»Der Hahnrei«, sagt Georg,»gleicht einem eßbaren Haustier, sagen wir, einem Huhn oder einem Kaninchen. Man verspeist es mit Genuß, solange man es nicht persönlich kennt. Wächst man aber damit auf, spielt mit ihm, hegt und pflegt es – dann kann nur ein Rohling sich einen Braten daraus machen. Man soll Hahnreis deshalb niemals kennen.«
Ich deute wortlos auf den Tisch. Dort liegt zwischen den Steinproben eine dicke rote Wurst – Pferdewurst, ein Geschenk Watzeks, der sie morgens für mich hinterlassen hat. »Ißt du sie?« fragte Georg.
»Selbstverständlich esse ich sie. Ich habe schon schlechteres Pferdefleisch in Frankreich gegessen. Aber weiche nicht aus! Dort liegt die Spende Watzeks. Ich bin in einem Dilemma.«
»Nur durch deine Lust an dramatischen Situationen.«
»Gut«, sage ich. »Ich gebe das zu. Immerhin habe ich dir das Leben gerettet. Die alte Konersmann wird weiter aufpassen. Ist dir die Sache das wert?«
Georg holt sich eine Brasil aus dem Schrank. »Watzek hält dich jetzt für seinen Bruder«, erwidert er. »Ist das dein Gewissenskonflikt?«
»Nein. Er ist außerdem noch Nazi – das löscht die einseitige Bruderschaft wieder aus. Aber bleiben wir einmal dabei.«
»Watzek ist auch mein Bruder«, erklärt Georg und bläst den weißen Rauch der Brasil in das Gesicht einer heiligen Katharina aus bemaltem Gips. »Lisa betrügt mich nämlich ebenso wie ihn.«
»Erfindest du das jetzt?« frage ich überrascht.
»Nicht im geringsten. Woher soll sie sonst all ihre Kleider haben? Watzek, als Ehemann, macht sich darüber keine Gedanken, wohl aber ich.«
»Du?«
»Sie hat es mir selbst gestanden, ohne daß ich sie gefragt habe. Sie erklärte, sie wollte nicht, daß irgendein Betrug zwischen uns bestehe. Sie meinte das ehrlich – nicht witzig.«
»Und du? Du betrügst sie mit den Fabelfiguren deiner Phantasie und deiner Magazine.«
»Selbstverständlich. Was heißt überhaupt betrügen? Das Wort wird immer nur von denen gebraucht, denen es gerade passiert. Seit wann hat Gefühl etwas mit Moral zu tun? Habe ich dir dafür hier, unter den Sinnbildern der Vergänglichkeit, deine Nachkriegserziehung gegeben? Betrügen – was für ein vulgäres Wort für die feinste, letzte Unzufriedenheit, das Suchen nach mehr, immer mehr -«
»Geschenkt!« unterbreche ich ihn. »Der kurzbeinige, aber sehr kräftige Mann, den du soeben draußen mit einer Beule am Kopf in die Tür einbiegen siehst, ist der frisch gebadete Schlächter Watzek. Sein Haar ist geschnitten und noch naß von Bay Rum. Er will seiner Frau gefallen. Rührt dich das nicht?«
»Natürlich; aber er wird seiner Frau nie gefallen.«
»Warum hat sie ihn denn geheiratet?«
»Sie ist inzwischen sechs Jahre älter geworden. Geheiratet hat sie ihn im Kriege, als sie sehr hungrig war und er viel Fleisch besorgen konnte.«
»Warum geht sie nicht von ihm weg?«
»Weil er droht, daß er dann die ganze Familie umbringen will.«
»Hat sie dir das alles erzählt?«
»Ja.«
»Lieber Gott«, sage ich. »Und du glaubst das!«
Georg bläst einen kunstvollen Rauchring. »Wenn du stolzer Zyniker einmal so alt bist wie ich, wirst du hoffentlich auch herausgefunden haben, daß Glauben nicht nur bequem ist, sondern oft sogar stimmt.«
»Gut«, sage ich. »Wie ist es dabei aber mit dem Schlachtmesser Watzeks? Und mit den Augen der Witwe Konersmann?«
»Betrüblich«, erwidert er. »Und Watzek ist ein Idiot. Er hat augenblicklich ein besseres Leben als je zuvor – weil Lisa ihn betrügt und ihn deshalb besser behandelt. Warte ab, wie er schreien wird, wenn sie ihm wieder treu ist und ihre Wut darüber an ihm ausläßt. Und nun komm essen! Nachdenken können wir über den Fall immer noch.«
Eduard trifft fast der Schlag, als er uns sieht. Der Dollar ist nahe an die Billion herangeklettert, und wir scheinen immer noch eine unerschöpfliche Menge von Essenmarken zu haben. »Ihr druckt sie!« behauptet er. »Ihr seid Falschmünzer! Ihr druckt sie geheim!«
»Wir möchten eine Flasche Forster Jesuitengarten nach dem Essen«, sagt Georg würdig.
»Wieso nach dem Essen?« fragt Eduard mißtrauisch. »Was heißt das schon wieder?«
»Der Wein ist zu gut für das, was du als Essen in den letzten Wochen servierst«, erkläre ich.
Eduard schwillt an. »Auf Eßmarken vom vorigen Winter zu essen, für sechstausend lumpige Mark die Mahlzeit, und dann noch das Essen kritisieren – das geht zu weit! Man sollte die Polizei holen!«
»Hole sie! Noch ein Wort, und wir essen nur hier und trinken den Wein im Hotel Hohenzollern!«
Eduard wirkt, als müsse er platzen; aber er beherrscht sich, des Weines wegen. »Magengeschwüre«, murmelt er und entfernt sich eiligst. »Magengeschwüre habe ich gekriegt, euretwegen! Nur noch Milch darf ich trinken!«
Wir lassen uns nieder und sehen uns um. Ich spähe verstohlen und mit schlechtem Gewissen nach Gerda aus, sehe sie aber nicht. Dafür gewahre ich, munter und grinsend, eine vertraute Figur, die mitten durch den Saal auf uns los steuert. »Siehst du, was ich sehe?« frage ich Georg.
»Riesenfeld! Schon wieder hier! Nur wer die Sehnsucht kennt-«
Riesenfeld begrüßt uns. »Sie kommen gerade zur rechten Zeit, sich zu bedanken«, sagt Georg zu ihm. »Unser junger Idealist dort hat sich gestern für Sie duelliert. Amerikanisches Duell, Messer gegen Marmorbrocken.«
»Was?« Riesenfeld setzt sich und ruft nach einem Glas Bier. »Wieso?«
»Herr Watzek, der Mann der Dame Lisa, die Sie mit Blumen und Pralines verfolgen, hat angenommen, daß diese Sachen von meinem Kameraden drüben kämen, und ihm dafür mit einem langen Messer aufgelauert.«
»Verletzt?« fragt Riesenfeld kurz und mustert mich.
»Nur seine Schuhsohle«, sagt Georg. »Watzek ist leicht verletzt.«
»Lügt ihr wieder einmal?«
»Dieses Mal nicht.«
Ich sehe Georg mit Bewunderung an. Seine Frechheit geht weit. Aber Riesenfeld ist nicht leicht zu schlagen.
»Er muß weg!« entscheidet er, wie ein römischer Kaiser.
»Wer?« frage ich. »Watzek?«
»Sie!«
»Ich? Warum nicht Sie? Oder Sie beide?«
»Watzek wird wieder kämpfen. Sie sind ein natürliches Opfer. Auf uns verfällt er nicht. Wir haben Glatzen. Also müssen Sie weg. Verstanden?«
»Nein«, sage ich.
»Wollten Sie nicht sowieso weg?«
»Nicht Lisas wegen.«
»Ich habe gesagt sowieso«, erklärt Riesenfeld. »Wollten Sie nicht ins wilde Leben einer großen Stadt?«
»Als was? Man wird in großen Städten nicht umsonst gefüttert.«
»Als Zeitungsangestellter in Berlin. Sie werden da im Anfang nicht viel verdienen, aber genug, daß Sie knapp leben können. Dann können Sie weitersehen.«
»Was?« sage ich atemlos.
»Sie haben mich doch ein paarmal gefragt, ob ich nichts wüßte für Sie! Nun, Riesenfeld hat seine Beziehungen. Ich weiß etwas für Sie. Kam deswegen vorbei. Am ersten Januar vierundzwanzig können Sie anfangen. Ein kleiner Posten, aber in Berlin. Gemacht?«
»Halt!« sagt Georg. »Er hat fünfjährige Kündigung.«
»Dann läuft er eben weg, ohne zu kündigen. Erledigt?«
»Wieviel verdient er?« fragt Georg.
»Zweihundert Mark«, erwidert Riesenfeld ruhig.
»Ich dachte mir doch, daß es falscher Zauber wäre«, sage ich.
»Macht es Ihnen Spaß, Leute zum besten zu halten? Zweihundert Mark! Gibt es so eine lächerliche Summe überhaupt noch?«
»Es gibt sie wieder«, sagt Riesenfeld.
»Ja?« frage ich. »Wo? In Neuseeland?«
»In Deutschland! Roggenmark. Nichts davon gehört?« Georg und ich sehen uns an. Es hat Gerüchte darüber gegeben, daß eine neue Währung geschaffen werden solle. Eine Mark soll dabei soviel wert sein wie ein bestimmtes Quantum Roggen; aber es hat in diesen Jahren so viele Gerüchte gegeben, das keiner es geglaubt hat.
»Diesmal ist es wahr«, erklärt Riesenfeld. »Ich habe es aus bester Quelle. Aus der Roggenmark wird dann eine Goldmark. Die Regierung steht dahinter.«
»Die Regierung! Die ist doch an der ganzen Abwertung schuld!«
»Mag sein. Aber jetzt ist es soweit. Sie hat keine Schulden mehr. Eine Billion Inflationsmark wird eine Goldmark werden.«
»Und die Goldmark wird dann wieder ’runtergehen, was? So geht der Tanz noch einmal los.«
Riesenfeld trinkt sein Bier aus. »Wollen Sie oder wollen Sie nicht?« fragt er.
Das Lokal scheint plötzlich sehr still zu sein. »Ja«, sage ich. Es ist, als sage es jemand neben mir. Ich traue mich nicht, Georg anzusehen.
»Das ist vernünftig«, erklärt Riesenfeld.
Ich blicke auf das Tischtuch. Es scheint zu schwimmen. Dann höre ich, wie Georg sagt:»Kellner, bringen Sie die Flasche Forster Jesuitengarten sofort.«
Ich blicke auf. »Du hast uns doch das Leben gerettet«, sagt er. »Deshalb!«
»Uns? Wieso uns?« fragt Riesenfeld.
»Ein Leben wird nie allein gerettet«, erwidert Georg geistesgegenwärtig. »Es ist immer mit ein paar anderen verbunden.«
Der Augenblick ist vorbei. Ich sehe Georg dankbar an. Ich habe ihn verraten, weil ich ihn verraten mußte, und er hat es verstanden. Er bleibt zurück. »Du besuchst mich«, sage ich. »Dann mache ich dich mit den großen Damen und Filmschauspielerinnen Berlins bekannt.«
»Kinder, das sind Pläne«, sagt Riesenfeld zu mir. »Wo bleibt der Wein? Ich habe Ihnen ja soeben das Leben gerettet.«
»Wer rettet hier eigentlich wen?« frage ich. »Jeder einmal irgend-einen«, sagt Georg. »Genau, wie er immer einmal irgendeinen tötet. Auch, wenn er es nicht weiß.«
Der Wein steht auf dem Tisch. Eduard erscheint. Er ist blaß und verstört. »Gebt mir auch ein Glas.«
»Verschwinde!« sage ich. »Schmarotzer! Wir können unsern Wein allein trinken.«
»Nicht deswegen. Die Flasche geht auf mich. Ich zahle sie. Aber gebt mir ein Glas. Ich muß etwas trinken.«
»Du willst die Flasche spendieren? Überlege, was du sagst!«
»Ich meine es.« Eduard setzt sich. »Valentin ist tot«, erklärt er.
»Valentin? Was ist ihm denn passiert?«
»Herzschlag. Habe es gerade am Telefon gehört.«
Er greift nach einem Glas. »Und du willst darauf trinken, du Lump?« sage ich empört. »Weil du ihn los bist?«
»Ich schwöre euch, nein! Nicht deshalb! Er hat mir doch das Leben gerettet.«
»Was«, sagt Riesenfeld. »Ihnen auch?«
»Natürlich mir, wem sonst?«
»Was ist hier los?« fragt Riesenfeld. »Sind wir ein Klub von Lebensrettern?«
»Es liegt an der Zeit«, erwidert Georg. »Es ist in diesen Jahren vielen gerettet worden. Und vielen nicht.«
Ich starre Eduard an. Er hat tatsächlich Tränen in den Augen; aber was weiß man bei ihm?»Ich glaube dir nicht«, sage ich. »Du hast ihm das an den Hals gewünscht! Ich habe es zu oft gehört. Du wolltest deinen verdammten Wein sparen.«
»Ich schwöre euch, nein! Ich habe es manchmal so gesagt, wie man etwas sagt. Aber doch nicht im Ernst!« Die Tropfen in Eduards Augen werden dicker. »Er hat mir ja tatsächlich das Leben gerettet.«
Riesenfeld steht auf. »Ich habe jetzt genug von diesem Lebensretter-Quatsch! Sind Sie nachmittags im Büro? Gut!«
»Schicken Sie keine Blumen mehr, Riesenfeld«, warnt Georg.
Riesenfeld winkt ab und verschwindet mit einem undefinierbaren Gesicht.
»Laßt uns ein Glas auf Valentin trinken«, sagt Eduard. Seine Lippen zittern. »Wer hätte das gedacht! Durch den ganzen Krieg ist er gekommen, und jetzt auf einmal liegt er da, von einer Sekunde zur anderen.«
»Wenn du schon sentimental sein willst, dann sei es richtig«, erwidere ich. »Hole eine Flasche von dem Wein, den du ihm nie gegönnt hast.«
»Den Johannisberger, jawohl.« Eduard erhebt sich eifrig und watschelt davon.
»Ich glaube, er ist ehrlich traurig«, sagt Georg.
»Ehrlich traurig und ehrlich erleichtert.«
»Das meine ich. Mehr kann man meistens nicht verlangen.«
Wir sitzen eine Weile. »Es passiert eigentlich etwas viel im Augenblick, was?« sage ich schließlich.
Georg sieht mich an. »Prost! Einmal mußt du ja gehen. Und Valentin? Er hat ein paar Jahre länger gelebt, als man 1917 hätte vermuten sollen.«
»Das haben wir alle.«
»Ja, und deshalb sollten wir was draus machen.«
»Tun wir das nicht?«
Georg lacht. »Man tut es, wenn man nichts anderes im Augenblick will, als was man gerade tut.«
Ich salutiere. »Dann habe ich nichts aus meinem gemacht. Und du?«
Er blinzelt. »Komm, laß uns hier verschwinden, ehe Eduard zurückkehrt. Zum Teufel mit seinem Wein!«
»Sanfte«, sage ich gegen die Mauer in das Dunkel. »Sanfte und Wilde, Mimose und Peitsche, wie töricht war ich, dich besitzen zu wollen! Kann man den Wind einschließen? Was wird dann aus ihm? Verbrauchte Luft. Geh, geh deinen Weg, geh zu den Theatern und Konzerten, heirate einen Reserveoffizier und Bankdirektor, einen Inflationssieger, geh, Jugend, die du nur den verläßt, der dich verlassen will, Fahne, die flattert, aber nicht einzufangen ist, Segel vor vielen Blaus, Fata Morgana, Spiel der bunten Worte, geh, Isabelle, geh, meine späte, nachgeholte, über einen Krieg zurückgerissene, etwas zu wissende, etwas zu altkluge Jugend, geh, geht beide, und auch ich werde gehen, wir haben uns nichts vorzuwerfen, die Richtungen sind verschieden, aber auch das ist nur scheinbar, denn den Tod kann man nicht betrügen, man kann ihn nur bestehen. Lebt wohl! Wir sterben jeden Tag etwas mehr, aber wir leben auch jeden Tag etwas länger, ihr habt mich das gelehrt, und ich will es nicht vergessen, es gibt keine Vernichtung, und wer nichts halten will, besitzt alles, lebt wohl, ich küsse euch mit meinen leeren Lippen, ich umarme euch mit meinen Armen, die euch nicht halten können, lebt wohl, lebt wohl, ihr in mir, die ihr bleibt, solange ich euch nicht vergesse -«
Ich trage in meiner Hand eine Flasche Rothschen Korn und sitze auf der letzen Bank der Allee mit dem vollen Blick auf die Irrenanstalt. In meiner Tasche knistert ein Scheck auf harte Devisen: dreißig volle Schweizer Franken. Die Wunder haben nicht aufgehört: eine Schweizer Zeitung, die ich seit zwei Jahren mit meinen Gedichten bombardiert habe, hat in einem Anfall von Raserei eines angenommen und mir gleich den Scheck geschickt. Ich war bereits auf der Bank, mich zu erkundigen – die Sache stimmt. Der Bankvorsteher hat mir sofort einen Preis in schwarzer Mark dafür angeboten. Ich trage den Scheck in der Brusttasche, nahe dem Herzen. Er ist ein paar Tage zu spät gekommen. Ich hätte mir für ihn einen Anzug und ein weißes Hemd kaufen und damit eine repräsentable Figur vor den Damen Terhoven machen können. Dahin! Der Dezemberwind pfeift, der Scheck knistert, und ich sitze hier unten in einem imaginären Smoking, ein Paar imaginärer Lackschuhe, die Karl Brill mir noch schuldet, an den Füßen, und lobe Gott und bete dich an, Isabelle! Ein Taschentuch aus feinstem Batist flattert in meiner Brusttasche, ich bin ein Kapitalist auf der Wanderschaft, die Rote Mühle liegt mir zu Füßen, wenn ich will, in meiner Hand blinkt der Champagner des furchtlosen Trinkers, des Nie-genug-Trinkers, der Trank des Feldwebels Knopf, mit dem er den Tod in die Flucht schlug – und ich trinke gegen die graue Mauer mit dir dahinter, Isabelle, Jugend, mit deiner Mutter dahinter, mit dem Bankbuchhalter Gottes, Bodendiek, dahinter, mit dem Major der Vernunft, Wernicke, dahinter, mit der großen Verwirrung dahinter und dem ewigen Krieg, ich trinke und sehe gegenüber, links von mir, die Kreis-Hebammenanstalt, in der noch ein paar Fenster hell sind und in der Mütter gebären, und es fällt mir erst jetzt auf, daß sie so nahe bei der Irrenanstalt liegt – dabei kenne ich sie und sollte sie auch kennen, denn ich bin in ihr geboren worden und habe bis heute kaum je daran gedacht! Sei gegrüßt auch du, trautes Heim, Bienenstock der Fruchtbarkeit, man hat meine Mutter zu dir gebracht, weil wir arm waren und das Gebären dort umsonst war, wenn es vor einem Lehrgang werdender Hebammen geschah, und so diente ich schon bei meiner Geburt der Wissenschaft! Gegrüßt sei der unbekannte Baumeister, der dich so sinnvoll nahe dem anderen Gebäude gesetzt hat! Wahrscheinlich hat er es ohne Ironie getan, denn die besten Witze der Welt werden immer von ernsthaften Vordergrundmenschen gemacht. Immerhin – laßt uns unsere Vernunft feiern, aber nicht zu stolz auf sie sein und ihrer nicht zu sicher! Du, Isabelle, hast sie zurückbekommen, dieses Danaergeschenk, und oben sitzt Wernicke und freut sich und hat recht. Aber recht zu haben ist jedesmal ein Schritt dem Tode näher. Wer immer recht hat, ist ein schwarzer Obelisk geworden! Ein Denkmal!
Die Flasche ist leer. Ich werfe sie fort, so weit ich kann. Sie fällt mit einem dumpfen Laut in den weichen, aufgepflügten Acker. Ich stehe auf. Ich habe genug getrunken und bin reif für die Rote Mühle. Riesenfeld gibt dort heute einen vierfachen Abschieds- und Lebensretterabend. Georg wird da sein, Lisa, und dazu komme ich, der noch ein paar Privatabschiede zu erledigen gehabt hat, und wir alle werden außerdem noch einen mächtigen allgemeinen Abschied feiern – den von der Inflation.
Spät in der Nacht bewegen wir uns wie ein betrunkener Trauerzug die Große Straße entlang. Die spärlichen Laternen flackern. Wir haben das Jahr etwas vorzeitig zu Grabe getragen. Willy und Renée de la Tour sind zu uns gestoßen. Willy und Riesenfeld sind in einen heftigen Kampf geraten; Riesenfeld schwört auf das Ende der Inflation und auf die Roggenmark – und Willy hat erklärt, daß er dann bankrott sei, schon deshalb könne es nicht sein. Renée de la Tour ist darauf sehr schweigsam geworden.
Durch die wehende Nacht sehen wir in der Ferne einen zweiten Zug. Er kommt die Große Straße entlang auf uns zu. »Georg«, sage ich. »Wir wollen die Damen etwas zurücklassen! Das dort sieht nach Streit aus.«
»Gemacht.«
Wir sind in der Nähe des Neumarkts. »Wenn du siehst, daß wir unterliegen, renne sofort zum Café Matz«, instruiert Georg Lisa. »Frage nach Bodo Ledderhoses Gesangverein und sag, wir brauchten ihn.« Er wendet sich zu Riesenfeld:»Sie stellen sich besser so, als gehörten Sie nicht zu uns.«
»Du türmst, Renée«, erklärt Willy an ihrer Seite. »Halte dich weit vom Schuß!«
Der andere Zug ist herangekommen. Die Mitglieder tragen Stiefel, die große Sehnsucht des deutschen Patrioten, und sie sind, bis auf zwei, nicht älter als achtzehn bis zwanzig Jahre. Dafür sind sie doppelt so viele wie wir.
Wir gehen aneinander vorbei. »Den roten Hund kennen wir doch!« schreit plötzlich jemand. Willys Haarkrone leuchtet auch nachts. »Und den Kahlkopf!« schreit ein zweiter und zeigt auf Georg. »Drauf!«
»Los, Lisa!« sagt Georg.
Wir sehen ihre wirbelnden Absätze. »Die Feiglinge wollen die Polizei holen«, ruft ein semmelblonder Brillenträger und will hinter Lisa hersetzen. Willy stellt ein Bein vor, und der Semmelblonde stürzt. Gleich darauf sind wir im Gefecht.
Wir sind fünf ohne Riesenfeld. Eigentlich nur viereinhalb. Der Halbe ist Hermann Lotz, ein Kriegskamerad, dessen linker Arm an der Schulter amputiert ist. Er ist im Café Central mit dem kleinen Köhler, einem anderen Kameraden, zu uns gestoßen. »Paß auf, Hermann, daß sie dich nicht umschmeißen!« rufe ich. »Bleib in der Mitte. Und du, Köhler, beiß, wenn du am Boden liegst!«
»Rückendeckung!« kommandiert Georg.
Der Befehl ist gut; aber unsere Rückendeckung sind im Augenblick die großen Schaufenster des Modehauses Max Klein. Das patriotische Deutschland stürmt gegen uns an, und wer will schon in ein Schaufenster gepreßt werden? Man reißt sich den Rücken an den Splittern auf, und außerdem ist da noch die Frage des Schadenersatzes. Sie würde an uns hängenbleiben, wenn wir in den Splittern säßen. Wir könnten nicht fliehen.
Vorläufig bleiben wir dicht beisammen. Die Schaufenster sind halb erhellt; wir können unsere Gegner dadurch recht gut sehen. Ich erkenne einen der älteren; er gehört zu denen, mit denen wir im Café Central schon einmal Krach gehabt haben. Nach dem alten Gesetz, die Führer zuerst zu erledigen, rufe ich ihm zu:»Komm heran, du feiger Arsch mit Ohren!«
Er denkt nicht daran. »Reißt ihn raus!« kommandiert er seiner Garde.
Drei stürmen an. Willy schlägt einem auf den Kopf, daß er umfällt. Der zweite hat einen Gummiknüppel und schlägt mir damit auf den Arm. Ich kann ihn nicht erwischen, er aber mich. Willy sieht es, springt vor und kugelt ihm den Arm aus. Der Gummiknüppel fällt auf den Boden. Willy will ihn aufheben, wird dabei aber umgerannt. »Schnapp den Knüppel, Köhler!« rufe ich. Köhler stürzt sich in das Durcheinander am Boden, wo Willy im hellgrauen Anzug kämpft.
Unsere Schlachtordnung ist durchbrochen. Ich bekomme einen Stoß und fliege gegen das Schaufenster, daß es klirrt. Zum Glück bleibt es heil. Fenster öffnen sich über uns. Hinter uns, aus der Tiefe der Schaufenster, starren uns die elegant gekleideten Holzpuppen Max Kleins an. Sie tragen unbeweglich die neuesten Wintermoden und stehen da wie eine sonderbare, stumme Version der Weiber der alten Germanen, die von ihren Wagenburgen die Kämpfer anfeuerten.
Ein großer Bursche mit Pickeln hat mich an der Kehle. Er riecht nach Hering und Bier, und sein Kopf ist mir so nahe, als wollte er mich küssen. Mein linker Arm ist lahm von dem Schlag mit dem Knüppel. Mit dem rechten Daumen versuche ich, ihm ins Auge zu stoßen, aber er verhindert das, indem er seinen Kopf fest gegen meine Backe preßt, als wären wir zwei widernatürlich Verliebte. Da ich auch nicht treten kann, weil er zu dicht an mir steht, hat er mich ziemlich hilflos. Gerade als ich mich, ohne Luft, mit letzter Kraft nach unten fallen lassen will, sehe ich etwas, was mir bereits wie eine Illusion meiner schwindenden Sinne erscheint: eine blühende Geranie wächst plötzlich aus dem pickeligen Schädel, wie aus einem speziell potenten Misthaufen, gleichzeitig zeigen die Augen einen Ausdruck milder Überraschung, der Griff an meiner Kehle lockert sich, Topfscherben purzeln um uns herum, ich tauche, komme los, schieße wieder hoch und spüre ein scharfes Knacken – ich habe sein Kinn mit dem Schädel von unten erwischt, und er geht langsam in die Knie. Seltsamerweise haben die Wurzeln der Geranie, die von oben auf uns herabgeschleudert worden ist, den Kopf so fest umrahmt, daß der pickelige Germane mit der Blume auf dem Haupt in die Knie sinkt. Er wirkt so wie ein lieblicherer Nachkomme seiner Vorfahren, die Ochsenhörner als Kopfzier trugen. Auf seiner Schulter ruhen, wie Reste des zerschlagenen Helms, zwei grüne Majolikascherben.
Es war ein großer Topf; aber der Schädel des Patrioten scheint aus Eisen zu sein. Ich fühle, wie er, auf den Knien noch, versucht, mir mein Geschlecht zu beschädigen, und ich ergreife die Geranie samt Wurzeln und daran klebender Erde und schlage ihm die Erde in die Augen. Er läßt los, reibt sich die Augen, und da ich ihm so mit den Fäusten nichts tun kann, gebe ich ihm den Schlag ins Geschlecht mit dem Fuß zurück. Er knickt zusammen und fährt mit den Pfoten nach unten, um sich zu schützen. Ich haue ihm das sandige Wurzelgeflecht zum zweitenmal in die Augen und erwarte, daß er die Hände wieder hochbringt, um das Ganze noch einmal zu wiederholen. Er aber geht mit dem Kopf herunter, als wolle er eine orientalische Verbeugung machen, und im nächsten Augenblick dröhnt alles um mich herum. Ich habe nicht aufgepaßt und von der Seite einen mächtigen Hieb erhalten. Langsam rutsche ich am Schaufenster entlang. Riesengroß und teilnahmslos starrt eine Puppe mit gemalten Augen und einem Biberpelz mich an.
»Durchschlagen zur Pißbude!« höre ich Georgs Stimme. Er hat recht. Wir brauchen eine bessere Rückendeckung. Aber er hat gut reden; wir sind eingekeilt. Der Gegner hat von irgendwoher Verstärkung bekommen, und es sieht aus, als würden wir mit zerschnittenen Köpfen zwischen Max Kleins Mannequins landen.
In diesem Augenblick sehe ich Hermann Lotz am Boden knien. »Hilf mir den Ärmel ausziehen!« keucht er.
Ich greife zu und streife den linken Ärmel seines Jacketts hoch. Der blinkende künstliche Arm wird frei. Es ist ein Nickelgerüst, an dem unten eine stählerne künstliche Hand in einem schwarzen Handschuh befestigt ist. Hermann hat danach den Beinamen »Götz von Berlichingen mit der eisernen Faust« bekommen. Rasch löst er den Arm von der Schulter ab, ergreift dann mit der natürlichen Hand seine künstliche und richtet sich auf. »Bahn frei! Götz kommt!« rufe ich von unten. Georg und Willy machen rasch Platz, so daß Hermann durch kann. Er schwingt seinen künstlichen Arm wie einen Dreschflegel um sich und erreicht mit dem ersten Schlag einen der Anführer. Die Angreifer weichen einen Augenblick zurück. Hermann springt unter sie, dreht sich im Kreise, den künstlichen Arm weit ausgestreckt. Gleich darauf wirbelt er den Arm herum, so daß er ihn jetzt am Schulterstück festhält und mit der künstlichen stählernen Hand zuschlägt. »Los! Zur Pißbude!« ruft er. »Ich decke euch!«
Es ist ein ungewöhnlicher Anblick, wie Hermann mit der künstlichen Hand arbeitet. Ich habe ihn schon öfter so kämpfen sehen; unsere Gegner aber nicht. Sie stehen einen Moment da, als ob der Satan zwischen sie gefahren wäre, und das kommt uns zugute. Wir brechen durch und stürmen zum Pissoir auf dem Neumarkt hinüber. Im Vorbeilaufen sehe ich, wie Hermann einen schönen Schlag auf der aufgerissenen Schnauze des zweiten Anführers landet. »Los, Götz« rufe ich. »Komm mit! Wir sind durch!«
Hermann dreht sich noch einmal. Sein loser Jackenärmel flattert um ihn herum, mit dem Rest des Armstummels macht er wilde Bewegungen, um das Gleichgewicht zu halten, und mit Staunen und Grauen glotzen zwei Stiefelträger, die im Wege stehen, ihn an. Einer bekommt einen Hieb gegen das Kinn, der andere, als er die schwarze künstliche Hand auf sich zusausen sieht, kreischt voll Grauen auf, hält sich die Augen zu und rennt davon.
Wir erreichen das hübsche viereckige Sandsteingebäude und verschanzen uns an der Damenseite. Sie ist leichter zu verteidigen. Bei der Herrenseite kann man durchs Pissoir einsteigen und uns in den Rücken fallen – bei den Damen sind die Fenster klein und hoch.
Die Gegner sind uns gefolgt. Es müssen jetzt mindestens zwanzig sein; sie haben Zuzug von anderen Nazis bekommen. Ich sehe ein paar ihrer scheißfarbenen Uniformen. Sie versuchen, auf der Seite, wo Köhler und ich stehen, durchzubrechen. Im Gedränge merke ich aber, daß Hilfe für uns von hinten kommt. Eine Sekunde später sehe ich, daß Riesenfeld mit zusammengelegter Aktentasche, in der, hoffe ich, Granitproben sind, auf jemand einschlägt, während Renée de la Tour einen hochhackigen Schuh ausgezogen und an der Vorderseite ergriffen hat, um mit dem Hacken loszudreschen.
Während ich das sehe, rennt mir jemand den Schädel in den Magen, daß mir die Luft mit einem Knall aus dem Munde springt. Ich schlage schwach, aber wild um mich und habe irgendwoher das sonderbare Gefühl einer vertrauten Situation. Automatisch hebe ich ein Knie, weil ich erwarte, daß der Rammbock wiederkommt. Gleichzeitig sehe ich eines der schönsten Bilder, das ich mir in dieser Lage vorstellen kann: Lisa, die wie die Nike von Samothrake über den Neumarkt heranstürmt, neben ihr Bodo Ledderhose und hinter ihm sein Gesangverein. Im gleichen Augenblick spüre ich den Rammbock aufs neue und sehe Riesenfelds Aktentasche wie eine gelbe Flagge niedergehen. Gleichzeitig macht Renée de la Tour eine blitzschnelle Bewegung nach unten, der ein Aufheulen des Rammbocks folgt. Renée schreit mit markiger Generalstimme:»Stillgestanden, Schweine!« Ein Teil der Angreifer fährt unwillkürlich zusammen. Dann tritt der Gesangverein in Aktion, und wir sind frei.
Ich richte mich auf. Es ist plötzlich still. Die Angreifer sind geflohen. Sie schleppen ihre Verwundeten mit. Hermann Lotz kommt zurück. Er ist dem fliehenden Gegner wie ein Zentaur nachgesprengt und hat noch einem eine eiserne Ohrfeige verabreicht. Wir sind nicht schlecht weggekommen. Ich habe eine birnenartige Beule am Kopf und das Gefühl, mein Arm sei gebrochen. Er ist es nicht. Außerdem ist mir sehr übel. Ich habe zuviel getrunken, um an Magenstößen Gefallen zu finden. Wieder quält mich die sich nicht erinnernde Erinnerung. Was war das doch?»Ich wollte, ich hätte einen Schnaps«, sage ich.
»Den kriegst du«, erwidert Bodo Ledderhose. »Kommt jetzt, bevor die Polizei erscheint.«
In diesem Moment ertönt ein scharfes Klatschen. Wir drehen uns überrascht um. Lisa hat auf jemand eingeschlagen. »Du verfluchter Saufbruder!« sagt sie ruhig. »So sorgst du für Heim und Frau -«
»Du -« gurgelt die Gestalt.
Lisas Hand klatscht zum zweitenmal nieder. Und jetzt, plötzlich, löst sich mein Erinnerungsknoten. Watzek! Da steht er und hält sich merkwürdigerweise den Hintern fest.
»Mein Mann!« sagt Lisa ins allgemeine über den Neumarkt hin. »Mit so was ist man nun verheiratet.«
Watzek antwortet nicht. Er blutet stark. Die alte Stirnwunde, die ich ihm geschlagen habe, ist wieder aufgegangen. Außerdem rinnt Blut aus seinen Haaren. »Waren Sie das?« frage ich Riesenfeld leise. »Mit der Aktentasche?«
Er nickt und betrachtet Watzek aufmerksam. »Wie man sich manchmal so trifft«, sagt er.
»Was hat er am Hintern?« frage ich. »Weshalb hält er den fest?«
»Ein Wespenstich«, erwidert Renée de la Tour und befestigt eine lange Hutnadel wieder in einem eisblauen Samtkäppchen auf ihren Locken.
»Meine Hochachtung!« Ich verneige mich vor ihr und trete auf Watzek zu. »So«, sage ich,»jetzt weiß ich, wer mir seinen Schädel in den Bauch gerannt hat! Ist das der Dank für meinen Unterricht in besserer Lebensart?«
Watzek starrt mich an. »Sie? Ich habe Sie nicht erkannt! Mein Gott!«
»Er erkennt nie jemanden«, erklärt Lisa sarkastisch.
Watzek bietet einen betrüblichen Anblick. Dabei bemerke ich, daß er meinen Ratschlägen tatsächlich gefolgt ist. Er hat sich seine Mähne kurz schneiden lassen – mit dem Erfolg, daß Riesenfeld ihm einen härteren Schlag versetzen konnte -, er trägt sogar ein weißes, neues Hemd – aber alles, was er damit erreicht hat, ist, daß sich das Blut nur noch deutlicher darauf abzeichnet als auf einem anderen. Er ist ein Unglücksrabe!
»Nach Hause! Du Saufaus und Raufbold!« sagt Lisa und geht. Watzek folgt ihr gehorsam. Sie wandern über den Neumarkt, ein einsames Paar. Niemand folgt ihnen. Georg hilft Lotz, seinen künstlichen Arm wieder halbwegs zurechtzubiegen.
»Kommt«, sagt Ledderhose. »In meinem Lokal können wir noch trinken. Geschlossene Gesellschaft!«
Wir sitzen eine Zeitlang mit Bodo und seinem Verein. Dann gehen wir nach Hause. Der Morgen schleicht grau herauf. Ein Zeitungsjunge kommt vorbei. Riesenfeld winkt ihm zu und kauft ein Blatt. Mit großen Lettern steht auf der Vorderseite:
Ende der Inflation! Eine Billion ist eine Mark!
»Nun?« sagt Riesenfeld zu mir.
Ich nicke.
»Kinder, es kann tatsächlich sein, daß ich pleite bin«, erklärt Willy. »Ich habe noch auf Baisse spekuliert.« Er sieht betrübt auf seinen grauen Anzug und dann auf Renée. »Na, wie gewonnen, so zerronnen – was ist schon Geld, wie?«
»Geld ist sehr wichtig«, erwidert Renée kühl. »Besonders, wenn man es nicht hat.«
Georg und ich gehen die Marienstraße entlang. »Sonderbar, daß Watzek von mir und Riesenfeld Prügel bekommen hat«, sage ich. »Nicht von dir. Es wäre doch natürlicher gewesen, wenn du und er gekämpft hätten.«
»Natürlicher schon; aber nicht gerechter.«
»Gerechter?« frage ich.
»In einem verzwickten Sinne. Ich bin jetzt zu müde, es herauszufinden. Männer mit kahlen Köpfen sollten sich nicht mehr schlagen. Sie sollten philosophieren.«
»Da wirst du ein sehr einsames Leben vor dir haben. Die Zeit sieht nach Schlagen aus.«
»Ich glaube nicht. Irgendein scheußlicher Karneval ist zu Ende gegangen. Sieht es heute nicht nach einem kosmischen Aschermittwoch aus? Eine mächtige Seifenblase ist geplatzt.«
»Und?« sage ich.
»Und?« erwidert er.
»Irgend jemand wird eine neue, mächtigere blasen.«
»Vielleicht.«
Wir stehen im Garten. Grau rinnt der milchige Morgen um die Kreuze. Die jüngste Knopf-Tochter erscheint, halb ausgeschlafen. Sie hat auf uns gewartet. »Vater sagt, für zwölf Billionen können Sie den Grabstein zurückkaufen.«
»Sagen Sie ihm, wir bieten acht Mark. Und auch das nur bis heute mittag. Geld wird sehr knapp werden.«
»Was?« fragt Knopf aus seinem Schlafzimmer heraus. Er hat gelauscht.
»Acht Mark, Herr Knopf. Und heute nachmittag nur noch sechs. Das Geld geht herunter. Wer hätte das je gedacht, was? Anstatt herauf.«
»Lieber behalte ich ihn in alle Ewigkeit, ihr verfluchten Leichenräuber!« krächzt Knopf und schlägt das Fenster zu.