31

Aus ihren Gesprächen mit Stephen Navarne hatten die drei schlussfolgern können, dass sie fast auf den Tag genau zu Winteranfang der Wurzel entstiegen waren.

Im westlichen Roland setzten zu diesem Zeitpunkt in aller Regelmäßigkeit heftige Schneefälle ein. Im Verlauf der ersten beiden Monate herrschte dann zumeist ein sehr unbeständiges Wetter bei durchweg milderen Temperaturen; mal taute, mal stürmte es. Anschließend kehrte der Winter in aller Härte zurück und dauerte über die zweite Hälfte unvermindert an. Ihren Berechnungen nach nährten sie sich dem Ende der Tauperiode. Bald würde sich wieder der Winter durchsetzen.

Doch noch war davon nichts zu spüren, als sie von Haguefort aufbrachen und den von Stephen beschriebenen Weg einschlugen, der zum Haus der Erinnerung führte. Der Tag war kühl und klar. Die helle Sonne brannte ihnen in den Augen, und von den Ästen der Bäume tropfte nasser Schnee. Den Firbolg stand anfangs nicht der Sinn danach, das Haus aufzusuchen. Als sie aber hörten, dass es der erste militärische Vorposten der Einwanderer der Ersten Flotte war, änderten sie ihre Meinung. Achmed hoffte, anhand der Architektur und Ausstattung des Forts Aufschluss darüber gewinnen zu können, welche Verhältnisse die Cymrer zum Zeitpunkt ihrer Landung angetroffen hatten.

»Was haben wir davon?«, fragte Rhapsody verdrießlich. Sie hatte die Trennung von den Kindern noch nicht verwundern.

»Vielleicht erfahren wir dort, was ihnen, wenn überhaupt, im Kielwasser gefolgt ist«, antwortete Achmed.

Die Sängerin blieb plötzlich stehen und hielt ihn am Ellbogen zurück. »Was soll das heißen? Du glaubst, dass ihnen jemand gefolgt ist?«

Achmed schaute ihr ins Gesicht. Seine Miene war ungerührt. »Nach der Geschichte über Stephens toten Freund halte ich das für durchaus möglich.«

Rhapsody sah sich um. Der stille Wald, der bislang so friedlich auf sie gewirkt hatte, machte ihr plötzlich Angst. Sie schaute zurück auf die Gefährten, die sie mit fragenden Blicken bedachten.

»Was ist los, Gräfin? Stimmt was nich?«

Sie holte tief Luft. »Kann es sein, dass Stephens Freund gar nicht tot ist?«

Die beiden Firbolg zwinkerten mit den Augen. »Möglich ist alles, aber das wäre dann doch sehr unwahrscheinlich«, entgegnete Achmed. »Wie kommst du darauf? Habe ich irgendeinen Hinweis überhört?«

»Nein«, antwortete sie. »Ich habe da nur so ein unbestimmtes Gefühl: Mir ist, als wäre ein Teil von ihm noch am Leben. Ich kann’s mir selbst nicht erklären.«

»Deine Gefühle in allen Ehren; du hast ja auch schon gewisse hellseherische Fähigkeiten unter Beweis gestellt. Aber ich gehe davon aus, dass Stephen und auch Khaddyr erfahren genug sind, um den Tod eines Mannes mit Bestimmtheit feststellen zu können.«

»Zugegeben«, sagte sie und setzte sich wieder in Bewegung. Manchmal kam es ihr vor, als wäre sie ein ganzes Leben lang ununterbrochen auf Reisen, von einer Etappe zur nächsten. In gewisser Weise war dieses neue Land, dieser tiefe, stille Wald, nichts anderes als die Wurzel in veränderter Gestalt. Die Sterne am Himmel schienen in greifbarer Nähe zu sein. Freudig langte sie mit den Händen danach aus.

Der hellste Stern zitterte, als fröstelte ihm vor Kälte. Plötzlich fiel ein Stern nach dem anderen auf die Erde hernieder, nicht etwa rasend schnell, sondern langsam, als schwebten sie wie kleine Schneeflocken in der milden Luft.

Fang sie auf! Halt sie fest.

Der Wind strich flüsternd über ihre geöffneten Hände, und prickelnd wie Funken landeten die winzigen Sterne auf ihrer Haut. Sie schloss die Finger darüber.

Ich hab sie. Ich hob siel

Strahlender Glanz pulsierte zwischen den Fingern. Die Haut glühte, und Rhapsody fühlte sich von einem tiefen Glücksgefühl durchdrungen.

Doch mit einem Male verlosch das Licht. Sie öffnete die schmerzenden Hände, in deren Haut sich kleine schwarze Löcher hineingebrannt hatten.

Nein, gütiger Himmel, nein!

Ein Lichtschimmer unter ihr. Bewegte Wasseroberfläche. Aus einem kreisrunden, dunklen Spalt funkelten ihr die Sterne entgegen. Das Zischen ausbrennender Glut im Wasserlauf. Dann wieder Dunkelheit.

Schluchzend wachte Rhapsody mitten in der Nacht auf, geweckt von einem alten Traum aus trauriger Zeit. Sie hatte ihn fast schon vergessen. Warum ausgerechnet jetzt?, dachte sie benommen, wälzte sich auf den Bauch und vergrub ihr Gesicht in der Decke.

Einen Augenblick später spürte sie eine klobige Hand über ihr Haar streichen, erstaunlich sanft, so groß, wie sie war.

»Euer Liebden? Bist du wach?«

Sie nickte, ohne den Kopf zu heben, und hoffte, Grunthor würde sich beruhigt wieder hinlegen und weiterschlafen wollen.

»Ich hab hier was für dich. Sieh mal.«

Rhapsody ließ ein müdes Seufzen verlauten, hob das tränennasse Gesicht und blickte auf. So gewöhnungsbedürftig es auch gewesen war, jetzt wirkte sein Grinsen unwiderstehlich und ansteckend auf sie. Sie lächelte matt.

»Tut mir Leid, Grunthor.«

Er schnaubte. »Dir muss doch nichts Leid tun. Gib mir deine Hand. Komm, ich helf dir auf.«

Widerwillig ließ sie es geschehen, dass Grunthor sie zum Sitzen hochhievte, wollte sie doch viel lieber in Ruhe gelassen werden. Sie fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und strich sie aus dem Gesicht, als der Riese ihr etwas in den Schoß legte.

Es war ein harter, eigentümlich geformter Gegenstand mit einer Oberfläche so glatt wie Seide. Sie nahm ihn zur Hand und sah, dass es sich um eine Muschelschale handelte.

»Es heißt, dass so was singen kann, aber ich hör nichts. Für mich ist das Ding einfach nur hohl. Vielleicht kannst du was damit anfangen. Halt’s mal ans Ohr.«

»Woher hast du das?«, fragte Rhapsody und musterte die Schale mit staunenden Blicken.

Der riesige Bolg lehnte sich zurück. »Aus dem Meer. Es hat im Sand gesteckt, zwischen den Schiffswracks, von denen wir dir erzählt ham. Ich dachte, das Ding könnte dir gefallen und gut tun, wenn du wieder mal schlecht träumst.«

Wieder traten ihr Tränen in die Augen. »Du bist der beste Bolg, den’s je gegeben hat.«

Du bist das wundervollste Mädchen auf der ganzen Welt.

»Keine Frage«, antwortete Grunthor mit gespielter Selbstgefälligkeit. Rhapsody lachte und zwinkerte die Tränen aus den Augen. »Leg dich wieder hin und halt die Muschel an’s Ohr. Vielleicht singt sie dich in den Schlaf.«

»Vielen Dank. Das will ich tun. Gute Nacht.«

»Gute Nacht. Ich würde dir ja gern angenehme Träume wünschen, aber...«

Lachend legte sich Rhapsody auf die Decke zurück und lauschte dem Rauschen aus der Muschel. Bald träumte sie von der Meeresbrandung und schreienden Möwen, und in der Ferne tauchten die Umrisse eines lang gezogenen, dunklen Spalts auf, darin die Pupille eines einzelnen Schlangenauges. Nach drei Tagen trafen sie auf eine Reihe von Hinweisen, die Stephen ihnen in seiner Wegbeschreibung geschildert hatte und die bestätigten, dass sie sich immer noch auf dem richtigen Weg befanden. Die Landschaft hatte einen etwas anderen Charakter angenommen und schien noch weniger bevölkert oder bereist zu sein als die Gebiete, durch die sie gekommen waren.

Der alte Wald machte jungen Bäumen Platz. Pappeln, Fichten und Birken verdrängten die knorrigen Eichen, Eschen und Ahornbäume. Die Schneeflecken und die silbrig helle Rinde der Birken gaben der Szene einen unheimlichen Anstrich.

Der über Nacht gefrierende Schnee bildete eine glänzende Eiskruste aus, die unter den Schritten von Rhapsody und Grunthor knirschend zerbarst. Achmed dagegen verstand es auch hier, sich völlig lautlos zu bewegen. Je weiter sie auf ihrem Weg voranschritten, desto kälter wurde es. Das Tauwetter hatte die Landschaft, die sie jetzt durchwanderten, allem Anschein nach noch nicht erreicht. Rhapsody pfiff ein Lied im Rhythmus ihrer Schritte vor sich hin. Auf den Schwingen eines frischen Windes war die Morgendämmerung aufgezogen, und sie half mit ihrer Melodie nach, das Dunkel am bewölkten Himmel zu vertreiben.

Der Kontrast zwischen der weißen Schneedecke und den dunklen Bäumen war von unheimlicher Schönheit, die etwas zu verbergen schien. Rhapsody bereute es, die beiden Freunde nach Gwydion gefragt zu haben. Deren übertriebene Vorsicht überschattete den ansonsten friedlichen und angenehmen Marsch.

Dann und wann kam es vor, dass Grunthor den Schritt verlangsamte, sich nach allen Seiten hin umschaute und die Ohren spitzte, als hätte er in der Ferne ein Geräusch vernommen. Mit Blick auf Achmed, der ebenfalls angestrengt lauschte, zuckte er dann mit den Schultern und fiel seufzend in das alte Marschtempo zurück. Sooft er auf diese Weise innehielt, hörte Rhapsody zu pfeifen auf, und wenn sie das Lied dann fortsetzte, wurde es von Mal zu Mal düsterer im Ton und langsamer im Tempo. Plötzlich blieb Grunthor wie angewurzelt stehen und spähte geradeaus.

»Da stimmt was nich.«

»Was soll das heißen?«, fragte Rhapsody. Schon hatte Achmed seine Cwellan angelegt.

Der Riese schaute blinzelnd zur Sonne empor. »Das weiß ich auch nich, aber irgendwas is nicht in Ordnung. Das hab ich im Gefühl, und der Verdacht wird stärker, je weiter wir vorrücken.« Er nickte nach vorn. Die beiden anderen folgten seinem Blick.

»Was hörst du? Menschen? Tiere?« Achmed warf einen Blick über die Schulter zurück.

»Wenn ich das wüsste«, antwortete Grunthor. »Es ist, als war dem Boden unter unseren Füßen schlecht geworden.«

Rhapsody hob den Arm und fuhr dem Riesen mit der Hand über die Stirn. Die war heiß und schweißnass. »Dem Waldboden fehlt nichts. Du bist es, der krank ist.«

»Das eine schließt das andere nicht aus«, sagte Achmed und fuhr auf dem Absatz herum. Er lauschte in die Stille des Waldes. »Grunthor steht in Verbindung mit der Erde. Erinnerst du dich nicht? Und wenn da etwas ist, das dem Boden nicht bekommt, wird es ihm als Erstem auffallen. Halt deine Stahlfackel in Bereitschaft.«

Rhapsody nickte und griff nach dem Schwert, ließ es aber noch in der Scheide stecken. Grunthor hob das Stangenbeil, das er in der Hand hielt.

Achmed machte die Augen zu und konzentrierte sich, richtete seine Gedanken auf den Weg so wie einst auf seine lebendigen Ziele. Und tatsächlich tauchte vor seinem inneren Auge ein Bild auf: Er sah sich selbst und seine beiden Gefährten aus luftiger Höhe.

Der Pfad, auf dem sie standen, verlor sich im schattigen Dickicht des Waldes. Wie schon damals auf der Wurzel rief er die im Bauch der Erde erworbenen Künste auf, und sein hellsichtiger Blick raste so schnell dahin wie ein Geschoss seiner Cwellan. Unter ihm verwischten die Bäume zu einem gestreiften Dunkelgrün.

In Schwindel erregendem Tempo folgte sein zweites Gesicht jeder Biegung des Weges, tauchte unter umgestürzten Bäumen hinweg. Plötzlich geriet eine Lichtung ins Blickfeld, an deren Rand eine Festung mit Turm zu erkennen war. Zu beiden Seiten der Pforte stand ein schwer bewaffneter und gut gerüsteter Wachposten. Das Bild, das sich seinem zweiten Gesicht auf diese Weise bot, nahm plötzlich eine rote Tönung an, und die Wachen lösten sich in Schatten auf.

Achmed spürte sein Herz schneller schlagen, um mit einem anderen Schritt zu halten; er hörte das eigene Blut in den Ohren rauschen und dazu den Rhythmus eines fremden Pulsschlags.

Er kannte dieses Gefühl seit seiner Kindheit, und er hatte schon Gebrauch davon gemacht, lange bevor ihm sein Name genommen worden war. Die Blutsverwandtschaft, die er auf der Wurzel beim Gang durch das Feuer verloren hatte, hatte sich erneuert. Sie war zwar nicht dieselbe, aber doch ganz ähnlich. Als das Bild vor seinem inneren Auge in dunklem Rot ertrank, das seine Sinne überflutete, stieg eine Angst in ihm auf, die so schrecklich war, dass sich ihm der Magen verknotete. Grunthor hatte Recht. Was sich dort hinter der Pforte verbarg, war böse, verteufelt. Es kostete ihn enorm viel Anstrengung, den visionären Blick zu lösen und wieder zu Sinnen zu kommen. Ganz plötzlich verlor er das Gleichgewicht, stolperte und spürte, wie ihm die Galle hochstieg. Er knickte in den Knien ein und übergab sich.

. Sofort war Rhapsody zur Stelle und hielt ihn bei den Schultern gepackt. Entsetzt musste sie mit ansehen, wie er einen Schwall Blut in den Schnee erbrach. Achmed würgte und keuchte und versuchte, die Vision restlos von sich abzuschütteln. Schließlich blickte er auf das besorgte Gesicht der Sängerin.

»Geht’s wieder?«

»Ich werd’s überleben«, sagte er und schluckte.

»Was ist passiert? Was hast du gesehen?«

»Nun, die Richtung stimmt; wir sind dem Haus schon ziemlich nahe gekommen. Und Grunthor hat offenbar Recht: An diesem Haus ist irgendetwas schrecklich faul.« Achmed ergriff Grunthors ausgestreckte Hand und zog sich hoch. Dann beugte er den Rumpf, atmete tief durch und richtete sich schließlich langsam auf. »Auf dem Weg selbst lauert keine Gefahr. Aber als ich das Haus sah, hat sich mein Blick blutrot eingetrübt. Und ich spürte diesen Pulsschlag, genau so, wie es früher auf der Insel der Fall war.«

»Hast du nicht gesagt, dass deine Verbindung zum Blut verloren gegangen ist?«, fragte Rhapsody.

»Ja, und so war es auch. Im Übrigen ist es diesmal nicht dasselbe gewesen.«

»Vielleicht hast du hier in der neuen Welt ’n andern Blutskontakt und Durchblick«, meinte Grunthor.

»In der neuen Welt dürfte ich eigentlich überhaupt nichts durch das Blut wahrnehmen. Hast du je erlebt, dass ich mich übergeben musste?«

Der Sergeant schüttelte den Kopf. Ein eisiger Windstoß warf den dreien einen Schwung pulverfeiner Schneekristalle entgegen. Die beiden Freunde zittern und kränkeln zu sehen machte Rhapsody Angst. Sie holte ein paarmal tief Luft in der Hoffnung, das heftig pochende Herz zu beruhigen. Im Grunde aber wusste sie, dass an dem alten Haus kein Weg vorbeiführte.

»Vielleicht sehen wir klarer, wenn wir uns ein Stück weiter vorgewagt haben«, sagte sie. Grunthor wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Warum sollten wir? Ich will nich kneifen, bin aber auch nich gerade versessen drauf, in Schwierigkeiten zu geraten.«

»Sie hat Recht«, sagte Achmed und fuhr sich mit zittriger Hand durch das wirre Haar.

»Hör ich richtig?«, staunte Rhapsody. »Du gibst mir Recht?«

»Lass es dir nicht zu Kopf steigen«, entgegnete Achmed. »Wir müssen herauszufinden versuchen, warum mir meine alte Gabe wieder zugefallen ist und was auch dir, Grunthor, so aufs Gemüt schlägt. Hoffen wir, dass kein altes Problem dahinter steckt, das uns hier in der neuen Welt noch nachhängt. Wie dem auch sei, wenn wir sicher sein wollen, bleibt uns nichts anderes übrig, als Nachforschungen anzustellen.«

Rhapsody stöberte in ihrem Gepäck. »Ich habe ein paar Wintergrünblätter. Die helfen bei Magenbeschwerden. Und wenn ihr euch noch ein bisschen gedulden könnt, habe ich gleich zwei feuchte Tücher parat, mit denen ihr euch dann die Stirn abwischen könnt.« Sie breitete zwei kleine, quadratische Taschentücher vor sich aus, drückte sie mit den Händen in den Schnee und konzentrierte sich auf ihr inneres Feuer. Wenige Augenblicke später waren die Tücher von Schmelzwasser durchfeuchtet.

Obwohl er merklich unter Schmerzen litt, rang sich Achmed ein Lächeln ab. »Wie ich sehe, verstehst du dich auf deine Künste immer besser«, meinte er. »Ehrlich gesagt habe ich daran auch nie gezweifelt.«

Rhapsody beantwortete sein Lächeln und reichte ihm ein Blatt Wintergrün. »Lutsch daran, dann geht’s dir bald schon besser. Aber lass es dir nicht zu Kopf steigen.«

»Also los, gehn wir weiter«, drängte Grunthor und wischte sich mit dem Tuch Stirn und Wangen ab.

»Am Tor stehen zwei Wachen, um die wir uns kümmern müssen«, fügte Achmed hinzu.

»Augenblick, was soll das heißen?«, fragte Rhapsody nervös. Grunthor und Achmed musterten sie mit verwunderten Blicken. »Und wenn sie nichts Schlimmes auf dem Kerbholz haben?« Immer noch starrten die beiden sie an. »Wir können doch nicht einfach unschuldige Männer töten, nur weil sie uns im Weg stehen.«

»Tja, meine Liebe, das hat uns eigentlich noch nie ...«, hob Grunthor an, brach aber, durch einen flüchtigen Blick von Achmed zurechtgewiesen, mitten im Satz ab.

»Hör zu«, sagte Achmed ungeduldig, »der Herzog hat dir allem Anschein nach gut gefallen. Von zwei bewaffneten Männern, die vor dem Haus Wache stehen, hat er nichts gesagt, oder?«

»Nein.« Die Hand, die das Heft des Schwertes umklammert hielt, fing an zu zittern.

»Und was verrät uns das?«

»Nichts«, beeilte sie sich zu antworten. »Es könnte doch sein, dass die beiden Wachen in den Diensten irgendeiner Herrschaft stehen, die dort nur zu Besuch ist, so wie wir. Willst du etwa, dass man wieder Jagd auf uns macht?«

Achmed knurrte verärgert. »Was schlägst du also vor, du kluges Mädchen?«

»Wir können mit ihnen reden.«

Grunthor öffnete den Mund, um Widerspruch zu erheben, doch Achmed wiegelte ab.

Er musterte sie und schaute ihr dann in die Augen, die so grün wie das Laub der immergrünen Bäume waren und so leuchtend hell wie Eiskristalle. Der rosenrote Mund zeigte sich entschlossen, doch verrieten die Falten auf der Stirn ernste Besorgnis. Um diesen Ausdruck bereichert, wirkte ihr ohnehin bezaubernd schönes Gesicht geradezu faszinierend.

»Wärst du bereit, das Reden zu übernehmen?«, fragte er schließlich. »Wenn wir, Grunthor und ich, an Türen klopfen, ist uns meist kein freundlicher Empfang beschieden.«

»Ja, das will ich gern tun.«

Der Dhrakier richtete seinen Blick zurück auf Grunthor. Der war merklich ungehalten, sagte aber nichts.

»Na schön, versuchen wir’s auf deine Art«, murmelte Achmed. »Wir werden uns so lange versteckt halten und dir den Rücken decken.«

»So machen wir’s«, sagte sie.

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