Taka Iwabuchi und James Jayakar waren in eine heftige wissenschaftliche Diskussion vertieft, als ich hereinkam, und beachteten mich überhaupt nicht – wie man eben den Hausmeister ignoriert, der abends kommt, um die Papierkörbe zu leeren.
»Interferenz?« fragte Jay gerade und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch das wild zerwühlte Haar. »Irgendeine Beeinflussung des Laserstrahls durch den Energiestrahl?«
»Völlig unlogisch.«
Iwabuchi war ein Berg, ein Schrank von einem Mann, und die Intelligenz sprühte ihm förmlich aus allen Knopflöchern. Mit hellwachen Augen musterte er den indisch-britischen Kybernetiker, der, in eine Wolke von schlangengleich verdreht in der Luft hängenden Computerlisten, freischwebenden Handbüchern und fliegenden Schreibstiften eingehüllt, auf einer Sitzstange vor seinem riesigen Computerbildschirm festgeschnallt saß.
»Es muß irgend etwas geben, das sich vor zwei Monaten verändert hat«, beharrte Iwabuchi und gab einem dicken Nachschlagewerk, das allzu aufdringlich vor seinem Gesicht umherdümpelte, einen sanften Stoß mit dem ausgestreckten Zeigefinger. »Vorher hat es funktioniert, und seither funktioniert es nicht mehr. Frage: was hat sich verändert?«
»Die Größe der Solarfläche.«
»Minimal. Und das hat nur Auswirkungen auf die Menge der maximal möglichen Energie, während die Vibrationen bereits bei minimaler Energie entstehen.«
»Und Interferenz halten Sie für völlig ausgeschlossen?« wollte Jay wissen. »Ich bin kein Physiker, aber sowohl der Laser als auch der Energiestrahler senden elektromagnetische Wellen…«
»Ich bin auch kein Physiker«, versetzte Iwabuchi gelassen, »aber selbst wenn es ein physikalischer Effekt wäre, ist nicht einzusehen, warum er vor acht Wochen noch nicht aufgetreten sein soll.«
Ich hörte der Unterhaltung der beiden zu, während ich Abfall einsammelte, mit meinem Dampfstrahler Wände und Boden bearbeitete, problematische Stellen von Hand nachwischte und mich bemühte, völlig harmlos zu wirken. Ich befand mich gerade hinter Iwabuchi und polierte einige Rohrleitungen, als dieser sich umdrehte und beiläufig meinte: » Chotto, Leonard, der blaue Sack dort hinten enthält Abfall, der wegkann.«
Ich wäre fast zusammengezuckt, schaffte es aber, mich beinahe ebenso beiläufig umzusehen, einen kleinen blauen Plastiksack auszumachen, der mit einem Stück Schnur an einer Strebe festgezurrt war, und zu sagen: »Ah ja, in Ordnung.«
»Die Frage, Mister Jayakar«, fuhr Iwabuchi dann fort, während ich weiter in einigen schmierigen Wandlöchern herumpulte, »ist ganz einfach und immer dieselbe: was hat sich verändert? Was hat sich in Ihren Programmen verändert?«
Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Jay mißmutig auf die unendlichen Programmzeilen starrte, die über seinen Schirm huschten. »Mein Gott, was habe ich verändert…?« wiederholte er, in einem Tonfall, als spräche er mit sich selbst. »Nichts, was ich nicht inzwischen schon unzählige Male rückgängig gemacht habe.«
»Sind Sie sicher?« bohrte Iwabuchi.
»Sicher?« brauste Jay auf. »Natürlich bin ich mir nicht sicher! Wer kann sich schon sicher sein bei Software? Das sind Millionen von Programmzeilen, und unzählige Programmierer haben daran herumgestrickt, gute und schlechte, geniale und sorgfältige, alles, was Sie wollen.«
»Wir müssen in Ihrer Software anfangen zu suchen, Jay«, beharrte Iwabuchi ruhig.
Jay seufzte. »Das versuche ich doch seit Stunden, Ihnen klarzumachen. Genau das müssen wir tun. Wir müssen Zeile für Zeile durchgehen, wir beide, und uns genau klarmachen, was sie tut.«
Dieses Modul war das einzige, das durch keinerlei Trennwand unterteilt war. Der zylinderförmige Raum, der einem das Gefühl vermittelte, sich im Inneren eines Unterseebootes zu befinden, wurde beherrscht von den großen, dunklen Aggregaten in der Mitte, die links und rechts jeweils nur einen schmalen Durchgang freiließen, von armdicken schwarzen Rohren, die sich an grauschimmernden Kühlrippen entlangschlängelten, von wirren Kabelsträngen, die mit dünnen Plastikbändern verzurrt waren, von Schaugläsern und japanisch beschrifteten Signallampen und langen Reihen von winzigen Hebeln und Schaltern. An einer Stelle, die für die Verhältnisse hier besonders geräumig war, stand das Computerterminal, und dort hielten die beiden ihren Kriegsrat ab. Iwabuchi hatte sich mit den Füßen unter einer abgeschirmten Energieleitung verkantet und vergnügte sich damit, während der Unterhaltung mit einem kleinen Schraubenzieher zu spielen, der in seinen gewaltigen Pranken wie ein Kinderspielzeug aussah. Er drehte ihn, wie viele Weltraumingenieure das tun, möglichst schnell um seine Längsachse, indem er den Schaft zwischen Daumen und Mittelfinger zwirbelte, ließ ihn dann los, um ihn nach einigen Augenblicken wilden, schwebenden Tanzes wieder einzufangen. Ich zwängte mich auf der anderen Seite der Aggregate vorbei, um in den hinteren Teil des Moduls zu gelangen.
»Und wenn wir uns doch noch einmal den Energiesender genau anschauen?« fragte Jay vorsichtig. »Vielleicht gibt es doch etwas, das wir übersehen haben… ein winziger Meteoritentreffer am Sensor, irgend etwas in der Art…?«
»Wie oft denn noch?« Iwabuchi schüttelte den Kopf. »Ich war jetzt schon zweimal draußen und habe nichts gefunden.
Wir sind mit der Montageplattform um den Sender herumgekurvt und haben jede Ecke mit der Kamera inspiziert und nichts gefunden. Glauben Sie mir, ich habe viel im freien Raum gearbeitet, und ich weiß, wie ein Meteoritentreffer aussieht. Wenn ich irgendeinen Sinn darin sehen könnte, würde ich diese mörderischen hundertfünfzig Meter Kletterpartie auch noch ein drittes Mal auf mich nehmen, aber nicht, wenn ich jetzt schon weiß, daß ich nichts finden werde.«
»Und wenn vielleicht Tanaka oder Kim…«
Iwabuchi fing den Schraubenzieher mit einer kurzen, schnappenden Geste ein und richtete seine Spitze auf Jay, als halte er ein Schwert in der Hand. »Was verbergen Sie, Dr. Jayakar?« fragte er mit gespieltem Groll, der dennoch aufkeimende Verärgerung durchscheinen ließ. »Was haben Sie dagegen einzuwenden, daß wir uns Ihre Programme genauer anschauen?«
»Nichts«, wehrte sich Jay lahm. »Aber ist Ihnen klar, was für eine langwierige Angelegenheit das werden wird? Ich suche doch nur nach einem Strohhalm – einer Möglichkeit, das Rätsel anders und schneller zu lösen…«
»Das gibt es eben manchmal nicht«, erwiderte Iwabuchi. »Außerdem, was regen Sie sich auf? In zwei Monaten kommt Ihr Shuttle, und Sie können den ganzen Mist Ihrem Nachfolger vererben. Ich dagegen habe noch volle vier Monate vor mir…«
Jay stierte eine Weile blicklos vor sich hin. »Morgen«, sagte er dann und begann, die Bücher und Schriftstücke, die um ihn herumschwebten, einzufangen und in Schubladen und an Halteclips zu deponieren. »Lassen Sie uns morgen früh damit anfangen, Iwabuchi. Ich muß erst etwas geistigen Anlauf nehmen…«
»In Ordnung«, sagte der stämmige japanische Ingenieur.
Jay schnallte sich los und verschwand. Iwabuchi wandte seine Aufmerksamkeit einem kleinen Schaltpult zu. Fröhlich summend konsultierte er ein dickes Handbuch, das nicht so wollte wie er und immer wieder davonglitt, bis er es schließlich kurzerhand mit ein paar Klemmen an einem dünnen Querträger befestigte. Dann verstellte er ein paar der Schalter und kontrollierte das Resultat dieser Manipulation auf dem Bildschirm eines kleinen Computermeßgeräts, schüttelte nachdenklich den Kopf und machte die Veränderungen wieder rückgängig, um es mit einer anderen Kombination zu versuchen.
Meine Anwesenheit schien er völlig vergessen zu haben. Und ich fand auch nur noch mit Mühe irgendwelche Stellen, die meiner pflegerischen Hand bedurft hätten. Ich beschloß, daß es an der Zeit war, weiterzuziehen. Was immer der von Moriyama als ›genial‹ bezeichnete Ingenieur da gerade treiben mochte, ich verstand ohnehin nichts davon. Er hätte unter meinen Augen eine Atombombe scharf machen können, ohne daß ich es bemerkt hätte. Ich begann meine Wischlappen einzusammeln.
»Sie denken an den Abfallsack?« meinte Iwabuchi plötzlich in halblautem Plauderton, ohne mich anzusehen und ohne seine Tätigkeit zu unterbrechen.
»Ja«, erwiderte ich erschrocken. »Sicher.« Er hatte mich also doch nicht übersehen. Ich fühlte mich ertappt, wie ein Lauscher am Schlüsselloch einer Tür, die überraschend geöffnet wird, und wurde beinahe rot. Vielleicht auch, weil ich den Sack tatsächlich vergessen hätte.
Ich band ihn los und befestigte ihn an meinem Gürtel. Dann schnappte ich meinen Dampfreiniger und meine Lappen und verließ den Maschinenraum.