Im Schlafzimmer des alten Knopf taucht plötzlich ein Gespenst auf. Es dauert eine Weile, ehe ich im spiegelnden Mittagslicht den Feldwebel erkenne. Er lebt also noch und hat sich aus dem Bett ans Fenster geschleppt. Grau stiert der Kopf über dem grauen Nachthemd in die Welt.
»Sieh an«, sage ich zu Georg. »Er will nicht in den Sielen sterben. Das alte Schlachtroß will einen letzten Blick in die Richtung der Werdenbrücker Schnapsfabriken tun.«
Wir betrachten ihn. Der Schnurrbart hängt als trauriges Gestrüpp vom Munde. Die Augen sind bleifarben. Er glotzt noch eine Zeitlang, dann kehrt er sich ab.
»Das war sein letzter Blick«, sage ich. »Rührend, daß selbst eine so abgehärtete Seele von einem Menschenschinder noch einmal die Welt anschauen will, bevor sie sie für immer verläßt. Ein Stoff für Hungermann, den sozialen Dichter.«
»Er tut einen zweiten Blick«, erwidert Georg.
Ich verlasse den Vervielfältigungsapparat Presto, an dem ich Katalogblätter für unsere Vertreter hektographiere, und komme zum Fenster zurück. Der Feldwebel steht wieder da. Er hebt hinter den spiegelnden Fensterscheiben etwas hoch und trinkt. »Seine Medizin!« sage ich. »Wie doch selbst die wüsteste Ruine am Leben hängt! Ein zweiter Stoff für Hungermann.«
»Das ist keine Medizin«, erwidert Georg, der schärfere Augen hat als ich. »Medizin kommt nicht in Schnapsflaschen.«
»Was?«
Wir öffnen unser Fenster. Die Spiegelung verschwindet, und ich sehe, daß Georg recht hat: Der alte Knopf säuft aus einer unverkennbaren Schnapspulle. »Ein guter Einfall seiner Frau«, sage ich,»ihm Wasser in eine Schnapsflasche zu füllen, damit er es so leichter trinkt. Denn Schnaps hat er nicht mehr in der Bude; alles ist ja durchsucht worden.«
Georg schüttelt den Kopf. »Wenn das Wasser wäre, hätte er die Flasche längst durchs Fenster geschmissen. Solange ich den Alten kenne, hat er Wasser nur zum Waschen benützt – und das auch nicht gern. Das da ist Schnaps, den er trotz der Haussuchung noch irgendwo versteckt gehabt hat, und du, Ludwig, hast das erhabene Schauspiel vor dir, einen Menschen mutig seinem Schicksal gegenübertreten zu sehen. Der alte Feldwebel will auf dem Felde der Ehre fallen, die Hand an der Gurgel des Feindes.«
»Sollen wir nicht seine Frau rufen?«
»Glaubst du, sie könne ihm die Flasche wegnehmen?«
»Nein.«
»Der Arzt hat ihm höchstens ein paar Tage geben. Was ist da der Unterschied?«
»Der des Christen und der des Fatalisten. Herr Knopf!« rufe ich. »Herr Feldwebel!«
Ich weiß nicht, ob er mich gehört hat, aber er macht eine Bewegung, die wie ein Gruß mit der Flasche aussieht. Dann setzt er aufs neue an. »Herr Knopf!« rufe ich. »Frau Knopf!«
»Zu spät!« sagt Georg.
Knopf hat abgesetzt. Er macht noch eine zweite kreisende Bewegung mit der Flasche. Wir erwarten, daß er zusammenbricht. Der Arzt hat erklärt, jeder Tropfen Alkohol sei tödlich für ihn. Nach einer Weile verschwindet er im Hintergrund des Zimmers wie eine Leiche, die langsam im Wasser versinkt. »Ein schöner Tod«, sagt Georg.
»Wir sollten es der Familie sagen.«
»Laß sie in Ruhe. Der Alte war eine Pest. Sie sind froh, daß es soweit ist.«
»Das weiß ich nicht. Anhänglichkeit geht sonderbare Wege. Sie könnten ihm den Magen auspumpen lassen.«
»Er wird dagegen so kämpfen, daß ihn der Schlag trifft oder daß ihm die Leber platzt. Aber telefoniere dem Arzt, wenn es dein Gewissen beruhigt. Hirschmann.«
Ich erreiche den Arzt. »Der alte Knopf hat gerade eine kleine Flasche Korn ausgetrunken«, sage ich. »Wir haben es vom Fenster aus gesehen.«
»In einem Zug?«
»In zwei Zügen, glaube ich. Was hat das damit zu tun?«
»Nichts. Es war nur Neugierde. Er ruhe in Frieden.«
»Kann man nichts tun?«
»Nichts«, sagt Hirschmann. »Er würde so und so eingehen. Mich wundert, daß er überhaupt bis heute durchgehalten hat. Setzen Sie ihm einen Grabstein in Form einer Flasche.«
»Sie sind ein herzloser Mensch«, sage ich.
»Nicht herzlos, zynisch. Sie sollten den Unterschied kennen! Sie sind ja aus der Branche! Zynismus ist Herz mit negativem Vorzeichen, wenn Sie das tröstet. Trinken Sie einen Gedächtnisschluck auf die heimgefahrene Schnapsdrossel.«
Ich lege das Telefon auf. »Ich glaube, Georg«, sage ich,»es wird wirklich höchste Zeit, daß ich unsern Beruf verlasse. Er verroht zu sehr.«
»Er verroht nicht. Er stumpft ab.«
»Noch schlimmer. Er ist nichts für ein Mitglied der Werdenbrücker Dichterakademie. Wo bleibt das tiefe Erstaunen, das Grauen, die Ehrfurcht vor dem Tode, wenn man sie kassenmäßig oder in Denkmälern auswertet?«
»Es bleibt genug davon«, sagt Georg. »Aber ich verstehe dich. Laß uns jetzt zu Eduard gehen und dem alten Zwölfender ein stilles Glas weihen.«
Wir kommen nachmittags zurück. Eine Stunde später tönt Lärm und Geschrei aus der Knopfschen Wohnung.
»Friede seiner Asche«, sagt Georg. »Komm, wir müssen rübergehen und die üblichen Trostworte sagen.«
»Hoffentlich haben sie alle ihre Trauerkleidung fertig. Das wird der einzige Trost sein, den sie im Augenblick brauchen.«
Die Tür ist unverschlossen. Wir öffnen sie, ohne zu klingeln, und bleiben stehen. Ein unerwartetes Bild empfängt uns. Der alte Knopf steht im Zimmer, seinen Spazierstock in der Hand, angezogen, um auszugehen. Hinter den drei Nähmaschinen drängen sich seine Frau und seine drei Töchter. Knopf schlägt mit dem Stock auf sie ein. Mit einer Hand hält er sich am Hals der vorderen Nähmaschine fest, um einen guten Stand zu haben, mit der anderen prügelt er. Die Schläge sind nicht besonders stark, aber Knopf tut, was er kann. Rundum liegen die Trauerkleider am Boden.
Es ist einfach, die Lage zu übersehen. Anstatt ihn zu töten, hat der Kornschnaps den Feldwebel so belebt, daß er sich angezogen hat, um wahrscheinlich auf die übliche Runde durch die Kneipen zu gehen. Da niemand ihm gesagt hat, daß er todkrank sei, und seine Frau aus Angst vor ihm auch keinen Geistlichen geholt hat, der ihn auf die ewige Seligkeit hätte vorbereiten können, ist Knopf gar nicht auf den Gedanken gekommen, zu sterben. Er hat schon viele Anfälle überstanden, und dies ist für ihn einer von vielen. Daß er jetzt wütend ist, ist zu begreifen – kein Mensch jubelt, wenn er sieht, daß seine Familie ihn schon so völlig abgeschrieben hat, daß sie teures Geld für Trauerkleider ausgibt.
»Verfluchte Bande!« krächzt er. »Habt euch wohl schon gefreut, was? Ich will euch lehren!«
Er verfehlt seine Frau und zischt vor Wut. Sie hält den Stock fest. »Aber Vater, wir mußten uns doch vorsehen, der Arzt -«
»Der Arzt ist ein Idiot! Laß den Stock los, du Satan! Laß den Stock los, sage ich, du Bestie!«
Die kleine, runde Frau läßt den Stock tatsächlich los. Der zischende Enterich vor ihr schwingt ihn und trifft eine seiner Töchter. Die drei Frauen könnten den schwachen Alten mühelos entwaffnen; aber er hat sie unter der Fuchtel wie eben ein Feldwebel seine Rekruten. Die Töchter halten jetzt den Stock fest und versuchen tränenvolle Erklärungen. Knopf hört nicht zu. »Laßt den Stock los, ihr Satansbrut! Geld verschwenden und aus dem Fenster werfen, ich werde euch lehren!«
Der Stock wird losgelassen, Knopf haut aufs neue ein, vorbei, und fällt durch den Schwung ins Leere auf die Knie. Der Speichel steht ihm in Blasen in seinem Nietzscheschnurrbart, als er sich aufrichtet, um nach Zarathustras Gebot seinen Harem weiterzuprügeln. »Vater, du stirbst, wenn du dich so aufregst!« schrien die Töchter unter Tränen. »Beruhige dich doch! Wir sind glücklich, daß du lebst! Sollen wir dir Kaffee machen?«
»Kaffee? Ich werde euch Kaffee machen! Totschlagen werde ich euch Satansbrut! So viel Geld herauszuschmeißen -«
»Aber Vater, wir können die Sachen doch wieder verkaufen!«
»Verkaufen! Ich werde euch verkaufen, ihr verdammten Luder -«
»Aber Vater, es ist doch noch gar nicht bezahlt!« schreit Frau Knopf in höchster Seelennot. – Das dringt durch. Knopf läßt den Stock sinken.
»Was?«
Wir treten vor. »Herr Knopf«, sagt Georg. »Meinen Glückwunsch!«
»Lecken Sie mich am Arsch!« erwidert der Feldwebel. »Sehen Sie nicht, daß ich beschäftigt bin?«
»Sie überanstrengen sich.«
»So? Was geht Sie das an? Ich werde hier ruiniert von meiner Familie.«
»Ihre Frau hat ein glänzendes Geschäft gemacht. Wenn sie die Trauerkleider morgen verkauft, wird sie einige Milliarden daran verdient haben durch die Inflation – besonders, wenn sie den Stoff noch nicht bezahlt hat.«
»Nein, wir haben ihn noch nicht bezahlt!« schreit das Quartett.
»Da sollten Sie froh sein, Herr Knopf! Der Dollar ist während Ihrer Krankheit erheblich gestiegen. Sie haben, ohne es zu wissen, im Schlaf an Sachwerten verdient.«
Knopf horcht auf. Daß eine Inflation besteht, weiß er aus der Tatsache, daß der Schnaps immer teurer geworden ist. »So, verdient«, murmelt er. Dann wendet er sich zu seinen vier aufgeplusterten Spatzen. »Habt ihr auch schon einen Grabstein für mich gekauft?«
»Nein, Vater!« schreit das Quartett erleichtert, mit einem beschwörenden Blick auf uns.
»Und warum nicht?« krächzt Knopf wütend.
Sie starren ihn an.
»Ihr Gänse!« schreit er. »Wir hätten ihn jetzt wieder verkaufen können! Mit Verdienst, was?« fragt er Georg.
»Nur, wenn er bezahlt gewesen wäre. Sonst hätten wir ihn lediglich zurückgenommen.«
»Ach was! Dann hätten wir ihn an Hollmann und Klotz verkauft und Sie davon ausgezahlt!« Der Feldwebel wendet sich wieder seiner Brut zu. »Ihr Gänse! Wo ist das Geld? Wenn ihr nicht bezahlt habt für den Stoff, habt ihr doch noch Geld! Her damit!«
»Komm«, sagt Georg. »Der emotionelle Teil ist vorbei. Beim geschäftlichen haben wir nichts zu suchen.«
Er irrt sich. Eine Viertelstunde später steht Knopf im Büro. Ein würziger Duft von Korn umschwebt ihn. »Ich habe alles rausgekriegt«, sagt er. »Lügen nützt nichts. Meine Frau hat gestanden. Sie hat bei Ihnen einen Grabstein gekauft.«
»Sie hat ihn nicht bezahlt. Vergessen Sie es. Jetzt brauchen Sie ihn doch nicht mehr.«
»Sie hat ihn gekauft«, erklärt der Feldwebel drohend. »Es sind Zeugen da. Versuchen Sie nicht, sich rauszuwinden! Ja oder nein?«
Georg sieht mich an. »Also gut. Ihre Frau hat sich allerdings eher erkundigt als gekauft.«
»Ja oder nein?« schnauzt Knopf.
»Weil wir uns so lange kennen, können Sie es nehmen, wie Sie wollen, Herr Knopf«, sagt Georg, um den Alten zu beruhigen.
»Also ja. Geben Sie mir das schriftlich.«
Wir sehen uns wieder an. Der alte, ausgediente Militärknochen hat rasch gelernt. Er will uns hochnehmen.
»Wozu schriftlich?« sage ich. »Bezahlen Sie den Stein, und er gehört Ihnen.«
»Seien Sie ruhig, Sie Betrüger!« fährt Knopf mich an. »Schriftlich!« krächzt er. »Für acht Milliarden! Viel zu teuer! Für ein Stück Stein!«
»Wenn Sie ihn haben wollen, müssen Sie ihn auch sofort bezahlen«, sage ich.
Knopf kämpft heldenhaft. Erst nach zehn Minuten ist er geschlagen. Er holt acht Milliarden von dem Geld, das er den Frauen abgenommen hat, heraus und zahlt. »Schriftlich, jetzt!« knurrt er.
Er bekommt es schriftlich. Durch das Fenster sehe ich die Damen seiner Familie in der Tür stehen. Verschüchtert blicken sie herüber und machen Zeichen. Knopf hat sie bis auf die letzte lausige Million ausgeraubt. Er hat inzwischen seine Quittung bekommen. »So«, sagt er zu Georg. »Und was zahlen Sie jetzt für den Stein? Ich verkaufe ihn.«
»Acht Milliarden.«
»Was? Sie Gauner! Acht Milliarden habe ich doch selbst bezahlt. Wo bleibt die Inflation?«
»Die Inflation ist da. Der Stein ist heute achteinhalb Milliarden wert. Acht zahle ich ihnen als Einkaufspreis, eine halbe müssen wir verdienen am Verkaufspreis.«
»Was? Sie Wucherer! Und ich? Wo bleibt mein Verdienst? Den stecken Sie ein, was?«
»Herr Knopf«, sage ich. »Wenn Sie ein Fahrrad kaufen und es eine Stunde später weiterverkaufen, bekommen Sie nicht den vollen Einkaufspreis zurück. Das ist eine Sache von Kleinhandel, Großhandel und Käufer; darauf beruht unsere Wirtschaft.«
»Die Wirtschaft kann mich am Arsch lecken!« erklärt der aufrechte Feldwebel. »Ein gekauftes Fahrrad ist ein gebrauchtes Fahrrad, auch wenn man es nicht fährt. Mein Grabstein aber ist neu.«
»Er ist theoretisch auch gebraucht«, sage ich. »Gewissermaßen wirtschaftlich. Außerdem können Sie nicht verlangen, daß wir daran verlieren, nur weil Sie weiter am Leben geblieben sind.«
»Gaunerei! Nichts als Gaunerei!«
»Behalten Sie doch den Grabstein«, rät Georg. »Es ist ein schöner Sachwert. Irgendwann werden Sie ihn schon noch gebrauchen können. Keine Familie ist unsterblich.«
»Ich werde ihn an Ihre Konkurrenz verkaufen. An Hollmann und Klotz, wenn Sie nicht sofort zehn Milliarden dafür geben!«
Ich hebe das Telefon ab. »Kommen Sie, wir nehmen Ihnen die Arbeit ab. Hier, rufen Sie an. Nummer 624.«
Knopf wird unsicher und winkt ab. »Ebensolche Gauner wie Sie! Was ist der Stein morgen wert?«
»Vielleicht eine Milliarde mehr. Vielleicht zwei oder drei Milliarden.«
»Und in einer Woche?«
»Herr Knopf«, sagt Georg. »Wenn wir den Dollarkurs im voraus wüßten, säßen wir nicht hier und schacherten um Grabsteine mit Ihnen.«
»Es ist leicht möglich, daß Sie in einem Monat Billionär sind«, erkläre ich.
Knopf überlegt das. »Ich behalte den Stein«, knurrt er dann. »Schade, daß ich ihn schon bezahlt habe.«
»Wir kaufen ihn jederzeit wieder.«
»Das möchten Sie wohl! Ich denke nicht daran, ohne Verdienst! Ich behalte ihn als Spekulation. Geben Sie ihm einen guten Platz.« Knopf schaut besorgt aus dem Fenster. »Vielleicht gibt es Regen.«
»Grabsteine halten Regen aus.«
»Unsinn! Dann sind sie nicht mehr neu! Ich verlange, daß meiner in den Schuppen gestellt wird. Auf Stroh.«
»Warum stellen Sie ihn nicht in Ihre Wohnung?« fragt Georg. »Da ist er im Winter auch vor Kälte geschützt.«
»Sie sind wohl verrückt, was?«
»Nicht im geringsten. Es gibt viele hochachtbare Leute, die sogar ihren Sarg in der Wohnung haben. Heilige hauptsächlich und Süditaliener. Viele benutzen ihn sogar jahrelang als Bett. Wilke oben schläft immer in seinem Riesensarg, wenn er so viel getrunken hat, daß er nicht nach Hause gehen kann.«
»Geht nicht!« entscheidet Knopf. »Die Weiber! Der Stein bleibt hier. Tadellos! Sie sind verantwortlich. Versichern Sie ihn! Auf Ihre Kosten!«
Ich habe genug von diesem Feldwebelton. »Wie wäre es, wenn Sie jeden Morgen einen Appell mit Ihrem Grabstein abhielten?« frage ich. »Ob die Politur erstklassig ist, ob er genau in Richtung und auf Vordermann steht, ob der Sockel wie ein Bauch gut eingezogen ist, ob die Büsche rundum strammstehen, und wenn Sie darauf bestehen, könnte Herr Heinrich Kroll jeden Morgen in Uniform Ihren Grabstein angetreten melden. Dem würde das sicher Spaß machen.«
Knopf schaut mich finster an. »Es würde besser in der Welt aussehen, wenn mehr preußische Zucht herrschte«, erwidert er und rülpst furchtbar. Der Geruch nach Rothschem Korn wird durchdringend. Der Feldwebel hat wahrscheinlich tagelang nicht gegessen. Knopf rülpst ein zweites Mal, diesmal weicher und melodischer, starrt uns noch einmal mit den erbarmungslosen Augen eines etatsmäßigen Feldwebels im Ruhestand an, dreht sich um, fällt beinahe, fängt sich und wandert dann zielbewußt zum Hof hinaus nach links – in die Richtung der ersten Kneipe, in der Tasche die restlichen Milliarden der Familie.
Gerda steht vor ihrem Kocher und macht Kohlrouladen. Sie ist nackt, hat ein Paar grüne ausgetretene Pantoffeln an den Füßen und ein rotkariertes Küchenhandtuch über die rechte Schulter geworfen. Es riecht nach Kohl, Fett, Puder und Parfüm, draußen hängen die Blätter des wilden Weins rot vor dem Fenster, und der Herbst starrt mit blauen Augen herein.
»Schön, daß du noch einmal gekommen bist«, sagt sie. »Morgen ziehe ich hier aus.«-»Ja?«
Sie steht unbefangen und ihres Körpers sicher vor dem Kocher. »Ja«, sagt sie. »Interessiert dich das?«
Sie dreht sich um und sieht mich an. »Es interessiert mich, Gerda«, erwidere ich. »Wohin gehst du?«
»Ins Hotel „Walhalla“.«
»Zu Eduard?«
»Ja, zu Eduard.«
Sie schüttelt die Kohlrouladen. »Hast du etwas dagegen?« fragt sie dann.
Ich sehe sie an. Was kann ich dagegen haben? denke ich. Ich wollte, ich hätte etwas dagegen! Einen Augenblick will ich lügen – aber ich weiß, daß sie mich durchschaut.
»Bleibst du auch nicht mehr in der Roten Mühle?« frage ich.
»Ich habe längst Schluß gemacht in der Roten Mühle. Du hast dich nur nicht darum gekümmert. Nein, ich bleibe nicht dabei. Man verhungert in unserem Beruf. Ich bleibe in der Stadt.«
»Bei Eduard«, sage ich.
»Ja, bei Eduard«, wiederholt sie. »Er gibt mir die Bar. Ich werde Bardame.«
»Und du wohnst dann im „Walhalla“?«
»Ich wohne im „Walhalla“, oben unter dem Dachstuhl, und ich arbeite im „Walhalla“. Ich bin nicht mehr so jung, wie du glaubst; ich muß sehen, daß ich etwas Festes habe, bevor ich keine Engagements mehr finde. Mit dem Zirkus ist es auch nichts. Das war nur so ein letzter Versuch.«
»Du kannst noch viele Jahre Engagements finden, Gerda«, sage ich.
»Davon verstehst du nichts. Ich weiß, was ich tue.«
Ich blicke auf die roten Weinreben, die vor dem Fenster pendeln. Ich habe keinen Grund dazu, aber ich fühle mich wie ein Drückeberger. Meine Beziehung zu Gerda ist nicht mehr gewesen als die eines Soldaten auf Urlaub; aber für einen von zweien ist sie wohl immer etwas mehr als das.
»Ich wollte es dir selbst sagen«, sagt Gerda.
»Du wolltest mir sagen, daß es mit uns vorbei ist?«
Sie nickt. »Ich spiele ehrlich. Eduard hat mir als einziger etwas Festes angeboten – eine Stellung -, und ich weiß, was das heißt. Ich will keinen Schwindel.«
»Weshalb -« Ich breche ab.
»Weshalb hast du dann jetzt noch mit mir geschlafen, wolltest du fragen«, antwortet Gerda. »Weißt du nicht, daß alle wandernden Artisten sentimental sind?« Sie lacht plötzlich. »Abschied von der Jugend. Komm, die Kohlrouladen sind fertig.«
Sie stellt die Teller auf den Tisch. Ich sehe ihr zu und bin plötzlich traurig. »Nun, was macht deine große himmlische Liebe?« fragt sie.
»Nichts, Gerda. Nichts.«
Sie füllt die Teller. »Wenn du mal wieder ein kleines Verhältnis hast«, sagt sie,»erzähl dem Mädchen nie etwas von deinen anderen Lieben. Verstehst du?«
»Ja«, erwidere ich. »Es tut mir leid, Gerda.«
»Um Gottes willen, halt den Schnabel und iß!«
Ich sehe sie an. Sie ißt ruhig und sachlich, ihr Gesicht ist klar und fest, sie ist von Kindheit an gewöhnt, unabhängig zu leben, sie kennt ihr Dasein und hat sich damit abgefunden. Sie hat all das, was ich nicht habe, und ich wollte, ich liebte sie, und das Leben wäre klar und übersehbar, und man wüßte immer alles darüber, was man braucht, nicht allzuviel, aber das unanfechtbar.
»Weißt du, ich will nicht viel«, sagt Gerda. »Ich bin mit Prügeln aufgewachsen und dann von zu Hause weggelaufen. Jetzt habe ich genug von meinem Beruf und werde seßhaft. Eduard ist nicht der Schlechteste.«
»Er ist eitel und geizig«, erkläre ich und ärgere mich sofort darüber, es gesagt zu haben.
»Das ist besser als schlampig und verschwenderisch, wenn man jemanden heiraten will.«
»Ihr wollt heiraten?« frage ich überrascht. »Glaubst du ihm das wirklich? Er wird dich ausnützen und dann irgendeine Hotelierstochter mit Geld heiraten.«
»Er hat mir nichts versprochen. Ich habe nur einen Kontrakt mit ihm für die Bar gemacht, für drei Jahre. Er wird in den drei Jahren merken, daß er mich nicht entbehren kann.«
»Du hast dich verändert«, sage ich.
»Ach, du Schaf! Ich habe nur einen Entschluß gefaßt.«
»Bald wirst du mit Eduard auf uns schimpfen, weil wir immer noch die billigen Eßmarken haben.«
»Habt ihr noch welche?«
»Noch für ein und einen halben Monat.«
Gerda lacht. »Ich werde nicht schimpfen. Außerdem habt ihr sie ja seinerzeit richtig bezahlt.«
»Es war unser einziges gelungenes Börsengeschäft.« Ich sehe Gerda nach, während sie die Teller abräumt. »Ich werde sie Georg lassen«, sage ich. »Ich komme nicht mehr ins „Walhalla“.«
Sie dreht sich um. Sie lächelt, aber ihre Augen lächeln nicht. »Warum nicht?« fragt sie.
»Ich weiß nicht. Mir ist so. Aber vielleicht komme ich doch.«
»Natürlich kommst du! Warum solltest du nicht kommen?«
»Ja, warum nicht?« sage ich mutlos.
Von unten tönt gedämpft das elektrische Klavier. Ich stehe auf und gehe ans Fenster. »Wie schnell dieses Jahr vorbeigegangen ist«, sage ich.
»Ja«, erwidert Gerda und lehnt sich an mich. »Typisch«, murmelt sie. »Gefällt einem schon einmal jemand, da muß es ausgerechnet so einer sein wie du – der nicht zu einem paßt.« Sie stößt mich weg. »Nun geh schon – geh zu deiner himmlischen Liebe – was verstehst du schon von Frauen?«
»Nichts.«
Sie lächelt. »Versuch es auch gar nicht erst, Baby. Es ist besser. Und nun geh! Hier, nimm das mit.«
Sie holt eine Münze und gibt sie mir. »Was ist das?« frage ich.
»Ein Mann, der Leute durchs Wasser trägt. Er bringt Glück.«
»Hat er dir Glück gebracht?«
»Glück?« erwidert Gerda. »Das kann eine Menge sein. Vielleicht. Und nun geh.«
Sie schiebt mich hinaus und schließt die Tür hinter mir. Ich gehe die Treppe hinunter. Auf dem Hof begegnen mir zwei Zigeunerinnen. Sie gehören jetzt zum Programm in der Kneipe. Die Ringkämpferinnen sind längst fort. »Die Zukunft, junger Herr?« fragt die jüngere Zigeunerin. Sie riecht nach Knoblauch und Zwiebeln.
»Nein«, sage ich. »Heute nicht.«
Bei Karl Brill herrscht höchste Spannung. Ein Haufen Geld liegt auf dem Tisch; es müssen Billionen sein. Der Gegner ist ein Mann mit dem Kopf eines Seehundes und sehr kleinen Händen. Er hat soeben den Nagel in der Wand probiert und kehrt zurück. »Noch zweihundert Milliarden«, erklärt er mit heller Stimme.
»Angenommen«, erwidert Karl Brill.
Die Duellanten deponieren den Zaster. »Noch jemand?« fragt Karl.
Niemand meldet sich. Das Spiel ist für alle zu hoch. Karl schwitzt klare Perlen, ist aber zuversichtlich. Die Einsätze stehen vierzig zu sechzig für ihn. Er hat erlaubt, daß der Seehund dem Nagel noch einen kleinen letzten Hammerschlag geben darf; dafür ist der Einsatz von fünfzig-fünfzig für ihn auf vierzig-sechzig festgesetzt worden. »Würden Sie „Der Vöglein Abendlied“ spielen?« fragt Karl mich.
Ich setze mich ans Klavier. Bald darauf erscheint Frau Beckmann im lachsroten Kimono. Sie ist nicht so statuenhaft wie sonst; das Gebirge ihrer Brüste bewegt sich, als tobe darunter ein Erdbeben, und auch die Augen sind anders als sonst. Sie sieht Karl Brill nicht an.
»Klara«, sagt Karl. »Du kennst die Herren bis auf Herrn Schweizer.« Er macht eine elegante Geste. »Herr Schweizer -«
Der Seehund verneigt sich mit erstauntem und etwas besorgtem Ausdruck. Er schielt auf das Geld und dann auf die Kubikbrünhilde. Der Nagel wird wattiert, und Klara stellt sich in Positur. Ich spiele die Doppeltriller und breche ab. Alles schweigt.
Frau Beckmann steht ruhig und konzentriert da. Dann geht zweimal ein Zucken durch ihren Körper. Sie schießt plötzlich einen wilden Blick auf Karl Brill. »Bedaure!« knirscht sie durch die Zähne. »Es geht nicht.«
Sie tritt von der Wand hinweg und verläßt die Werkstatt.
»Klara!« schreit Karl.
Sie antwortet nicht. Der Seehund stößt ein fettes Gelächter aus und beginnt zu kassieren. Die Saufbrüder sind wie vom Blitz getroffen. Karl Brill stöhnt, stürzt zu dem Nagel und kommt zurück. »Einen Augenblick!« sagt er zu dem Seehund. »Einen Augenblick, wir sind noch nicht fertig! Wir haben auf drei Versuche gewettet. Es waren aber erst zwei!«
»Es waren drei.«
»Das können Sie nicht so beurteilen! Sie sind neu auf diesem Gebiet. Es waren zwei!«
Karl rinnt jetzt das Wasser vom Schädel. Die Saufbrüder haben die Sprache wiedergefunden. »Es waren zwei«, bestätigen sie.
Es entsteht ein Streit. Ich höre nicht zu. Ich fühle mich, als säße ich auf einem fremden Planeten. Es ist ein kurzes, intensives und entsetzliches Gefühl, und ich bin froh, als ich wieder den Stimmen folgen kann. Der Seehund hat die Situation ausgenutzt; er will den dritten Versuch anerkennen, wenn ein weiterer Betrag gesetzt wird, dreißig zu siebzig für den Seehund. Karl geht schwitzend auf alles ein. Soviel ich sehe, hat er die halbe Werkstatt gesetzt, einschließlich der Schnellbesohlmaschine. »Kommen Sie!« flüstert er mir zu. »Gehen Sie mit mir rauf! Wir müssen sie umstimmen! Sie hat es absichtlich getan.«
Wir klettern die Treppe hinauf, Frau Beckmann hat Karl erwartet. Sie liegt im Kimono mit dem Phönix auf dem Bett, erregt, wunderbar schön für jemand, der dicke Frauen liebt, und kampfbereit. »Klara!« flüstert Karl. »Wozu das? Du hast es mit Absicht getan!«
»So?« sagt Frau Beckmann.
»Bestimmt! Ich weiß es! Ich schwöre dir -«
»Schwöre keinen Meineid! Du Lump hast mit der Kassiererin vom Hotel Hohenzollern geschlafen! Du ekelerregendes Schwein!«
»Ich? So eine Lüge! Woher weißt du das?«
»Siehst du, du gibst es zu?«
»Ich gebe es zu?«
»Du hast es gerade zugegeben! Du hast gefragt, woher ich es weiß. Wie kann ich es wissen, wenn es nicht wahr ist?«
Ich sehe den Brustschwimmer Karl Brill mitleidig an. Er fürchtet kein noch so eisiges Wasser, aber hier ist er ohne Zweifel verloren. Auf der Treppe habe ich ihm geraten, sich nicht auf einen Wortwechsel einzulassen, sondern Frau Beckmann einfach auf den Knien anzubeten und sie um Verzeihung zu bitten, ohne natürlich das Geringste zuzugeben. Statt dessen wirft er ihr jetzt einen gewissen Herrn Kletzel vor. Die Antwort ist ein furchtbarer Schlag auf die Nase. Karl prallt zurück, faßt an seinen Zinken, um zu prüfen, ob Blut kommt, und duckt sich mit einem Wutschrei, um als alter Kämpfer Frau Beckmann an den Haaren aus dem Bett zu reißen, ihr einen Fuß auf den Nacken zu stellen und ihre gewaltigen Schinken mit seinem schweren Hosengürtel zu bearbeiten. Ich gebe ihm einen mittelstarken Tritt in den Hintern. Er dreht sich um, bereit, auch mich anzufallen, sieht meine beschwörenden Augen, meine aufgehobenen Hände und meinen lautlos flüsternden Mund und erwacht aus seinem Blutrausch. Menschliches Verstehen glänzt wieder in seinen braunen Augen auf. Er nickt kurz, während ihm nunmehr das Blut aus der Nase sprudelt, dreht sich wieder um und sinkt mit dem Ruf:
»Klara! Ich habe nichts getan, aber verzeih mir!« an Frau Beckmanns Bett nieder.
»Du Ferkel!« schreit sie. »Du Doppelferkel! Mein Kimono!«
Sie zerrt das kostbare Stück beiseite. Karl blutet ins Bettlaken. »Verfluchter Lügner!« erklärt sie. »Auch noch das!«
Ich merke, daß Karl, ein ehrlicher, einfacher Mann, der eine sofortige Belohnung für seinen Kniefall erwartet hat, wieder wütend hoch will. Wenn er mit der blutenden Nase einen Ringkampf beginnt, ist alles verloren. Frau Beckmann wird ihm vielleicht die Kassiererin aus dem »Hohenzollern«, aber nie den verdorbenen Kimono verzeihen. Ich trete ihm von hinten auf den Fuß, halte mit einer Hand seine Schulter herunter und sage:»Frau Beckmann, er ist unschuldig! Er hat sich für mich geopfert.«
»Was?«
»Für mich«, wiederhole ich. »Unter Kameraden aus dem Kriege kommt so was vor -«
»Was? Ihr mit eurer verfluchten Kriegskameradschaft, ihr Lügenhälse und Gauner – und so was soll ich glauben!«
»Geopfert!« sage ich. »Er hat mich mit der Kassiererin bekanntgemacht, das war alles.«
Frau Beckmann richtet sich mit flammenden Augen auf.
»Was? Sie wollen mir doch nicht einreden, daß ein junger Mann wie Sie auf so ein altes, abgetakeltes Stück fliegt wie diesen Kadaver im „Hohenzollern“!«
»Nicht fliegen, gnädige Frau«, sage ich. »Aber in der Not frißt der Teufel Fliegen. Wenn einen die Einsamkeit an der Gurgel hat -«
»Ein junger Mann wie Sie kann doch andere kriegen!«
»Jung, aber arm«, erwidere ich. »Frauen wollen heutzutage in Bars geführt werden, und wenn wir schon davon reden, dann werden Sie mir doch zugeben, daß, wenn Sie schon mir, einem alleinstehenden Junggesellen im Sturm der Inflation, die Kassiererin nicht glauben, es doch völlig absurd wäre, so etwas von Karl Brill anzunehmen, der sich der Gunst der schönsten und interessantesten Frau von ganz Werdenbrück erfreut, unverdientermaßen, zugegeben -«
Das Letzte saß. »Er ist ein Lump!« sagt Frau Beckmann. »Und unverdient ist wahr.«
Karl regt sich. »Klara, du bist doch mein Leben!« heult er dumpf aus den blutigen Bettlaken.
»Ich bin dein Bankkonto, du kalter Stein!« Frau Beckmann wendet sich mir zu. »Und wie war es mit der halbtoten Ziege vom „Hohenzollern“?«
Ich winke ab. »Es ist zu nichts gekommen! Ich habe mich geekelt.«
»Das hätte ich Ihnen im voraus sagen können!« erklärte sie tief befriedigt.
Der Kampf ist entschieden. Wir sind beim Rückzugsgeplänkel. Karl verspricht Klara einen seegrünen Kimono mit Lotosblumen und Bettschuhe mit Schwanenflaum. Dann geht er, kaltes Wasser in die Nase hochzuziehen, und Frau Beckmann erhebt sich. »Wie hoch ist die Wette?« fragt sie.
»Hoch«, erwidere ich. »Billionen.«
»Karl!« ruft sie. »Beteilige Herrn Bodmer mit 250 Milliarden.«
»Selbstverständlich, Klara!«
Wir schreiten die Treppe hinunter. Unten sitzt der Seehund, bewacht von den Freunden Karls. Wir erfahren, daß er versucht hat zu schwindeln, während wir fort waren, aber Karls Saufbrüder haben ihm den Hammer rechtzeitig entrissen. Frau Beckmann lächelt verächtlich, und dreißig Sekunden später liegt der Nagel auf dem Fußboden. Majestätisch entwandelt sie, von den Klängen des »Alpenglühens« geleitet.
»Ein Kamerad ist ein Kamerad«, sagt Karl Brill später gerührt zu mir.
»Ehrensache! Aber wie war das mit der Kassiererin?«
»Was soll man machen?« erwidert Karl. »Sie wissen, wie einem manchmal abends zumute ist! Aber daß das Luder auch reden muß! Ich werde den Leuten meine Kundschaft entziehen. Sie aber, lieber Freund – wählen Sie, was Sie wollen!« Er zeigt auf die Lederstücke. »Ein Paar Maßschuhe erster Qualität als Geschenk – was Sie wollen: Boxcalf schwarz, braun, gelb, Lack, Wildleder – ich werde sie selbst anfertigen -«
»Lack«, sage ich.
Ich komme nach Hause und sehe im Hof eine dunkle Gestalt. Es ist tatsächlich der alte Knopf, der gerade vor mir eingetroffen ist und sich, als wäre er nicht schon toterklärt, bereit macht, den Obelisken zu schänden. »Herr Feldwebel«, sage ich und nehme ihn am Arm. »Sie haben für Ihre kindischen Äußerungen jetzt Ihren eigenen Grabstein. Benützen Sie den!«
Ich führe ihn zu dem Hügelstein, den er gekauft hat, und warte vor der Haustür, damit er nicht noch den Obelisken benutzt.
Knopf starrt mich an. »Meinen eigenen Stein? Sind Sie verrückt. Was ist er jetzt wert?«
»Nach dem Dollarkurs von heute abend neun Milliarden?«
»Und daran soll ich pissen?«
Knopfs Augen irren ein paar Sekunden umher – dann wankt er knurrend ins Haus. Was niemand zuwege gebracht hat, hat der schlichte Begriff des Eigentums erreicht! Der Feldwebel benützt seine eigene Toilette. Da komme noch einer mit Kommunismus! Eigentum gibt Sinn für Ordnung!
Ich stehe noch eine Weile da und denke darüber nach, daß die Natur von der Amöbe her Millionen von Jahren gebraucht hat, um über Fisch, Frosch, Wirbeltier und Affen den alten Knopf hervorzubringen, ein Geschöpf, vollgestopft mit physikalischen und chemischen Wunderwerken, einem Blutkreislauf von höchster Genialität, einer Herzmaschine, die man nur anbeten kann, einer Leber und zwei Nieren, gegen die die IG Farbenfabriken lächerliche Pfuscherwerkstätten sind – und das alles, dieses über Millionen von Jahren sorgfältig vervollkommnete Wunderwerk, etatsmäßiger Feldwebel Knopf genannt, nur dazu, um für eine kurze Zeit auf Erden armselige Bauernjungens zu schinden und sich dann mit einer mäßigen Staatspension dem Trunke zu ergeben! Gott macht sich wirklich manchmal viel Mühe um nichts!
Kopfschüttelnd drehe ich das Licht in meinem Zimmer an und starre in den Spiegel. Da ist ein anderes Wunderwerk der Natur, das auch nicht viel mit sich anzufangen weiß. Ich drehe das Licht ab und ziehe mich im Dunkeln aus.