15

Alles war in schönster Ordnung. Connie saß gepudert und wür­dig in ihrem Schaukelstuhl, und ihre Augen waren, als er herein­kam, genauso fest auf ihn gerichtet wie bei seinem ersten Eintre­ten. Hilary hatte sie beruhigt, Hilary hatte sie ernüchtert, und jetzt stand Hilary hinter ihr, die Hände auf Connies Nacken, Daumen eingezogen und massierte ihr sanft das Genick.

»Anwandlung von timor mortis, Darling«, erklärte Connie. »Der Doktor verschreibt Valium, aber die alte Närrin hält sich lieber an den Schnaps. Davon erzählen Sie aber Saul Enderby nichts, wie, Herzchen, wenn Sie Ihren Rapport machen?«

»Nein, natürlich nicht.«

»Wann werden Sie denn Ihren Rapport machen, Darling?«

»Bald«, sagte Smiley.

»Heute nacht, wenn Sie zurückkommen?«

»Je nachdem, was es zu berichten gibt.«

»Con hat alles aufgeschrieben, das wissen Sie, George«, fuhr sie mit großer Eindringlichkeit fort. »Die Akten der alten Närrin über den Fall waren sehrvoll, dächte ich. Sehr detailliert. Und sehreingehend, ausnahmsweise. Aber Sie haben sie nicht zu Rate gezogen.« Smiley sagte nichts. »Die Akten gingen verloren. Wurden vernichtet. Oder Sie hatten keine Zeit. Schon gut. Dabei waren Sie doch immer so scharf auf den Papierkram. Höher, Hils«, befahl sie, ohne den glühenden Blick von Smiley abzu­wenden. »Höher, Darling. Dort, wo die Wirbelsäule in die Mandeln sticht.«

Smiley setzte sich auf das alte Korbsofa.

»Ich hab diese Doppel-Doppelspiele immer gemocht«, gestand Connie verträumt und rollte den Kopf, um Hilarys Hände damit zu streicheln. »Stimmt's nicht, Hils? Das ganze menschliche Leben lag darin. Du weißt das vermutlich nicht mehr, wie? Seit du durchgedreht hast.«

Sie wandte sich wieder an Smiley: »Soll ich weitermachen, Sü­ßer?« Die Stimme gehörte jetzt zu einer Nutte aus dem East End. »Nur in großen Zügen«, sagte Smiley. »Aber nicht, wenn es - « »Wo waren wir stehengeblieben? Ich weiß schon. Wir waren hoch droben im Flugzeug mit dem Rübenschwein. Er ist auf dem Weg nach Wien, hat die Pfoten in einem Trog voll Bier. Blickt auf, und wen sieht er vor sich stehen, wie sein eigenes schlechtes Gewissen: Keinen anderen als seinen lieben alten Kumpel von vor fünfundzwanzig Jahren, Klein Otto, feixend wie Beelzebub persönlich. Was empfindet er, fragen wir uns, vorausgesetzt, er hat überhaupt Empfindungen? Weiß Otto - fragt er sich -, daß ich der Bösewicht war, der ihn verpfiffen und in den Gulag ge­bracht hat? Was also tut er?«

»Was tut er?« sagte Smiley, ohne auf ihre Mätzchen einzugehen. »Er entscheidet sich für die herzliche Masche, Süßer. Nicht wahr, Hils? Pfeift den Kaviar herbei und sagt >Gott sei Dank<.« Sie flü­sterte etwas, und Hilary beugte den Kopf, um es zu hören und ki­cherte dann. »>Champagner !< sagt er. Und, mein Gott, sie kriegen ihn, und er bezahlt ihn, und sie trinken ihn, und sie fahren gemein­sam im Taxi in die Stadt und zwitschern sogar rasch noch einen in einem Cafe, ehe das Rübenschwein seinen dunklen Pflichten nachgeht. Kirow mag Otto«, behauptete Connie. »Liebt ihn, nicht wahr, Hils? Die beiden sind das ideale Pärchen, genau wie wir. Otto ist sexy, Otto ist amüsant, Otto ist elegant und antiauto­ritär und gewandt - und -, oh, alles, was das Rübenschwein nie sein könnte, in tausend Jahren nicht! Warum glaubte die fünfte Etage immer, die Leute hätten nur ein einziges Motiv?«

»Ich glaubte das bestimmt nicht«, sagte Smiley inbrünstig.

Aber Connie sprach schon wieder zu Hilary und keineswegs zu Smiley. »Kirowlangweilte sich, Kindchen. Otto bedeutete für ihn Leben. So, wie du für mich. Ich tanze mit dir in den Himmel hinein. Hatte Kirow nicht daran gehindert, ihn zu verpfeifen, aber das ist nur natürlich.«

Hilary, die noch immer sanft Connies Rücken massierte, nickte zerstreut Zustimmung.

»Und was bedeutete Kirow für Otto Leipzig?« fragte Smiley. »Haß, Darling«, erwiderte Connie ohne Zögern. »Reinen, un­verdünnten Haß. Simplen, ehrlichen, alten Abscheu. Haß und Geld. Ottos Leitsterne. Otto war immer überzeugt, daß er etwas guthabe für all die Jahre im Knast. Und er wollte auch gleich für das Mädchen mitkassieren. Sein großer Traum war, daß er eines Tages Kirow für eine Menge Geld verkaufen würde. Mengen und Unmengen von Geld. Und es dann durchbringen.«

Die Erbitterung eines Kellners, dachte Smiley, als er sich an den Fotoabzug erinnerte. Er erinnerte sich auch wieder an das Zim­mer im Flughafenhotel und an Ottos ruhige deutsche Stimme mit ihrem einschmeichelnden Akzent; erinnerte sich an die braunen steten Augen, die wie Fenster seiner schwelenden Seele waren. Nach der Begegnung in Wien hatten die beiden Männer ein Wie­dersehen in Paris verabredet, sagte Connie, und Otto ließ sich wohlweislich Zeit. In Wien hatte Otto keine einzige Frage ge­stellt, an der das Rübenschwein hätte Anstoß nehmen können; Otto sei Profi, sagte Connie. Ob Kirow verheiratet sei? habe er gefragt. Kirow habe daraufhin die Hände gen Himmel geworfen und sei in brüllendes Gelächter ausgebrochen, was besagen soll­te, weder jetzt noch in Zukunft. Verheiratet, aber Ehefrau in Moskau, habe Otto berichtet - um so wirksamer würde eine Sex-Falle funktionieren. Kirow hatte Leipzig nach seinem der­zeitigen Job gefragt, und Leipzig hatte großzügig geantwortet »Import-Export« und sich als eine Art fliegenden Händler be­zeichnet, heute Wien, morgen Hamburg. Also: Otto wartete ei­nen ganzen Monat - nach fünfundzwanzig Jahren, sagte Connie, konnte er sich das leisten -, und während dieses Monats wurde Kirow von den Franzosen dabei beobachtet, wie er sich in drei verschiedenen Fällen an ältere, in Paris ansässige russische Emi­granten heranmacht: an einen Taxichauffeur, an einen Ladenin­haber, an einen Gastwirt, alle drei mit Angehörigen in der So­wjetunion. Er machte sich erbötig, Briefe, Botschaften, Adressen mit hinüberzunehmen; er bot sogar an, Geld mitzunehmen und, wenn sie nicht allzu umfangreich seien, auch Geschenke. Und das gleiche in der Gegenrichtung bei seiner Rückkehr.

Niemand akzeptierte sein Angebot. In der fünften Woche rief Otto bei Kirow in dessen Wohnung an, sagte, er sei soeben aus Hamburg gelandet und ob sie sich nicht einen vergnügten Abend zusammen machen wollten. Beim Essen, genau im richtigen Moment, sagte Otto, heute werde er der Gastgeber sein; er habe gerade klotzig an einer gewissen Lieferung an ein gewisses Land verdient, und Geld spiele keine Rolle.

»Das war der Köder, den wir für ihn präpariert hatten, Darling«, erläuterte Connie, und wandte sich endlich wieder direkt an Smiley. »Und das Rübenschwein schnappte danach, und wie, das tun sie alle, nicht wahr, wie Lachse nach der Fliege, jedes­mal.«

Was für eine Lieferung? hatte Kirow wissen wollen. Was für ein Land? Als Antwort hatte Leipzig mit dem Zeigefinger über sei­ner eigenen Nase einen krummen Erker in die Luft gezeichnet und schallend gelacht. Kirow lachte ebenfalls, aber er war jetzt eindeutig höchst interessiert. Nach Israel? sagte er: Und was für eine Art von Lieferung? Leipzig richtete nun den Zeigefinger auf Kirow und tat, als drücke er auf einen Abzug. Waffen nach Isra­el? fragte Kirow baß erstaunt, aber Leipzig war ein Profi und antwortete nicht mehr. Sie tranken, besuchten ein Strip-Lokal und plauderten von alten Zeiten. Kirow kam sogar auf ihre ge­meinsame Freundin zu sprechen und fragte, ob Leipzig wisse, was aus ihr geworden sei. Leipzig sagte, keine Ahnung. Gegen Morgen hatte Leipzig vorgeschlagen, sie sollten sich ein paar Ge­fährtinnen suchen und alle zusammen in seine Wohnung gehen, aber zu seiner Enttäuschung lehnte Kirow ab: nicht in Paris, zu gefährlich. In Wien oder Hamburg, jederzeit. Aber nicht in Pa­ris. Um die Frühstückszeit trennten sie sich, stockbesoffen, und der Circus war um hundert Pfund leichter.

»Dann gingen die verdammten Palastkämpfe los«, sagte Connie, unvermittelt das Thema wechselnd. »Die Große Debatte um die Leitung von London Station. Debatte, daß ich nicht lache. Sie, George, waren im Ausland, Saul Enderby setzte einen manikür­ten Huf hinein, und allen übrigen fiel prompt das Herz in die Hosen - und das war's dann.« Wieder ihre Barons-Stimme: »>Otto Leipzig nimmt uns auf die Schippe . . . Wir haben die Operation nicht mit den Fröschen abgeklärt . . . Foreign Office beunruhigt über mögliche Weiterungen . . . Kirow ist ein Ab­lenkungsmanöver . . . Die Riga-Gruppe eine total unrealisti­sche Basis für ein Unternehmen dieses Ausmaßes . . .< Wo wa­ren Sie übrigens damals? In Berlin, nicht wahr?«

»Hongkong.«

»Ach, dort«, sagte sie vage und sank in ihrem Stuhl zusammen, während ihre Lider sich nahezu schlossen.


Smiley hatte Hilary gebeten, Tee zu machen, und sie klapperte am anderen Ende des Zimmers mit dem Geschirr. Er warf einen Blick zu ihr hinüber, weil er überlegte, ob er sie nicht rufen sollte und sah sie genauso dastehen, wie er sie zuletzt im Circus gesehen hat­te, in jener Nacht, als er zu Hilfe gerufen wurde - stocksteif, die Fingerknöchel der geballten Fäuste auf den Mund gepreßt, um ei­nen lautlosen Schrei zu ersticken. Er hatte noch gearbeitet - es war um etwa diese Zeit gewesen; ja, er hatte seine Abreise nach Hong­kong vorbereitet-, als plötzlich sein Haustelefon klingelte und er eine sehr erregte Männerstimme hörte, die ihn bat, unverzüglich in den Chiffrierraum zu kommen, Mr. Smiley, Sir, es ist drin­gend. Sekunden später eilte er einen kahlen Korridor entlang, flankiert von zwei besorgten Wachposten. Sie stießen die Tür vor ihm auf, er trat in den Raum, sie blieben draußen. Er sah die zer­trümmerten Apparate, die Akten und Karteikarten und Tele­gramme auf dem Boden verstreut wie Abfall auf einem Fußball­platz, er sah die obszönen Graffiti mit Lippenstift an die Wand ge­schmiert. Und in der Mitte des Ganzen sah er Hilary, die Täterin -genau, wie sie jetzt dastand -, verzweifelt durch die dicken Netz­gardinen in den freien weißen Himmel hinausstarren: Hilary, un­sere Vestalin, so wohlerzogen; Hilary, unsere Circus-Braut.

»Was zum Teufel treibst du, Hils?« fragte Connie barsch aus ih­rem Schaukelstuhl.

»Tee machen, Con. George möchte eine Tasse Tee.«

»Zum Teufel damit, was George möchte«, gab sie zornglühend zurück. »George istfünfte Etage. George hat den Kirow-Fall abgeblasen, und jetzt möchte er's wieder gut machen, im Allein­gang, auf seine alten Tage. Stimmt's, George? Stimmts's? Lügt mich sogar an über diesen alten Teufel Wladimir, der in Hamp­stead Heath geradewegs in eine Kugel marschierte, wie die Zei­tungen vermelden, aber die liest er anscheinend nicht, so wenig, wie meine Berichte!«

Sie tranken den Tee. Ein Regenguß setzte ein. Die ersten harten Tropfen hämmerten bereits auf das Holzdach.


Smiley hatte sie bezaubert, Smiley hatte ihr geschmeichelt, Smi­ley hatte bewirkt, daß sie weitermachte. Schon hatte sie den Fa­den halbwegs ausgesponnen. Er war entschlossen, daß sie ihn bis zum Ende ausspinnen müsse.

»Ich muß das Ganze haben, Con«, wiederholte er. »Ich muß al­les und jedes hören, so, wie Sie sich daran erinnern, auch wenn das Ende schmerzlich ist.«

»Das Ende ist verdammt schmerzlich«, erwiderte sie. Doch schon erlahmten ihre Stimme, ihr Gesicht, sogar die Bril­lanz ihres Gedächtnisses, und er wußte, daß es ein Wettlauf ge­gen die Zeit sein werde.

Jetzt sei Kirow an der Reihe gewesen, die klassische Karte auszu­spielen, sagte sie müde. Beim nächsten Zusammentreffen, einen Monat später in Brüssel, kam Kirow auf die Sache mit der Waf­fenlieferung nach Israel zu sprechen und sagte, er habe sie beiläu­fig einem guten Bekannten gegenüber erwähnt, einem seiner Kollegen in der Handelsabteilung der Botschaft, der an einer Studie über die israelische Verteidigungsfinanzierung mitarbeite und für seine Recherchen sogar über einen Spezialfonds verfügen könne. Ob Leipzig gegebenenfalls bereit wäre - nein, ganz im Ernst, Otto! -, mit dem Mann zu sprechen oder, noch besser, seinem alten Kumpel Oleg die Geschichte gleich hier und jetzt zu erzählen und Oleg damit auch eine kleine Anerkennung zu ver­schaffen? Otto sagte: »Vorausgesetzt, es lohnt sich und schadet niemandem.« Dann verpaßte er Oleg einen Haufen wertloser In­formationen, die Connie und die Leute von der Nahost-Abtei­lung vorbereitet hatten - selbstverständlich alles wahr und abso­lut stichhaltig, auch wenn niemand etwas damit anfangen konnte -, und Kirow schrieb feierlich alles auf, obgleich beide, wie Connie sagte, genau wußten, daß weder Kirow noch sein Auf­traggeber, wer immer das sein mochte, das geringste Interesse an Israel hatten oder an Waffen oder an Lieferungen oder an der is­raelischen Verteidigungsfinanzierung- jedenfalls nicht indiesem Zusammenhang. Kirow lag lediglich daran, eine konspirative Beziehung herzustellen, wie ihre nächste Begegnung in Paris klar bewies. Kirow bekundete gewaltige Begeisterung über den Be­richt, bestand darauf, daß Otto dafür fünfhundert Dollar entge­gennehme und - reine Formsache - eine Quittung unterschreibe. Und nachdem Otto dies getan hatte und somit ein für allemal am Angelhaken hing, kam Kirow geradewegs zur Sache, mit der ganzen Brutalität, die er aufzubieten vermochte - und das war nicht wenig, sagte Connie -, und fragte Otto, wie gut er mit den ortsansässigen russischen Emigranten stehe.

»Bitte, Con«, flüsterte Smiley. »Wir haben's fast geschafft!« Sie war ihm so nah, doch er spürte, wie sie ihm immer mehr entglitt. Hilary lag auf dem Fußboden und hatte den Kopf an Connies Knie gelehnt. Connies Hände in den Pulswärmern suchten Halt in Hilarys Haar, und ihre Augen waren fast geschlossen.

»Connie!« wiederholte Smiley.

Connie öffnete die Augen und lächelte schwach.

»Es war nur der Fächertanz, Darling«, sagte sie. »Das Er-weiß-daß-ich-weiß-daß-du-weißt. Der übliche Fächertanz«, wieder­holte sie nachsichtig, und ihre Augen fielen wieder zu.

»Und was hat Leipzig ihm geantwortet? Connie!«

»Er hat getan, was wir alle getan hätten, Darling«, murmelte sie. »Verzögerungstaktik. Gab zu, daß er bei den Emigrantengruppen gern gesehen sei und mit dem General ein Herz und eine See­le. Dann nichts mehr. Sagte, er komme nicht sehr häufig nach Paris. >Warum nicht einen Ortsansässigen anheuern?< sagte er. Er hat gemauert, Hils, Darling, verstehst du? Fragte wieder: Würde es irgendwem schaden? Fragte, worin eigentlich der Job bestehe? Was dabei herausspringe? Gib mir einen Schluck, Hils.«

»Nein«, sagte Hilary.

»Los.«

Smiley goß ihr zwei Finger hoch Whisky ein und sah zu, wie sie ihn schlürfte.

»Was sollte Otto bei den Emigranten für Kirow erledigen?« sagte er.

»Kirow brauchte eine Legende«, antwortete sie. »Er brauchte eine Legende für ein Mädchen.«


Nichts an Smileys Verhalten ließ erkennen, daß er diesen Satz erst vor ein paar Stunden von Toby Esterhase gehört hatte. Vor vier Jahren, wiederholte Connie, habe Oleg Kirow eine Legende gebraucht. Genau wie der Sandmann, nach Aussagen Tobys und des Generals - dachte Smiley -, heute eine Legende brauchte. Ki­row brauchte eine Tarnung für eine Agentin, die man nach Frankreich einschleusen wollte. Das sei des Pudels Kern gewe­sen, sagte Connie. Kirow sagte das natürlich nicht; im Gegenteil, er stellte es ganz anders dar. Er erzählte Otto, Moskau habe an alle Botschaften eine geheime Anweisung ergehen lassen, des In­halts, daß auseinandergerissene russische Familien unter gewis­sen Voraussetzungen im Ausland wieder zusammengeführt werden sollten. Wenn genügend Familien gefunden werden könnten, die diesen Wunsch hegten, so die Anweisung, dann wolle Moskau das Vorhaben an die Öffentlichkeit bringen und damit das Image der Sowjetunion auf dem Gebiet der Menschen­rechte aufwerten. Am liebsten wären ihnen Fälle mit Gefühlsge­halt: Töchter in Rußland zum Beispiel, von ihren Angehörigen im Westen abgeschnitten, alleinstehende Mädchen, vielleicht im heiratsfähigen Alter. Geheimhaltung sei wichtig, sagte Kirow, bis eine Liste passender Fälle beisammen sei - nicht auszudenken das Geschrei, wenn die Sache vorzeitig durchsickere!

Das Rote-Rübenschwein sei so plump vorgegangen, sagte Con­nie, daß Otto den Vorschlag zunächst einfach um der Wahr­scheinlichkeit willen habe lächerlich machen müssen; das Ganze sei zu verrückt, zu weit hergeholt, sagte er - geheime Listen, was für ein Nonsens! Warum wandte Kirow sich nicht direkt an die Emigranten-Organisationen und ließ sie Verschwiegenheit schwören? Warum einen krassen Außenseiter für seine Dreckar­beit engagieren? Je länger Leipzig herumredete, um so hitziger wurde Kirow. Es sei nicht Leipzigs Job, sich über Erlasse der Moskauer Zentrale lustig zu machen, sagte Kirow. Er begann Otto anzubrüllen, und irgendwie fand Connie die Kraft, gleich­falls zu brüllen oder wenigstens die müde Stimme ein wenig zu heben und ihr den gutturalen russischen Klang zu verleihen, den Kirow ihrer Meinung nach haben mußte. »>Wo bleibt dein Mit­gefühl sagte er. >Willst du deinen Mitmenschen nicht helfen? Warum verhöhnst du eine menschliche Geste, nur weil sie von Rußland ausgeht?<« Kirow sagte, er habe bereits persönlich ei­nige Familien aufgesucht, aber kein Vertrauen gefunden und keine Fortschritte erzielt. Er fing an, Druck auf Leipzig auszu­üben, zuerst persönlicher Natur - >Willst du mir nicht helfen, beruflich weiterzukommen ?< -, und als das nicht verfing, gab er zu bedenken, daß Leipzig, da er bereits geheime Informationen gegen Entgelt an die Botschaft geliefert habe, vielleicht gut daran tue weiterzumachen, andernfalls die westdeutschen Behörden von dieser Verbindung Wind bekommen und ihn aus Hamburg hinauswerfen könnten - vielleicht überhaupt aus Deutschland. Ob Otto das angenehm sein würde? Und schließlich, sagte Con­nie, habe Kirow Geld geboten, und eben hier habe das Wunder gelegen: »Für jede erfolgreich durchgeführte Wiedervereinigung zehntausend US-Dollar«, verkündete sie. »Für jeden passenden Kandidaten, ob eine Zusammenführung zustande kommt oder nicht, tausend US-Dollar, auf die hohle Hand. Barzahlung.« Dies sei natürlich, sagte Connie, der Zeitpunkt gewesen, an dem die fünfte Etage entschied, Kirow müsse übergeschnappt sein, und den Fall mit sofortiger Wirkung abblies.

»Und ich aus dem Fernen Osten zurückkam«, sagte Smiley. »Wie der arme König Richard aus den Kreuzzügen, so kamen Sie zurück, Darling!« pflichtete Connie ihm bei. »Und fanden die Bauern in Aufruhr und Ihren sauberen Bruder auf dem Thron. Geschieht Ihnen recht.« Sie gähnte gewaltig. »Fall im Eimer«, erklärte sie. »Die deutsche Polizei verlangte Leipzigs Auswei­sung aus Frankreich; wir hätten sie ohne weiteres umstimmen können, aber wir taten es nicht. Keine Sex-Falle, kein Ergebnis, kein Garnichts. Das Stück war abgesetzt.«

»Und wie hat Wladimir das alles aufgenommen?« fragte Smiley, als wisse er es wirklich nicht.

Connie öffnete mühsam die Augen: »Was aufgenommen?«

»Daß das Stück abgesetzt wurde.«

»Oh, ertobte, was hatten Sie erwartet? Tobt und tobt. Sagt, wir hätten uns den Fang des Jahrhunderts durch die Lappen gehen lassen. Schwor, er werde den Krieg mit anderen Mitteln weiter­führen.«

»Welche Art Fang?«

Sie überhörte seine Frage. »Bei diesem Krieg wird nicht mehr ge­schossen, George«, sagte sie, und wieder sanken ihre Lider her­ab. »Das ist es ja. Alles grau in grau. Halb-Engel kämpfen gegen Halb-Teufel. Niemand weiß, wo die Front verläuft. Kein Peng-peng.«

Wiederum sah Smiley in der Erinnerung das Hotelzimmer und die beiden schwarzen Mäntel nebeneinander, während Wladimir ihn verzweifelt beschwor, daß der Fall wieder aufgenommen werden müsse: »Max, hören Sie uns noch dieses eine Mal zu, hö­ren Sie sich an, was passiert ist, seit Sie den Haltebefehl gaben!« Die beiden waren auf eigene Kosten von Paris herübergeflogen, um mit ihm zu sprechen, da die Finanzabteilung gemäß Ender­bys Befehl das Konto für diesen Fall aufgelöst hatte.

»Max, bitte, hören Sie uns an«, hatte Wladimir gefleht. »Kirow hat Otto gestern noch spät nachts in seine Wohnung bestellt. Die beiden haben sich erneut getroffen, Otto und Kirow. Kirow hat sich betrunken und erstaunliche Sachen gesagt!«

Er sah sich wieder in seinem alten Büro im Circus, Enderby saß bereits an seinem Schreibtisch. Es war am selben Tag, nur ein paar Stunden später.

»Klingt wie Klein Ottos letzter Grabenkampf vor dem Zugriff der Hunnen«, hatte Enderby gesagt, nachdem Smiley zu Ende gesprochen hatte. »Weshalb sind sie eigentlich hinter ihm her, Diebstahl oder Lustmord?«

»Betrug«, hatte Smiley resigniert erwidert, was der traurigen Wahrheit entsprach.


Connie summte ein paar Töne. Sie versuchte, ein Lied daraus zu machen, dann einen Limerick. Sie verlangte etwas zu trinken, aber Hilary hatte ihr Glas weggestellt.

»Bitte gehen Sie jetzt«, sagte Hilary direkt in Smileys Gesicht. Smiley beugte sich auf dem Korbsofa vor und stellte seine letzte Frage. Er stellte sie scheinbar zögernd, fast widerwillig. Sein weiches Gesicht war hart geworden vor Entschlossenheit, aber die Härte vermochte die Zeichen der Drangsal nicht zu tilgen. »Erinnern Sie sich an eine Geschichte, Con, die der alte Wladi­mir oft erzählte? Und die wir niemals weitererzählten? Die wir hüteten, wie ein Kleinod? Daß Karla eine Mätresse habe, eine Frau, die er liebe?«

»Seine Ann«, sagte sie tonlos.

»Daß sie auf der ganzen Welt das einzige sei, um dessentwillen er zu hirnverbranntem Handeln fähig wäre?«

Langsam hob sich ihr Kopf, und er sah, wie ihr Gesicht sich auf­hellte, und seine Stimme wurde rascher und dringlicher.

»Wie dieses Gerücht in der Moskauer Zentrale die Runde machte - unter den Eingeweihten? Karlas Erfindung - seine Schöpfung? Wie er sie fand, als sie noch ein Kind war und während des Krie­ges in einem ausgebrannten Dorf umherirrte? Sie adoptierte, aufzog, sich in sie verliebte?«

Er beobachtete sie, und trotz des Whiskys, trotz ihrer tödlichen Müdigkeit sah er die letzte Erregung, wie den letzten Tropfen in der Flasche, langsam ihre Züge noch einmal beleben.

»Er war hinter den deutschen Linien«, sagte sie. »In den vierzi­ger Jahren. Mit einem Team, das die Balten aufwiegeln sollte. Bauten Netze auf, Widerstandsgruppen. Es war eine große Ope­ration. Karla war der Boß. Das Mädchen wurde ihr Maskott­chen. Sie schleppten sie auf Schritt und Tritt mit. Ein Kind. O George!«

Er hielt den Atem an, um jedes ihrer Worte zu erhäschen. Das Prasseln auf dem Dach wurde lauter, er hörte das anschwellende Grollen des Waldes, als der Regen auf ihn niederrauschte. Sein Gesicht war ganz nah an dem ihren; und es war, Widerwille hin oder her, vom gleichen Feuer beseelt, wie das ihre.

»Und was dann?« sagte er.

»Dann hat er sie abgemurkst, Darling. Das war dann.«

»Warum?« Er rückte noch näher, als fürchte er, die Sprache werde ihr genau im entscheidenden Moment versagen. »Warum, Connie? Warum sie töten, wenn er sie liebte?«

»Er hatte alles für sie getan. Pflegeeltern für sie gefunden. Gute Schulen. Ließ sie zu seinem Traumweib erziehen. Spielte Dad­dy, spielte Liebhaber, spielte Gott. Sie war sein Spielzeug. Dann, eines schönen Tages, setzt sie sich plötzlich Flausen in den Kopf.«

»Was für Flausen?«

»Rebelliert. Verkehrt mit Scheiß-Intellektuellen. Wollen den Staat zersetzen. Fragt das große >Warum?< und das große >Warum nicht?< Er sagt, sie soll die Klappe halten. Was sie nicht tat. Sie hatte den Teufel im Leib. Er ließ sie ins Lager verfrachten. Machte sie nur noch schlimmer.«

»Und sie hatte ein Kind«, soufflierte Smiley und nahm ihre Hand in seine beiden Hände. »Ein Kind von ihm, erinnern Sie sich?« Ihre Hand war zwischen seinem und ihrem Gesicht. »Sie haben Recherchen nach dem Kind angestellt, ja? Es war Saure-Gur­ken-Zeit, und ich ließ Sie von der Leine. >Nimm die Fährte auf, Con<«, sagte ich, »>verfolg sie, wohin sie auch führt.< Wissen Sie noch?«

Unter Smileys beschwörendem Zuspruch steigerte sich Connies Rede zum Furioso einer letzten Liebe. Sie sprach schnell, ihre Augen strömten über. Sie verfolgte die Fährte in die Vergangen­heit, stöberte in allen Winkeln ihres Gedächtnisses . . . Karla hatte dieses Mädel ... ja, Darling, das war die Story, hören Sie mich?-Ja, Connie, weiter, ich höre. Dann passen Sie auf. Er zog sie groß, machte sie zu seiner Geliebten, das Balg kam, und der Zank drehte sich um dieses Balg. George, Darling, lieben Sie mich noch, wie in den alten Tagen? - Weiter, Con, wie ging es aus, ja, natürlich liebe ich Sie. Er beschuldigte sie, sie vergifte die kostbare Seele des Kindes mit gefährlichen Ideen - wie zum Bei­spiel Freiheit. Oder Liebe. Ein Mädchen - das Ebenbild der Mutter -, angeblich eine Schönheit. Schließlich schlug die Liebe des alten Tyrannen in Haß um, und er ließ sein Ideal deportieren und umlegen: Ende der Geschichte . . . Wir bekamen sie zuerst von Wladimir, dann ein paar Brocken, nie etwas Verläßli­ches . . . Name unbekannt, Darling, weil er alle Unterlagen über sie vernichtete, jeden umbrachte, der womöglich etwas wußte, typisch Karla, hol ihn der Kuckuck, wie Darling, so war er schon immer? Es hieß auch, sie sei überhaupt nicht tot, die Geschichte von ihrer Ermordung sei gezielte Falschinformation, um die Spur zu löschen. So, sie hat's geschafft, wie? Die alte När­rin hat sich erinnert!«

»Und das Kind?« fragte Smiley. »Das Mädchen, das Ebenbild der Mutter? Es gab Aussagen eines Überläufers - worum ging es da?«

Sie zögerte nicht. Auch daran hatte sie sich erinnert, ihr Denken raste vor ihr her, so wie ihre Stimme dem Atem davonlief. Irgendein Dozent der Universität Leningrad, sagte Connie. Be­hauptete, man habe ihm befohlen, einem geheimnisvollen Mäd­chen abends Nachhilfestunden in Politik zu erteilen - einer Art Privatpatientin, die anti-sozialistische Symptome zeige, Tochter eines hohen Funktionärs . . . Tatjana, er kannte sie nur als Tatjana. Sie hatte in der ganzen Stadt Krakeel gemacht, aber ihr Va­ter war ein großes Tier in Moskau, und sie war tabu. Das Mäd­chen versuchte, ihn zu verführen, tat es vermutlich, dann er­zählte sie ihm eine Geschichte, wie Daddy ihre Mammi killte, weil sie mangelndes Vertrauen in den historischen Prozeß be­wies. Anderntags ließ sein Ordinarius ihn kommen und sagte, wenn er jemals ein Wort dieses Gesprächs verlauten lasse, so werde er auf einer sehr großen Bananenschale ausrutschen . . . Connie war nicht mehr zu bremsen, sie zitierte Hinweise, die im Sand verlaufen, Quellen, die im Augenblick der Entdeckung versickert waren. Unglaublich, daß ihr zerrütteter und vom Trinken entstellter Körper noch einmal soviel Kraft aufzubieten vermochte.

»O George, Darling, nehmen Sie mich mit! Ja, das haben Sie vor, jetzt weiß ich's. Wer tötete Wladimir und warum! Hab's Ihrem häßlichen Gesicht angesehen, schon als Sie hereinkamen. Kam nicht gleich drauf, jetzt weiß ich's. Sie haben Ihr Karla-Gesicht! Wladi hat die Ader wieder angezapft, deshalb ließ Karla ihn tö­ten! Das ist Ihr Banner, George. Ich sehe Sie marschieren. Neh­men Sie mich mit, George, ich flehe Sie an! Ich verlasse Hils, ich verlasse alles, keinen Tropfen mehr, ich schwöre. Bringen Sie mich nach London, und ich finde Ihnen sein Traumweib, auch wenn es gar nicht existiert, auch wenn es das Letzte ist, was ich tue!«

»Warum nannte Wladimir ihn den Sandmann?« fragte Smiley, obwohl er die Antwort bereits kannte.

»Es war ein Scherz. Ein Märchen, das Wladi in Estland von ei­nem seiner nordischen Vorfahren gehört hatte. Karla ist unser Sandmann. Jeder, der ihm zu nahe kommt, fällt in einen beson­ders tiefen Schlaf. Wir wußten es nie genau, Darling, wie wäre das möglich gewesen? In der Lubjanka hatte jemand einen Mann kennengelernt, der eine Frau kannte, die sie gekannt hatte. Ein anderer kannte jemanden, der mithalf, sie zu begraben. Dieses Weib war Karlas Heiligtum. Und sie betrog ihn. Zwillingsstäd­te, so nannten wir ihn und Sie, zwei Hälften vom selben Apfel. George, Darling, nicht! Bitte!«

Sie hatte zu sprechen aufgehört, und er sah, daß sie angstvoll zu ihm hinaufstarrte, daß ihr Gesicht ein Stück unterhalb des seinen war; er stand und starrte wild auf sie hinab.

Hilary war an die Wand zurückgewichen und rief: »Halt, halt!« Er stand dicht vor der sitzenden Connie, wutentbrannt über ih­ren billigen und ungerechten Vergleich, er wußte, daß er weder Karlas Methoden noch Karlas Machtanspruch teilte. Er hörte sich sagen: »Nein. Connie!« und entdeckte, daß er beide Hände auf Brusthöhe gehoben hatte, steif ausgestreckt und Handflä­chen nach unten, als drücke er etwas mit aller Kraft in die Erde. Und er begriff, daß seine Leidenschaftlichkeit sie erschreckt, daß er ihr gegenüber noch nie soviel von seiner Überzeugung - oder von seinen Gefühlen - enthüllt hatte.

»Ich werde alt«, murmelte er und lächelte schüchtern. Als er sich beruhigte, wurde auch ihr Körper langsam wieder schlaff, und der Traum in ihr starb. Die Hände, die ihn noch vor ein paar Se­kunden umklammert hatten, lagen in ihrem Schoß wie zwei tote Soldaten in einem Schützengraben.

»Es war lauter Quatsch«, sagte sie verdrießlich. Tiefe und endgültige Apathie ergriff von ihr Besitz. »Gelangweilte Emi­granten, die in ihren Wodka flennen. Geben Sie's auf, George. Karla hat Sie auf der ganzen Linie geschlagen. Er hat Sie zum besten gehalten, hat Ihnen Ihre Zeit gestohlen . . . Unsere Zeit.«

Sie trank, es war ihr jetzt egal, was sie sagte. Ihr Kopf baumelte wieder nach vorn, und einen Augenblick lang glaubte er, sie sei wirklich eingeschlafen. »Er hat Sie zum besten gehalten, er hat mich zum besten gehalten, und als Sie Lunte rochen, brachte er Bill dazu, Ann zum besten zu halten, damit Sie die Witterung verloren.« Mit Mühe hob sie den Kopf, um ihn noch einmal an­zustarren. »Gehen Sie heim, George. Karla gibt Ihnen Ihre Ver­gangenheit nicht zurück. Machen Sie's, wie die alte Närrin hier. Leisten Sie sich ein bißchen Liebe, und warten Sie bis der Vor­hang fällt.«

Sie fing wieder an zu husten, hoffnungslos, einen harten, wür­genden Stoß nach dem anderen.


Der Regen hatte aufgehört. Als Smiley durch die französischen Fenster blickte, sah er wieder das Mondlicht auf den Käfigen lie­gen, die bereiften Drahtgitter streifen, er sah die weiß-glänzen­den Baumwipfel hügelan in einen schwarzen Himmel aufsteigen; er sah eine verkehrte Welt, in der alles Helle zu Schatten verdun­kelt war, und alles Dunkle wie Leuchtzeichen aus dem weißen Grund stach. Er sah einen jähen Mond aus den Wolken treten, dessen Strahl ihn in einen Abgrund locken wollte.

Er sah eine schwarze Gestalt mit Gummistiefeln und Kopftuch den Weg entlanglaufen und erkannte, daß es Hilary war; sie mußte, von ihm unbemerkt, hinausgeschlüpft sein. Er entsann sich, daß er eine Tür hatte zufallen hören. Er ging wieder zu Connie und setzte sich neben sie, auf das Sofa. Connie weinte und redete wirres Zeug, sprach von Liebe. Die Liebe ist eine ab­solute Macht, sagte sie vage - fragen Sie Hils. Aber Hilary war nicht da, er konnte sie nicht fragen. Die Liebe sei ein Stein, den man ins Wasser wirft, und wenn es genügend Steine gäbe und wir alle zusammen liebten, so würden eines Tages die Wellenkreise stark genug sein, um über das Meer zu reichen und die Hasser und Zyniker zu ertränken - »sogar diesen Schuft Karla, Dar­ling«, versicherte sie ihm. »Das sagt Hils immer. Quatsch, wie? Es ist Quatsch, Hils!« kreischte sie.

Dann schloß Connie die Augen aufs neue, und nach einer Weile schien sie, nach ihrem Atmen zu schließen, einzudösen. Oder vielleicht tat sie nur so, um die Qual des Abschieds zu vermei­den. Auf Zehenspitzen trat Smiley in die kalte Nacht hinaus. Der Motor seines Wagens sprang wunderbarerweise an; Smiley fuhr langsam den Weg hinauf und hielt dabei nach Hilary Ausschau. Er bog um eine Kurve und sah sie im Scheinwerferlicht. Sie kau­erte unter den Bäumen, wartete, daß er verschwinde, ehe sie wieder zu Connie zurückging. Wieder hatte sie die Hände vors Gesicht geschlagen, und er glaubte, Blut zu sehen; vielleicht hatte sie sich mit den Fingernägeln zerkratzt. Er fuhr vorbei und sah sie im Autorückspiegel, wie sie ihm im Rot seiner Rücklich­ter nachstarrte, und einen Augenblick lang verkörperte sie für ihn alle jene schlammigen Gespenster, die wahren Opfer der Konflikte: die aus dem Rauch des Krieges taumeln, verschmutzt und verhungert und um alles gebracht, was sie je besaßen. Er wartete, bis er sie wieder hügelabwärts laufen sah, auf die Lichter der Datscha zu.

Ich habe mein eigenes Gedächtnis konsultiert, dachte er, und vorgegeben, ich konsultierte das ihre.

Am Flughafen Heathrow kaufte er sein Ticket für den nächsten Morgen, dann lag er auf seinem Hotelbett - und für ihn war es das gleiche wie damals, obwohl die Wände kein Schottenmuster hatten. Das Hotel blieb die ganze Nacht über wach und Smiley mit ihm. Er hörte das Tosen der Wasserleitungen, das Klingeln der Telefone und das Gebumse von Liebespaaren, die nicht schlafen wollten oder konnten.

Max, hören Sie uns noch ein einziges Mal an - klang es ihm in den Ohren -, der Sandmann persönlich hat Kirow zu den Emigran­ten geschickt, um die Legende zu suchen.

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