Sex im Weltraum ist nach wie vor eine der exklusivsten Erfahrungen unserer Zeit. Und eine der überwältigendsten dazu. Es sind bestimmt Jahrtausende vergangen seit der letzten wirklichen Neuerung auf sexuellem Gebiet: ein Orgasmus im Zustand der Schwerelosigkeit ist unter Garantie eine, und er ist mit nichts zu vergleichen, was immer man auch je zuvor erlebt hat. Ein kleiner Schritt für die Menschheit, aber ein großer Schritt für einen Menschen, sozusagen.
Die Frau, die diese Erfahrung von Zeit zu Zeit mit mir zu teilen bereit war, hieß Yoshiko und war eine zierliche, hübsche Japanerin mit langem schwarzem Haar und einer schlanken, knabenhaften Figur. Die japanische Raumfahrtbehörde stellte grundsätzlich keine Frauen mit großen Brüsten für den Einsatz auf der Raumstation ab, da man – nicht zu Unrecht – befürchtete, die Kombination von großen Brüsten und Schwerelosigkeit könnte zu einer gefährlichen Beeinträchtigung des Denkvermögens der männlichen Besatzung führen.
Auch in anderer Hinsicht muß man beim Miteinander von Mann und Frau unter Bedingungen der Mikrogravitation, wie die Schwerelosigkeit fachmännisch genannt wird, umdenken. Komplett vergessen muß man zum Beispiel alle heftigen Bewegungen beim Geschlechtsverkehr. Selbst wenn man es vermeiden kann, unsanft gegen irgendwelche spitzen, harten oder empfindlichen Einrichtungsgegenstände zu prallen, besteht für den Mann ernsthafte Verletzungsgefahr: bei einer unbedachten Bewegung der Frau kann er sich buchstäblich den Penis brechen.
Aber wahre Leidenschaft läßt sich durch Gefahr nicht einschüchtern. Wir hatten uns in den Versorgungsraum zurückgezogen, einen kleinen Raum in der Nähe der Unterkünfte, in dem Kleidung, Wäsche und Handtücher und dergleichen gelagert wurde und dessen Wände demzufolge gut gepolstert waren, hatten die Türe hinter uns verriegelt, die Heizung aufgedreht und das Licht ausgeschaltet, so daß nur noch zwei winzige rote Kontrollampen übrigblieben, die unser Treiben in schummriges Halbdunkel hüllten.
Ich habe mich immer gefragt, was für geheime Geschichten sich früher an Bord der Spaceshuttles abgespielt haben mochten, als zum ersten Mal weibliche Astronauten mit an Bord gingen. Ich fürchte nur, gar keine. Alle Astronauten waren immer glücklich verheiratet, und wenn sie nur halb so spießig waren, wie sie im Fernsehen gewirkt hatten, dann haben sie sich an Bord benommen wie die braven Pfadfinder.
Nun ja, das war inzwischen auch schon Geschichte. Die Jungs hatten jedenfalls ihre Chance gehabt. Heute hockten sie in Ehren ergraut mit ihren Ehefrauen zu Hause und verzehrten ihr Altenteil, während ich vierhundert Kilometer über ihren Köpfen die Erde umkreiste, verschlungen und verschmolzen mit diesem zarten, atemberaubenden Geschöpf. Und natürlich verschwendete ich in Wirklichkeit keinen Gedanken an die Raumfahrtgeschichte des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts. Um ehrlich zu sein, in meinem Hirn wäre kein einziger Gedanke, woran auch immer, zu finden gewesen. Wir schwebten nur keuchend und stöhnend in der samtroten Dämmerung, die uns umgab, uns unendlich sacht und behutsam bewegend, unsere Arme und Beine einander umwindend wie taumelnde Schlangen, und wir waren so groß wie das Universum. Wir hatten jedes Zeitgefühl verloren, jedes Gefühl für eine Trennung zwischen uns, es war uns, als hätten wir den Kosmos bereits erobert und uns einverleibt.
Yoshiko, bebend und schweißnaß in meinen Armen, zwitscherte unentwegt in mein Ohr, während sie ihre langen Nägel in meinen Rücken grub, wisperte und hauchte in einem fort japanische Worte, von denen ich die meisten nicht verstand. Während ich nur grunzte und stöhnte, kam es aus ihr heraus wie ein Wasserfall. Immer wieder, wenn krampfhafte Zuckungen ihren biegsamen Körper erschütterten, keuchte sie etwas vom Sterben und von unerträglich süßen Schmerzen und solches Zeug.
Was Sex anbelangt, trennen die Japaner und uns Westler Welten. Wir Westler sind durch zweitausend Jahre Christentum verkrüppelt, und inzwischen wissen wir das. Die Japaner glauben nicht an das Christentum, und an Sigmund Freud auch nicht, und auf den ersten Blick wirkt es so, als hätten sie mit Sex beneidenswert wenig Probleme. Aber irgendwo haben sie auch ihren Schuß weg: Wenn es ihnen richtig gut kommt, wollen sie immer gleich sterben.
Irgendwann, nach Stunden, wie es schien, in denen wir auf einer einzigen, endlosen Welle von Höhepunkten geritten waren, schlichen sich Raum und Zeit wieder in unsere Wahrnehmung ein, kehrte das Bewußtsein für die normale, gewohnte Welt zurück wie ein ärgerlicher Störenfried und verscheuchte die Ekstase. Die Atmung normalisierte sich wieder, der Herzschlag beruhigte sich, und ich nahm uns wieder als zwei voneinander getrennte menschliche Wesen wahr, die einander eng umschlungen hielten. Ich roch Yoshikos Schweiß, ihren Körperduft, bohrte meine Nase liebkosend in ihr Haar und hätte sie noch ewig so halten können. Sie aber küßte mich sanft und entwand dann einen ihrer Arme den meinen, griff hinter sich und knipste das Licht wieder an. Wahrend ich noch blinzelnd versuchte, mich an die Helligkeit zu gewöhnen, hatte sie schon ihre Armbanduhr aus ihrem Kleiderbündel gefischt und die Zeit abgelesen.
»Es wird Zeit, Leonard-san«, sagte sie sanft.
Seufzend glitt ich aus ihr heraus und gab sie frei. Es wäre eine Illusion gewesen zu glauben, daß sie mich etwa liebte. Ich wußte, daß sie das nicht tat. Yoshiko war eine junge, intellektuelle Japanerin, eine echte Tochter des neuen Jahrtausends, wahnsinnig intelligent, wahnsinnig ehrgeizig und mit ihren sechsundzwanzig Jahren bereits eine der führenden Astronominnen des Landes, wenn nicht der ganzen Welt. Für eine Frau wie sie war es chic, sich eine Affäre mit einem gaijin zu gönnen, und wenn sie etwas an mir mochte, dann war es meine westliche Grobheit und Ungeschlachtheit, die sicherlich einen erfrischenden Kontrast darstellte zur allgegenwärtigen japanischen Höflichkeit. Und vielleicht auch meine im Vergleich zu japanischen Männern stärker ausgeprägte physische Ausstattung.
Obwohl ich das alles wußte und obwohl ich sie inzwischen schon eine ganze Weile kannte, war es immer wieder ernüchternd zu erleben, wie rasch und problemlos sie aus der Welt der Ekstase in die Welt des Alltags zurückkehrte.
Während in mir noch alles bebte und vibrierte und ich verträumt und bedauernd zusah, wie sie ihren begehrenswerten Körper nach und nach wieder in den schmucklosen Bordoverall hüllte, schien sie in Gedanken schon ganz woanders zu sein, an der Schalttafel ihres Radioteleskops vielleicht oder mit irgendwelchen Überlegungen zu bahnbrechenden kosmologischen Theorien beschäftigt.
»Wir sollten nicht zu spät kommen, Leonard-san«, mahnte sie sanft. »Der Kommandant ist sehr beunruhigt wegen der vielen Pannen bei der Energieübertragung in letzter Zeit.«
Das war ein zarter Hinweis, nicht länger nackt durch die Gegend zu schweben, sondern mich ebenfalls wieder anzuziehen. Ich beeilte mich. Yoshiko regelte unterdessen die Heizung herunter, fing dann ihre langen Haare ein und bändigte sie wieder mit einem Haargummi.
Natürlich wußte jeder an Bord Bescheid über unsere Schäferstündchen. Trotzdem hatte es etwas Verschwörerisches an sich, wie wir die Tür des Kleiderlagers öffneten und uns umsahen. Und während wir den Gang entlang paddelten, blieb ich etwas zurück, um ihr bewundernd zuzusehen. Es würde wieder einige Tage dauern, bis ich aufhören konnte zu bedauern, daß ich ihr im Grunde nichts bedeutete.
Ich verliebe mich immer in die Frauen, mit denen ich schlafe. In dieser Reihenfolge. Wahrscheinlich ist genau das mein Problem.