6

Ich will weg. Ich habe alles hier drin satt. Die offenen Türen. Die Fische. Die Sitzungen im Runden Zimmer, das eckig ist. Die Männer, ihr Schwanken zwischen Erleichterung, am Leben zu sein, und dem Wunsch, zu sterben. Die Pfleger, diese perfekten Paarläufer auf dem meterdicken Eis ihrer Hingabe. Das viele Licht. Der Blick durch das Sicherheitsglas auf eine Landschaft, die so hingebaut wirkt wie das Gebäude, in dem ich ausharre, ohne zu wissen, worauf ich warte. Vermeer, der glücklich ist, wenn ich ein Wort oder einen Satz auf einen Zettel schreibe. Pendergast, der Pendergast ist. Ich will mich nicht mehr beim Essen beobachten lassen. Ich kann Elroys Blicke nicht länger ertragen, wenn er mir zusieht, wie ich mit einem Trinkhalm Tee oder Kakao zu mir nehme. Es ist anstrengend, nicht zu reden, den Mund zu halten, wenn ich jemanden anschreien möchte.

Vor ein paar Tagen wäre ich beim Mittagessen beinahe auf Wayne losgegangen, weil er wohl hoffte, ich würde endlich einen Laut von mir geben, wenn er mich lange genug provozierte. Er nannte mich einen Irren und warf mit Erbsen nach mir, und Melvin und Rodrigo mussten mich zurückhalten, damit ich ihm nicht an die Kehle sprang. Dabei waren es nicht Waynes Beschimpfungen oder die Erbsen gewesen, die mich ausklinken ließen. Es ist die Tatsache, dass ich seit einem Monat und zwei Tagen in der Stadt der Selbstmörder bin und nichts dafür tue, sie demnächst zu verlassen. Bis gestern habe ich sogar vermieden, über meine Situation nachzudenken, und wenn ich mich doch einmal fragte, was zum Teufel ich hier eigentlich wollte, redete ich mir ein, Ruhe zu brauchen, Zeit, um mich zu erholen. Meist stand ich vor dem Badezimmerspiegel, wenn ich mir diese unangenehme Frage stellte, deshalb habe ich vor einigen Tagen aufgehört, mich beim Zähneputzen anzusehen. Hätte ich einen richtigen Bartwuchs und nicht dieses flaumige, schüttere Gestrüpp, ich würde ihn sprießen lassen, nur um meinem Anblick zu entgehen.

Ich bin es leid, Vermeer zu verarschen. Er ist ein netter Kerl und schreibt seitenweise Berichte über mich, in denen er nach Hinweisen für meine Stummheit sucht. Er will mich ergründen, mich entschlüsseln. Dabei ist alles in Ordnung mit mir. Jedenfalls bin ich kein Selbstmordkandidat. Davon gibt es hier drin genug. Letzte Woche hat Stan sich mit den Scherben eines Blumentopfs die Pulsadern aufgeschnitten. Rodrigo hat ihn gerade noch rechtzeitig gefunden. Jetzt liegt Stan auf der Krankenstation. Um ihn soll Vermeer sich kümmern, nicht um mich. Mag sein, dass ich lebensuntauglich bin. Aber noch viel weniger tauge ich zum Sterben.

Nachdem ich Aimee ein paar Mal ausgewichen bin, lässt sie mich in Ruhe. Am Tag nach der Sache im Gartenhaus wollte sie mit mir reden, aber ich habe sie einfach stehen lassen. Wenn wir uns auf den Fluren begegnet sind, habe ich den Blick gesenkt und bin rasch an ihr vorbeigegangen. Einmal hielt sie mich fest, sagte, es täte ihr leid und ich solle ihr zuhören. Ich habe mich losgemacht und bin raus in den Garten. Jetzt ist sie nicht mehr in der Offenen Abteilung. Melvin sagt, sie arbeite im Büro, das sei Teil des Praktikums. Er hat mich angesehen und gesagt, er könne bei ihr ein gutes Wort für mich einlegen, und hat dabei gezwinkert. Er wollte bloß nett und witzig sein, aber ich bin aufgestanden und aus dem Zimmer gegangen.

Melvins Metamorphose vom Fremden zum guten Onkel geht mir ein bisschen zu schnell. Meinen richtigen Onkel habe ich nie gesehen. Brendan heißt er und lebt, soviel ich weiß, in Limerick. Deirdre, Orlas Schwester, hat es nach der Scheidung nach Spanien verschlagen, vielleicht auch schon wieder woandershin. Sie ist zu Orlas Beerdigung gekommen und hat die ganze Zeit geweint und mich lange umarmt und gesagt, ich soll mit ihr kommen und bei ihnen leben. Aber ich bin bei Colm geblieben. Was mich betrifft, habe ich keine Verwandten mehr, jedenfalls keine, mit denen ich etwas zu tun haben will, und die Stadt der Selbstmörder ist so ziemlich der letzte Ort auf der Welt, wo ich mir so etwas wie eine Ersatzfamilie suchen werde.

Es wird Zeit, dass ich von hier verschwinde. Ich bin nicht mehr und nicht weniger ein Fall für den Psychiater als die meisten Menschen, denen ich begegnet bin, draußen und hier drin. Für mein Alter besitze ich eine umfangreiche Sammlung von Macken. Ich bin komplex, nicht verrückt. Niemand soll sich anmaßen, in mir lesen zu wollen wie in einem Buch. Ich bin kleingedruckt, mein Titel verschwindet unter dem Staub einer verlassenen Bibliothek. Mein Leben hat einen starken Hang zum Tragischen, nicht ich. Ich wünsche mir Einklang, flach verlaufende Bahnen, Stille. Ich ziehe die Ereignislosigkeit dem Toben des Schicksals bei Weitem vor. Mein Idealzustand wäre, in Ruhe gelassen zu werden.

Ich stehe im Badezimmer und sehe in den Spiegel. Mit Melvins Rasierschaum bedecke ich meine Wangen, das Kinn und den Hals. Der Wegwerfrasierer legt Schneisen im Gesicht frei, ein Schneepflug in trostloser Landschaft. Ich wasche mich, ziehe saubere Sachen an. Dann mache ich mich auf die Suche nach Vermeer.

Ich sitze da und versuche entspannt auszusehen. Die beiden Pfleger, die mit mir auf Vermeer warten, sind die, die mich damals gebadet haben, Rob und Phil. Ich überlege, ob ich ein wenig mit ihnen plauschen soll, aber vermutlich sind sie an Konversation mit Patienten nicht interessiert. Außerdem verlasse ich vielleicht noch heute die Stadt und will keine Freundschaften mehr schließen. Rob, der Gutaussehende, blättert in seinem Taschenkalender und kritzelt dann mit einem winzigen Stift kurze Sätze hinein. Mit den Füßen wippt er zu einer Melodie, die nur er hört. Phil, dem die Gene früh den Hinterkopf gerodet haben, isst ein Sandwich und grinst kurz, wenn unsere Blicke sich treffen. Er scheint noch immer überrascht von der Tatsache, dass ich wieder rede. Vor etwa zehn Minuten hat er Vermeer per Mobiltelefon benachrichtigt. Dabei hat er sich ein paar Schritte von mir entfernt und geflüstert.

Wir sitzen im Flur vor Vermeers Büro. Vermeer hat in der Halboffenen zu tun. Die Nachricht vom Ende meiner Stummheit wird ihn bestimmt bald hier sein lassen. Im Geist gehe ich Sätze durch, mit denen ich den Arzt begrüßen werde. Dazu übe ich eine Miene, ein zerknirschtes Lächeln, zusammengepresste Lippen unter hochgezogenen Augenbrauen. Phil sieht mich ab und zu verstohlen an. Wahrscheinlich denkt er, ich sei irre, zwar nicht mehr stumm, aber trotzdem durchgeknallt. Er hat sein Sandwich gegessen und geht zum Getränkeautomat, um sich eine Dose Sprite zu ziehen. Er fragt mich, ob ich Durst habe, und hebt den Arm mit der Dose, als wolle er sie gleich in meine Richtung werfen.

Ich schüttle den Kopf, lächle.»Nein«, sage ich dann, als mir einfällt, dass ich wieder rede.»Vielen Dank«, füge ich hinzu, um zu beweisen, wie umgänglich ich sein kann.

Phil setzt sich, reißt die Dose auf und trinkt. Um mich nicht mehr ansehen zu müssen, holt er ein gefaltetes Heft aus der Gesäßtasche und liest darin.

Rob steckt seinen Taschenkalender ein. Ich überlege, ob er vielleicht etwas über mich eingetragen hat. Er steht auf und macht zu meinem Erstaunen Dehnungsübungen. Als sei es hier und jetzt das Normalste der Welt, streckt er sich, stemmt sich gegen die Wand, geht in die Knie, greift nach der Decke, eine einstudierte Abfolge, begleitet von regelmäßigen Atemstößen. Mit siebzehn wünschte ich mir nichts sehnlicher als einen anderen Körper. Damals hätte ich mit dem Teufel einen Pakt geschlossen, um größer zu sein und kräftiger. Einmal schlug ich auf mein Spiegelbild ein, bis die Knöchel bluteten. Vor Wut und Schmerz heulend, saß ich auf dem Boden und verfluchte mein Schicksal. Ich verfluchte sogar meine Mutter, die mich viel zu früh geboren hatte, aber dann fühlte ich mich nur noch elender und weinte und bat meine Mutter um Verzeihung. Mit Krafttraining habe ich es auch mal versucht, habe Gewichte gehoben und mehr Eier gegessen, als ich verdauen konnte. Wirklich geholfen hat die Schinderei nichts. Ich hatte zwar etwas mehr Kraft als vorher, aber ich legte weder an Gewicht noch an Muskeln messbar zu. Ein Arzt sagte mir, das mit den Muskelpaketen sei Veranlagung, die einen hätten sie, die anderen nicht. Ich habe sie nicht.

Ich bin seither noch ein paar Zentimeter gewachsen, bin jetzt eins zweiundsechzig, ohne Schuhe. Das ist drei Zentimeter kleiner als Roman Polanski, aber acht Zentimeter größer als Danny De Vito. Ich wachse jedes Jahr etwa einen halben Zentimeter, mal mehr, mal weniger. Rein theoretisch könnte ich in vierzig Jahren fast einen Meter achtzig messen. Aber dann bin ich alt und fange schon wieder an zu schrumpfen, also was soll’s. Der Winter ist meine Lieblingsjahreszeit, da kann ich in Moonboots mit dicken Sohlen rumlaufen und fünf Schichten Klamotten übereinander tragen, in denen ich nicht mehr aussehe, als könnte ein Lufthauch mich wegblasen.

Ich bin schläfrig, die Nacht war unruhig, zerstückelt von Träumen. In einem entfernten Flur brummt eine Poliermaschine. Rob macht Tai Chi, womit er mich kaum noch verblüfft. Er steht auf einem Bein und hält die Arme, als würde er einen unsichtbaren Bogen spannen. Er gehört zu den anderen. Er hat die Veranlagung zum perfekten Körperbau, zum maßlosen Glücklichsein. Schön für ihn, mein Kontingent an Neid ist aufgebraucht. Ich schließe die Augen.

Als Vermeer kommt, schrecke ich hoch und habe meine Sätze vergessen und auch den Gesichtsausdruck. Er sieht mich an, streckt mir die Hand entgegen und lächelt.

«Hallo, Will«, sagt er.

Ich ergreife seine Hand und lächle zurück, bin aber nicht sicher, ob es mir gelingt. Vermeer wartet, dann sieht er zu den beiden Pflegern. Rob sagt, ich hätte eben noch gesprochen, und Phil nickt. Vermeer legt mir die Hand auf die Schulter, öffnet die Tür und lässt mich in sein Büro eintreten. Er wechselt ein paar Worte mit Phil und Rob und schließt dann die Tür.

«Bitte, setzen Sie sich«, sagt er und wartet, bis ich in dem Sessel vor dem Schreibtisch Platz genommen habe. Dann setzt er sich ebenfalls, faltet die Hände auf der Tischplatte und sieht mich an.

Ich weiß, dass ich etwas sagen soll. Der Tisch, L-förmig und aus Stahl und dunklem Holz, ist überladen mit Aktenstößen, einem Notebook, Zetteln, Büchern, Heften, einer Schale mit Stiften, Büroklammern und anderem Kram, einem Bilderrahmen, dem Telefon und einem Stück Seil, das kunstvoll zu einer Henkersschlaufe geknotet ist. Als das Telefon klingelt, zucke ich zusammen. Vermeer sagt, er sei nicht zu sprechen. Das verleiht meinem Hiersein noch mehr Bedeutung, und als Vermeer aufgelegt hat, öffne ich den Mund.

«Ich möchte weg«, sage ich.

Ein Lächeln streicht über Vermeers Gesicht. Eine Weile sitzt er da, die Hände noch immer gefaltet. Ich frage mich, ob sich mit dem Strick jemand erhängt hat. Und falls ja, warum er auf Vermeers Tisch liegt, neben dem Telefon und einem Bild, das vermutlich seine Familie zeigt.

«Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr mich das mit Freude erfüllt«, sagt Vermeer schließlich.»Ich meine damit sowohl die Tatsache, dass Sie wieder sprechen, als auch Ihren Wunsch, uns zu verlassen.«

Ich nicke. Ich denke daran, nach meinem Koffer zu fragen, überlasse es dann aber Vermeer, meine Abreise zu organisieren. Es ist später Nachmittag, ich würde gerne noch eine Nacht hierbleiben und morgen ausgeruht los.

«Sie haben mein Vertrauen in Ihren Lebensmut nicht enttäuscht«, sagt Vermeer.»Die Entscheidung, Sie trotz Gefährdung in die Offene Abteilung zu verlegen, war unter meinen Kollegen nicht unumstritten, müssen Sie wissen. «Er lächelt mich an, dann klappt er sein Notebook auf. Ein Flaum aus blauem Licht legt sich auf seine Haut und wird weiß. Der Strick sieht neu aus, unbenutzt, und er ist kurz, misst vielleicht vierzig Zentimeter. Ziemlich unwahrscheinlich, dass er um den Hals eines Selbstmörders gelegen hat. Trotzdem würde ich gerne wissen, ob es sich dabei um ein makaberes Souvenir handelt, das Erinnerungsstück an einen besonderen Fall. Oder ob das Seil dazu da ist, ihn jeden Tag daran zu erinnern, mit welcher Art von Männern er es hier drin zu tun hat. Vermeer tippt etwas in das Notebook. Dass er den Strick für sich bereithält, schließe ich aus. Ob er ihn ab und zu umhängt, nur um zu sehen, wie es sich anfühlt? Und ob er dabei auf seinen Stuhl steigt?

«Ich kann mir vorstellen, dass Sie unsere Einrichtung so schnell wie möglich verlassen wollen«, sagt Vermeer und klappt das Notebook zu. Er lächelt wieder und faltet die Hände.»Trotzdem bitte ich Sie, noch eine Woche zu bleiben.«

Ich sehe ihn an. Die Bitte überrascht mich, ich stelle mir Engpässe bei der Aufnahme neuer Insassen vor, Abweisungen aufgrund von Überbelegung, Dutzende gescheiterter Selbstmörder, die auf ein freies Bett warten, einen Platz im Runden Zimmer, eine Nische zum Überleben.

«Am nächsten Freitag besucht uns eine Delegation aus Washington«, sagt Vermeer.»Vertreter eines Ausschusses, der über die Vergabe und die Verlängerung von Lizenzen für privat geführte Kliniken bestimmt. Es wird eine Besichtigung geben, Tischlerei, Schwimmbad, der Garten, vielleicht einen Spaziergang im Park. Am Schluss stelle ich mir ein Gespräch vor, die Leute des Ausschusses und zwei, drei Männer, die hier neue Kraft gefunden haben, neue Hoffnung. «Er sieht mich an, wartet. Seine rechte Hand liegt auf dem Strick. Ich stelle mir vor, wie er sich daran aufhängt, nachdem ich seine Bitte abgeschlagen und das Büro verlassen habe. Aber dann sehe ich, dass es keine Möglichkeit gibt, das Seil an der Decke zu befestigen.

«Ich weiß nicht«, sage ich. Eine Nacht wollte ich sowieso noch bleiben. Aber eine ganze Woche?

«Ich verstehe Ihre Vorbehalte«, sagt Vermeer. Er steht auf, den Strick lässt er liegen.»Erlauben Sie mir eine Frage. Was gedenken Sie draußen zu tun? Ich meine, was haben Sie für Pläne?«

Pläne, denke ich, Pläne habe ich keine. Mein Leben lang hatte ich noch keinen Plan. Ich habe Dinge getan, manche mit weitreichenden Folgen, aber keine meiner Handlungen war ausgedacht oder vorbereitet. Ich folge Impulsen, lasse mich treiben, reagiere. Ich bin ein Nichtschwimmer in einem zähen Fluss. Ich halte mich wahllos an Dingen fest, um nicht unterzugehen.

«Lassen Sie mich Ihnen einen Vorschlag unterbreiten«, sagt Vermeer. Er stützt die Hände auf den Tisch und sieht mich an.»Wenn Sie bleiben, werden wir Ihnen beim Neustart ein wenig unter die Arme greifen. Sagen wir, mit zweitausend Dollar.«

Vermeer weiß, dass ich pleite bin. Der Typ im Hotel hat ihm bestimmt erzählt, wie ich meine letzten Scheine hervorgekramt habe, um für das Zimmer zu bezahlen. Zweitausend Dollar würden mich eine ganze Weile über Wasser halten.

«Einverstanden?«fragt Vermeer und streckt mir die Hand entgegen.

Er lächelt. Er war nett zu mir. Er ist glücklich, weil er glaubt, mir das Leben gerettet zu haben. Ich schulde ihm etwas. Ich ergreife seine Hand.

«Unter einer Bedingung«, höre ich mich sagen. Der Satz ist mir rausgerutscht, ich wollte ihn nur denken, nicht aussprechen. Ich ziehe die Hand zurück und lege sie neben die andere in den Schoß.

«Ja?«Vermeers Lächeln ist durch nichts zu vertreiben. Er setzt sich hin und nimmt einen Stift in die Hand, als wolle er sich meine Forderung aufschreiben.

«Ich möchte das Bild sehen«, sage ich. Dabei deute ich mit einer Kopfbewegung auf den Rahmen neben dem Notebook.

Vermeer scheint völlig überrascht zu sein. Er sieht den Rahmen an, als würde ihm dessen Gegenwart zum ersten Mal seit langer Zeit wieder bewusst. Er legt den Stift hin und nimmt ihn in die Hand, betrachtet ihn. Dann gibt er ihn mir.

Ich drehe den Rahmen aus dunklem, glänzendem Holz um. Er ist leer.

Irgendwie werde ich die Woche hinter mich bringen. Vielleicht ist es sogar ganz gut, wenn ich die Stadt nicht überstürzt verlasse. Drei Tage ist es her, seit ich in Vermeers Büro saß. Die Idee, meine Zukunft zu planen, zumindest die ersten Wochen, erscheint mir vernünftig. Mit dem Geld könnte ich einiges anstellen. Ich könnte mir ein Auto kaufen, ein gebrauchtes. Ich könnte mich in ein Flugzeug setzen und irgendwohin fliegen. Oder einen Laden mieten. Ich wollte schon immer Dinge an Leute verkaufen. Schrauben, zum Beispiel. Ich könnte einen Laden eröffnen, wo man jede Schraube kaufen kann, die es gibt. Ich hätte Schubladen an den Wänden, jede Schublade wäre beschriftet, durchnumeriert. Alles wäre geordnet und hätte seinen Platz. Ich würde Arbeitskleidung tragen, einen blauen Kittel, graue Hosen. Der Laden hätte einen Namen wie Schraub-O-rama oder Wilburs Welt der Schrauben.

Ich könnte auch einen Laden für Nichtschwimmer aufmachen und Rettungsringe, Schwimmwesten und aufblasbare Inseln verkaufen. Und Bücher, in denen Worte wie Wasser oder Schwimmen nicht vorkommen. Und Reisen in Länder, die nicht ans Meer stoßen. In die Schweiz, zum Beispiel, oder nach Ungarn. Oder in die Wüste.

Wayne kommt ins Zimmer und fragt, ob ich Japanisch spreche. Obwohl ich verneine, hält er mir eine Gebrauchsanweisung hin. Ich sage ihm, er soll sich verziehen. Er nennt mich einen eingebildeten Arsch und geht. Ich werde doch keinen Laden eröffnen. Ich hätte es mit Leuten wie Wayne und Elroy zu tun, und das geht nicht. Wayne würde nach einer Schraube verlangen, die es nicht gibt, nicht mal in Japan, und ich würde sämtliche Kataloge durchgehen und ein paar Anrufe machen und ihm dann sagen, dass es diese Schraube nicht gibt, und Wayne würde mich beschimpfen und Schraub-O-rama einen Saftladen nennen. Elroy säße den ganzen Tag da und sähe mir zu. Er würde am ersten Tag eine Schraube kaufen und damit das Recht, für den Rest seines Lebens in meinem Laden zu sitzen. Typen wie er würden kommen und nach Phantasieschrauben fragen. Sie würden Schrauben aus uralten Maschinen bringen und wollen, dass ich ihnen drei davon besorge. Alte Damen würden nach Nägeln fragen, um ihre Vogelhäuschen zu reparieren, und ich müsste ihnen erklären, dass ich nur Schrauben führe.

Am liebsten wäre mir, wenn ich in meinem Laden sitzen und die kleinen Schubladen auf- und zumachen könnte, um die Schrauben darin zu betrachten, ohne von irgendjemandem gestört zu werden. Ein Laden ohne Kunden in einer Straße ohne Menschen, das wäre ideal. Ich würde die Rollos herunterlassen, Musik hören und im Licht runder Lampen Bestellformulare ausfüllen. Vielleicht würde ich anfangen, Zigarren zu rauchen. Ab und zu käme eine Lieferung neuer Schrauben, die es einzusortieren gälte. Natürlich würde der Laden nach kurzer Zeit Pleite machen, und ich würde vor dem Nichts stehen.

Ich könnte mit den zweitausend Dollar auch einen Privatdetektiv engagieren, der in meiner angeschlagenen Erinnerung kramt.

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