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Shepherds Court nannte sich das imposante Appartementhaus in Mayfair, das in luxuriöse Wohnungen aufgeteilt war. Auch jetzt noch wurden die Räume mit Bedienung vermietet, obwohl die Bedienung nicht mehr so erstklassig war wie vor dem Krieg. Früher hatten zwei Portiers den Dienst in der Halle unten versehen; nun musste einer dieser Aufgabe gerecht werden. Im Restaurant konnte man auch jetzt noch alle Mahlzeiten bekommen, doch wurde mit Ausnahme des Frühstücks nichts mehr aufs Zimmer serviert.

Das von Mrs Gordon Cloade gemietete Appartement befand sich im dritten Stock und umfasste einen Salon mit eingebauter Bar, zwei Schlafzimmer mit eingebauten Schränken und ein hochelegantes Bad, in dem auf Hochglanz polierte Kacheln mit den verchromten Hähnen und Handtuchhaltern um die Wette funkelten.

David Hunter ging im Salon mit großen Schritten auf und ab, während Rosaleen ängstlich und eingeschüchtert in der Ecke eines Sofas saß und ihn beobachtete.

»Erpressung!«, murmelte David. »Erpressung, gemeine Erpressung. Himmel, bin ich der Mensch, der sich erpressen lässt?«

Rosaleen schüttelte ratlos den Kopf.

»Wenn ich nur eine Ahnung hätte«, sagte David. »Wenn ich nur eine Ahnung hätte.«

Von Rosaleen kam ein unterdrückter Schluchzer.

»Dies im Dunklen tappen macht mich verrückt.« Unvermittelt drehte er sich zu seiner Schwester um. »Hast du die Smaragde in die Bond Street zu Greatorix gebracht?«

»Ja.«

»Und wie viel?«

»Viertausend. Viertausend Pfund. Er hat gesagt, falls ich sie nicht verkaufe, müssten sie neu versichert werden.«

»Ja, Edelsteine sind im Wert gestiegen. Wenn’s sein muss, können wir natürlich das Geld auftreiben. Aber wenn wir zahlen, ist das ja nur der Anfang, Rosaleen. Es bedeutet, dass man uns aussaugen wird, buchstäblich aussaugen bis auf den letzten Heller.«

»Können wir denn nicht einfach wegfahren, David? Nach Irland oder nach Amerika, irgendwohin?«, weinte Rosaleen.

»Du bist keine Kämpfernatur, Rosaleen. Mach dich aus dem Staube, sobald es brenzlig wird, das ist dein Motto.«

»Ach nein, aber das alles ist schrecklich, und wir sind im Unrecht. Von Anfang an. Es war schlecht von uns«, jammerte sie.

»Hör auf mit dem moralischen Getue«, fuhr David sie an. »Wir saßen schön drin im warmen Nest. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich in einem warmen Nest gesessen, und ich denke nicht dran, mich so mir nichts, dir nichts hinauswerfen zu lassen. Wenn nur diese Ungewissheit nicht wäre! Wenn man wüsste… Begreifst du denn nicht, dass die ganze Geschichte ein Bluff sein könnte? Ein billiger Bluff, und wir kriechen zitternd und zagend gleich auf den Leim. Wer weiß… Underhay liegt vielleicht, wahrscheinlich sogar, irgendwo in Afrika friedlich begraben, so wie wir’s immer angenommen haben.«

Ein Schaudern überlief Rosaleen.

»Nicht, David, sag nicht so etwas«, bat sie.

Er blickte ungeduldig zu ihr hinüber, als er jedoch ihre vor Angst geweiteten Augen sah, beherrschte er sich. Er kam zu ihr, setzte sich neben sie und nahm ihre kalten Hände in seine.

»Mach dir keine Sorgen, Rosaleen«, sagte er tröstend. »Ich werde schon alles ins Reine bringen. Tu nur, was ich dir sage. Das kannst du doch, nicht wahr?«

»Das tue ich doch immer, David.«

Er lachte.

»Ja, Schwesterchen, das tust du immer. Lass mich nur machen. Wir werden uns schon zu helfen wissen. Mr Enoch Arden wird sich an mir noch die Zähne ausbeißen.«

»Gibt es nicht ein Gedicht, David, das von einem Mann handelt, der zurückkommt und – «

»Ja«, unterbrach er sie. »Das macht mir ja eben Sorgen. Aber ich werde der Sache schon auf den Grund kommen.«

»Und Dienstagabend bringst du ihm – das Geld?«

Er nickte.

»Ja. Aber nur fünftausend. Ich werde ihm erklären, dass ich unmöglich auf einmal die ganze Summe auftreiben konnte. Auf alle Fälle muss ich ihn daran hindern, zu den Cloades zu laufen. Ich glaube, es war eine leere Drohung, aber ich bin nicht sicher.«

Er hielt inne und lehnte sich zurück. In seine Augen trat ein nachdenklicher Ausdruck. Die Gedanken hinter seiner Stirn arbeiteten, erwogen Möglichkeiten, maßen ab und trafen Entscheidungen.

Und dann lachte er plötzlich. Es war ein unvermitteltes, heiteres und unbekümmertes Lachen. Es war das Lachen eines Mannes, der zur Tat schreitet und den nichts von einem gefährlichen Unternehmen abhalten kann. Trotz lag darin und zugleich Genugtuung.

»Ich kann mich auf dich verlassen, Rosaleen«, sagte er. »Gott sei Dank kann ich mich auf dich verlassen.«

»Auf mich verlassen?« Rosaleen sah ihn verständnislos an. »In welcher Beziehung?«

»Dass du dich genau an meine Anweisungen hältst und handelst, wie ich es dir gesagt habe. Absolute Zuverlässigkeit und Genauigkeit, Rosaleen, ist bei allen strategischen Operationen der Faktor, von dem der Erfolg abhängt, glaube mir.« Er lachte. »Operation Enoch Arden.«



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