Meridion

Meridion setzte sich an den Zeit-Editor und fing an zu arbeiten. Er justierte die Linsen und überprüfte die Spulen aus aufgewickelten durchsichtigen Streifen unterschiedlicher Stärke – vom dicken, klaren Film der Vergangenheit bis hin zu den hauchdünnen, matten Fasern der Zukunft. Nachdem er die feinen Werkzeuge noch schnell sauber gewischt hatte, wickelte er den Film der Vergangenheitsspule ein Stück ab, führte das Ende durch die Maske der Maschine und klemmte es unter die Linse. Vorsichtig zupfte er die einzelnen Zeitspuren auseinander und arbeitete sich durch Jahrhunderte und Jahre bis zurück zu den Tagen und Augenblicken, bis er schließlich genau den Eintrittspunkt isoliert hatte, den er brauchte.

Er lächelte in sich hinein, als er den Jungen sah, der unbeaufsichtigt und mit selbstsicherem Schritt über den Waldweg stolzierte. Eine solche Art zu gehen bekam man heutzutage nicht mehr zu Gesicht, ebenso wenig wie das helle, frische Drumherum, diesen strahlenden Sommermorgen, der gepriesen sein wollte, wenngleich der Junge mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein schien.

Meridion hielt das Bild an.

Von der prismatisch schimmernden Scheibe, die neben dem Editor in der Luft schwebte, nahm er nun ein kleines Gefäß: eine Phiole aus pechschwarzem Stein. Als er den Korken zog, fuhr Meridion unwillkürlich zusammen. Immer wieder überraschte es ihn, wie beißend der Geruch war, der dem Gefäß entströmte. Tränen stiegen ihm in die Augen; er versuchte, sie wegzublinzeln, weil er sich scheute, die Hände zu Hilfe zu nehmen. Schließlich wusste er um das Risiko, falls die kostbare Flüssigkeit in dem Gefäß durch eine Träne verwässert würde oder gar ein Tropfen, und sei er noch so klein, davon verloren ginge.

Als er wieder klar sehen konnte, langte er nach dem haarfeinen Pinsel, holte damit ein winziges Perlchen schimmernder Flüssigkeit aus der Phiole und tupfte es ganz vorsichtig in die Augen des Jungen auf dem erstarrten Bild. Dann überzeugte er sich davon, dass die wässrige Lösung beide Augen ganz und gar benetzte, von der saphirblauen Regenbogenhaut bis in die Lidwinkel. Die Fenster der Gelegenheit würden klein sein und zeitlich begrenzt. Darum war es wichtig, dass der Junge die Chance hatte, mit scharfem, schnellem Blick die Dinge zu erfassen, auf die es ankam. Als Meridion fertig war, stopfte er den Korken wieder auf die Phiole und stellte sie zurück auf die schillernde Scheibe. Nun nahm er die Spule aus dem Zeit-Editor und ersetzte sie durch eine zweite, eine andere Vergangenheit, die noch weiter zurücklag. Aus Rücksicht auf ihr hohes Alter und des Ortes wegen, von dem sie stammte – und der längst überflutet war –, rollte er den Streifen noch sorgfältiger ab. Entsprechend lange dauerte die Suche nach der richtigen Stelle. Doch Meridion war geduldig. Er durfte sich keinen Fehler erlauben. Es hing allzu viel davon ab, dass er diese Arbeit richtig machte. Als er schließlich die gesuchte Stelle gefunden hatte, hielt er das Bild wieder an und griff nach einem anderen Werkzeug. Mit geübter Hand setzte er zu einem glatten, runden Schnitt an, trennte das Bild aus dem Streifen, fügte es vorsichtig an das andere und warf dann einen prüfenden Blick durch die Linse.

Der Junge hatte nicht, wie erwartet, die Besinnung verloren; statt bäuchlings und zuckend auf dem Boden zu liegen und die Hände an die Schläfen zu pressen, wischte er sich hektisch die Augen. Meridion schmunzelte, wenngleich er Mitleid mit dem Jungen hatte. Dass er dagegen ankämpft, hätte ich mir denken können, dachte er. Er lehnte sich zurück, drehte, um sich das Ergebnis seiner Arbeit anzusehen, den Sichtschirm zur Wand und wartete auf die Begegnung. Und auf den Ausgang.

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