XI

Regen stürzt vom Himmel. Nebel dampfen aus dem Garten dagegen. Der Sommer ist ertrunken, es ist kalt, und der Dollar steht auf hundertzwanzigtausend Mark. Mit mächtigem Krach bricht ein Teil der Dachtraufe nieder, und das Wasser schießt vor unserem Fenster herunter wie ein grauer Glaswall. Ich verkaufe zwei Engel aus Bisquitporzellan und einen Imortellenkranz an eine zarte Frau, deren beide Kinder an Grippe gestorben sind. Nebenan liegt Georg und hustet. Er hat auch die Grippe, aber ich habe ihn mit einer Kanne Glühwein gestärkt. Er hat außerdem ein halbes Dutzend Zeitschriften um sich herumliegen und benutzt die Gelegenheit, sich über die letzten Ehen, Scheidungen und Skandale der großen Welt in Cannes, Berlin, London und Paris zu informieren. Heinrich Kroll, unverwüstlich in gestreiften Hosen, Radfahrerklammern und einem passend gewählten dunklen Regenmantel, tritt ein. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Ihnen einige Bestellungen diktiere?« fragt er mit unübertrefflichem Sarkasmus.

»Keineswegs. Immer los.«

Er gibt einige Aufträge an. Es sind kleinere Hügelsteine aus rotem Syenit, eine Marmorplatte, ein paar Grabeinfassungen – der Alltag des Todes, nichts Besonderes. Nachher steht er noch eine Zeitlang unschlüssig herum, wärmt sich am kalten Ofen seinen Hintern, betrachtet eine Anzahl Gesteinsproben, die seit zwanzig Jahren im Büro auf den Regalen liegen, und schießt endlich los:»Wenn einem derartige Schwierigkeiten gemacht werden, ist es kein Wunder, wenn wir bald pleite sind!«

Ich antworte nicht, um ihn zu ärgern.

»Pleite, sage ich«, erklärt er. »Und ich weiß, was ich sage.«

»Wirklich?« Ich blicke ihn freundlich an. »Wozu dann die Verteidigung? Jeder glaubt es Ihnen.«

»Verteidigung? Ich brauche mich nicht zu verteidigen! Aber was da in Wüstringen passiert ist -«

»Hat man die Mörder des Tischlers gefunden?«

»Mörder? Was geht das uns an? Und wer redet bei so was von Mord? Es war ein Unfall. Der Mann hatte sich das selbst zuzuschreiben! Was ich meine, ist, wie Sie mit dem Vorsteher Döbbeling dort umgegangen sind! Und dann noch der Witwe des Tischlers umsonst einen Grabstein anzubieten!«

Ich drehe mich zum Fenster und blicke in den Regen. Heinrich Kroll gehört zu den Menschen, die nie einen Zweifel an ihren Anschauungen haben – das macht sie nicht nur langweilig, sondern auch gefährlich. Sie sind die eherne Masse unseres geliebten Vaterlandes, mit der man immer wieder in einen Krieg ziehen kann. Nichts kann sie belehren, sie sind mit den Händen an der Hosennaht geboren, und sie sind stolz darauf, auch so zu sterben. Ich weiß nicht, ob es den Typ in anderen Ländern auch gibt – sicher aber nicht in solchen Mengen.

Nach einer Weile höre ich wieder, was der kleine Dickkopf redet. Er hat also mit dem Vorsteher eine lange Sitzung gehabt und die Sache bereinigt. Nur seiner Persönlichkeit ist das zu danken. Wir dürfen wieder Grabsteine nach Wüstringen liefern.

»Was sollen wir jetzt tun?« frage ich. »Sie anbeten?«

Er wirft mir einen giftigen Blick zu. »Passen Sie auf, daß Sie nicht einmal zu weit gehen!«

»Wie weit?«

»Zu weit. Vergessen Sie nicht, daß Sie hier Angestellter sind.«

»Ich vergesse das dauernd. Sonst müßten Sie mir dreifaches Gehalt zahlen – als Zeichner, Bürochef und Reklamechef. Im übrigen stehen wir nicht im militärischen Verhältnis zueinander, sonst müßten Sie vor mir strammstehen. Und wenn Sie wollen, kann ich ja einmal mit Ihrer Konkurrenz telefonieren – Hollmann und Klotz nehmen mich sofort.«

Die Tür öffnet sich, und Georg erscheint in einem fuchsroten Pyjama. »Redest du von Wüstringen, Heinrich?«

»Wovon sonst?«

»Dann geh in den Keller und schäme dich. In Wüstringen ist ein Mensch getötet worden! Ein Leben ist untergegangen. Eine Welt ist für jemand zerstört worden. Jeder Mord, jeder Totschlag ist der erste Totschlag der Welt. Kain und Abel, immer wieder! Wenn du und deine Genossen das einmal begreifen würden, gäbe es nicht so viel Kriegsgeschrei auf dieser an sich gesegneten Erde!«

»Sklaven und Knechte gäbe es dann! Kriecher vor dem unmenschlichen Vertrag von Versailles!«

»Der Vertrag von Versailles! Natürlich!« Georg tut einen Schritt vorwärts. Der Duft des Glühweins umschwebt ihn stark. »Hätten wir den Krieg gewonnen, dann hätten wir unsere Gegner natürlich mit Liebe und Geschenken überhäuft, was? Hast du vergessen, was du und deine Genossen alles annektieren wollten? Die Ukraine, Brie, Longwy und das gesamte Erz- und Kohlenbecken Frankreichs? Hat man uns die Ruhr weggenommen? Nein, wir haben sie noch! Willst du behaupten, daß unser Friedensvertrag nicht zehnmal härter geworden wäre, hätten wir nur einen diktieren können? Habe ich deine große Schnauze darüber nicht selbst noch 1917 gehört? Frankreich sollte ein Staat dritten Ranges werden, riesige Stücke Rußlands müßten annektiert werden, und alle Gegner hätten zu zahlen und Sachwerte abzuliefern bis zum Weißbluten! Das warst du, Heinrich! Jetzt aber brüllst du im Chor mit über die Ungerechtigkeit, die uns angetan wurde. Es ist zum Kotzen mit eurem Selbstmitleid und eurem Rachegeschrei! Immer ist ein anderer schuld! Ihr stinkt vor Selbstgerechtigkeit, ihr Pharisäer! Wißt ihr nicht, daß das erste Zeichen eines Mannes darin besteht, daß er dafür einsteht, was er getan hat? Euch aber ist nie etwas anderes als das größte Unrecht geschehen, und ihr unterscheidet euch nur in einem von Gott – Gott weiß alles, aber ihr wißt alles besser.«

Georg sieht sich um, als erwache er. Sein Gesicht ist jetzt so rot wie sein Pyjama, und sogar die Glatze hat eine rosige Farbe. Heinrich ist erschreckt zurückgewichen. Georg folgt ihm. Er ist sehr wütend. Heinrich weicht weiter zurück. »Steck mich nicht an!« schreit er. »Du bläst mir ja deine Bazillen ins Gesicht! Wohin soll das führen, wenn wir beide die Grippe haben?«

»Niemand dürfte mehr sterben«, sage ich.

Es ist ein schönes Bild, die kämpfenden Brüder zu sehen. Georg im roten Satinpyjama, schwitzend vor Wut, und Heinrich im kleinen Gesellschaftsanzug, voller Sorge, die Grippe zu erwischen. Die Szene wird außer mir noch von Lisa beobachtet, die in einem Morgenrock mit eingedruckten Segelschiffen trotz des Wetters weit aus dem Fenster hängt. Im Hause Knopf steht die Tür offen. Der Regen hängt wie ein Vorhang von Glasperlen davor. Es ist so dunkel drinnen, daß die Mädchen bereits Licht gemacht haben. Man könnte glauben, sie schwämmen da herum wie die Rheintöchter Wagners. Unter einem riesigen Schirm wandelt der Tischler Wilke wie ein schwarzer Pilz über den Hof. Heinrich Kroll verschwindet, buchstäblich von Georg aus dem Büro gedrängt. »Gurgeln Sie mit Salzsäure«, rufe ich ihm nach. »Grippe ist bei Leuten Ihres Schlages tödlich.«

Georg bleibt stehen und lacht. »Was bin ich für ein Idiot«, sagt er. »Als ob die Sorte je etwas lernen würde!«

»Woher hast du das Pyjama?« frage ich. »Bist du in die kommunistische Partei eingetreten?«

Händeklatschen kommt von gegenüber. Lisa überschüttet Georg mit Beifall – ein starkes Stück von Disloyalität gegen Watzek, den aufrechten Nationalsozialisten und künftigen Schlachthofdirektor. Georg verneigt sich, die Hand aufs Herz gedrückt. »Leg dich ins Bett«, sage ich. »Du bist ja ein Springbrunnen, so schwitzest du!«

»Schwitzen ist gesund! Schau dir den Regen an! Da schwitzt der Himmel. Und drüben das Stück Leben, in seinem offenen Morgenrock, mit weißen Zähnen und voll von Gelächter! Was tun wir hier? Warum zerspringen wir nicht wie Feuerwerk? Wenn wir einmal richtig wüßten, was Leben ist, würden wir zerspringen! Wozu verkaufe ich Denkmäler? Warum bin ich nicht eine Sternschnuppe? Oder ein Vogel Greif, der über Hollywood hinstreicht und die wunderbarsten Frauen aus ihren Swimmingpools raubt? Weshalb müssen wir in Werdenbrück leben und Kämpfe im Café Central haben, anstatt eine Karawane nach Timbuktu auszurüsten und mit mahagonifarbenen Trägern in den weiten afrikanischen Morgen zu ziehen? Warum haben wir kein Bordell in Yokohama? Antworte! Es ist wichtig, das sofort zu wissen! Warum schwimmen wir nicht mit purpurnen Fischen um die Wette in den roten Abenden von Tahiti? Antworte!«

Er greift nach der Flasche Kornschnaps. »Halt!« sage ich. »Es ist noch Wein da. Ich werde ihn sofort auf dem Spirituskocher heiß machen. Keinen Schnaps jetzt! Du hast Fieber! Roten, heißen Wein, gewürzt mit den Spezereien Indiens und der Sundainseln!«

»Gut! Erhitze ihn! Aber warum sind wir nicht selbst auf den Inseln der Hoffnung und schlafen mit Frauen, die nach Zimt riechen und deren Augen weiß werden, wenn wir sie unter dem südlichen Kreuz begatten, und die Schreie ausstoßen wie die Papageien und die Tiger? Antworte!«

Die blaue Flamme des Spirituskochers brennt wie das blaue Licht des Abenteuers im Halbdunkel des Büros. Der Regen rauscht wie das Meer. »Wir sind auf dem Weg, Kapitän«, sage ich und nehme einen gewaltigen Zug Kornschnaps, um Georg nachzukommen. »Die Karavelle passiert gerade Santa Cruz, Lissabon und die Goldküste. Die Sklavinnen des Arabers Mohammed ben Hassan ben Watzek starren aus ihren Kajüten und winken. Hier ist Eure Wasserpfeife!«

Ich reiche Georg eine Zigarre aus der Kiste für die besten Agenten. Er entzündet sie und bläst ein paar tadellose Rauchringe. Sein Pyjama zeigt dunkle Wasserflecke. »Auf dem Wege«, sagt er. »Warum sind wir noch nicht da?«

»Wir sind da. Man ist immer und überall da. Zeit ist ein Vorurteil. Das ist das Geheimnis des Lebens. Man weiß es nur nicht. Man bemüht sich immer, irgendwo anzukommen!«

»Warum weiß man es nicht?« fragt Georg.

»Zeit, Raum und das Kausalgesetz sind der Schleier der Maja, der die freie Sicht behindert.«

»Warum?«

»Sie sind die Peitschen, mit denen Gott verhindert, daß wir ihm gleich werden. Er jagt uns mit ihnen durch ein Panorama von Illusionen und durch die Tragödie der Dualität.«

»Welcher Dualität?«

»Der von Ich und Welt. Von Sein und Leben. Objekt und Subjekt sind nicht mehr eins. Geburt und Tod sind die Folgen. Die Kette klirrt. Wer sie zerreißt, zerreißt auch Geburt und Tod. Laßt es uns versuchen, Rabbi Kroll!«

Der Wein dampft. Er riecht nach Gewürznelken und Zitronen. Ich gebe Zucker hinein, und wir trinken. Beifall kommt aus der Kabine des Sklavenschiffes Mohammed ben Hassan ben Jussuf ben Watzek auf der anderen Seite des Golfes. Wir verneigen uns und setzen die Gläser nieder. »Wir sind also unsterblich?« fragt Georg kurz und ungeduldig.

»Nur hypothetisch«, erwidere ich. »In der Theorie – denn unsterblich ist der Gegensatz zu sterblich – also bereits eine Dualitätshälfte. Erst wenn der Schleier der Maja völlig reißt, geht die Dualität zum Teufel. Dann ist man heimgekehrt, nicht mehr Objekt und Subjekt, sondern beides in einem, und alle Fragen sterben.«

»Das ist nicht genug!«

»Was gibt es weiter?«

»Man ist. Punkt.«

»Auch das ist der Teil eines Paares: Man ist, man ist nicht. Immer noch Dualität, Kapitän! Wir müssen darüber hinaus!«

»Wie? Wenn wir die Schnauze aufmachen, haben wir sofort wieder den Teil eines anderen Paares am Wickel. Das geht nicht so weiter! Sollen wir stumm durchs Leben gehen?«

»Das wäre der Gegensatz zu nicht-stumm.«

»Verflucht! Wieder eine Falle! Was tun, Steuermann?«

Ich schweige und hebe das Glas hoch. Rot leuchtet der Reflex des Weines. Ich zeige auf den Regen und hebe ein Stück Granit von den Gesteinsproben hoch. Dann zeige ich auf Lisa, auf den Reflex im Glase, das Flüchtigste der Welt, auf den Granit, das Beständigste der Welt, stelle das Glas und den Granit fort und schließe die Augen. Etwas wie ein Schauer läuft mir bei all dem Hokuspokus plötzlich den Rücken entlang. Sind wir vielleicht unwissentlich auf eine Spur geraten? Haben wir im Suff einen magischen Schlüssel erwischt? Wo ist auf einmal das Zimmer? Treibt es im Universum? Wo ist die Welt? Passiert sie gerade die Plejaden? Und wo ist der rote Reflex des Herzens? Ist er Polarstern, Achse und Zentrum in einem?

Frenetisches Beifallsklatschen von gegenüber. Ich öffne die Augen. Einen Moment ist keine Perspektive da. Alles ist flach und weit und nah und rund zur selben Zeit und hat keinen Namen. Dann wirbelt es zurück und steht still und ist wieder das, was es heißt. Wann war das schon einmal so? Es war schon einmal so! Ich weiß es irgendwoher, aber es fällt mir nicht ein.

Lisa schwenkt eine Flasche Kakaolikör aus dem Fenster. In diesem Augenblick geht die Türglocke. Wir winken Lisa hastig zu und schließen das Fenster. Bevor Georg verschwinden kann, öffnet sich die Bürotür, und Liebermann, der Friedhofswärter des Stadtfriedhofes, tritt ein. Er umfaßt mit einem Blick den Spirituskocher, den Glühwein und Georgs Pyjama und krächzt:»Geburtstag?«

»Grippe«, erwidert Georg.

»Gratuliere!«

»Was ist da zu gratulieren?«

»Grippe bringt Geschäft. Ich merke as draußen. Bedeutend mehr Tote.«

»Herr Liebermann«, sage ich zu dem rüstigen Achtzigjährigen. »Wir sprechen nicht vom Geschäft. Herr Kroll hat einen schweren kosmischen Grippeanfall, den wir soeben heroisch bekämpfen. Wollen Sie auch ein Glas Medizin?«

»Ich bin Schnapstrinker. Wein macht mich nur nüchtern.«

»Wir haben auch Schnaps.«

Ich schenke ihm ein Wasserglas voll ein. Er trinkt einen guten Schluck, nimmt dann seinen Rucksack ab und holt vier Forellen hervor, die in große grüne Blätter eingeschlagen sind. Sie riechen nach Fluß und Regen und Fisch.

»Ein Geschenk«, sagt Liebermann.

Die Forellen liegen mit gebrochenen Augen auf dem Tisch. Ihre grüne und graue Haut ist voll roter Flecken. Wir starren sie an. Sanft ist der Tod plötzlich wieder in den Raum eingebrochen, in dem soeben noch die Unsterblichkeit schwang – sanft und schweigend, mit dem Vorwurf der Kreatur gegen den Mörder und Allesesser Mensch, der von Frieden und Liebe redet und Lämmern die Kehle zerschneidet und Fische ersticken läßt, um Kraft genug zu haben, weiter über Frieden und Liebe zu reden – Bodendiek, den Mann Gottes und saftigen Fleischesser, nicht ausgenommen.

»Ein schönes Abendessen«, sagt Liebermann. »Besonders für Sie, Herr Kroll. Leichte Krankenkost.«

Ich trage die toten Fische in die Küche und übergebe sie Frau Kroll, die sie fachkundig betrachtet. »Mit frischer Butter, gekochten Kartoffeln und Salat«, erklärt sie.

Ich sehe mich um. Die Küche glänzt, Licht strahlt aus den Kochtöpfen zurück, eine Pfanne zischt, und es riecht gut. Küchen sind immer ein Trost. Der Vorwurf schwindet aus den Augen der Forellen. Aus toten Kreaturen wird plötzlich Nahrung, die man verschiedenartig zubereiten kann. Fast scheint es, als wären sie nur deswegen geboren worden. Was für Verräter wir doch sind, denke ich, an unseren edleren Gefühlen!

Liebermann hat einige Adressen gebracht. Die Grippe wirkt sich tatsächlich bereits aus. Leute sterben, weil sie nicht viel Widerstandskraft haben. Der Hunger während des Krieges hat sie ohnehin schon geschwächt. Ich beschließe plötzlich, mir einen anderen Beruf zu suchen. Ich bin des Todes müde. Geoerg hat sich seinen Bademantel geholt. Er sitzt wie ein schwitzender Buddha da. Der Bademantel ist giftgrün. Georg liebt zu Hause scharfe Farben. Ich weiß jetzt auf einmal, woran mich unser Gespräch vorhin erinnert hat. An etwas, was Isabelle vor einiger Zeit gesagt hat. Ich erinnere mich nicht mehr genau daran – aber es hatte mit dem Betrug der Dinge zu tun. Doch war es bei uns wirklich ein Betrug? Oder waren wir Gott einen Augenblick um einen Zentimeter näher?


Die Dichterklause im Hotel »Walhalla« ist ein kleiner getäfelter Raum. Eine Büste Goethes steht auf einem Regal mit Büchern, und Photographien und Stiche von deutschen Klassikern, Romantikern und ein paar modernen Schriftstellern hängen herum. Die Klause ist der Versammlungsort für den Dichterklub und die geistige Elite der Stadt. Jede Woche ist eine Sitzung. Selbst der Redakteur des Tageblattes erscheint ab und zu und wird offen umschmeichelt und geheim gehaßt, je nachdem, ob er Beiträge angenommen oder abgelehnt hat. Er macht sich nichts daraus. Wie ein milder Onkel schwebt er durch den Tabakrauch, verlästert, angegriffen und verehrt – nur in einem sind sich alle über ihn einig: daß er nichts von moderner Literatur versteht. Hinter Theodor Storm, Eduard Mörike und Gottfried Keller beginnt für ihn die große Wüste.

Außer ihm kommen noch ein paar Landgerichtsräte und pensionierte Beamte, die an Literatur interessiert sind; Arthur Bauer und einige seiner Kollegen; die Poeten der Stadt, ein paar Maler und Musiker, und ab und zu als Gast ein Außenseiter. Arthur Bauer wird gerade von dem Speichellecker Matthias Grund umkrochen, der hofft, Arthur werde sein »Buch vom Tode in sieben Abteilungen« verlegen. Eduard Knobloch, der Gründer des Klubs, erscheint. Er wirft einen raschen Blick durch den Raum und heitert sich auf. Einige seiner Kritiker und Feinde sind nicht da. Er setzt sich zu meinem Erstaunen neben mich. Ich habe das nach dem Abend mit dem Huhn nicht erwartet. »Wie geht’s?« fragt er zudem ganz menschlich, nicht in seinem Speisesaalton.

»Brillant«, sage ich, weil ich weiß, daß ihn das ärgert.

»Ich habe eine neue Sonett-Serie vor«, erklärt er, ohne darauf einzugehen. »Ich hoffe doch, du hast nichts dagegen.«

»Was soll ich dagegen haben? Ich hoffe, sie reimen sich.«

Ich bin Eduard überlegen, weil ich bereits zwei Sonette im Tageblatt veröffentlicht habe; er jedoch nur zwei Lehrgedichte. »Es ist ein Zyklus«, sagt er, zu meiner Überraschung leicht verlegen. »Die Sache ist: Ich möchte ihn „Gerda“ nennen.«

»Nenne ihn, wie du -« Ich unterbreche mich. »Gerda, sagst du? Warum Gerda? Gerda Schneider?«

»Unsinn! Einfach Gerda.«

Ich mustere den fetten Riesen argwöhnisch. »Was soll denn das heißen?«

Eduard lacht falsch. »Nichts. Nur eine poetische Lizenz. Die Sonette haben etwas mit Zirkus zu tun. Entfernt, natürlich. Wie du weißt, belebt es die Phantasie, wenn sie – auch nur theoretisch – konkret fixiert wird.«

»Laß die Faxen«, sage ich. »Komm raus mit der Sprache! Was soll das heißen, du Falschspieler?«

»Falschspieler?« erwidert Eduard mit gespielter Empörung. »Das kann man wohl eher von dir sagen! Hast du nicht getan, als wäre die Dame eine Sängerin wie die ekelhafte Freundin von Willy?«

»Nie. Du hast es nur geglaubt.«

»Na schön«, erklärt Eduard. »Die Sache hat mir keine Ruhe gegeben. Ich bin ihr nachgegangen. Und ich habe herausgefunden, daß du gelogen hast. Sie ist gar keine Sängerin.«

»Habe ich das denn gesagt? Habe ich dir nicht gesagt, sie sei beim Zirkus?«

»Das hast du. Aber du hast mit der Wahrheit so gelogen, daß ich sie nicht geglaubt habe. Und dann hast du die andere Dame imitiert.«

»Wie hast du das alles herausgefunden?«

»Ich habe Mademoiselle Schneider zufällig auf der Straße getroffen und sie gefragt. Das darf man ja wohl noch, was?«

»Und wenn sie dich angeschwindelt hat?«

Eduard hat plötzlich ein ekelhaft süffisantes Lächeln auf seinem Babygesicht und schweigt. »Hör zu«, sage ich alarmiert und sehr ruhig. »Diese Dame ist nicht mit Sonetten zu gewinnen.«

Eduard reagiert darauf nicht. Er zeigt weiter die Überlegenheit eines Poeten, der außer Gedichten noch ein erstklassiges Restaurant besitzt, und ich habe gesehen, daß Gerda da sterblich ist. »Du Schurke«, erkläre ich wütend. »Das alles nützt dir nichts. Die Dame fährt in ein paar Tagen ab.«

»Sie fährt nicht ab«, erwidert Eduard und entblößt zum ersten Male, seit ich ihn kenne, sein Gebiß. »Ihr Vertrag ist heute verlängert worden.«

Ich starre ihn an. Der Lump weiß mehr als ich. »Du hast sie also heute auch getroffen?«

Eduard beginnt etwas zu stottern. »Zufällig heute – das war es doch! Nur heute.«

Die Lüge steht groß auf seinen dicken Backen geschrieben.

»So, und da hattest du gleich die Inspiration mit der Widmung?« sage ich. »So vergiltst du mir unsere treue Kundschaft? Mit einem Küchenmesserstich in die Richtung der Geschlechtsteile, du Tellerwäscher?«

»Eure verdammte Kundschaft kann mir -«

»Hast du ihr die Sonette nicht auch schon geschickt, du impotenter Pfau?« unterbreche ich ihn. »Laß nur, du brauchst es nicht abzuleugnen! Ich werde sie schon ohnehin sehen, du Bettenmacher für fremde Schmutzfinken!«

»Was? Wie?«

»Deine Sonette, du Muttermörder! Habe ich dir nicht beigebracht, wie man überhaupt welche schreibt? Ein schöner Dank! Hättest du noch wenigstens den Anstand besessen, ihr Ritornelle oder Oden zu schicken! Aber nein, meine eigenen Waffen – na, Gerda wird mir das Zeug ja zeigen, damit ich es ihr übersetze!«

»Das wäre doch -« stottert Eduard, zum ersten Male aus der Fassung gebracht.

»Es wäre gar nichts«, erwidere ich. »Frauen tun so etwas. Ich weiß das. Aber da ich dich als Restaurateur schätze, will ich dir noch etwas anderes verraten: Gerda hat einen herkulischen Bruder, der über die Familienehre wacht. Er hat bereits zwei ihrer Verehrer zu Krüppeln geschlagen. Er bricht besonders gern Plattfüße. Und die hast du ja.«

»Quatsch«, sagt Eduard, aber ich sehe, daß er trotzdem scharf nachdenkt. Eine Behauptung kann noch so unwahrscheinlich sein, wenn man nur fest darauf besteht, bleibt immer etwas hängen – das habe ich von Watzeks politischem Vorbild gelernt.


Der Dichter Hans Hungermann tritt zu uns an das Sofa. Er ist der Verfasser des ungedruckten Romans »Wotans Ende« und der Dramen »Saul«,»Baldur« und »Mohammed«. Was macht die Kunst, Gesellen?« fragt er. »Habt ihr den Mist gelesen, den Otto Bambuss gestern im Tecklenburger Kreisblatt zum besten gegeben hat? Buttermilch und Spucke! Daß Bauer diesen Schleimscheißer druckt!«

Otto Bambus ist der erfolgreichste Poet der Stadt. Wir sind alle auf ihn neidisch. Er verfaßt stimmungsvolle Verse über stimmungsvolle Winkel, umliegende Dörfer, Straßenecken am Abend und seine wehmütige Seele. Er hat zwei dünne broschierte Gedichtbände bei Arthur Bauer herausgebracht – einen sogar in zweiter Auflage. Hungermann, der markige Runendichter, haßt ihn, versucht aber, seine Beziehungen auszunützen. Matthias Grund verachtet ihn. Ich dagegen bin Ottos Vertrauter. Er möchte gern einmal in ein Bordell gehen, wagt es aber nicht. Er erwartet davon einen mächtigen bluthaften Aufschwung seiner etwas bleichsüchtigen Lyrik. Als er mich sieht, kommt er gleich auf mich los. »Ich habe gehört, du kennst eine Dame vom Zirkus! Zirkus, das wäre was! Da könnte man farbig sein! Kennst du wirklich eine?«

»Nein, Otto. Eduard hat renommiert. Ich kenne nur eine, die vor drei Jahren Billetts im Zirkus verkauft hat.«

»Billetts – immerhin, sie war dabei! Sie muß noch etwas davon haben. Den Raubtiergeruch, die Manege. Könntest du mich nicht einmal mit ihr bekannt machen?«

Gerda hat wahrhaftig Chancen in der Literatur! Ich sehe Bambuss an. Er ist hochgeschossen, blaß, hat kein Kinn, kein Gesicht und trägt einen Kneifer. »Sie war im Flohzirkus«, sage ich.

»Schade!« Er tritt enttäuscht zurück. »Ich muß etwas tun«, murmelt er dann. »Ich weiß, daß es das ist, was mir fehlt – das Blut.«

»Otto«, erwidere ich. »Kann es nicht jemand sein, der nicht vom Zirkus ist? Irgendein netter Betthase?«

Er schüttelt seinen schmalen Kopf. »Das ist nicht so einfach, Ludwig. Über Liebe weiß ich alles. Seelische Liebe, meine ich. Da brauche ich nichts mehr, das habe ich. Was ich brauche, ist Leidenschaft, brutale, wilde Leidenschaft. Purpurnes, rasendes Vergessen. Delirium!«

Er knirscht beinahe mit seinen kleinen Zähnen. Er ist Lehrer in einem winzigen Dorf in der Nähe der Stadt, und da findet er das natürlich nicht. Jeder will dort heiraten oder meint, Otto solle heiraten, ein braves Mädchen, das gut kocht, mit einer schönen Aussteuer. Das will Otto aber nicht. Er findet, als Dichter müsse er sich ausleben. »Das Schwierige ist, daß ich die beiden nicht zusammenkriegen kann«, erklärt er düster. »Die himmlische und die irdische Liebe. Liebe ist für mich sofort sanft, voll Hingabe, Opfer und Güte. Der Geschlechtstrieb wird dabei auch sanft und häuslich. Jeden Sonnabendabend, du verstehst, damit man sonntags ausschlafen kann. Ich brauche aber etwas, das nur Geschlechtstrieb ist, ohne alles andere, etwas, in das man sich verbeißen kann. Schade, ich hörte, du hättest eine Trapezkünstlerin.«

Ich betrachte Bambuss mit neuem Interesse. Himmlische und irdische Liebe – er also auch! Die Krankheit scheint verbreiteter zu sein, als ich dachte. Otto trinkt ein Glas Waldmeisterlimonade und sieht mich mit seinen blassen Augen an. Wahrscheinlich hat er erwartet, daß ich auf Gerda sofort verzichten würde, um seiner Kunst Geschlechtsteile wachsen zu lassen. »Wann gehen wir einmal ins Freudenhaus?« fragt er wehmütig. »Du hast mir das doch versprochen.«

»Bald. Aber es ist kein purpurner Pfuhl der Sünde, Otto.«

»Ich habe nur noch zwei Wochen Ferien. Dann muß ich wieder auf mein Dorf zurück, und alles ist aus.«

»Wir machen es vorher. Hungermann möchte auch hin. Er braucht es für sein neues Drama „Casanova“. Wie wäre es mit einem gemeinsamen Ausflug?«

»Um Gottes willen! Ich darf nicht gesehen werden! Bei meinem Beruf!«

»Gerade deshalb! Ein Ausflug ist harmlos. Der Puff hat eine Art Kneipe in den unteren Räumen. Da verkehrt, wer will.«

»Natürlich gehen wir«, sagt Hungermann hinter mir. »Alle zusammen. Wir machen eine Studienexpedition. Rein wissenschaftlich. Eduard will auch mit.«

Ich drehe mich nach Eduard um, um den überlegenen Sonettkoch mit sarkastischer Soße zu übergießen – aber das ist schon nicht mehr notwendig. Eduard sieht plötzlich aus, als hätte er eine Schlange vor sich. Ein schlanker Mensch hat ihm soeben auf die Schulter geklopft. »Eduard, alter Kamerad!« sagt er jetzt freundschaftlich. »Wie geht es dir? Freust dich, daß du noch lebst, was?«

Eduard starrt den schlanken Mann an. »Heutzutage?« würgt er heraus.

Er ist erblaßt. Seine feisten Backen hängen plötzlich herunter, seine Schultern hängen, seine Lippen, seine Locken, ja selbst sein Bauch hängt. Er ist im Handumdrehen eine fette Trauerweide geworden.

Der Mann, der das alles verursacht hat, heißt Valentin Busch. Er ist neben Georg und mir die dritte Pest in Eduards Dasein, und nicht nur das – er ist Pest, Cholera und Paratyphus zusammen. »Du siehst blühend aus, mein Junge«, erklärt Valentin Busch herzlich.

Eduard lacht hohl. »Aussehen macht es nicht. Man wird aufgefressen von Steuern, Zinsen und Dieben -«

Er lügt. Steuern und Zinsen bedeuten im Zeitalter der Inflation überhaupt nichts; man zahlt sie nach einem Jahr, das heißt, so gut wie überhaupt nicht. Sie sind dann längst entwertet. Und der einzige Dieb, den Eduard kennt, ist er selbst.

»An dir ist wenigstens was dran zu fressen«, erwidert Valentin lächelnd und erbarmungslos. »Das dachten die Würmer in Flandern auch, als sie schon auszogen, dich zu holen.«

Eduard windet sich. »Was soll es sein, Valentin?« fragt er. »Ein Bier? Bier ist das beste gegen die Hitze.«

»Mir ist es nicht zu heiß. Aber das Beste ist gerade gut genug, um zu feiern, daß du noch lebst, da hast du recht. Gib mir eine Flasche Johannisberger Langenberg, Wachstum Mumm, Eduard.«

»Der ist ausverkauft.«

»Er ist nicht ausverkauft. Ich habe mich bei deinem Kellermeister erkundigt. Du hast noch über hundert Flaschen davon. Welch ein Glück, daß es meine Lieblingsmarke ist!«

Ich lache. »Was lachst du?« schreit Eduard wütend. »Gerade du hast keinen Grund dazu. Blutegel! Blutegel seid ihr alle! Blutet mich weiß! Du, dein Bonvivant von Grabsteinhändler und du, Valentin! Blutet mich weiß! Ein Kleeblatt von Schmarotzern!«

Valentin blinzelt mir zu und bleibt ernst. »So, das ist also der Dank, Eduard! Und so hältst du dein Wort! Hätte ich das gewußt, damals -«

Er krempelt seinen Ärmel hoch und betrachtet eine lange, zackige Narbe. Er hat Eduard 1917 im Kriege das Leben gerettet. Eduard, der Küchenunteroffizier gewesen war, war damals plötzlich abgelöst und an die Front geschickt worden. Schon in den ersten Tagen erwischte der Elefant auf einer Patrouille im Niemandsland einen Schuß durch die Wade und gleich darauf einen zweiten, bei dem er viel Blut verlor. Valentin fand ihn, band ihn ab und schleppte ihn in den Graben zurück. Dabei erhielt er selbst einen Splitter in den Arm. Aber er rettete Eduards Leben, der sonst sicher verblutet wäre. Eduard, in überströmender Dankbarkeit, bot Valentin damals an, er könne sein Leben lang im »Walhalla« essen und trinken, was er wolle. Valentin schlug mit der linken, unverwundeten Hand ein. Georg Kroll und ich waren Zeugen.

Das alles sah 1917 noch harmlos aus. Werdenbrück war weit, der Krieg nah, und wer wußte schon, ob Valentin und Eduard jemals wieder zum »Walhalla« zurückkommen würden? Sie kamen; Valentin, nachdem er noch zweimal verwundet worden war, Eduard fett und rund, als wiedereingesetzter Küchenbulle. Im Anfang war Eduard tatsächlich dankbar und spendierte, wenn Valentin zu Besuch kam, ab und zu sogar deutschen Sekt, der nicht mehr schäumte. Doch die Jahre begannen zu zehren. Valentin etablierte sich nämlich in Werdenbrück. Er hatte vorher in einer anderen Stadt gelebt; jetzt zog er in eine kleine Bude nahe beim »Walhalla« und erschien pünktlich zum Frühstück, zum Mittagessen und zum Abendbrot bei Eduard, der bald sein leichtfertiges Versprechen bitter bereute. Valentin war ein guter Esser, besonders deshalb, weil er ja keine Sorgen mehr hatte. Eduard hätte sich vielleicht noch halbwegs über das Futter hinweggetröstet; doch Valentin trank auch, und allmählich entwickelte er Kennerschaft und feinen Geschmack für Wein. Vorher hatte er Bier getrunken; jetzt trank er nur noch Kellerabzüge und brachte Eduard dadurch natürlich ganz anders zur Verzweiflung als wir mit unseren armseligen Eßmarken.

»Also schön«, sagt Eduard trostlos, als Valentin ihm seine Narbe entgegenhält. »Aber Essen und Trinken heißt Trinken zum Essen, nicht zwischendurch. Trinken zwischendurch habe ich nicht versprochen.«

»Sieh dir diesen erbärmlichen Krämer an«, erwidert Valentin und stößt mich an. »1917 hat er nicht so gedacht. Da hieß es: Valentin, liebster Valentin, rette mich, ich gebe dir auch alles, was ich habe!«

»Das ist nicht wahr! Das habe ich nie gesagt!« schreit Eduard im Falsett.

»Woher weißt du das? Du warst doch halb verrückt vor Angst und halb verblutet, als ich dich zurückschleppte.«

»Ich hätte es nicht sagen können! Das nicht! Selbst wenn es mein sofortiger Tod gewesen wäre. Es liegt nicht in meinem Charakter.«

»Das stimmt«, sage ich. »Der Geizknochen wäre lieber verreckt.«

»Das meine ich«, erklärt Eduard, aufatmend, Hilfe gefunden zu haben. Er wischt sich die Stirn. Seine Locken sind naß, so hat ihn die letzte Drohung Valentins erschreckt. Er sah schon einen Prozeß um das »Walhalla« vor sich. »Also meinetwegen, für dieses Mal«, sagt er rasch, um nicht weiter bedrängt zu werden. »Kellner, eine halbe Flasche Mosel.«

»Johannisberger Langenberg, eine ganze Flasche«, korrigiert Valentin und wendet sich an mich. »Darf ich dich zu einem Glas einladen?«

»Und ob!« erwidere ich.

»Halt!« sagt Eduard. »Das war bestimmt nicht in der Abmachung! Sie war nur für Valentin allein! Ludwig kostet mich ohnehin schon jeden Tag schweres Geld, der Blutsauger mit den entwerteten Eßmarken!«

»Sei ruhig, du Giftmischer«, erwidere ich. »Dies ist geradezu eine Karma-Verknüpfung. Du schießt auf mich mit Sonetten, ich bade meine Wunden dafür in deinem Rheinwein. Willst du, daß ich einer gewissen Dame einen Zwölfzeiler in der Art des Aretino über diese Situation zuschicke, du Wucherer an deinem Lebensretter?«

Eduard verschluckt sich. »Ich brauche frische Luft«, murmelt er wütend. »Erpresser! Zuhälter! Schämt ihr euch eigentlich nie?«

»Wir schämen uns über schwierigere Dinge, du harmloser Millionenzähler.« Valentin und ich stoßen an. Der Wein ist hervorragend.

»Wie ist es mit dem Besuch im Haus der Sünde?« fragt Otto Bambuss, scheu vorübergleitend.

»Wir gehen bestimmt, Otto. Wir sind es der Kunst schuldig.«

»Warum trinkt man eigentlich am liebsten bei Regen?« fragt Valentin und schenkt neu ein. »Es müßte doch umgekehrt sein.«

»Möchtest du für alles immer eine Erklärung haben?«

»Natürlich nicht. Wo bliebe sonst die Unterhaltung? Mir ist das nur aufgefallen.«

»Vielleicht ist es der Herdentrieb, Valentin. Flüssigkeit zu Flüssigkeit.«

»Mag sein. Aber ich pisse auch öfter an Tagen, wenn es regnet. Das ist doch zumindest sonderbar.«

»Du pißt mehr, weil du mehr trinkst. Was ist daran sonderbar?«

»Stimmt.« Valentin nickt erleichtert. »Daran habe ich nicht gedacht. Führt man auch mehr Kriege, weil mehr Menschen geboren werden?«

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