Die zahlreichen Analytiker von Putins Talenten halten ihn für einen Gegner des Westens und Anhänger einer gewissen russischen »Eigenbezüglichkeit« sowie eines abgegrenzten, russischen Sonderwegs. Nichts ist seltsamer als eine solche Schlussfolgerung.
Eher noch war Jelzin ein Gegner des Westens, natürlich unbewusst: Eine Sammlung von Klischees und ideologischen Vorstellungen zu diesem Thema hatte er zusammen mit der Vorzugsmilch aus dem Spezialverteiler des ZK der Kommunistischen Partei eingesogen. Jelzin meinte, dass der Westen ihm verpflichtet sei, weil er die Hydra des Kommunismus höchstpersönlich zu Fall gebracht hatte. (In Wirklichkeit hatten sich die Köpfe der Hydra gemäß des Belkowski-Gesetzes, wonach in der Geschichte immer zur rechten Zeit das geschieht, was geschehen muss, vor Schreck gegenseitig aufgefressen. Aber Jelzin war nicht in der Lage, in derartigen Kategorien und so tiefschürfend zu denken. Immerhin war er früher Bauleiter gewesen und es geblieben, wenn auch in besonders großen Maßstäben.)
Jelzin hatte es fertiggebracht, das gesamte Kernwaffenarsenal der UdSSR in die Hände und unter Kontrolle des so gut wie demokratischen Russlands zu bringen, damit sie nicht an die schwer einschätzbaren kleinen Zaren fielen, deren Quasistaaten gerade mal den Windeln der historischen Nichtexistenz entschlüpft waren. Schließlich hatte der erste russische Präsident, indem er nicht nur seinen Ruf – dieses Wort war ihm schon immer recht schwülstig vorgekommen –, sondern auch seine Gesundheit aufs Spiel setzte, den Westen vor einer Revanche der stumpfsinnigen Menge unter der Führung aller möglicher Wahnsinniger bewahrt.
Jelzin erinnerte sich noch zu gut daran, wie am 19. und 20. August 1991 die führenden Demokratien der Welt, einschließlich der neu hinzugekommenen wie Tschechien und Ungarn, eine nach der anderen eilig die Legitimität des Staatlichen Komitees für außergewöhnliche Zwischenfälle der UdSSR anerkannten, weil sie grauenvolle Angst vor der immer noch zappelnden Supermacht hatten. Wie er sich selbst und der Menge überlassen gewesen war, die sein Weißes Haus, in dem damals die gesamte Macht Jelzins residierte, mit einer Menschenkette umringte. Was wäre denn gewesen, wenn der erste russische Präsident nicht auf den Panzer geklettert und seine Erlasse verkündet hätte, die alle Entscheidungen des Komitees für außergewöhnliche Zwischenfälle aufhoben?
Man hätte uns alle in Staub und Asche getreten. Uns – also auch mich, den 20-jährigen Systemprogrammierer, denn auch ich stand in jenen Tagen aufs Äußerste entsetzt am Weißen Haus. Und mich beherrschten dieselben Gefühle wie heute den Giganten Putin, der über ein Siebtel der Erde und einige anliegende Gewässer herrscht: Man kann weder gehen noch bleiben. So bizarr und eigentümlich sind manchmal die Koinzidenzen in der Geschichte zwischen den ganz Kleinen und den ganz Großen.
Nein, es war Jelzin, der die Sowjetunion zu Grabe getragen hat, wobei er in vielen Dingen gegen den Westen handelte, wenn auch in seinem Interesse. Deswegen hielt Jelzin in seinem Inneren noch eine offene Rechnung parat. Hatte er sich etwa mit Europa und Amerika beratschlagt, als er das Parlament im Oktober 1993 unter Beschuss stellte? Oder als er entschied, durch unverschämte Manipulationen 1996 auf dem Präsidentenposten zu bleiben? Oder als er am Terek Krieg führte, um dem im globalen Maßstab unbekannten Putin den Weg auf den Thron zu ebnen, auch wenn der Westen ihm deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass er Jewgeni Primakow auf dem Thron lassen sollte? Ja, Primakow war sowjetisch, ja, er war sozialistisch, aber im Gegensatz zu Putin schienen er und seine Motive durchschaubar.
Jelzin hatte nie jemanden um Rat gefragt, weder im eigenen Land noch außerhalb seiner Grenzen. Der ihm zum Dank verpflichtete Westen sollte alle seine Entscheidungen im Nachhinein akzeptieren. So dachte Jelzin und sprach es von Zeit zu Zeit auch aus. Und wenn wir von imperialen Komplexen reden, dann waren auch sie eher ihm zu eigen, dem Sprössling des Apparats einer Supermacht. Mit der einen Hand zog Jelzin die letzten russischen Streitkräfte aus Wünsdorf ab und zahlte dafür mit dem Gorbatschow-Wechsel. (Wer ist denn schuld? – Der Präsident der UdSSR Michail Gorbatschow ist schuld, so sieht es aus.)
Doch mit der anderen Hand sandte er 1999 während des Balkankriegs russische Fallschirmjäger nach Priština, ohne jemandem aus seinem Umfeld ein Wort zu sagen. Und Jelzins Ministerpräsident Primakow ließ am Tag des Luftangriffs der NATO-Truppen auf Belgrad (1999) sein Flugzeug über dem Atlantik umkehren, um seinen Amerikabesuch demonstrativ platzen zu lassen – in Abstimmung mit Präsident Jelzin selbstverständlich. Ohne derartige Absprachen unternehmen dinosaurierartige Veteranen wie Primakow nichts, darauf sind ihre Sinnesorgane nicht eingerichtet.
Putin kam mit einem ganz anderen Erscheinungsbild an die Macht, als »normaler Kerl«, der diesen sowjetisch-imperialen Affentanz schon lange satthatte, was ihn mit jenen verband, die ihn an die Macht brachten – die »Familie«, verschiedene Abramowitschs und so weiter. Putin wollte im Namen der regierenden Korporation, die sich in Russland zum 1. Januar 2000 herausgebildet hatte, zur euroatlantischen Welt Folgendes sagen:
Liebe euroatlantische Welt! Lass uns Folgendes vereinbaren. Zum innerstaatlichen Gebrauch und zur Beruhigung meines Volkes (ich kenne meines Volkes Geist, ihm ist des Zaren Leitbild heilig – Puschkin) werde ich erzählen, dass wir eine Art Supermacht sind und uns nach langer Zeit der erzwungenen Erniedrigung, die unter anderem wirtschaftliche Gründe hat, gerade von den Knien erheben. Nach außen jedoch werde ich wie euer Freund und Verbündeter handeln. Und ich will nichts weiter von euch, als dass ihr es mir mit der üblichen Gegenliebe vergeltet, menschlich und politisch. Nein, wir sind für euch zugegebenermaßen keine Konkurrenz mehr. Unsere Möglichkeiten sind erschöpft: militärisch, wirtschaftlich, territorial und auch menschlich. Aber zollt uns Achtung, und kommt uns dort entgegen, wo wir es tatsächlich nötig haben.
Diese Worte waren nicht nur an die G7-Staaten gerichtet, mit denen er das Kriegsbeil tief und für immer vergraben wollte, sondern auch an ihre Oberhäupter. Zu diesem Zeitpunkt konnte Putin Persönliches noch schwer von Politischem trennen und neigte zu der Überzeugung, dass der Charme seiner Werbung überall im Westen willkommen sei.
Die mir bekannten Journalisten des sogenannten »Präsidenten-Pools« (also der Gruppe, die das Staatsoberhaupt auf seinen offiziellen und seltener auch inoffiziellen Reisen begleitet) haben mir von Putins Auftreten bei dem Gipfeltreffen der APEC in Oakland (Neuseeland) im Jahr 2000 berichtet. Dort traf er mit dem leibhaftigen Bill Clinton zusammen und begriff sofort, dass er hier in einen Kreis von Menschen eingetreten war, denen eine besondere Götterspeise internationaler Beziehungen gereicht wurde, so perfekt wie der Himmel nach einem Gewitter. Er hatte Clinton persönlich begrüßt! Und sogar umarmt! Wahnsinn!
Bald darauf konnte er auf Gipfeltreffen der G8-Staaten ein ähnliches Verhältnis auch mit Jacques Chirac und besonders mit Gerhard Schröder herstellen, wobei Putin und Letzteren die deutsche Sprache verband. (Sein geliebter Silvio Berlusconi tauchte ein wenig später auf.) In Putins Wörterbuch der Diplomatie ging das Wort »Anständigkeit« ein. Nach Berichten von Augenzeugen, denen mit Schulterstücken und denen ohne, maß WWP seine Partner an dieser Kategorie. Er meinte, dass die Vertreter stabiler politischer Systeme und Institutionen, die schon lange ohne einschneidende Katastrophen auskommen, wie es die russischen Revolutionen und Perestroikas gewesen waren, die so gut riechen und erlesene Krawatten tragen, dass diese Vertreter Anständigkeit wie ein Gebot achten, weil sie über ein entsprechendes Gen verfügen. Die Geschichte zeigte dann, wie rührend Putins Irrtum war. Er war schon immer rührend gewesen, unser Held, und bewahrt sich diese Fähigkeit bis heute.
2000/2001 versenkte Russland die Raumfahrtstation Mir und schloss die Radaraufklärungsstationen auf Kuba und in Vietnam. Jelzin hatte sich nicht dazu entschließen können, und das nicht nur aufgrund seines Legitimitätsmangels im eigenen Lande.
Am 11. September 2001 war Putin der Erste (!), der den USA und Präsident Bush Junior sein Beileid hinsichtlich der Tragödie ausdrückte und seine Hilfe anbot. Als die USA beschlossen, dass an allem die afghanischen Taliban schuld seien (was bis heute nicht bewiesen ist!), die Osama bin Laden und El Kaida in Höhlen versteckten, öffnete Russland den Amerikanern voll und ganz den Korridor nach Afghanistan.
Es hatte den Anschein, als könne Putin mit seinen westlichen Kollegen eine gemeinsame und allgemein gebräuchliche Sprache finden, eine Sprache normaler Interessen, auch wenn die westlichen Politiker qua Geburt, Bildung oder Erziehung cooler waren als er. Daran lag es nicht. Die Politik, besonders die internationale Politik, zwingt einen manchmal, das Wort »Anständigkeit« zu vergessen.
Der erste Riss entstand 2003. Putin konnte drei Dinge beim besten Willen nicht verstehen:
•warum der Irak unbedingt Prügel beziehen musste, wenn es keinerlei Beweise für die Beteiligung Saddam Husseins an der Produktion von Massenvernichtungswaffen gab;
•warum man demonstrativ die Position nicht nur von Russland – na gut, wir sind die Kleinen –, sondern auch von Frankreich und Deutschland ignorierte;
•warum man sich nicht menschlich aufführen konnte und über den UNO-Sicherheitsrat agierte, statt gleich die Füße auf den Tisch zu legen.
Putin hatte also auf einmal die amerikanische politische Moral durchschaut: Russland & Co. sollten den USA alles geben, was sie hatten, doch was ihnen die USA gaben, war situationsabhängig, hing also davon ab, mit welchem Bein sie gerade aufgestanden waren. Von diesem Moment fing unser »normaler Kerl« an, sein Vorgehen ein wenig zu korrigieren. Nein, im Kern konnte er strategisch nichts verändern. Denn Putins Ziel war und blieb die Anerkennung Russlands, der russischen Elite und seiner selbst im Westen. Wenn also der moderne, erfolgreiche Russe nicht in Europa oder Amerika leben, arbeiten und Urlaub machen kann und seine Kinder dort nicht studieren dürfen, dann ist Putin gescheitert, vor allem als Mensch. Hinter den kilometerlangen Zäunen der soliden Datschas in geschützten Moskauer Vororten leben nur die kriminellen Anführer, die über das FBI gesucht werden oder aus einem anderen Grund keine Einreiseerlaubnis in alle westlichen Länder haben. Keiner kann besser als sie vom russischen Patriotismus erzählen und wie sie den Westen verachten. Aber nur sie, bitteschön.
Das heißt, strategisch war, ist und bleibt Putin ein Westler. Was aber seine Taktik anbelangt, tauchten neue Fragen, Zweifel und Bedenken auf. Diese Zweifel wurden durch die sogenannten »Blumenrevolutionen« im postsowjetischen Raum auf die Spitze getrieben. Die »Rosenrevolution« in Georgien (2003) hatte Russland noch übersehen. Erstens, weil man den gestürzten Eduard Schewardnadse nicht sonderlich schätzte, zweitens, weil Putin generell eine irrationale Abneigung gegenüber den Georgiern hegt, wofür seine schwierige Kindheit der Grund sein mag, wie wir weiter oben erläutert haben.
Selbst der Sturz von Adscharien im Mai 2004, das de facto unabhängig gewesen war, löste in Moskau keine übermäßige Erregung aus. Doch dann ging es auch in der Ukraine los, und das war für WWP weitaus wichtiger, und zwar nicht nur deshalb, weil es bereits Absprachen im wirtschaftlichen Bereich gab, zum Beispiel über die für Gazprom und andere russische Erdgasförderer lebenswichtige Übergabe des ukrainischen Pipelinesystems in einen Modus indirekter Kontrolle durch russische Wirtschaftsagenten, sondern auch aus persönlichen Gründen.
Ideologe und Architekt der Wahlkampagne in der Ukraine war der Leiter der Administration des damaligen Präsidenten Leonid Kutschma – Putins Vetter Viktor Medwedtschuk. An Kutschma, der schon nach 150 Zentilitern Wodka die Kontrolle über sich verlor, verschwendete Putin keine ernsthafte Aufmerksamkeit. Das war eher Jelzins Klientel – ewiges Besäufnis und Liedgesang in einer Mischsprache aus Ukrainisch und Russisch, die man Surschyk nennt. Ganz anders verhielt es sich mit Medwedtschuk, zumal völlig klar war, dass er, der ein gewitzter Bürokrat, studierter Rechtsanwalt und von seiner Mentalität her Geschäftsmann war, unter Präsident Viktor Janukowitsch, dem offiziellen Nachfolger von Kutschma, zum eigentlichen Herrscher des Landes werden würde. Damals hatten – im Gegensatz zu Putin und Medwedtschuk – noch nicht alle Einblick in das intellektuelle Niveau von Janukowitsch.
Auch wenn Putin die internationale »Anständigkeit« auf seiner Seite neu bewertet hatte, verstand er dennoch einige Aussagen der Weltpolitik nach wie vor allzu wörtlich. Wenn zum Beispiel Präsident Bush Junior versprach, dass die USA in keiner Weise den legitimen Sieger der Präsidentschaftswahlen in der Ukraine daran hindern würden, Präsident zu werden, hieß das für Putin, sie würden es nicht tun. Was hätte es hier noch zu deuteln geben können? Und dennoch hat sich zwischen den Zeilen das Wort »legitim« verloren, und das ist in Bushs Aussage das Schlüsselwort. Denn kaum hatte sich Janukowitsch zum Sieger des zweiten Wahlgangs erklärt (22. November 2004), wurde klar, dass alles ungesetzlich und gefälscht war.
Hunderttausende gingen auf die Straßen von Kiew, vor allem auf den zentralen Platz der Unabhängigkeit. Eine Revolution! Wohl hatte man versprochen, es werde keine geben, und man hatte auch nicht an sie geglaubt, aber nun war sie da. Das Zureden von Putins Beratern, es drohe eine Kältewelle und alles würde sich in Nichts auflösen, brachte nichts mehr: Es war klar, dass »unser« Janukowitsch im Begriff war zu verlieren. Und dann lud man in dieser Situation auch noch den jämmerlichen polnischen Präsidenten als Vermittler ein, den ehemaligen Komsomol-Mitarbeiter Aleksander Kwaśniewski, ohne auch nur im Traum an den russischen zu denken.
Putin glaubt jedoch nicht an die Zufälligkeit oder Spontaneität einer Revolution oder daran, dass alles von selbst geschieht unter dem Druck der erniedrigten, gebildeten Bürgerschaft. Sein Bewusstsein ist genauso konspirativ, wie es sich für einen (wenn auch glücklosen) Zögling der Geheimdienste ziemt, egal, um welche Geheimdienste es sich handelt. Wenn es eine Revolution gibt, dann muss eine dominante Macht dahinterstehen. Und eine solche Macht gibt es in der Welt heute nur eine – die USA. Man hatte ihn also erneut betrogen.
Dann stellte sich auch noch heraus, dass der überaus abstoßende Beresowski über Julia Timoschenko 38 Millionen Dollar auf dem Majdan verpulvert hatte – und nun es ging los. Die kirgisische »Tulpenrevolution« 2005 mit dem Sturz des stillen Akademiemitglieds und Alkoholikers Askar Akajew, die ebenfalls mit Geld aus Russland und von Beresowski realisiert wurde, konnte das Bild qualitativ kaum noch ändern. Tiefe Kränkung machte sich in Putins Herz breit.
Er erlebte sie auch in Kananaskis, wo er übrigens zum ersten Mal zugab, dass sich sein »Kopf sogar vor einer einzigen Fernsehkamera abschaltet« (und das hieß, WWP ist kein öffentlicher Politiker, er liebt die Macht nicht als öffentliche Funktion und findet seine PR-Verpflichtungen lästig). Und in Heiligendamm. Die Kränkung fand ihren Höhepunkt bei der Münchner Rede (2007), die viele Analytiker geradezu als Erklärung eines neuen kalten Krieges auffassten. Heilige Einfalt! Die Münchner Rede war nur eine Anklage gegen Onkelchen Westen wegen dessen Ungerechtigkeiten. Wir legen euch unsere Seele zu Füßen, sagte Putin, mit riesigen Investitionen, mit geopolitischen Zugeständnissen, die die Welt noch nicht gesehen hat, und ihr … benutzt sie als Fußabtreter, als müsse das so sein.
Hier hätte der Westen Putin an seine liebende Brust drücken und alle Missverständnisse ausräumen müssen. Aber das unterblieb aus zwei Gründen:
•Wegen der Trägheit im Denken der westlichen Eliten: Sie räsonieren immer noch in den Kategorien der 1970er- und 1980er-Jahre, und das auch noch auf dem Hintergrund einer gespensterhaften El Kaida, die sich ständig in irgendwelchen Höhlen versteckt. Aber da gibt es ja noch Russland, den traditionellen Feind – gewichtig, grob und klar erkennbar. Solange der kollektive Brzeziński am Leben ist, wird dieser längst ausgedörrte Zweig immer wieder künstliche Blüten tragen.
•Wegen der Trägheit im Denken der Wählerschaft, und auch sie ist der Demokratie geschuldet. Viele Wähler in demokratischen Ländern denken wie eh und je, Russland sei ein Feind. Deswegen können auch die Politiker nichts anderes sagen, auch wenn sie sich beim Lunch in der Familie oder bei Sport und Spiel keineswegs so äußern.
Putin als Verkörperung der lebenswichtigen Interessen der russischen Elite muss das tun, was er tun muss: mit dem Westen befreundet bleiben und sich mit ihm versöhnen.
Zur Rettung der Situation wurde 2008 der Nachfolger Dmitri Medwedew entsandt. Er sorgte für einen »Neustart«, der, egal, was verschiedene Widersacher behaupten, nicht ganz erfolglos war. Doch dann kam es wieder hart auf hart. 2011 kündigte sich eine weitere Revolution an, diesmal der »arabische Frühling«, und wieder bekam Putin die knochige Hand des Weltgendarms zu spüren, die von den beiden weiter oben beschriebenen Arten von Trägheit geführt wurde. In dieser Situation musste Dmitri Medwedew abberufen werden und Putin auf den Präsidentenposten zurückkehren. Denn im Falle der Fälle (wenn also der arabische Frühling ein wenig slawische Züge angenommen hätte), wäre Dmitri Medwedew mit der Situation nicht klargekommen.
Auch im derzeitigen aktuellen Drama von Syrien arbeitet der »Hauptfeind« des Westens Putin dem amerikanischen Präsidenten Obama zu, egal welche formale Rhetorik von allen Seiten ertönt. Ein Krieg gegen Syrien wurde nicht wegen Russland aufgeschoben, dessen Position allen egal ist, sondern wegen Obama, der sich nicht zu einem Schlag entschließen kann, weil es sowohl bei den amerikanischen Eliten als auch unter den Verbündeten an einem Konsens fehlt. Und in dieser Situation kam die Friedensmission des Kremls gerade recht.