7

»Was wollte diese Marchmont hier?«, erkundigte sich David, sobald er seiner Schwester gegenüberstand.

»Ach, David, sie brauchte entsetzlich nötig Geld. Ich hätte nie gedacht – «

»Und du hast’s ihr vermutlich gegeben?«

Halb belustigt, halb verzweifelt betrachtete er sie.

»Ich konnte es nicht abschlagen, David. Fünfhundert Pfund.« Zu ihrer Erleichterung lachte David.

»Ach, die Lappalie.«

»Lappalie? Aber David! Das ist doch schrecklich viel Geld!«

»Nicht für unsere heutigen Verhältnisse, Rosaleen. Du hast noch immer nicht begriffen, was für eine reiche Frau du jetzt bist. Aber trotzdem lass dir’s eine Lehre sein. Wenn sie fünfhundert verlangte, wäre sie auch mit zweihundertundfünfzig zufrieden gewesen. Du musst die Sprache der Schnorrer erst lernen.«

»Es tut mir Leid, David«, sagte Rosaleen unterwürfig.

»Aber Kind! Schließlich ist’s doch dein Geld.«

»Nein, das ist es nicht.«

»Jetzt fang nicht wieder damit an«, zankte David. »Gordon Cloade starb, bevor er Zeit hatte, ein Testament zu machen. Das nennt man Glück. Auf die Weise haben wir gewonnen und die anderen verloren. Glück und Pech, das ist nun einmal so.«

»Aber es scheint mir nicht recht zu sein.«

»Hand aufs Herz, Schwester! Macht dir dies alles hier etwa keine Freude? Ein herrliches Haus, Schmuck, Dienstboten? Ist’s nicht, als sei ein Traum wahr geworden? Ganz ehrlich, manchmal habe ich Angst, ich könnte aufwachen und entdecken, ich hätte wirklich alles nur geträumt.«

Sie stimmte in sein Lachen ein, und David wusste, dass er gewonnenes Spiel hatte. Er kannte Rosaleen und verstand es, sie richtig zu nehmen. Sie hatte nun einmal ein Gewissen. Das war unbequem, aber nicht zu ändern.

»Aber lass es jetzt gut sein mit Gedanken an die wohledle Familie Cloade, Rosaleen«, warnte er. »Von denen hat jeder immer noch mehr Geld, als du und ich früher jemals besessen haben.«

»Das ist sicher wahr«, gab sie zu.

»Wo steckte denn Lynn heute Morgen?«, erkundigte er sich beiläufig.

»Sie ist nach Long Willows hinüber, soviel ich weiß«, erwiderte Rosaleen.

Nach Long Willows! Zu Rowley, dem einfältigen Bauern. Davids gute Laune war wie weggewischt.

Missmutig schlenderte er zum Haus hinaus, durch das kleine Seitentor hinauf auf den Hügel. Von dort aus führte ein Pfad zum Fuß der Anhöhe und an Rowleys Farm vorbei.

Von seinem Ausblick aus sah David Lynn, die von der Farm kam.

Er zögerte einen Moment, dann streckte er trotzig das Kinn vor und setzte sich in Bewegung, ganz bewusst einen Weg einschlagend, auf dem er Lynn begegnen musste.

»Guten Morgen. Na – wann ist Hochzeit?«, begrüßte er das Mädchen.

»Das haben Sie mich schon öfter gefragt«, entgegnete Lynn. »Sie wissen genau, dass sie im Juni ist.«

»Sie wollen’s wirklich wahr machen?«

»Ich weiß nicht, was Sie damit andeuten wollen.«

»Das wissen Sie ganz genau.« David lachte höhnisch. »Rowley! Lieber Gott, wer ist schon dieser Rowley!«

»Ein besserer Mensch als Sie«, gab Lynn obenhin zurück. »Messen Sie sich mit ihm, wenn Sie den Mut haben.«

»Dass er besser ist als ich, bezweifle ich keine Sekunde. Aber Mut genug, mich mit ihm zu messen, habe ich. Für Sie, Lynn, täte ich alles.«

Es entstand eine kurze Pause. Dann sagte Lynn:

»Begreifen Sie denn nicht, dass ich Rowley liebe?«

»Ich bin nicht so überzeugt davon.«

Lynns Temperament ging mit ihr durch.

»Doch, ich liebe ihn«, beharrte sie aufbrausend.

»Wir machen uns alle ein Bild von uns selbst, wie wir uns gern sähen. Sie malen sich eine Lynn Marchmont aus, die Rowley liebt, ihn heiratet, die Farm mit ihm bewirtschaftet und bis zum Ende ihrer Tage glücklich an der Scholle klebt. Aber das ist nicht die wahre Lynn Marchmont. Sagen Sie selbst: Entspricht das Ihrer wahren Natur?«

»Ach Gott, was ist eigentlich diese wahre Natur? Was ist Ihre wahre Natur? Wie sehen Sie David Hunter?«

»Als einen Mann, der Ruhe nach dem Sturm sucht, aber manchmal kommen mir Bedenken, und ich frage mich, ob das meiner wirklichen Sehnsucht entspricht. Ich weiß nicht, Lynn, manchmal habe ich das Gefühl, als sei uns beiden gar nicht wohl bei der Aussicht auf ein beschauliches Leben. Wir brauchen Abenteuer.«

Er verfiel in Schweigen und fügte nach einem Weilchen mürrisch hinzu:

»Wozu sind Sie hier aufgetaucht? Bis Sie kamen, fühlte ich mich ausgesprochen glücklich.«

»Und jetzt sind Sie’s nicht mehr?«

David sah sie an: Eine unerklärliche Erregung ergriff von Lynn Besitz, ihr Atem ging schneller. Nie hatte sie stärker als in diesem Augenblick empfunden, welche Anziehungskraft Davids seltsame, hintergründige Art auf sie ausübte. Seine Hände schnellten vor, packten Lynn an den Schultern und drehten sie mit einem Ruck zu sich um.

Bevor Lynn sich noch klar darüber werden konnte, was eigentlich geschah, fühlte sie, wie sein Griff sich lockerte. Über ihre Schulter hinweg starrte er hügelaufwärts.

Lynn wandte sich abrupt um, um zu sehen, was es gab.

Sie sah eben noch eine Frau durch das schmale Tor oberhalb Furrowbanks verschwinden.

»Wer war das?«, erkundigte sich David argwöhnisch.

»Wenn ich mich nicht irre, war’s Frances«, entgegnete Lynn.

»Frances? Was mag die wohl wollen? Rosaleen bekommt hier nur Besuche von Leuten, die etwas von ihr wollen. Ihre Mutter hat ihr heute Morgen auch schon ihre Aufwartung gemacht.«

Lynn trat einen Schritt zurück.

»Mutter? Was hat sie denn gewollt?«

»Können Sie sich das nicht denken? Geld natürlich.«

»Geld?«

Lynn presste die Lippen aufeinander.

»Sie hat’s bekommen«, versicherte David mit dem kalten spöttischen Lächeln, das für sein Gesicht geschaffen schien.

Vor wenigen Sekunden waren sie einander so nahe gewesen; nun schienen sie Meilen voneinander entfernt, getrennt durch unüberbrückbare Gegensätze.

»Nein! Nein! Nein!«, rief Lynn abwehrend.

»Doch! Doch! Doch!« David ahmte ihren Ton nach.

»Ich kann’s nicht glauben! Wie viel denn?«

»Fünfhundert Pfund.«

Lynn unterdrückte einen Ausruf.

»Ich bin gespannt, wie viel Frances haben will. Man kann Rosaleen wirklich keine fünf Minuten allein lassen. Das arme Ding versteht’s nicht, nein zu sagen.«

»War sonst noch… jemand…«, fragte Lynn bedrückt.

»Tante Kathie hatte ein paar Schulden, die sie drückten, aber es war nicht viel. Mit zweihundertfünfzig Pfund war der Schaden behoben. Sie hatte schreckliche Angst, ihre Bitte um Unterstützung könnte dem Doktor zu Ohren kommen. Der wäre nicht sehr erbaut gewesen von den Schulden, umso mehr, als sie von der Bezahlung spiritistischer Medien herstammten. Die gute Tante Kathie ahnte natürlich nicht, dass der Doktor selbst ebenfalls schon um ein Darlehen ersucht hatte.«

»Was für einen Eindruck müssen Sie von uns haben«, sagte Lynn leise.

Völlig unerwartet für David machte sie plötzlich kehrt und lief davon. Sie hatte die Richtung zu Rowleys Farm eingeschlagen, und die Erkenntnis, dass sie sich zu Rowley flüchtete, wie eine verwundete Taube an ihr angestammtes Plätzchen flattert, machte David mehr zu schaffen, als er sich einzugestehen wagte.

Stirnrunzelnd straffte er die Schultern und schaute zu dem Haus auf dem Hügel empor.

»Nein, Frances«, murmelte er. »Du hast dir den falschen Tag ausgesucht.«

Er platzte in den Salon hinein, als Frances gerade sagte:

»Ich wünschte, es ließe sich einfacher erklären, Rosaleen, aber es ist wirklich furchtbar schwierig – «

»Ist’s das wirklich?«, unterbrach David, der unbemerkt eingetreten war, sie.

Frances fuhr herum. Im Unterschied zu Adela hatte sie es keineswegs darauf abgesehen gehabt, Rosaleen allein anzutreffen. Die Summe, die sie brauchte, war zu groß, als dass anzunehmen gewesen wäre, Rosaleen hätte sie ohne Beratung mit ihrem Bruder gewährt. Frances war es daher denkbar unangenehm, dass David nun den Eindruck erhielt, sie habe das Geld ohne sein Wissen aus Rosaleen herauslocken wollen. Doch sein unerwartetes Auftauchen bestürzte sie, und überdies entging ihr nicht, dass er sich in besonders schlechter Laune befand.

»Ich bin froh, dass Sie kommen, David«, sagte sie obenhin. »Gerade habe ich Rosaleen anvertraut, dass wir durch Gordons plötzlichen Tod in arge Verlegenheit geraten sind…«

Sie fuhr fort, die Lage zu schildern, flocht geschickt die notwendige Summe ein, erwähnte die Hypotheken auf ihrem Haus, Gordons Versprechungen, auf die fest zu bauen gewesen war, und die drückenden Steuerlasten.

Eine gewisse Bewunderung für Frances glomm in Davids feindlich gesinntem Gemüt auf.

Wie hemmungslos diese Frau doch zu lügen verstand! Die Geschichte, die sie da auftischte, war schlau und. glatt zusammengefügt; sie klang wahrscheinlich, aber sie entsprach bestimmt nicht der Wahrheit. Was war eigentlich die Wahrheit? Frances und ihr Mann mussten tief in der Patsche sitzen, wenn Jeremy seiner Frau gestattete, diesen Gang nach Canossa anzutreten.

»Zehntausend?«, erkundigte er sich geschäftsmäßig.

»Eine Menge Geld«, murmelte Rosaleen voller Ehrfurcht vor der Zahl.

Schnell hakte Frances ein.

»Eine Menge Geld, ich weiß. Weil es sich um eine schwer aufzutreibende Summe handelt, komme ich ja zu Ihnen. Jeremy wäre nie auf dieses Geschäft eingegangen, hätte Gordon ihm nicht seine Unterstützung zugesagt. Es ist furchtbar, dass Gordons plötzlicher Tod – «

»Sie alle an einer windigen Ecke Ihrem Schicksal überlässt«, vollendete David den Satz mit höflichem Spott, »nachdem sich’s unter seinen Fittichen bisher so behaglich leben ließ.«

»Sie haben eine merkwürdige Art, die Situation zu schildern«, entgegnete Frances mit einem nervösen Flackern in den Augen.

»Rosaleen darf das Kapital nicht anrühren. Nur die Zinsen stehen ihr zu.«

»Ich weiß, und die Besteuerung ist heutzutage horrend. Aber es ließe sich doch sicher machen. Wir würden es ja zurückzahlen.«

»Es ließe sich allerdings machen«, antwortete David kalt. »Aber es wird nicht gemacht.«

Frances wandte sich hastig Rosaleen zu.

»Rosaleen, Sie sind doch großzügiger – «

David unterbrach sie brutal.

»Wofür halten die Cloades Rosaleen eigentlich? Für eine Milchkuh? Die ganze Sippschaft ist hinter ihr her, bettelt sie an und schmiert ihr Honig ums Maul. Und hinter ihrem Rücken? Da hasst man sie, wünscht ihr Tod und Teufel an den Hals.«

»Das ist nicht wahr!«

»Jawohl, es ist wahr. Ich habe sie satt, die Cloades! Alle miteinander. Und Rosaleen geht’s genauso. Von uns ist kein Geld mehr zu bekommen, also können Sie sich die Besuche und die Bettelei sparen.« Davids Gesicht war vor Wut verzerrt.

Frances erhob sich. Kein Muskel in ihrem Gesicht bewegte sich. Sie zog sich ihre Handschuhe an, geistesabwesend, aber doch sorgfältig, als handle es sich um eine äußerst bedeutsame Verrichtung.

»Sie machen keine Mördergrube aus Ihrem Herzen, David«, sagte sie.

»Es tut mir Leid«, murmelte Rosaleen. »Es tut mir Leid.«

Frances schenkte ihr nicht die geringste Aufmerksamkeit. Sie schritt zur Tür.

»Sie haben behauptet, ich hasste Rosaleen. Das stimmt nicht. Sie hasse ich.«

»Was meinen Sie damit?«, schnappte David mehr als er fragte.

»Eine Frau muss sehen, wo sie bleibt. Rosaleen hat einen um Jahrzehnte älteren Mann geheiratet. Warum nicht? Aber Sie! Sie heften sich wie ein Parasit an sie, leben von ihr, von ihrem Besitz.«

»Ich stelle mich nur zwischen sie und die Meute habgieriger Geier, die sie umlauert.«

Sie standen einander gegenüber und maßen sich mit stummem Blick. Es schoss David durch den Kopf, dass Frances Cloade keine ungefährliche Feindin war. Er verhehlte sich nicht, dass diese Frau skrupellos ein einmal gestecktes Ziel verfolgen würde.

Als Frances Miene machte, das Schweigen zu beenden, spürte David beinahe körperlich die Spannung, die den Raum erfüllte. Doch Frances Cloade machte nur eine bedeutungslose Bemerkung.

»Ich werde nicht vergessen, was Sie gesagt haben, David.«

Und ohne sich noch einmal umzusehen, verließ sie den Raum.

Rosaleen weinte leise.

»Hör auf, Närrin!«, fuhr David sie an. »Möchtest du etwa, dass die ganze Bande über dich hinwegtrampelt und dir jeden Cent, den du besitzt, aus der Tasche zieht?«

»Aber wenn’s doch nicht mein rechtmäßiges Geld – «

Davids Blick machte sie verstummen.

»Ich hab’s nicht so gemeint, David.«

»Das will ich hoffen«, erwiderte er grob.

Das dumme Gewissen! Rosaleens Gewissen würde ihnen noch zu schaffen machen.

Ein Schatten flog über sein Gesicht. Rosaleen rief unvermittelt: »Ein Schatten fällt auf mein Grab!«

David sah seine Schwester verdutzt an. Nach einem Moment der Verständnislosigkeit sagte er:

»Siehst du selbst, dass es so weit kommen könnte?«

»Was meinst du damit, David?«

»Ich meine, dass fünf oder sechs Leute keinen anderen Gedanken haben, als dich schneller in dein Grab zu befördern, als du hineingehörst.«

»Soll das heißen… Mord…?«

Ihre Stimme war fast tonlos vor Entsetzen.

»Aber so nette Leute wie die Cloades begehen doch keinen Mord.«

»Ich bin nicht so sicher, dass es nicht gerade die netten Leute wie die Cloades sind, die Morde begehen. Aber solange ich da bin und auf dich aufpasse, werden sie keinen Erfolg haben. Zuerst müssen sie mich aus dem Weg schaffen, wollten sie an dich ran. Falls ich jemals aus dem Weg geräumt werden sollte, Rosaleen, dann gib Acht auf dich, hörst du?«

»Sag nicht so furchtbare Dinge, David!«

Er packte ihren Arm.

»Gib Acht auf dich, Rosaleen, wenn ich nicht da sein sollte, um dich zu beschützen. Das Leben ist keine Spazierfahrt, es ist eine gefährliche Angelegenheit, und ich habe so das Gefühl, als sei es für dich ganz besonders gefährlich.«



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