KAPITEL 17

Das Schott zur Brücke fuhr auf, und Tanaka streckte den Kopf heraus. Sakai richtete seine Waffe auf ihn. »Keine Dummheiten«, warnte er ihn.

Niemand hat je behauptet, die japanische Raumfahrtbehörde engagiere Leute, die schwer von Begriff wären oder zu unbesonnenem Handeln neigten. Tanaka sah zuerst die Waffe an, dann Moriyama und mich, und dann nickte er langsam und hob die Hände leicht hoch. »Alles, was Sie wollen«, sagte er leise.

»Bleiben Sie, wo Sie sind«, befahl Sakai. »Ich will, daß das Schott offenbleibt.«

Die schabenden Geräusche hatten das Innere unserer Schleusenkammer erreicht, und nun drehte sich das Verschlußrad der inneren Luke mit dem üblichen Rattern, das mich immer an das Geräusch eines Safeschlosses erinnerte. Dann, als die Sicherungsbolzen vollständig eingefahren waren, schwang das Luk auf, und ein Gesicht erschien in der kreisrunden Öffnung. Und was für ein Gesicht!

Ich erschrak, als ich diese Züge sah. Die letzten Stunden waren nicht gerade arm an Ereignissen gewesen, und ich war von einer Angst in die nächste gefallen – aber das war immer nur Angst gewesen. Jetzt aber fühlte ich regelrechte Panik in mir aufsteigen, ein Gefühl der Verzweiflung, das in mir hochschwappte wie eine überbordende Woge. Seit mir klargeworden war, daß die Raumstation überfallen wurde, war ich auf diesen Moment gefaßt gewesen, in dem die NIPPON geentert wurde – aber ich hatte, ohne über diese Vorstellung weiter nachzudenken, damit gerechnet, daß wir von einer Art militärischer Einheit besetzt würden, von olivgrün uniformierten Guerilleros oder dergleichen.

Dieser Mann aber, der da langsam kopfüber aus der Schleuse glitt, sich nach allen Seiten umsehend und einen Revolver mit großem Schalldämpfer schußbereit in der Hand haltend – dieser Mann war ein Psychopath, wenn ich jemals einen gesehen hatte. Sein Kopf glich einem Totenschädel. Die Wangen und Schläfen waren eingefallen, als zehre ihn etwas aus, und die Haut glänzte krankhaft bleich und feucht.

Sein Haar war lang und ungepflegt und klebte ihm in wirren, fettigen Strähnen am Schädel. Und in seinen tiefen, unsteten Augen glühte mühsam gebändigter Wahnsinn, lauerte nackte Mordlust. Das, so schoß es mir durch den Kopf, war jemand, dem es Vergnügen bereitete zu töten, der es genoß, wenn Metall klatschend in wehrloses Fleisch einschlug. Vielleicht gab es nichts sonst, das ihm Vergnügen bereitete. Er sah sich um, als fiebere er dem ersten Anlaß entgegen, von seiner Waffe Gebrauch zu machen. Sogar Sakai schien etwas Angst vor diesem dämonischen Spießgesellen zu haben.

Er glitt vollends aus der Schleuse und streckte die freie Hand ungeschickt nach einem Griff aus, um sich umzudrehen. Ganz offensichtlich hatte er keine Weltraumerfahrung, und die Schwerelosigkeit, vielleicht in Verbindung mit dem Streß, schien ihm zu schaffen zu machen. Mühsam glitt er neben Sakai und nickte ihm zu.

Der nächste Kopf erschien in der Schleuse: ein blonder, kurzgeschorener Schädel, aus dem sich zwei himmelblaue, aber ansonsten seltsam stumpfe Augen gleichgültig umsahen. Der Besitzer dieser Augen war ein Hüne, ein Schrank von einem Mann, und er trug keine Waffe, sondern einen metallenen Kasten unter dem Arm, aus dem einige bunte Kabel wie seltsame Schlangen herausragten. Auch ihm bereitete es Schwierigkeiten, sich zu orientieren, und er bewegte sich mit ungeschlachten, hölzernen Bewegungen.

Die Raumanzüge, die die beiden trugen, fielen mir auf. Die Helme hatten sie abgenommen, und sie trugen auch keine Versorgungstornister – aber jeder von ihnen hatte einen Knopf im Ohr und ein Mikrophon an einem dünnen Bügel vor dem Mund, und beides war mit einer klobigen Sprechfunkeinheit verbunden, die ihnen im Nacken saß, gleich hinter der Manschette, auf der der Helm aufgesetzt wurde. Ich glaubte darin russische Modelle zu erkennen und fragte mich, was das wohl über die Herkunft der Piraten verriet.

Der Totenkopf gab Sakai einen Wink. Mit einer unangenehmen, heiseren Fistelstimme befahl er: »Zeig Sven, wo er den Sender anschließen muß.«

Sakai nickte, und ich hatte den Eindruck, daß er erleichtert war, nicht länger in der Nähe seines ungepflegten Kompagnons sein zu müssen. Bereitwillig glitt er vor dem blonden Riesen in die Zentrale.

Dann winkte der Totenkopf Moriyama und mir mit seiner überdimensionalen Waffe zu. »Los, ihr beiden, rein mit euch.«

Er sprach Englisch mit einem deutlichen deutschen Akzent. Ich war ein paar Monate in Deutschland stationiert gewesen, 1989, kurz vor dem Fall der Mauer – lange genug, um diesen Akzent zu erkennen. Und lange genug, gottlob, um auch die Deutschen kennenzulernen, was mich in diesem Moment vor unzutreffenden Verallgemeinerungen bewahrte. Dieser Mann schien mir eher das Ergebnis eines genetischen Experiments zu sein, dessen Ziel die Vereinigung der schlechtesten Eigenschaften der ganzen menschlichen Rasse in einer einzigen Person gewesen sein mußte.

Moriyama und ich folgten dem Wink sofort und ohne Zögern. Keiner von uns hatte den Eindruck gewonnen, daß dieser Mann uns ein zweites Mal auffordern würde.

Als wir durch das Schott, hinter dem immer noch Tanaka verharrte, um es offenzuhalten, auf die Brücke schwebten, machten sich Sakai und der Blonde bereits am Kommunikationspult zu schaffen. Der Mann, den Kollege Schrumpfkopf Sven genannt hatte, schabte mit einem Schraubenzieher die Reste eines unserer eigenen Sender aus einem der offenstehenden Schächte – das, was das Plastikthermit von ihm übriggelassen hatte –, wohl um Platz zu schaffen für das Gerät, das er mitgebracht hatte. Sakai gab ihm halblaut einige Anweisungen, war aber in der Hauptsache damit beschäftigt, die übrigen Crewmitglieder in einer Ecke der Brücke zusammenzutreiben.

»Ralf, paßt du auf die Leute auf?« fragte er, als wir hereinkamen.

Ralf. Was für ein Name für diesen Mann, der sich jederzeit seinen Lebensunterhalt auf ehrliche Weise in einer Geisterbahn hätte verdienen können. Ralf knurrte sein Einverständnis und stieß mir dann den Schalldämpfer seiner Waffe aufmunternd von hinten in die Rippen.

Etwas fehlte noch, als wir dann mit den anderen um den Radarschirm versammelt waren und Ralf uns mit hungrigen Augen beobachtete. Der Boß. Der Chef. Die beiden Neuankömmlinge waren zwar beeindruckende und furchteinflößende Gestalten, aber ob ihr geistiges Niveau an das von zwei trotteligen Vorstadtbankräubern heranreichte, stand für mich noch sehr in Zweifel. Ganz sicher hatten sie jedoch nicht das Format für ein Unternehmen wie dieses.

Der Mann, der dieses Format hatte, betrat gleich darauf die Brücke. Und was seinen Komplizen an Format abging, das besaß er im Übermaß.

Er war etwas kleiner als die anderen beiden. Auch er trug einen Raumanzug, aber an ihm wirkte das klobige Kleidungsstück wie ein teurer Smoking. Die Schwerelosigkeit schien ihm keine Schwierigkeiten zu bereiten, oder wenn doch, gelang es ihm jedenfalls ausgezeichnet, sie zu kaschieren. Er hatte ein glattes, intelligentes Gesicht von leicht dunkler Hautfarbe, das mich in ihm einen Kolumbianer oder Algerier vermuten ließ. Wachsame Augen musterten jedes einzelne Mitglied der Crew, während er näher kam, und als er mich ansah, bekam ich den Eindruck, daß hinter diesen Augen ein rasiermesserscharfer Verstand arbeitete. Ein gefährlicher Verstand. Der Verstand eines entschlossenen Mannes, der genau weiß, was er will, der weiß, wie er es bekommt, der jedes Detail berücksichtigt und nichts übersieht.

Sein Blick blieb schließlich auf Moriyama haften. »Kommandant Moriyama, vermute ich?« fragte er mit einer weichen wohlüberlegt akzentuierten Stimme. Ein leichter französischer Akzent klang mit. Vielleicht doch Algerier. »Es tut mir leid, daß ich Ihre Raumstation vorübergehend für meine eigenen Zwecke beanspruchen muß…«

»Sparen Sie sich Ihre Höflichkeiten«, unterbrach ihn Moriyama barsch. »Wer sind Sie und was wollen Sie?«

»Mein Name ist Khalid«, erklärte er unbeeindruckt. »Und was ich will? Nun, was kann jemand wollen, der ein Objekt wie diese Raumstation besetzt? Im Handstreich, wie ich hinzufügen darf.« Er schien nicht wenig stolz auf seinen gelungenen Überfall zu sein.

»Keine Ahnung«, knurrte der Kommandant.

Khalid lächelte. Es war das Lächeln eines Haifischs. »Auch keine Vermutung?«

»Nein.«

Der Anführer der Piraten sah sich gelassen um, bedächtig, ein Mann, der die Situation völlig im Griff hatte. Er tauschte ein paar Blicke mit seinen Komplizen, musterte uns der Reihe nach aufmerksam und wandte sich dann wieder Moriyama zu.

»Darf ich Ihrer Phantasie ein wenig nachhelfen? Wie wäre es mit… Geld?«

»Geld?!«

Ein kurzes, dröhnendes Lachen wie über einen gelungenen Scherz auf einer Party. »Aber, Kommandant – sprechen Sie dieses Wort nicht so aus, als ob es etwas Schmutziges wäre! Geld ist wichtig. Für die weitaus meisten Menschen ist Geld das, worum sich ihr ganzes Leben dreht. Sie arbeiten und arbeiten und rackern sich ab und verdienen gerade genug, um den nächsten Tag zu erleben, an dem sie wieder nichts als Plackerei erwartet.«

Er hatte das in gutgelauntem Plauderton von sich gegeben, wie ein Salonlöwe, der sich in feiner Gesellschaft in der Kunst des gehobenen Smalltalks übt. Doch so plötzlich und so übergangslos, als habe jemand in seinem Inneren einen Schalter umgelegt, fiel das falsche Lächeln von ihm ab, und seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Als er weitersprach, klang seine Stimme leiser, präziser, gefährlich wie ein geschliffener Dolch.

»Für Sie freilich, Kommandant, trifft diese Beschreibung nicht zu. Sie sitzen ja in einem der Honigtöpfe dieser Welt. In Ihrer Welt spielt Geld keine Rolle. Was hat dieses Spielzeug hier, diese Raumstation, in der Sie alle so mühsam campieren, gekostet? Zwanzig Milliarden Dollar? Oder waren es vierundzwanzig? Sie entschuldigen sicher, daß ich diese Zahlen nicht in Yen umrechne, aber ich bin altmodisch; ich habe mich noch nicht an diese neue Weltwährung gewöhnt: ich finde sie unpraktisch, eine Mickymauswährung, so krankhaft wie italienische Lire. Wenn alle Zahlen riesengroß sind, dann beeindrucken die wirklich großen Zahlen nicht mehr. Ich bleibe also einstweilen bei den guten alten Dollars. Was läßt es sich Ihre Regierung jedes Jahr kosten, hier oben neun Leute spazierenzufliegen? Drei Milliarden Dollar? Vier? Das sind fünfzigtausend Dollar für eine Stunde Anwesenheit einer einzigen Person. Ein gesunder Nachtschlaf kostet fast eine halbe Million. Was für ein Wahnsinn, das Ganze. Aber« – er lächelte diabolisch – »für unsere Zwecke haben diese finanziellen Dimensionen einen großen Vorteil: unsere beträchtliche Lösegeldforderung wird sich dagegen richtiggehend bescheiden ausnehmen.«

»Das wird Ihnen nicht gelingen«, erklärte Moriyama, und es klang, als glaube der Kommandant das tatsächlich.

Khalid lächelte wieder, diesmal aber sanft und nachsichtig. »Was sollen sie machen? Ein Shuttle mit Soldaten schicken? Das werden sie nicht tun. Nicht so sehr, weil ich Sie als Geiseln habe – Sie sind, in aller Höflichkeit, für Ihre Regierung recht leicht entbehrlich, und Sie wissen selbst, daß die Warteliste der hoffnungsvollen Aspiranten auf Ihre Jobs so lang ist, daß sie wahrscheinlich mit Leichtigkeit von hier bis zur Erdoberfläche hinabreichen würde. Nein, ich nehme die Station selbst als Pfand. Ich brauchte bloß zwei Module abzutrennen und zu sprengen; sie zu ersetzen käme bereits teurer als meine Lösegeldforderungen.«

Moriyama blickte den Piraten verächtlich an. »Meine Regierung wird überhaupt kein Shuttle schicken. Sie werden Sie schlicht und einfach aushungern.«

»Sie werden eines schicken, verlassen Sie sich darauf«, versicherte Khalid leichthin, als sei das das geringste seiner Probleme. »Eines mit einer sehr ungewöhnlichen Nutzlast: lauter Gold. Dreißig Tonnen Gold in Barren. Was ist das wohl wert? Ich denke immer noch in Dollars, und da wirkt die Zahl geradezu magisch. Eine Milliarde Dollar. Eine Milliarde Dollar und ein sicherer Platz in den Geschichtsbüchern – was will man mehr?«

»Und was wollen Sie hier oben anfangen mit Ihrer Milliarde?«

»Ich nehme sie natürlich wieder mit zur Erde. Sie wissen doch, Kommandant, so ein Spaceshuttle kann an fast jedem Ort der Erde landen, wenn man einen tüchtigen Piloten hat. Und ein tüchtiger Pilot wird natürlich an Bord sein. Wir werden Ihnen allen zum Abschied die Hände drücken, an Bord des Shuttles steigen und damit zurück zur Erde fliegen, wo uns an einem Ort, der aus verständlichen Gründen einstweilen mein Geheimnis bleiben muß, eine geeignete Landepiste erwartet. Sie können sich sicher vorstellen, daß viele Staaten bereit sein werden, uns aufzunehmen. Es gibt ja so erfreulich viele Staaten heutzutage, und fast alle sind sie arm. Sie werden kaum jemanden zurückweisen, der eine so fürstliche Landegebühr zahlen kann wie wir.« Ein spöttisches Lächeln umspielte Khalids Lippen. »Wobei man nicht übersehen darf, daß auch ein Spaceshuttle einen nicht unbeträchtlichen Wert darstellt…«

Moriyama starrte ihn nur noch fassungslos an. Wir alle starrten ihn fassungslos an. Die Kühnheit, um nicht zu sagen Vermessenheit dieses Plans war schlichtweg atemberaubend. Aber Khalid schien vom Gelingen seines Vorhabens felsenfest überzeugt zu sein.

Jetzt allerdings entschied er, daß der gemütliche Teil vorerst beendet war. Das höfliche Lächeln verschwand aus seinem Gesicht, als sei es dort ohnehin nur geduldet, die Wärme aus seinen Augen, als gehöre sie dort sowieso nicht hin, und seine Stimme klang scharf und herrisch, als er sich an seine Helfershelfer wandte: »Schafft sie fort. Die beiden Frauen und den Koreaner in eines der Wohnabteile, die übrigen in das andere. Wir haben zu tun.«

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