein dritter, der eine verbeulte Partisanenmütze und ein langläufiges Gewehr trug, lachte in die Kamera. Vom anderen Ende des Raums hörten sie eine kleine Explosion, gefolgt von einem kräftigen, russischen Fluch. Elvira, Mikhels Gattin, zündete den Samowar an.
»Tut mir leid«, wiederholte Smiley.
Feinde fürchte ich nicht, Willem, dachte Smiley. Aber Freunde fürchte ich gewaltig.
Sie waren in Mikhels Privatnische, die er sein Büro nannte. Ein altmodisches Telefon stand auf dem Tisch neben einer Remington Schreibmaschine aus der Gründerzeit, die gleiche, wie sie Wladimir besessen hatte. Jemand mußte einmal eine Menge davon aufgekauft haben, dachte Smiley. Aber das Paradestück war ein handgeschnitzter Sessel mit gedrechselten Beinen und einem kaiserlichen Wappen, das auf die Hinterseite der Rückenlehne gestickt war. Mikhel saß steif darauf, Knie und Stiefel zusammengepreßt, wie ein Vizekönig, der für diesen Thron zu klein war. Er hatte sich eine Zigarette angezündet und hielt sie wie eine Fackel senkrecht, mit dem brennenden Ende nach oben. Über ihm hing eine Rauchwolke gleich einem Regenschleier, genau wie Smiley es in Erinnerung hatte. Im Papierkorb bemerkte Smiley einige weggeworfene Nummern von Sporting Life.
»Er war ein Führer, Max, er war ein Held,« erklärte Mikhel. »Wir müssen versuchen, seinem Mut und seinem Beispiel nachzueifern.« Er machte eine Pause, wie um Smiley Gelegenheit zu geben, den Ausspruch zur Veröffentlichung niederzuschreiben. »In derartigen Fällen fragt man sich natürlich, wie es denn weitergehen soll. Wer ist wert, ihm nachzufolgen? Wer hat seine Statur, sein Ehrgefühl, sein Sendungsbewußtsein? Glücklicherweise ist unsere Bewegung ein Prozeß, der sich dauernd weiterentwickelt. Sie ist größer als jeder Einzelne, größer sogar, als jede Gruppe.«
Als er Mikhels glänzender Rhetorik lauschte, seine glänzenden Stiefel betrachtete, fragte sich Smiley, wie alt der Mann wohl sein mochte. Die Russen hatten, erinnerte er sich, Estland im Jahre 1940 besetzt. Wenn Mikhel damals Kavallerieoffizier gewesen war, dann müßte er heute gut und gern sechzig sein. Er versuchte den Rest von Mikhels turbulenter Biographie zusammenzubringen - der lange Weg durch fremde Kriege und mit Mißtrauen verfolgte ethnische Brigaden, alle die Kapitel der Geschichte, an denen dieser kleine Körper teilgehabt hatte. Er fragte sich, wie alt seine Stiefel sein mochten.
»Erzählen Sie mir von seinen letzten Tagen, Mikhel«, regte Smiley an. »War er aktiv bis zum Ende?«
»Völlig aktiv, Max, aktiv in jeder Beziehung. Als Patriot. Als Mann. Als Führer.«
Mit dem gleichen verächtlichen Ausdruck, den sie vorher gezeigt hatte, stellte Elvira den Tee vor sie hin, zwei Tassen mit Zitrone, und kleine Marzipanplätzchen. Sie bewegte sich aufreizend, mit schwingenden Hüften und einer mürrischen Andeutung von Herausforderung. Smiley versuchte, sich ihren Background ins Gedächtnis zu rufen, bekam ihn aber nicht zu fassen, vielleicht weil er ihn nie gekannt hatte. Er war für sie wie ein Bruder, dachte er. Er instruierte sie. Doch irgendetwas aus seinem eigenen Leben mahnte ihn schon seit langem, Erklärungen zu mißtrauen, besonders wenn Liebe mit im Spiel war.
»Und als Mitglied der Gruppe?« fragte Smiley, als sie wieder weggegangen war. »Ebenfalls aktiv?«
»Immer«, sagte Mikhel ernst.
Eine kleine Pause trat ein, als jeder höflich wartete, daß der andere fortfahren möge.
»Wer, glauben Sie, hat es getan, Mikhel? Ist er verraten worden?«
»Max, Sie wissen so gut wie ich, wer es getan hat. Wir sind alle bedroht. Ausnahmslos. Wir können jederzeit abgerufen werden. Wichtig ist nur, daß man darauf vorbereitet ist. Ich für meine Person bin Soldat, ich bin vorbereitet, ich bin bereit. Wenn ich heimgehe, hat Elvira ihre Sicherheit. Das ist alles. Für die Bolschewisten bleiben wir Exilrussen der Feind Nummer eins. Die Verfluchten. Wo sie können, zerstören sie uns. Immer noch. Wie sie einst unsere Kirchen und unsere Dörfer und unsere Schulen und unsere Kultur zerstört haben. Und sie haben recht, Max. Sie haben recht, wenn sie uns fürchten. Denn eines Tages werden wir es ihnen heimzahlen.«
»Aber warum haben sie gerade diesen Augenblick gewählt«, warf Smiley nach dieser etwas rituellen Verlautbarung sanft ein. »Sie hätten Wladimir schon vor Jahren töten können.«
Mikhel hatte eine flache Blechschachtel mit zwei kleinen wäschemangelartigen Rollen obenauf und ein Packet grobes, gelbes Zigarettenpapier zum Vorschein gebracht. Er leckte über ein Blättchen, legte es auf die Rollen und schüttete schwarzen Tabak darauf. Ein Schnappen, die Mangel drehte sich, und eine dicke, lose gestopfte Zigarette erschien auf der versilberten Oberfläche. Er wollte sie gerade in den Mund stecken, als Elvira kam und sie ihm wegschnappte. Er rollte sich eine andere und steckte die Schachtel wieder in die Tasche.
»Es sei denn, Wladimir führte etwas im Schilde«, fuhr Smiley nach dieser Drehpause fort. »Provozierte sie auf irgendeine Art -wozu er durchaus imstande war, wie wir wissen.«
»Wer kann das sagen?« fragte Mikhel und blies den Rauch sorgfältig nach oben in die Luft.
»Nun, wenn irgendjemand, dann Sie. Ihnen hat er sich doch sicher anvertraut. Sie waren seit über zwanzig Jahren seine rechte Hand. Zuerst in Paris und dann hier. Sagen Sie nur nicht, daß er Ihnen nicht vertraute«, sagte Smiley in gespielter Naivität.
»Unser Führer war ein verschwiegener Mann, Max. Das war seine Stärke. Er mußte es zwangsläufig sein. Aus militärischen Gründen.«
»Doch sicher nicht Ihnen gegenüber?« beharrte Smiley in seinem einschmeichelndsten Ton. »Sein Pariser Adjutant. Sein Aide-de-camp. Sein Privatsekretär. Nicht doch, Sie tun sich selber unrecht.«
Mikhel beugte sich auf seinem Thron nach vorne und legte eine kleine Hand genau aufs Herz. Seine dunkle Stimme wurde noch tiefer.
»Max. Selbst mir gegenüber. Am Ende, selbst Mikhel gegenüber. Zu meinem Schutz. Um mir gefährliches Wissen zu ersparen. Er hat sogar zu mir gesagt: >Mikhel, es ist besser, daß Sie -selbst Sie - nicht wissen, was die Vergangenheit hochgespült hat.< Ich flehte ihn an. Vergebens. Eines Abends besuchte er mich. Hier. Ich schlief oben. Er hat das geheime Klingelzeichen gegeben: >Mikhel, ich brauche fünfzig Pfund.<«
Elvira kam zurück, diesmal mit einem leeren Aschenbecher. Als sie ihn auf den Tisch stellte, fühlte Smiley eine Spannung hochsteigen, wie das plötzliche Wirken eines Medikaments. Er hatte diese Empfindung manchmal beim Fahren, wenn er auf einen Zusammenstoß wartete, der nicht kam. Er hatte sie, wenn er Ann bei ihrer Rückkehr von einer angeblich harmlosen Verabredung beobachtete und wußte, ganz einfach wußte, daß von Harmlosigkeit keine Rede sein konnte.
»Wann war das?« fragte Smiley, als sie wieder weggegangen war. »Vor zwölf Tagen. Letzten Montag vor einer Woche. An seinem Verhalten hab ich sofort gemerkt, daß es sich um nichts Privates handelte. Er hatte mich nie vorher um Geld gebeten. >General<, sage ich zu ihm. >Sie machen eine Verschwörung. Sagen Sie mir, worum es geht.< Aber er schüttelt den Kopf. >Hören Sie<, sag ich zu ihm, >wenn es eine Verschwörung ist, dann folgen Sie meinem Rat und gehen Sie zu Max.< Er lehnte ab: >Max ist ein ausgezeichneter Mann, aber er hat kein Vertrauen mehr zu unserer Gruppe. Er möchte sogar, daß wir den Kampf einstellen. Doch sobald ich den erhofften, großen Fisch gelandet habe, geh' ich zu Max und verlange unsere Spesen und vielleicht noch viele andere Dinge dazu. Aber das tu ich nachher, nicht vorher. Bis dahin kann ich diese Sache nicht in einem schmutzigen Hemd erledigen. Bitte, Mikhel. Leihen Sie mir fünfzig Pfund. Das ist die wichtigste Aufgabe meines ganzen Lebens. Sie reicht weit in unsere Vergangenheit zurück.< Das hat er gesagt. Wort für Wort. In meiner Brieftasche sind fünfzig Pfund - glücklicherweise hatte ich an diesem Tag eine erfolgreiche Investition getätigt -, ich gebe sie ihm. >General<, sage ich. >Nehmen Sie alles, was ich habe. Was mir gehört, gehört auch Ihnen. Bitte<«, sagte Mikhel, und um diese Geste zu unterstreichen oder um sie zu beglaubigen, zog er heftig an seiner gelben Zigarette.
In dem verschmierten Fenster über ihnen sah Smiley das Spiegelbild Elviras, die in der Mitte des Raums stand und ihrem Gespräch zuhörte. Auch Mikhel hatte sie bemerkt und ihr sogar einen unwirschen Blick zugeworfen; aber er wollte oder konnte sie nicht wegscheuchen.
»Das war sehr gütig von Ihnen«, sagte Smiley nach einer angemessenen Pause.
»Max, es war meine Pflicht. Eine Herzenspflicht. Ich kenne kein anderes Gesetz.«
Sie verachtet mich, weil ich dem alten Mann nicht geholfen habe. Sie war mit von der Partie, sie hat Bescheid gewußt, und nun verachtet sie mich, weil ich ihm in der Stunde seiner Not nicht geholfen habe. Er war für sie wie ein Bruder, erinnerte er sich. Er instruierte sie.
»Und dieses Ansinnen an Sie - diese Bitte um Betriebsmittel -« sagte Smiley. »Kam das aus heiterem Himmel? War vorher nichts gewesen, woraus Sie hätten schließen können, daß er einen großen Coup vorhatte?«
Wieder runzelte Mikhel die Stirne, ließ sich Zeit, und es war klar, daß er von Fragen nicht viel hielt.
»Vor ein paar Monaten, zwei vielleicht, hat er einen Brief bekommen«, sagte er vorsichtig. »Hierher adressiert.«
»Hat er denn so wenige gekriegt?«
»Dieser Brief war etwas Besonderes«, sagte Mikhel, in dem gleichen, vorsichtigen Ton, und Smiley wurde plötzlich klar, daß Mikhel, wie es die Sarratt Inquisitoren nannten, in der Verliererecke saß, denn er hatte keine Ahnung - er konnte nur raten -, wieviel oder wie wenig Smiley bereits wußte. Daher würde Mikhel mit seiner Information haushälterisch umgehen, in der Hoffnung, Smiley dabei in die Karten sehen zu können.
»Von wem war er?«
Mikhel antwortete, wie so oft, ganz leicht daneben.
»Er war aus Paris, Max, ein langer Brief, viele Seiten, handgeschrieben. An den General persönlich adressiert, nicht an Miller. An General Wladimir, streng persönlich. Auf dem Umschlag stand geschrieben: >streng persönlich<, auf französisch. Ich sperr den Brief in meinen Schreibtisch, und um elf Uhr kommt er wie immer daher: >Mikhel, ich grüße Sie.< Manchmal, glauben Sie mir, salutierten wir sogar voreinander. Ich geb ihm den Brief, er setzt sich« - er deutete in Elviras Richtung -, »er setzt sich da hinten hin, öffnet ihn ganz lässig, als erwarte er sich nichts davon, und ich sehe, wie der Brief ihn zunehmend beschäftigt. Gefangen nimmt. Ich möchte sagen, fasziniert. Ja, sogar aufwühlt. Ich spreche ihn an. Er antwortet nicht. Ich versuche es nochmals. - Sie kennen ja seine Art - er ignoriert mich völlig. Er geht weg auf einen Spaziergang. >Ich komme wieder<, sagt er.«
»Und nahm den Brief mit?«
»Natürlich. Wenn er ein großes Problem im Kopf wälzte, dann machte er immer einen Spaziergang. Wie er wiederkommt, bemerkte ich eine tiefe Erregung an ihm. Eine Spannung. >Mikhel.< Sie wissen ja, wie er sprach. Alles hört auf mein Kommando. >Mikhel, schalten Sie den Fotokopierer an. Legen Sie Papier für mich ein. Ich muß ein Schriftstück ablichten.< Ich frag ihn, wie oft. >Einmal<. Ich frag ihn, wieviele Blätter. >Sieben. Bitte halten Sie sich in fünf Schritten Entfernung, während ich den Apparat bediene<, sagt er zu mir. >Ich kann Sie in diese Sache nicht mit hineinziehen.<«
Wieder deutete Mikhel auf die Stelle, als beweise sie die absolute Wahrheit seiner Geschichte. Der schwarze Fotokopierer stand auf einem eigenen Tisch, wie eine alte Dampfmaschine, mit Rollen und mit Löchern zum Eingießen der verschiedenen Chemikalien. »Der General war technisch unbegabt. Ich schalte die Maschine für ihn ein, stelle mich dann - so - hier hin und rufe ihm meine Anweisungen durch den Raum zu. Wie er fertig ist, beugt er sich über die Kopien, während sie trocknen, faltet sie zusammen und steckt sie ein.«
»Und das Original?«
»Steckt er auch ein.«
»Sie haben also den Brief nie gelesen?« sagte Smiley im Ton leichten Bedauerns.
»Nein, Max. Tut mir leid, habe ich nicht.«
»Aber Sie haben den Umschlag gesehen. Sie hatten den Brief ja hier für ihn verwahrt, bis er kam.«
»Sagte ich Ihnen schon, Max. Er war aus Paris.«
»Welches Arrondissement?«
Wieder das Zögern.
»Das fünfzehnte«, sagte Mikhel. »Ich glaube, es war das fünfzehnte. Wo immer viele unserer Leute gewohnt haben.«
»Und das Datum. Könnten Sie das näher präzisieren? Sie sagten, vor etwa zwei Monaten.«
»Anfang September. Ich würde sagen, Anfang September. Möglicherweise Ende August. Vor rund sechs Wochen.«
»Die Adresse auf dem Umschlag war auch mit der Hand geschrieben?«
»Richtig, Max. Richtig.«
»Welche Farbe hatte der Umschlag?«
»Braun.«
»Und die Tinte?«
»Blau, nehme ich an.«
»War er versiegelt?«
»Wie bitte?«
»War der Umschlag mit Wachs oder mit einem Klebeband versiegelt? Oder war er nur auf die übliche Art zugeklebt?«
Mikhel zuckte die Achseln, als seien derartige Details unter seiner Würde.
»Aber der Absender war vermutlich außen angegeben?« beharrte Smiley leichthin.
Wenn dem so war, dann gab Mikhel es nicht zu.
Einen Augenblick ließ Smiley seine Gedanken zu dem braunen Umschlag in der Herrentoilette des Savoy abschweifen und zu dem leidenschaftlichen Hilferuf, den er enthielt.
Heute morgen hatte ich den Eindruck, sie versuchten, mich umzubringen. Könnten Sie mir nicht nochmals Ihren Freund, den Magier schicken? Poststempel Paris, dachte er. Fünfzehntes Arrondissement. Nach dem ersten Brief gab Wladimir dem Schreiber seine Privatadresse, dachte er. So wie er Willem seine private Telefonnummer gegeben hatte. Nach dem ersten Brief wollte er Mikhel umgehen.
Das Telefon läutete. Mikhel meldete sich sofort mit einem kurzen >Ja< und hörte dann zu.
»Dann fünf auf beide«, murrte er und legte mit herrischer Würde wieder auf.
Je mehr er sich dem Hauptzweck seines Besuchs näherte, desto behutsamer ging Smiley zu Werk. Mikhel hatte vor seinem Eintritt in die Pariser Gruppe die Hälfte aller Verhörzentren Osteuropas von Innen kennengelernt, und Smiley erinnerte sich, daß er immer dann auf stur schaltete, wenn man ihm zusetzte, eine Eigenheit, durch die er seinerzeit die Sarratt-Inquisitoren beinahe in den Wahnsinn getrieben hätte.
»Darf ich Sie etwas fragen, Mikhel?« sagte Smiley und wählte einen Annäherungsweg, der schräg zur Hauptbohrrichtung verlief.
»Bitte sehr«.
»An dem Abend, als er hierher kam, um sich Geld von Ihnen zu leihen: Ist er da geblieben? Haben Sie ihm Tee gemacht? Vielleicht eine Partie Schach mit ihm gespielt? Könnten Sie diesen Abend ein bißchen für mich ausmalen?«
»Wir haben Schach gespielt, aber unkonzentriert. Er war in Gedanken, Max.«
»Hat er noch etwas über den großen Fisch gesagt?«
Die halb geschlossenen Augen sahen ihn seelenvoll an.
Wie bitte, Max?«
»Der große Fisch. Der Coup, den er, wie er sagte, plante. Hat er sich weiter darüber ausgelassen?«
»Nichts. Überhaupt nichts. Kein Sterbenswörtchen.«
»Hatten Sie den Eindruck, daß ein anderes Land im Spiel war?« »Er sprach nur davon, daß er keinen Paß habe. Es hat ihn gekränkt - Max, ich muß es Ihnen ehrlich sagen -, es hat ihn verletzt, daß der Circus ihm keinen Paß mehr ausstellen lassen wollte. Nach all den Diensten, all der Hingabe - er war verletzt.« »Es war zu seinem eigenen Besten, Mikhel.«
»Max, ich verstehe vollkommen. Ich bin jünger, ein Mann von heute, anpassungsfähig. Der General war zuweilen impulsiv, Max. Vorkehrungen mußten getroffen werden, manchmal sogar von denen, die ihn bewunderten, um seinen Tatendrang zu bändigen. Bitte. Aber für den Mann selbst war es unverständlich. Eine Schmach.«
Hinter sich hörte Smiley Getrampel, als Elvira verächtlich in ihre Ecke zurückstapfte.
»Wer, glauben Sie, sollte die Reise für ihn machen?« fragte Smiley und nahm wieder keinerlei Notiz von ihr.
»Willem«, sagte Mikhel mit offensichtlicher Mißbilligung. »Er sagte es mir nicht ausdrücklich, aber ich glaube, er schickte Willem. Das war mein Eindruck. Daß Willem fahren würde. General Wladimir sprach sehr stolz von Willems Jugend und Ehrgefühl. Auch von seinem Vater. Er stellte sogar einen historischen Bezug her. Er sprach davon, daß man die neue Generation einsetzen solle, um das Unrecht der alten wieder gutzumachen. Er war sehr bewegt.«
»Wo hat er ihn hingeschickt? Hat Wladi irgendeine Anspielung darauf gemacht?«
»Er sagt es mir nicht. Er sagt nur zu mir: >Willem hat einen Paß, er ist ein braver Junge, ein guter Balte, seriös, er kann reisen, aber man muß ihn auch beschützen.< Ich bohre nicht. Ich dränge nicht. Das ist nicht meine Art, Max. Sie wissen das.«
»Aber Sie haben sich doch eine Meinung gebildet, nehme ich an«, sagte Smiley. »Wie man das eben so tut. Schließlich konnte Willem ja nicht x-beliebig wohin fahren. Schon gar nicht mit fünfzig Pfund. Und da war auch noch Willems Arbeit, nicht wahr. Ganz zu schweigen von seiner Frau. Er konnte nicht einfach ins Blaue fahren, wenn ihm danach war.«
Mikhel machte eine militärische Geste. Er schob die Lippen vor, bis sein Schnurrbart fast umgestülpt war und zupfte mit Daumen und Zeigefinger überlegend an der Nase. »Der General hat auch nach Karten gefragt. Ich war hin- und hergerissen, ob ich es Ihnen sagen sollte. Sie sind sein Vikar, Max, aber Sie kämpfen nicht für unsere Sache. Da ich Ihnen aber vertraue, sage ich es Ihnen.«
»Was für Karten?«
»Straßenkarten.« Er holte mit einer Hand nach den Regalen aus, als befehle er ihnen, sich zu nähern. »Stadtpläne. Von Danzig. Hamburg. Lübeck. Helsinki. Die Nordseeküste. Ich frage ihn: >General, Sir, lassen Sie mich Ihnen helfen<, sagte ich zu ihm. >Bitte. Ich bin Ihr Assistent für alles. Ich habe ein Recht darauf. Wladimir. Lassen Sie mich Ihnen helfen.< Er lehnte ab. Er wollte völlig für sich allein sein.«
Moskauer Regeln, dachte Smiley wieder. Viele Karten und nur eine von ihnen ist die richtige. Und wieder tat Wladimir alles, um seine Absichten vor seinem vertrauenswürdigen Pariser Adjutanten zu verschleiern.
»Worauf er dann ging?« fragte Smiley.
»Richtig.«
»Um wieviel Uhr?«
»Es war spät.«
»Können Sie sagen, wie spät?«
»Zwei. Drei. Vielleicht sogar vier. Ich bin nicht sicher.«
Smiley spürte, wie Mikhels Blick millimeterweise an ihm hoch und über seine Schulter glitt und hinter ihm verweilte, und ein Instinkt, der ihn zeitlebens nie im Stich gelassen hatte, ließ ihn die Frage stellen:
»Ist Wladimir allein hierher gekommen?«
»Natürlich, Max. Wen hätte er mitbringen sollen?«
Sie wurden durch ein Klirren von Geschirr unterbrochen, als Elvira am anderen Ende des Raums wieder gewichtig zur Erfüllung ihrer Pflichten schritt. Smiley wagte nun einen Blick auf Mikhel und sah, wie er ihr mit einem Ausdruck nachstarrte, den er für den Bruchteil einer Sekunde erkannte, aber nicht einordnen konnte: hoffnungslos und liebevoll zugleich, zwischen Abhängigkeit und Abneigung. Bis Smiley schließlich erkannte, daß er mit krankhaftem Mitgefühl in sein eigenes Gesicht starrte, wie es ihn zu oft mit rot geränderten Augen aus den hübschen, goldgerahmten Spiegeln Anns in der Bywater Street angesehen hatte. »Wenn er sich also nicht von Ihnen helfen lassen wollte, was haben Sie dann getan?« fragte Smiley mit beflissener Beiläufigkeit. »Sind Sie aufgeblieben und haben gelesen - Schach gespielt mit Elvira?«
Mikhels braune Augen ruhten einen Augenblick auf ihm, glitten ab, kamen wieder zu ihm zurück.
»Nein, Max«, antwortete er äußerst höflich. »Ich hab ihm die Karten gegeben. Er wollte mit ihnen allein sein. Ich wünschte ihm gute Nacht. Als er ging, schlief ich schon.«
Doch Elvira ganz offensichtlich nicht, dachte Smiley.
Elvira blieb und wartete auf Instruktionen von ihrem Vize-Bruder. Aktiv als Patriot, als Mann, als Führer, memorierte Smiley. Aktiv in jeder Beziehung.
»Und welchen Kontakt hatten Sie mit ihm seitdem?« fragte Smiley, und Mikhel war plötzlich bei gestern angekommen. »Keinen bis gestern«, sagte Mikhel.
»Gestern nachmittag hat er mich angerufen. Max, ich schwöre Ihnen, ich hatte ihn seit Jahren nicht mehr so aufgeregt gehört. Glücklich, ich würde sagen, ekstatisch. >Mikhel! Mikhel!< Max, der Mann war verzückt. Er würde am Abend zu mir kommen. Gestern abend. Spät möglicherweise, aber er wird mir die fünfzig Pfund bringen. >General<, sag ich zu ihm. >Was sind schon fünfzig Pfund? Sind Sie wohlauf? Sind Sie in Sicherheit? Erzählen Sie mir.< >Mikhel; ich war auf Fischfang, und ich bin glücklich. Bleiben Sie wach<, sagt er zu mir. >Ich bin um elf Uhr bei Ihnen, oder kurz danach. Mit dem Geld. Ich muß Sie auch im Schach schlagen, um meine Nerven zu beruhigen.< Ich bleibe wach, mache Tee, warte auf ihn. Max, ich bin Soldat, um mich habe ich keine Angst. Aber um den General, um diesen alten Mann hatte ich Angst. Ich rufe den Circus an, ein Notfall. Sie haben einfach eingehängt. Warum, Max? Warum haben Sie das getan, bitte?«
»Ich hatte nicht Dienst«, sagte Smiley und sah Mikhel jetzt so scharf an, wie er es irgend wagte. »Sagen Sie, Mikhel«, begann er.
»Max.«
»Was wollte Wladimir Ihrer Ansicht nach tun, nachdem er bei Ihnen angerufen hatte, um von der guten Nachricht zu sprechen und bevor er kommen würde, um die fünfzig Pfund zurückzuzahlen?«
Mikhel zögerte nicht. »Ich habe selbstverständlich angenommen, daß er zu Max gehen würde«, sagte er. »Er hatte seinen großen Fisch gelandet. Jetzt würde er zu Max gehen, seine Spesen verlangen, ihn mit der sensationellen Neuigkeit überraschen. Selbstverständlich«, wiederholte er und schaute Smiley ein bißchen zu fest in die Augen.
Selbstverständlich, dachte Smiley. Und du hast auf die Minute genau gewußt, wann er von zu Hause fortgehen würde und auf den Meter genau den Weg gekannt, den er nehmen würde, um zu der sicheren Wohnung in Hampstead zu gehen.
»Er kam also nicht, Sie riefen den Circus an, und wir haben Sie abblitzen lassen«, faßte Smiley kurz zusammen.
»Tut mir leid. Was haben Sie als nächstes getan?«
»Ich rufe Willem an. Ich wollte mich zunächst vergewissern, daß der Junge wohlauf war und ihn auch fragen: Wo ist unser Führer? Seine englische Frau hat mich angeschnauzt. Schließlich bin ich zu seiner Wohnung gegangen. Nicht gern - es war aufdringlich -, sein Privatleben geht niemand etwas an - aber ich bin hingegangen. Ich habe geläutet. Keine Antwort. Ich ging wieder nach Hause. Heute vormittag um elf ruft Jüri an. Ich hatte die Frühausgabe der Abendzeitungen nicht gelesen, ich bin kein Freund von englischen Zeitungen. Jüri hatte sie gelesen. Wladimir, unser Führer, war tot«, endete er.
Elvira stand neben ihm. Sie hatte zwei Gläser mit Wodka auf einem Tablett.
»Bitte«, sagte Mikhel. Smiley nahm ein Glas, Mikhel das andere. »Auf das Leben!« sagte Mikhel sehr laut und trank, während ihm die Tränen in die Augen schossen.
»Auf das Leben«, sagte Smiley, während Elvira sie beide beobachtete.
Sie ist mit ihm hingegangen, dachte Smiley. Sie hat Mikhel gezwungen, zur Wohnung des alten Mannes zu gehen, sie hat ihn bis vor seine Türe gezerrt.
»Haben Sie jemand anderem davon erzählt, Mikhel?« fragte Smiley, als sie wieder einmal wegging.
»Jüri traue ich nicht«, sagte Mikhel und schneuzte sich.
»Haben Sie Jüri von Willem erzählt?«
»Wie bitte?«
»Haben Sie ihm gegenüber Willem erwähnt? Haben Sie Jüri gegenüber durchblicken lassen, daß Willem in irgendeiner Weise mit Wladimir zu tun gehabt haben könnte?«
Mikhel hatte anscheinend keine dieser Sünden begangen.
»In dieser Sache sollten Sie niemandem trauen«, sagte Smiley in förmlicherem Ton, als er sich anschickte zu gehen. »Nicht einmal der Polizei. So lautet die Order. Die Polizei darf nicht erfahren, daß Wladimir bei einem Einsatz gestorben ist. Das ist wichtig für die Sicherheit. Die Ihre und die unsere. Sonst hat er Ihnen keine Botschaft übermittelt? Eine Nachricht für Max, zum Beispiel?«
Sagen Sie Max, es betrifft den Sandmann, dachte er.
Mikhel lächelte bedauernd.
»Hat Wladimir kürzlich Hector erwähnt?«
»Für ihn taugte Hector nichts.«
»Hat Wladimir das gesagt?«
»Bitte, Max. Ich habe nichts persönlich gegen Hector. Hector ist Hector, er ist kein Gentleman, aber in unserer Branche müssen wir viele Arten und Abarten von Menschen verwenden. Ich gebe nur die Meinung des Generals wieder. Unser Führer war ein alter Mann. >Hector<, sagt Wladimir zu mir, >Hector taugt nichts. Unser guter Postbote Hector ist wie die City-Banken. Wenn es regnet, heißt es, nehmen einem die Banken den Schirm weg. Unser Postbote Hector ist wie sie.< Bitte. Das sagt Wladimir. Nicht Mikhel. >Hector taugt nichts.<«
»Wann hat er das gesagt?«
»Er sagte es mehrmals.«
»Kürzlich?«
»Ja.«
»Wie kürzlich?«
»Kann zwei Monate her sein. Vielleicht weniger.«
»Nachdem er den Brief aus Paris erhielt oder vorher?«
»Nachher. Ganz fraglos.«
Mikhel begleitete ihn zur Tür, ganz der Gentleman, der Toby Esterhase nicht war. Elvira saß rauchend an ihrem Platz neben dem Samowar und betrachtete dasselbe Bild mit den Birken. Als sie an ihr vorbeigingen, hörte Smiley eine Art Zischen, das aus dem Mund oder aus der Nase oder aus beidem kam, als eine letzte Bekundung ihrer Verachtung.
»Was werden Sie nun tun?« fragte Mikhel, als richte er sich an die trauernden Hinterbliebenen. Aus dem Augenwinkel heraus sah Smiley, wie ihr Kopf sich hob und ihre Finger sich über die Seite spreizten. Eine letzte Idee kam ihm: »Und die Handschrift haben Sie nicht erkannt?« fragte er.
»Welche Handschrift meinen Sie, Max?«
»Die auf dem Umschlag aus Paris.«
Plötzlich hatte er keine Zeit mehr, um auf die Anwort zu warten, plötzlich war er die dauernden Ausflüchte leid.
»Good bye, Mikhel.«
»Leben Sie wohl, Max.«
Elviras Kopf neigte sich wieder über die Birken.
Ich werde es nie erfahren, dachte Smiley, als er schnell die Holztreppe hinunterging. Niemand von uns wird es erfahren. War er Mikhel, der Verräter, der dem alten Mann verübelte, daß er mit ihm seine Frau teilen mußte und der nach der Krone dürstete, die man ihm zu lange vorenthielt? Oder war er Mikhel, der selbstlose Offizier und Gentleman, Mikhel, der ewig treue Diener? Oder war er vielleicht, wie viele treue Diener, beides?
Er dachte an Mikhels Kavalleristenstolz, der so schrecklich verletzbar war wie jede andere Mannestugend eines Helden. An seinen Stolz, der Hüter des Generals zu sein, den Stolz, sein Statthalter zu sein. Das schmachvolle Gefühl, ausgeschlossen zu werden. Dann wieder sein Stolz - in wieviele Wege er sich verästelte! Doch wie weit reichte er? Bis zum Stolz, jedem Herrn nobel aufzuwarten, zum Beispiel?
Ich habe beide Herren gut bedient, sagt der perfekte Doppelagent im Zwielicht seines Lebens. Und sagt es zudem mit Stolz, dachte Smiley, der etliche von ihnen gekannt hatte.
Er dachte an den siebenseitigen Brief aus Paris. Er dachte an zweite Beweise. Er fragte sich, bei wem die Fotokopie wohl gelandet war - vielleicht bei Esterhase? Er fragte sich, wo das Original sein mochte. Wer ist wohl nach Paris gegangen, fragte er sich. Wenn Willem nach Hamburg ging, wer war dann der kleine Magier? Er war hundemüde. Seine Müdigkeit setzte ihm zu wie ein Virus. Er fühlte sie in den Knien, in den Hüften, in seinem ganzen erlahmenden Körper. Doch er marschierte weiter, denn sein Geist verweigerte die Rast. Und überdies war der Augenblick gekommen, wo er nicht mehr eskortiert werden wollte, weder von Freund noch von Feind.