Bereits im Jahr 2005 hat der Autor des vorliegenden Buches im einflussreichen russischen Internetmagazin Lenta.ru einen Artikel zu »Wladimir Putins Geschäft« veröffentlicht.
Damals neigte die Mehrheit der Beobachter in Russland und außerhalb seiner Grenzen zu der Ansicht, Putin sei Fleisch vom Fleische des KGB der UdSSR und Protegé eines gewissen Tschekistenclans. Die Namen der geheimnisvollen KGBler, die Putin angeblich auf die Höhen der russischen Föderationsmacht gehievt haben sollen, konnte niemand nennen. Aber schließlich sprach man ja auch von einem Geheimdienst.
Dementsprechend ging man davon aus, dass Putin nach der Logik eines neu aufgelegten KGB mit neuimperialistischer Tendenz handele. Putin habe vor allem die Wiederherstellung der Positionen des Staates im Blick: den Wiederaufbau des russisch-sowjetischen Imperiums, die Unterdrückung wirtschaftlichen Unternehmertums, insbesondere desjenigen mit gesellschaftlich-politischen Ambitionen, eine Neutralisierung von Privatinitiativen und so weiter.
Niemand dachte über Putin als einen großen Geschäftsmann nach. Ich war der Erste, der das tat. Was heute praktisch ein Gemeinplatz ist, klang damals geradezu wie Spott über die Realität.
Wenn man sich in seiner Analyse nicht auf Putins Rhetorik beschränkt, die immer einen konjunkturellen Charakter hat und sich qualitativ mehrmals am Tag ändern kann, sondern auch die tatsächliche Kreml-Politik betrachtet, kann man keinerlei geopolitische Ambitionen entdecken.
Eine der frühen, wichtigen Entscheidungen von Putin als Präsident war die Liquidierung der russischen Kriegsflotte auf den Stützpunkten von Lourdes (Kuba) und Kamran (Vietnam). Dafür führte der Präsident folgendes Motiv an: Der Staat habe keine Möglichkeiten, die unermessliche Miete zu zahlen – insgesamt ungefähr 500 Millionen Dollar pro Jahr (weniger als 4 Prozent der Summe, die Gazprom vor Kurzem den Aktionären von Sibneft bezahlt hat). Man kann eine solche Entscheidung aus wirtschaftlicher Sicht für gerechtfertigt halten, aber sie hat Russland als Seemacht zweifellos ernsthaft geschadet. Ein imperialistisch gesinntes Staatsoberhaupt, dem die geopolitische Rolle seines Landes am Herzen liegt, hätte sich wohl kaum zu einem derartigen Schritt entschlossen.
Während der Regierungsjahre von Wladimir Putin wurde die Rolle Russlands im Bereich der ehemaligen UdSSR – also jenes Imperiums, vom dem der Oberste Befehlshaber angeblich träumt – deutlich geschmälert und keineswegs ausgebaut. In den 1990er-Jahren war es noch der Kreml gewesen, der die postsowjetischen Regimes objektiv legitimierte. Offen und aggressiv antisowjetische Staatslenker (zum Beispiel Swiad Gamsachurdia oder Əbülfəz Elçibəy) konnten sich nicht lange an der Macht halten. Neu gewählte Staatsoberhäupter der GUS hatten nichts Wichtigeres zu tun, als die Beziehungen zu Russland in Ordnung zu bringen, das so groß und edelmütig war wie Opa Jelzin.
Außerdem unterstützte Moskau die Lebensfähigkeit nicht anerkannter Staaten, indem man ihnen durch eine postsowjetische Konstruktion auf drei Ebenen Stabilität garantierte: Russland als Rechtsnachfolger der Kolonialmacht – die übrigen Länder der GUS – aufständische Enklaven mit unbestimmtem Status.
Nachdem sie, gemessen an der Größe ihres Territoriums und der natürlichen Ressourcen, unter Putin einfach nur zum größten Teil des ehemals gewaltigen Imperiums geworden war, hatte die Russische Föderation unwiederbringlich ihren Status als Quelle postsowjetischer Legitimität verloren. Aus der geopolitischen ersten Liga, in der regionale Mächte des Niveaus von Indien oder Brasilien mitspielen, sind wir in die zweite Liga abgestiegen, wo Staaten wie Paraguay oder Algerien um einen Platz im Waggon dritter Klasse der Geschichte kämpfen. (Die Menge des vergossenen Erdöls und der wahnsinnigen Offshore-Erträge haben in diesem Fall auf den Status des Staates keinen Einfluss.) Brauchte er eine Legitimierung, flog das Oberhaupt einer ehemaligen Sowjetrepublik nun direkt nach Washington und nicht nach Moskau.
Noch zu Beginn der ersten Amtszeit von Wladimir Putin hörte die Unterstützung der nicht anerkannten Staaten praktisch auf. Folglich verlor Putin seine politischen Einflussmöglichkeiten auf Moldau, Georgien, Belarus und die Ukraine. (Freilich kann der offenkundige PR-Bluff der Idee vom russisch-belorussischen Gemeinschaftsstaat, der jedes Mal aus der Mottenkiste geholt wird, wenn in Russland unliebsame Reformen anstehen, wohl nur einen sehr unerfahrenen Beobachter in Verwirrung stürzen.) Keiner der aufgezählten Staaten orientiert sich heute strategisch an Russland.
Was bleibt, ist die bedrohlich gekrümmte Gaspipeline, aber Putin als ihren Urheber zu sehen, fällt etwas schwer, und das Bild vom aggressiven Kreml-Untier, das Putins Administration dem Segen der Pipeline traditionell beifügt, kann am allerwenigsten zu einem Achtungszuwachs für Russland in den nahen und fernen Winkeln des ehemaligen Imperiums beitragen.
Der Kreml zeigte an den politischen Gefechten in Litauen in den Jahren 2002 bis 2004 nicht das geringste Interesse. Wären allerdings in diesem Land Kräfte an die Macht gekommen, die Russland gegenüber Loyalität zeigen, dann hätte man die schwierige Problematik des Transits nach Kaliningrad um einiges leichter lösen können. Aber die Hilferufe, die von der anderen Seite der litauischen Grenze drangen, wurden vom offiziellen Moskau ignoriert.
Überdies hat der Kreml keinerlei Erfolge beim Schutz von Landsleuten im Ausland zu verzeichnen. Die Verfolgungen und Erniedrigungen, denen der übermäßig emotionale Türkmenbaşy die Russen aussetzte, scheinen unbemerkt geblieben zu sein. Die Diskriminierung der russischen Minderheit, die fast 40 Prozent der Bevölkerung Lettlands ausmacht, rief beim Kreml von Zeit zu Zeit ein heiseres Knurren hervor, aber es reichte nie für reale Sanktionen oder überhaupt für Druckmittel gegen Riga. Mehr noch: Im Schulterschluss mit seinen sorgfältig ausgewählten Anhängern rief Wladimir Putin sogar dazu auf, die »lettischen Freunde« nicht zu dämonisieren.
Schließlich verließen die russischen Soldaten gleichermaßen kontinuierlich und ruhmlos die Territorien ihres vormaligen militärpolitischen Einflussbereichs. Russland zog seine Stützpunkte aus Georgien innerhalb von drei Jahren und kostenlos ab, obwohl von elf Jahren und einer Kompensation von 500 Millionen Dollar durch die georgische Seite die Rede gewesen war.
Alles in allem ist nichts aus einer effektiven Geopolitik geworden. Und wer Putin kennen, verstehen und seine Motivationen analysieren will, wird es nur können, wenn er ein recht einfaches Prinzip durchschaut: Der zweite und später vierte Präsident der Russischen Föderation ist seiner Natur nach kein Politiker und erst recht kein Imperialist. Er ist ein typischer Unternehmer. Alle seine Entscheidungen und Handlungen sind ausschließlich der Logik großer Geschäfte unterworfen, die auf die Erzielung von Gewinnen abzielt.
Wenn es einen Bereich gibt, in dem Wladimir Putin im postsowjetischen Raum erfolgreich war, so ist es die Lobbysierung von Interessen einiger wichtiger russischer Unternehmer. Bei seinen zahlreichen Staatsbesuchen fing der Präsident der russischen Föderation mehrmals Gespräche damit an, dass man diesen oder jenen Aluminiumbetrieb Oleg Deripaska geben müsse, dieses Telekommunikationsunternehmen Michail Fridman und jenes Stahlwerk Alexei Mordaschow.
Putins Gesprächspartner klimperten dabei weise mit freundlichen Augen. Denn im Gegenzug brachte der reiche Gast aus Moskau politische und wirtschaftliche Gaben dar, die in ihrem Umfang die begehrten Objekte um ein Vielfaches überstiegen. Zum Beispiel: Wir verkaufen das Kombinat X von Severstal, und dafür werden die Anti-Dumping-Sanktionen durch Russland für alle Stahlwerke in besagtem Land aufgehoben.
Bei dieser Vorgehensweise – wenn russische Staatsressourcen als Kompensation für die Einhaltung rein privater Interessen angeboten werden – war Wladimir Putin nicht selten erfolgreich. Natürlich kann man das kaum als Fortschritt für das russische Kapital bezeichnen: Die ausländischen Aktiva, um die Putin bemüht war, wurden schließlich von Offshore-Unternehmen gekauft und keineswegs von lebendigen Subjekten der russischen Wirtschaft.
Dennoch muss man einräumen: Als Unternehmer hat Putin tatsächlich Talent. Das von ihm erdachte (oder abgesegnete, was dasselbe wäre) Schema der Nationalisierung in Russland muss man durchaus als genial anerkennen.
Das Schema ist schlicht wie alles Großartige. Die Unternehmen, die in den 1990er-Jahren bei Pfand- und sonstigen fiktiven Auktionen zu symbolischen Preisen verhökert worden waren, sollten vom Staat und staatlichen Unternehmen zurückgekauft werden, allerdings maximal teuer. Dabei kamen zwecks Erhöhung des Wertes der auf diese Weise nationalisierten Aktiva sogar die heiklen Mechanismen des Wertpapiermarkts zur Anwendung.
Putin ist sich dessen, was er tut, vollkommen bewusst. Wenn in Russland in überschaubarer Zukunft eine neue Macht auftauchen sollte, wird diese unausweichlich die Frage nach der Legitimation (also der Revision) der Ergebnisse der Privatisierung stellen – anders kann es gar nicht sein bei dem Übergang aus dem postsowjetischen Zustand eines Staatsgebildes in einen postpostsowjetischen nach dem Ende der langjährigen Kleptokratie. Wenn sich also diese Frage stellt, wird der Anrufbeantworter des ehemaligen Präsidenten eine entfernte und dumpfe Antwort geben: »Vergessen Sie es, liebe Kollegen, es gab keine Privatisierung, alles ist wieder staatlich, da gibt es nicht zu revidieren oder zu legitimieren.«
Das erste Riesengeschäft im Rahmen des vorgegebenen Schemas war der Verkauf von Sibneft an Gazprom. Dabei wetteiferten sowohl Käufer als auch Verkäufer um eine Erhöhung des Preises: Das Aktienpaket von Sibneft, das Roman Abramowitsch gehörte, verteuerte sich buchstäblich am Vorabend des Vertragsabschlusses von 12 Milliarden auf 13,1 Milliarden Dollar. Dabei war 1995 das Kontrollpaket an Sibneft bei einer Pfandauktion für 100,3 Millionen Dollar verkauft worden.
Auf dem Hintergrund derartig gigantischer Abschlüsse verlieren sich fast die Nachrichten über den Ankauf der Vereinigten Maschinenbetriebe durch die dem Unternehmen Gazprom angegliederten Strukturen oder über die Pläne von Rosoboronexport, bei privaten Eigentümern gewisse Aktiva an Stahlwerken aufzukaufen. Aber sowohl die großen als auch die kleinen Operationen passen in diesen genialen Gesamtplan. Dabei dürfen wir nicht davon ausgehen, dass die Kreml-Herren von den Verkäufen Honorare erhalten, die in der Umgangssprache OTKAT (Cashback) genannt werden: Was sollen diese Leute damit, denen schon bald für ihre eigenen, vorerst 30 Prozent der Aktien an Surgutneftegas 10 Milliarden Dollar überwiesen werden? Das reicht für den besten Hafer für Pony Pedro sowie sieben Generationen seiner Nachkommen.
Also, die Nationalisierung nach Putin wurde zu einer Form der fast legalen Ausfuhr von 50 bis 70 Milliarden Dollar aus dem Land. Dieses Geld kam auf die Konten von Privatpersonen – den Gewinnern der großen Privatisierung von Jelzin und Putin (deren Lebenszyklus im russischen politisch-wirtschaftlichen Raum auf diese Weise endet).
Für Russland jedoch werden diese Milliarden zu Schulden innerhalb der staatlichen Strukturen, die der russische Steuerzahler zusammen mit den Gaskonsumenten zu tilgen hat. Also die Bevölkerung, die bereits 2007 für den »hellblauen Brennstoff« 50 Prozent mehr zahlen musste als heute. Die zynischen Kreml-Propagandisten haben die Gelegenheit, dem Land und der Welt zu erklären, dass die Nationalisierung im Interesse des Staates und des Volkes ist. Naive Zuhörer haben das Recht, ihnen zu glauben.
Das Businessgenie Wladimir Putin und seine Gefährten nehmen sich besonders grell auf dem Hintergrund der Schwachheit und Talentlosigkeit anderer slawischer Staatsoberhäupter aus, vor allem im Vergleich mit Viktor Juschtschenko. Der Präsident der Ukraine hat den größten Stahlproduzenten des Landes Kryworischstal für 800 Millionen Dollar in das Staatseigentum zurückgeführt und es gleich darauf bei einem transparenten Wettbewerb für 4,8 Milliarden Dollar an einen indischen Investor verkauft. Dabei verdiente er für seinen Staat auf einen Schlag 4 Milliarden Dollar (fast 20 Prozent des ukrainischen Staatshaushalts von 2005). Das ist doch nicht dumm, oder?
Wenn Juschtschenko bei Putin in die Lehre gegangen wäre, hätte er es genau andersherum gemacht: Er hätte den Staat gezwungen, den Privatisierern der ersten Stunde Rinat Achmetow und Viktor Pintschuk, die Kryworischstal im Juni 2004 für 800 Millionen Dollar besaßen, das Unternehmen für eben 4,8 Milliarden Dollar abzukaufen. Und das ordentliche Sümmchen wäre dann zwischen den drei Personen geteilt worden, im Namen von Landesfrieden, Einverständnis und Stabilität. Es ist kein Zufall, dass der Kreml seinen offiziellen und inoffiziellen Vertretern untersagt hat, den Wettbewerb um Kryworischstal zu kommentieren.
Verstehen Sie jetzt, warum sich der Kreml nicht für die Russen in Turkmenien einsetzte? Weil ihm das Gasgeschäft mit Türkmenbaşy unvergleichlich wichtiger ist. Warum ist er nicht für seine Landsleute in Lettland eingetreten? Weil bereits 2005 auf den Konten der lettischen Banken fast 4 Milliarden Dollar ruhten, die den Vertretern der politisch-wirtschaftlichen Elite des modernen Russland gehörten. Und eine Verbreitung der Information über diese Konten wäre für die wandelnden Symbole der Putin’schen Stabilität tödlich gewesen. Übrigens werden gerade Verhandlungen über den Kauf des lettischen Öltransitunternehmens Ventspils Nafta durch ein verehrtes russisches Unternehmen über eine deutsche Investitionsbank geführt. Wäre es etwa angebracht, in einer solchen Situation von den lieben lettischen Freunden noch mehr zu verlangen?
Und warum kapitulierte Russland, das objektiv über alle Schalthebel eines politischen und wirtschaftlichen Einwirkens auf Georgien verfügte, voreilig vor dem ungeliebten Micheil Saakaschwili und zog in einer Hauruck-Aktion die Militärstützpunkte ab? Weil der Kreml in der Tiefe seiner Krämerseele tatsächlich nicht versteht, wozu er diese Stützpunkte eigentlich braucht.
Sehr geehrte Herrschaften der internationalen Kreml- und Putin-Forschung! Lassen Sie von den Büchern über Mussolini und Fidel Castro und holen Sie sich lieber aus einer Universitätsbibliothek die Biografie des philippinischen Ex-Präsidenten Ferdinand Marcos oder, sagen wir, des ehemaligen Herrschers von Zaïre mit Namen Mobutu Sese Seko Kuku Ngbendu wa za Banga, was so viel heißt wie »Allmächtiger Krieger, der kraft seiner Zähigkeit und seines unerschütterlichen Siegeswillens vieles erobert und dabei Brandstätten zurücklässt«. Und alles wird auf der Stelle klar.
Jeder hat seine Ambitionen und seine Schrullen. Bloß gut, wenn diese Schrullen auf Kosten des Staates gehen, besonders wenn es sich dabei um Russland handelt, das über ausreichende Reserven verfügt, solange der Weltpreis für Rohöl nicht unter 80 Dollar pro Barrel sinkt.
Im Herbst 2007 bat mich die Zeitung Die Welt um eine Einschätzung, wie reich der russische Präsident sei. Ich antwortete ihnen, dass Putin meinen Berechnungen zufolge zu den reichsten Menschen Europas gehört. Geht man von der begründeten Voraussetzung aus, dass er als Begünstigter 4,5 Prozent der Aktien von Gazprom kontrolliert, die Hälfte des Kontrollpakets an der Ölfirma Surgutneftegas sowie 50 Prozent der Aktien des weltweit viertgrößten Energiehändlers Gunvor, dann kann man das Vermögen des Kremlherrn auf 40 Milliarden Dollar schätzen.
Kurz danach im selben Jahr 2007 untersuchte der bekannte britische Journalist Luke Harding dasselbe Thema für The Guardian. Daraufhin untersagte man Herrn Harding die Einreise nach Russland – aber ich denke, das lag nicht am Material, sondern am gesteigerten Interesse des Journalisten am Fortgang der Bauarbeiten für die Olympiade 2014 in Sotschi und dem ausgiebigen Diebstahl auf diesen Baustellen. Dennoch glaube ich nicht, dass Luke die »Saga von den 40 Milliarden Dollar« bedauert. Allein auf der Website des Guardian haben fast 500 000 Menschen seinen Artikel gelesen.
Nach alldem kam es im ausklingenden Jahr 2007 noch zu einem grandiosen Skandal. In Russland wurde der Inhalt der Artikel aus Die Welt und The Guardian von fast allen bekannten Verlagshäusern neu publiziert, sogar von jenen, denen allein die Nennung meines Namens aus politischen Gründen verboten war. Journalisten, die mich anriefen, begannen ihre Fragen mit dem traditionellen: »Haben Sie das wirklich gesagt?« Nach einer bestätigenden Antwort kam es zu einer kleinen Pause: Man konnte nicht glauben, dass ein einfacher russischer Bürger so etwas öffentlich sagen konnte. Und viele meiner Freunde und Bekannten berührten mich in dieser Zeit bei Zusammenkünften vorsichtig mit dem Zeigefinger, als wollten sie sich davon überzeugen, dass ich es wirklich bin, dass man mich noch nicht umgebracht oder ins Gefängnis gesperrt hat.
Nach Auskünften der russischen politischen Wochenzeitschrift The New Times (2012), die dem Klassiker unseres unabhängigen Fernsehens, der Gründerin von RenTV Irena Lesnewskaja gehört, wurde im Kreml wegen der »40-Milliarden-Dollar-Angelegenheit« eine Besprechung unter Beteiligung der Bosse der staatlichen Nachrichtenpolitik und von Vertretern staatlicher Gewaltorgane abgehalten. Bei der Besprechung standen vor allem zwei Fragen auf der Tagesordnung:
•Wie kann man das Durchsickern von Informationen über die Aktiva des Präsidenten stoppen?
•Was soll man mit Belkowski machen?
Nach einer langen und ermüdenden Erörterung sprach Putin höchstpersönlich das letzte gewichtige Wort. Nach der Version der The New Times beantwortete er die zweite Frage mit der ihm von Zeit zu Zeit eigenen lapidaren Brutalität: »Geh er doch zum T…!« Wonach beschlossen wurde, keine weltumfassende Aktion zur Reinwaschung Wladimirs von der ihm lieb gewordenen Geschäftemacherei zu unternehmen.
Dazu möchte ich anmerken, dass weder vom Kreml noch von Putins Verwandten, weder von Gazprom noch von Surgutneftegas oder gar dem zanksüchtigen Unternehmen Gunvor (das gern für seinen Ruf vor Gericht zieht) eine Klage kam. Weder gegen mich noch gegen den Guardian oder Die Welt. Sie wollten tatsächlich nicht, dass ein Gerichtsverfahren zusätzliche Aufmerksamkeit im internationalen Maßstab auf diese Informationen zieht.
Wie steht es heute um das Geschäft und die Aktiva von Wladimir Putin? Auf dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise im Herbst 2008 sank der Wert der genannten Aktiva erheblich. Aber dieser Zeitpunkt liegt nun lange zurück, der Preis für Rohöl ist erneut auf 100 Dollar pro Barrel gestiegen, noch höher stehen auch die Finanzmärkte. Heute würden die in Die Welt genannten Aktiva bereits 60 Milliarden Dollar kosten. Und das ohne Berücksichtigung des Barbestands, der sich jedes Jahr auf den Konten von Gunvor anhäuft.
Übrigens ist Gunvor ein weiblicher Vorname, eine Figur aus der skandinavischen Mythologie. Nach verschiedenen Quellen heißt so die Mutter des wichtigsten legalen Partners von Gennadi Timtschenko, des Schweden Torbjörn Törnqvist. Auch wenn Timtschenko gewöhnlich stolz ist auf seinen längst vergessenen drittrangigen Posten in der sowjetischen Außenaufklärung, hat er die Staatsbürgerschaft von Finnland, das recht nah bei St. Petersburg liegt, und ist Deviseninländer der Schweiz, was ebenfalls angenehm ist zum Deponieren von Offshore-Einkünften.
Aber schlecht steht es um Geschäfte, die auf der Stelle treten und sich nicht entwickeln.
Im Jahr 2010 wurde Gennadi Timtschenko (der, wie er selbst sagt, nach 2000 ohne jede Hilfe von Putin und geradezu trotz seiner Freundschaft zu ihm zum Milliardär wurde – was wir ihm natürlich gern glauben) zum Miteigentümer des nach Gazprom zweitgrößten russischen Erdgasproduzenten Novatek. Von diesem Moment an verhielt sich Wladimir Putin ein wenig strenger gegenüber Gazprom und wurde den sogenannten unabhängigen Gasproduzenten gegenüber etwas loyaler. Aus dem Mund des »Anführers der Nation« wurden Ideen laut, die er kurz zuvor noch als umstürzlerisch bezeichnet hätte: dass man allen gasfördernden Unternehmen gleichberechtigten Zugang zur berüchtigten Pipeline (des Gastransportsystems von Russland, das es erlaubt, Gas zu allen Konsumenten zu transportieren, einschließlich der westeuropäischen, was am einträglichsten ist) verschaffen sollte oder sogar, dass man das GTS (Gastransportsystem) aus Gazprom ausgliedert, dem es derzeit gehört.
Es ist nicht auszuschließen, dass derartige Ideen, die im letzten Jahrzehnt in der Öffentlichkeit als potenziell skandalös, kompradorisch und antipatriotisch eingestuft wurden, in den kommenden Jahren zur Entscheidung reifen. Zum Beispiel vermittels der Übergabe der Pipeline von Gazprom an das Unternehmen Rosneftegas, das zu 100 Prozent dem russischen Staat gehört.
Der unterwürfige Diener hat auch bereits eine Vorgehensweise für diese Übergabe vorgeschlagen: Man tauscht das GTS gegen ein staatliches Aktienpaket der offenen Aktiengesellschaft Gazprom. In diesem Fall wird Gazprom wie das bereits erwähnte Novatek vollständig privat. Doch es verliert dabei den exklusiven Vorteil der Pipeline und die Möglichkeit, den Zugriff auf sie zu regulieren, und wird dann nur noch dem Umfang nach der größte russische Gasproduzent sein, mehr nicht.
Und dann stellt sich erst recht die Frage nach der Effektivität des Gazprom-Managements. Denn Milliarden aus dem Nichts zu zaubern, um sie danach geistlos zu verschleudern – das geht nicht. Die Privatisierung von Gazprom mit dem Verlust seiner Einflussmöglichkeiten auf die Transportmöglichkeiten innerhalb des Marktes bedeutet einen langsamen Tod für die derzeitige Leitungsebene unter Alexei Miller, dem ehemaligen Kassenwart von Putin. Miller & Co. wissen das nur zu gut, man kann also erwarten, dass sie sich bis zuletzt zur Wehr setzen werden.
Auch die Geschäfte von Gunvor sind im Aufwind. Während der sechs Jahre, die seit der »40-Milliarden-Dollar-Angelegenheit« vergangen sind, ist der Umfang der Energieträger, die das Unternehmen durchlaufen, um 70 Prozent gestiegen. Ob es wohl am gesteigerten Interesse des einflussreichsten Mannes in Russland liegen mag?
Surgutneftegas hat 2012 das erste Mal seit zehn Jahren seine Bilanzen nach internationalen Standards veröffentlicht (das erste und letzte Mal geschah dies 2001). Viele Zahlen in dieser Rechnungslegung sind nachvollziehbar und verständlich. Zum Beispiel lag der Reingewinn des Konzerns im Jahr 2012 bei 2 Milliarden Dollar.
Aber das Wichtigste und fast Einzige, was immer noch unverständlich bleibt, ist die Eigentümerstruktur des Energiegiganten. 67 Prozent der Aktien an Surgutneftegas unterliegen einem komplizierten Kontrollsystem gemeinnütziger Organisationen und nichtstaatlicher Rentenfonds. Als Manager all dieser juristischen Personen erscheinen Mitarbeiter des Konzerns, wobei diese nicht unbedingt hohe Positionen einnehmen – es gibt unter ihnen auch durchaus technisches Personal.
Aber der größte Witz liegt in etwas anderem. Nach der russischen Gesetzgebung teilen weder die gemeinnützigen Organisationen noch die nichtstaatlichen Rentenfonds ihre Gewinne unter ihren Gründern auf. Die Gründer wiederum haben keinerlei Recht auf eine Eigentümerschaft am Vermögen dieser Strukturen mit dem gegebenen juristischen Status. Das bedeutet, dass zwei Drittel der Aktien des drittgrößten Gasherstellers Russlands von irgendjemandem informell verwaltet werden. Dieser Jemand hätte schon längst die Aktien auf eigene Unternehmen umschreiben können, seien es russische oder ausländische. Aus irgendwelchen Gründen kann er es aber nicht. Noch nicht. Bis er von seinem Amt zurücktritt, wird sich daran auch kaum etwas ändern. Daher auch die verwirrenden und undurchsichtigen Besitzverhältnisse. Und was wird nach seinem Rücktritt sein? Wir werden sehen.
Auch das Motiv von Surgutneftegas, seine Bilanzen nach den International Financial Reporting Standards unerwartet zu veröffentlichen, macht einen nachdenklich. Warum war das jetzt notwendig, nach der elfjährigen Pause? Was hat sie dazu gebracht? Ist das nicht ein indirektes, aber sicheres Zeichen dafür, dass der Deal mit Rosneft in naher Zukunft zustande kommen wird? Und dann werden die vielzähligen gemeinnützigen Organisationen zusammen mit den nichtstaatlichen Rentenfonds etwa 20 Milliarden Dollar erhalten, und schalten und walten kann über sie nur …
Wie ein Sprichwort sagt, sind stille Wasser tief. Und wenn ein stilles Wasser fast so groß ist wie der Pazifik, dann kann man sich vorstellen, wie tief es ist und welche Überraschungen einen dort erwarten.
Lohnenswert ist außerdem ein genauerer Blick auf Rosneft, dessen Präsident 2012 Igor Setschin wurde – engster Mitstreiter von Putin noch im Bürgermeisteramt von St. Petersburg. Gerüchteweise wird behauptet, dass Russland solchen engen Mitstreitern die Entstehung der absolut ehrlichen Korruption zu verdanken hat.
Das finden Sie verwunderlich? Man muss dazu wissen, dass es Anfang der 1990er-Jahre in unserem Land üblich war, Bestechungsgelder in einem Koffer mit sich zu führen und die Präsente direkt in die Zimmer der Bürokraten oder zumindest in die Lobbys teurer Hotels zu bringen. Das Ergebnis war, dass sowohl die Empfänger von Bestechungsgeldern (Beamte) als auch die Geber (Geschäftsleute) nicht selten aufflogen: Konkurrenten hetzten ihnen die Rechtsschutzorgane auf den Hals, die an den entsprechenden Orten vorab Audio- und Videoüberwachungsgeräte für die Aufzeichnung des Korruptionsverbrechens installierten.
Völlig anders gestalten sich die »ehrlichen« Bestechungen. Das sieht dann folgendermaßen aus: Sie geben dem Beamten, der ehrlich ist, nichts. Sie nehmen nur für eine a priori überhöhte Summe (zum Beispiel 10 Millionen Dollar) die Dienste einer Rechtsanwaltskanzlei in Anspruch, die auf den ersten Blick nichts mit dem hochgestellten Bürokraten zu tun hat. Die Kanzlei bereitet dann derartig überzeugende Papiere vor, dass Sie einen Privatisierungswettbewerb einfach nicht verlieren können. Und das völlig gerecht und transparent. Daran ist nichts Verdächtiges, und man kann so viele Audio- und Videoaufzeichnungen machen, wie man will.
Oder es gibt die alternative Variante: Der Beamte gibt Ihnen, weil er Ihnen helfen möchte (denn die wichtigste Aufgabe jeglichen Beamten ist es, einem Bittsteller allein für sein staatliches Gehalt zu helfen), ganz beiläufig die Visitenkarte eines bestimmten, guten Antiquitätengeschäfts. Dieses gehört völlig zufällig einem, sagen wir, anderen guten Freund von Wladimir Putin – dem Petersburger Geschäftsmann Ilja Traber, genannt »der Antiquar«. Sie gehen dorthin und kaufen einen einzigartigen Tisch aus der Zeit der Zarin Katharina der Großen zum Katalogpreis von 1 Million Dollar. Wenn Sie allerdings zu Hause ankommen, stellen Sie fest, dass der Zarentisch eine Furnierschulbank aus sowjetischen Zeiten ist. Aber Sie machen sich nichts daraus. Denn nun ist es Ihnen beschieden, vom Bürgermeisteramt der Stadt St. Petersburg eine Erlaubnis zu bekommen, die ihnen ungleich viel mehr Einkünfte beschert, als Sie für die Schulbank ausgegeben haben.
Derartig schöne Vorgehensweisen gibt es also, um die sich der Überlieferung nach so manche Geheimnisse Putins, Setschins und ihresgleichen ranken. Deswegen sind diese Beamten nicht im Höllenfeuer der 1990er-Jahre umgekommen, sondern haben sich heute aus dem provinziellen Halbdasein zu nationalen Höhen aufgeschwungen.
Jetzt Rosneft. 2006 und 2007 schluckte diese einst unscheinbare und zweitrangige Ölfirma das ehemalige Imperium von Michail Chodorkowski und wurde zum größten Kohlenwasserstoffhersteller im Land. Die Operation selbst wurde allerdings technisch nicht sonderlich versiert ausgeführt. Sie geschah unter Hinzuziehung des nominellen Käufers Baikalfinansgrup, der die größte erdölfördernde Struktur von JUKOS, die offene Aktiengesellschaft Juganskneftegas, übernahm. Die Baikalfinansgrup war ein fiktives Unternehmen mit einem Stammkapital von 10 000 Rubeln (250 Euro), das sich kurz vor dem Deal in der kleinen Stadt Twer nordwestlich von Moskau registrieren ließ, in einem windschiefen Haus, in dem Journalisten nur eine Wodkakneipe mit dem charakteristischen, aussagekräftigen Namen »London« ausfindig machen konnte. Aber es gab ein Ergebnis – es war vollbracht.
2011 kaufte Rosneft der Alfa Group (Eigentümer: Michail Fridman) und der British Petroleum ihre gemeinsame Ölfirma TNK-BP ab. Für 60 Milliarden Dollar. Das war eine Operation, für die sich der Autor den Terminus »puting« ausgedacht hat – wenn der Verkäufer an dem Geschäftsabschluss mehr interessiert ist als der Käufer. Denn er wird seine Aktiva zu Bedingungen los, die der offene Markt nicht zu bieten hat. An die ersten und aufsehenerregendsten Abschlüsse dieser Art erinnern wir uns noch.
Es war das kleine Unternehmen Sewernaja Neft, das dem ehemaligen Ersten Stellvertreter des Finanzministers Andrei Wawilow gehörte und Anfang 2003 für 400 Millionen Dollar von Rosneft gekauft wurde. (Die Kritik an diesem Abschluss kam, wie wir wissen, Michail Chodorkowski teuer zu stehen.) Und es war der Erwerb von Sibneft beim Offshore-Unternehmen Milhouse für 13,1 Milliarden Dollar (Letzteres vertritt bis heute die Interessen von Roman Abramowitsch) durch Strukturen von Gazprom im Jahr 2005. Der Deal von Rosneft mit den Ex-Besitzern von TNK-BP ist also keine Ausnahme.
Dennoch erlangte Rosneft schließlich die unumstrittene Spitzenposition in Russland bei der Förderung von Erdöl (2,6 Millionen Barrel pro Tag im Jahr 2012) und bei der Anhäufung von Kapital (150 Milliarden Dollar). Sollten die Pläne für den Erwerb von Surgutneftegas und LUKOIL realisiert werden, mit denen sich die Mannschaft um Setschin trägt, dann wird daraus schließlich die größte Erdölfirma der Welt entstehen.
Auch wenn aus Wladimir Putin kein Politiker wurde, wie es seine KGB-Prägung erwarten ließe, hat er doch über viele Jahre gelernt, in den Kategorien großer Geschäfte zu denken. Hier geht es nicht mehr um einen Furniertisch für 1 Million Dollar. Der Einsatz liegt nun dreimal so hoch.
Doch letztlich sind nicht die absoluten Zahlen der Beteiligung des langjährigen russischen Staatsoberhaupts an den Kapitalerträgen des einen oder anderen Unternehmens wichtig. Wichtig ist in erster Linie das Format des Putin’schen Denkens selbst, die Frage, wie sein Gehirn funktioniert. Wer würde das strategische Verhältnis zur Ukraine und Belarus für den Gaspreis und die Kapitalisierung von Gazprom für alle Zeiten aufs Spiel setzen? Er hat es getan. Wer würde zulassen, dass die noch gestern brüderliche Ukraine durch den Mund des Moskau scheinbar freundschaftlich gesinnten (und es eigentlich abgrundtief hassenden) Präsidenten Viktor Janukowitsch das Projekt der Gaspipeline White Stream aus dem Iran und Zentralasien unter Umgehung des russischen Territoriums ausrufen lässt? Und dass das noch gestern freundschaftliche Aserbaidschan eine ähnliche Strecke über türkisches Territorium legen möchte, um sich mit der Russischen Föderation nicht bezüglich der Fragen seines Exports vom Ölfeld Schah Denis verständigen zu müssen? Wer konnte vermuten, dass die politischen Positionen im Baltikum aufgegeben werden im Tausch gegen Transit und ausgedehnte Möglichkeiten der Verwahrung russischen Kapitals bei Banken der ehemaligen »sowjetischen Republiken des Baltikums«, also de facto im Offshore? Und so weiter, siehe oben und unten.
Putin hat es mit internationalen Partnern leicht, in deren Denkweise die Business-Komponente gewichtig, wenn nicht gar dominant ist. Also mit Silvio Berlusconi und Gerhard Schröder. Und diese Berlusconis und Schröders haben das immer ausgenutzt, indem sie »Freund Wladimir« richtig zu motivieren wussten.
Gerüchteweise hört man, dass Schröder jetzt als Vermittler zwischen Präsident Putin und dem berühmten Häftling Chodorkowski auftritt. Der ehemalige Bundeskanzler soll angeblich garantieren, dass der in Ungnade gefallene Oligarch im Falle seiner Freilassung im Jahr 2014 aus dem Gefängnis nicht gegen seine Peiniger Krieg führen wird, sondern sich in einen langfristigen Urlaub und zu einer intensiven Kur außerhalb Russlands aufmacht.
Die anderen jedoch, die Putin als Tschekisten, Imperialisten und Falken eines neuen Kalten Krieges sehen, sind nicht in der Lage, ihn durch Motivationen zu lenken. Damit reizen sie seinen wachsenden Zorn und verstärken in sich die wachsende Angst vor dem »Tyrannen«. Statt sich WWP genauer anzuschauen und zu lernen, ihn zu friedlichen Zwecken zu gebrauchen, verbreiten sie Mythen, die mit der Putin’schen Realität rein gar nichts zu tun haben.
Das vor Kurzem vom Kreml angekündigte Programm der »Nationalisierung der Eliten« ist, wenn man die Rhetorik Putins und seiner Helfershelfer außer Acht lässt und den eigentlichen Kern des Geschehens erfasst, faktisch ein Programm zum Schutz der russischen Aktiva außerhalb der Grenzen der Russischen Föderation. Der wichtigste Geschäftsmann Russlands spricht mit den Angehörigen seiner Klasse, ob sie nun über die Insignien von Beamten verfügen oder nicht: Seid vorsichtig, ordnet euch den Gegebenheiten der modernen Welt unter, stellt keine Rechnungen und Immobilien auf eure Namen oder die eurer nächsten Verwandten aus, sondern nur auf Trusts im Offshore mit einem komplizierten System Besitzbegünstigter – und das Glück ist auf eurer Seite. Dann seid ihr für die westlichen Staatsorgane um einiges unverwundbarer, denn sie verstärken mit jedem Jahr ihren Kampf gegen Geldwäsche und überhaupt gegen die Vermehrung von Kapital zweifelhafter Herkunft im Wirtschaftsraum der euroatlantischen Länder.
Also: Who is Mr. Putin? Wer lernt, ihn richtig zu verstehen, dem wird sein vertrauensvolles Verständnis zuteil.
Putins größtes Problem besteht darin, wie er irgendwann dieses viele Geld ausgeben will. Innerhalb der Legalität im Westen ist das heute praktisch unmöglich. Das bedeutet, man muss über exotischere Möglichkeiten nachdenken, zum Beispiel über den Aufkauf eigener Rechtshoheiten im Offshore, insbesondere in der Karibik und im Stillen Ozean. Doch niemand kann dafür garantieren, dass Putins Schätze einmal seinen Kindern oder gar Enkeln zukommen. Und solange er den Präsidentenposten nicht verlässt, wird er ewig der Sklave des einfachen Kutters Kawkas sein, neben dem sich Roman Abramowitschs Jacht Eclipse ausnimmt wie Versailles neben dem Kulturhaus einer Kolchose.
Wieder ist es das Hauptproblem des Autoritarismus: gehen nicht bleiben – wo setzt man das Komma? In einer entwickelten, institutionalisierten Demokratie gibt es ein solches Problem nicht, wie es dort auch (zum Glück!) nicht das Problem einer Legalisierung von Milliarden gibt, von denen man nicht weiß, mit wem und auf welche Weise sie »erarbeitet« wurden.
Geld kann man nicht mit ins Grab nehmen, sagt ein Sprichwort. Und die alte schwarze Hexe in Les Voleurs de Diamants von Louis Boussenard schrie die Diamantensucher an: »Da habt ihr eure Brillanten! Esst sie! Trinkt sie!« – wobei völlig klar ist, was sie meinte.