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Wie jeder Mensch hatte sich auch Braun schon die Frage gestellt, wie es sein mußte, zu sterben. Und wie jeder Mensch hatte er versucht, es sich auf die eine oder andere Art vorzustellen, auch wenn er tief in seinem Inneren davon überzeugt war, daß es schließlich doch vollkommen anders sein würde.

Wenigstens in diesem Punkt hatte er recht gehabt. Es war anders.

Es war durch und durch entsetzlich. Braun war noch zu einem winzigen Teil bei Bewußtsein. Er hatte unbeschreibliche Angst, und noch unbeschreiblichere Schmerzen. Sein ganzer Körper schien in Flammen zu stehen, wobei die Wunde, die Grinner ihm zugefügt hatte, noch fast am wenigsten schmerzte. Er starb, aber er wollte nicht sterben, denn noch mehr Angst als vor dem Vorgang des Sterbens an sich und dem, was danach kommen mochte oder auch nicht, hatte er vor dem Gedanken, versagt zu haben. Es durfte nicht umsonst gewesen sein. Sie waren dem größten aller nur denkbaren Geheimnisse auf der Spur gewesen, und sie hatten es gelöst, verdammt noch mal. Es konnte nicht scheitern. Nicht so kurz vor dem Ziel!

Seine linke Hand bewegte sich. Die Finger auch nur den Bruchteil eines Zentimeters zu heben, kostete ihn schon unvorstellbare Anstrengung, aber er zwang seine Hand, sich weiter zu bewegen, Millimeter für Millimeter, so langsam, daß selbst jemand, der ihn in diesem Moment beobachtet hätte, die Bewegung nur mit großer Mühe überhaupt registriert hätte. Aber er zwang sie weiter, Zentimeter um Zentimeter, Stück für Stück, bis sie schließlich in seine Tasche kroch und das schmale Kunststoffkästchen erreichte, in dem die drei Glasphiolen waren. Dreimal Leben. Dreimal Unsterblichkeit.

Er wollte so gerne ausruhen. Sich ein wenig Pause gönnen, für den letzten, schwersten Teil der Aufgabe. Aber er durfte es nicht. Das Leben wich jetzt immer schneller aus ihm. Wenn er aufhörte, sich zu bewegen, dann für immer. Irgendwie gelang es ihm, das Kästchen zu öffnen und die drei winzigen Glasröhrchen herauszuschütteln. Seine Finger tasteten blind über den schwarzen Samt, der darunter lag, krallte sich mit den Nägeln hinein und zogen ihn heraus. Darunter befand sich eine schmale Vertiefung, in der eine verchromte Spritze mit einer nur drei Zentimeter langen Nadel lag. In ihrem Inneren befand sich eine vierte Phiole mit dem Azrael-Serum.

Brauns Gedanken verschleierten sich. Alles wurde wattig, unwirklich, grau. Er konnte spüren, wie seine Kraft versiegte. Wie er starb.

Mit einer unvorstellbaren Willensanstrengung zog Braun die Spritze aus dem Kästchen heraus und drückte den Kolben um wenige Millimeter herunter. Ein ganz leises Knacken drang aus seiner Tasche. Seine Handfläche wurde feucht, als die gläserne Schutzmembran im Inneren der Phiole zerbrach und zwei oder drei Tropfen der kostbaren Flüssigkeit aus der Nadel quollen.

Noch einmal. Eine allerletzte, verzweifelte Anstrengung, in die er alle Kraft legte, die er noch hatte, die Energie seines unwiderruflich letzten Atemzuges. Braun trieb die Nadel in seinen Handballen und drückte den Kolben herunter, und sein Herz tat noch einen einzigen, schweren Schlag und verstummte dann.

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