KAPITEL 21

Ralfs Bewegungen waren fahrig und unkoordiniert; er verfehlte öfter einen Haltegriff und wirkte in seiner desolaten Verfassung nur um so gefährlicher, geradezu unberechenbar. Ich musterte ihn möglichst unauffällig von der Seite. Auf seiner Stirn glänzte Schweiß, und sein Gesicht war, wenn das überhaupt möglich war, noch fahler geworden, als es ohnehin schon war. Raumkrankheit, ganz klar. Mediziner sprachen von Raumadaptationssyndrom oder kurz SAS, ein Krankheitsbild, das große Ähnlichkeit mit der Seekrankheit hatte. Und genau wie bei der Seekrankheit befiel es wahllos den einen, während es den anderen ungeschoren ließ. Es war Veranlagungssache, und Ralfs Veranlagungen, ohnehin offenbar nicht die vorteilhaftesten, hatten ihn auch hier den kürzeren ziehen lassen. Man vermutete, daß die Raumkrankheit dadurch hervorgerufen wurde, daß dem Gleichgewichtssinn des Innenohrs plötzlich die von der normalen Schwerkraft ausgehenden Impulse fehlten, während die Orientierung über die Drehbewegungen natürlich ganz normal vorhanden war. Es schien, daß das Gehirn mit dieser widersprüchlichen Situation erst umzugehen lernen mußte. Normalerweise verschwand das Raumadaptationsyndrom, unter dem auch namhafte Astronauten gelitten hatten, nach drei bis fünf Tagen.

Das behielt ich natürlich alles für mich. Im stillen hatte ich ja die Hoffnung noch nicht aufgegeben, daß in drei bis fünf Tagen Ralf selber verschwunden sein würde.

Das Schott zum Wohnmodul hatte sich gerade hinter uns geschlossen, als er plötzlich herumfuhr wie von der Tarantel gestochen und wild mit dem Revolver nach unten fuchtelte. »Da war jemand«, keuchte er irre. »Ich habe eine Bewegung gesehen. Dort irgendwo.«

»Da ist niemand«, versuchte Sakai beruhigend auf ihn einzureden. Aber ich sah ihm an, daß er selber nervös war; alle Japaner erschraken unwillkürlich, wenn man sich in ihrer Gegenwart heftig und mit ausladenden Bewegungen bewegte, und Ralfs Motorik war inzwischen schon so extrem, daß sie auch jeden Westler hätte zusammenzucken lassen.

Der ausgezehrt und fiebrig wirkende Gangster starrte eine Weile in den Knotentunnel hinab und bewegte dabei den Kopf hin und her, als versuche er um irgendwelche nicht vorhandenen Ecken zu spähen. Sakai, Moriyama und ich verharrten reglos. Dann schien er sich davon überzeugt zu haben, daß niemand da war, und wandte sich wieder uns zu.

»Los«, sagte er und machte eine Bewegung mit seinem Revolver, als sei er eine Rute und ich ein dummes Schaf, das er antreiben mußte. »Auf die Brücke, Yankee.«

Auf der Brücke hatten die Gangster aus irgendeinem Grund die Beleuchtung gedämpft, so daß man auf den ersten Blick den Eindruck hatte, sich in einem U-Boot auf Tauchstation zu befinden. Khalid stand neben dem Kommunikationspult, die Füße in den Halteschlaufen am Boden eingehakt, und das Licht der vielen hundert Lämpchen auf den Schalttafeln zauberte bunte Lichtreflexe auf sein Gesicht, die ihm ein geradezu dämonisches Aussehen gaben. Während wir näher kamen, fragte ich mich, ob er das womöglich absichtlich so inszeniert hatte.

Er trug immer noch seinen Raumanzug, lediglich Handschuhe und Helm hatte er abgelegt. Auch der Schwede, der sich vor dem Kommunikationspult verankert hatte, war noch so bekleidet. Daß Ralf noch seinen Raumanzug angehabt hatte, hatte mich nicht weiter irritiert – sein Verhalten war ohnehin nicht mit normalen Maßstäben zu messen –, aber nun fragte ich mich doch, was der Grund dafür sein mochte, daß die Piraten die schweren, unbequemen Geräte nicht ablegten.

Vielleicht kam es ihnen auf die Funkgeräte an, über die sie in ständiger Verbindung sein konnten und die fest in den Anzügen installiert waren. Sehr wahrscheinlich spielte das eine Rolle. Aber mir kam es vor, als gäbe es noch einen anderen, einen uneingestandenen Grund: vielleicht fühlten sie sich sicherer in ihren massigen Anzügen. Die Solarstation, die für uns Arbeitsplatz und zeitweilige Heimat war, mußte für sie ein gefährlicher Einsatzort sein, feindliches Territorium. Im Gegensatz zu uns waren sie hier nicht zu Hause, und vielleicht machte ihnen das angst. Ich hoffte, daß es ihnen angst machte. Khalid wartete ruhig, während wir näher kamen. Sakai und Ralf, kaum daß sie uns abgeliefert hatten, verschwanden wieder von der Brücke, um ihren dunklen Geschäften nachzugehen. An ihrer Stelle richtete der schweigsame Schwede seinen Revolver auf uns.

»Ich nehme an«, begann Khalid wie beiläufig, »Ihnen ist inzwischen bekannt, daß wir unsere Eroberung der Raumstation vorläufig noch geheimhalten…«

»Es freut mich zu hören, daß Ihre Pläne im Begriff sind zu scheitern«, unterbrach ihn Moriyama scharf.

Aber Khalid ließ sich nicht provozieren. »Ich kann Ihnen versichern, daß bis jetzt alles vollkommen nach Plan verläuft«, erklärte er mit nachsichtigem Lächeln. »Nehmen Sie einfach an, wir hätten Gewährsleute auf der Erde, deren Aktionen koordiniert mit den unseren ablaufen müssen.«

»Haben Sie mich holen lassen, damit ich mir Ihre Prahlereien anhöre?«

»Ich habe Sie holen lassen, Mister Moriyama«, entgegnete Khalid mit unerschütterlicher Selbstsicherheit, »weil ich Sie dazu bewegen möchte, in unserer Maskerade mitzuspielen. Sakai macht das natürlich alles sehr gut, und bis jetzt hat mit Sicherheit noch niemand auf der Erde Verdacht geschöpft, etwas hier könne nicht stimmen. Das soll auch noch eine Weile so bleiben. Eine kleine, sagen wir einmal, Unschönheit ist im Augenblick, daß eine gewisse Roberta DeVries aus Hawaii Sie sprechen möchte. Kennen Sie die Dame?«

Moriyama zögerte nur einen Herzschlag lang, ehe er nickte. »Das ist die Leiterin des Forschungsbereichs Energieübertragung.«

»Korrekt.« Khalid deutete wieder ein Lächeln an, und ich verstand, daß er selbstverständlich genau Bescheid gewußt hatte, welche Position Miss DeVries bekleidete. »Ich möchte, daß Sie mit ihr sprechen – natürlich ohne uns zu erwähnen und ohne wilde Warnschreie auszustoßen. Sie sollen einfach nur mit ihr sprechen und den Anschein völliger Normalität erwecken.«

»Sonst töten Sie mich, nehme ich an.«

»Oh?« machte Khalid amüsiert. »Sie denken mit. Eine sehr schätzenswerte Eigenschaft.«

Er gab dem Schweden einen Wink. Ohne die Haltung seines Revolvers im mindesten zu verändern, begann dieser mit seiner freien Hand, die Vorbereitungen für die Funkübertragung zu treffen.

Ich glaubte zu spüren, wie Moriyama neben mir plötzlich tiefer atmete, glaubte sein Herz schneller schlagen zu hören. Aber ich vermied es, ihn anzusehen, weil ich Angst hatte, durch einen ungewollt verräterischen Gesichtsausdruck alles zu verderben.

»Wir haben ihr gesagt, daß Sie umfangreiche Außenbordarbeiten leiten«, fuhr Khalid mit seinen Instruktionen fort. »Sagen Sie ihr als erstes, daß Sie wenig Zeit haben, und versuchen Sie, einen Termin für ein ausführliches Telefonat zu vereinbaren, nicht früher als übermorgen.«

Moriyama nickte grimmig. Übermorgen. Das konnte nur bedeuten, daß der Shuttlestart unmittelbar bevorstand.

Ich starrte den Piraten, während er mit Moriyama sprach, unverwandt an, studierte ihn mit einer mir selbst kaum begreiflichen, bohrenden Intensität. Unter der glatten, kultivierten Erscheinung des Mannes von Welt glaubte ich etwas unsagbar Dunkles und Schweres zu spüren, als trage er eine tonnenschwere Masse in seinem Inneren. Für einen Moment schien es mir, daß es auf der Brücke einzig aus dem Grund dunkel war, weil dieser Mann sich hier aufhielt. Moriyama, ansonsten nicht der lebenslustigsten Menschen einer, wirkte neben ihm geradezu wie eine Lichtgestalt.

Was in dem Kommandanten vorging, glaubte ich zu wissen. Er lauerte nur darauf, dem Ansinnen Khalids zum Schein nachzugeben, aber er wollte sich nicht durch allzu große Bereitwilligkeit verdächtig machen. Er würde die Erde warnen.

Khalid mochte ihm danach das Hirn aus dem Schädel blasen, aber dann würde es zu spät sein.

In diesem Augenblick öffnete sich das Brückenschott wieder. Sakai und Ralf kamen zurück, und sie brachten Yoshiko mit. Sie starrte uns nur schreckensbleich an, dann bedeutete Sakai ihr mit widerlichem Grinsen, sich auf einem Sitz in der Nähe des Schotts festzuschnallen. Mir schwante Übles.

»Bevor Sie mit der Erde sprechen«, erklärte Khalid dazu so leichthin, als sei es ihm jetzt gerade erst eingefallen, »muß ich Ihnen ein paar Dinge erklären. Zunächst einmal gedenke ich keineswegs, Sie mit dem Tod zu bedrohen. Ich schätze Sie ein als jemand, der fähig ist, sein Leben für eine höhere Sache zu opfern – jemand, der es fertigbrächte, trotz eines auf ihn gerichteten Revolvers eine Warnung hinauszuschreien –, und das zwingt mich, andere Vorkehrungen zu treffen.«

Sakai glitt an mir vorbei, bedachte mich mit einem ekligen, schleimigen Seitenblick und nahm dann seinen gewohnten Platz an den Kommunikationseinrichtungen wieder ein.

»Ich habe eine Rangliste der Unentbehrlichkeit aufgestellt«, fuhr der Pirat fort. »Es wird Sie interessieren, Mister Moriyama, daß Sie darauf den ersten Platz einnehmen. Sie sind der Kommandant – wir würden ein großes Risiko eingehen, wenn wir Sie einfach töten würden. Miss Yoshiko dagegen« – er deutete in ihre Richtung mit einer Handbewegung wie ein Showmaster, der dem Publikum seine Gäste vorstellt – »rangiert auf einem der letzten Plätze. Sie wird sterben, wenn Sie sich nicht an meine Anordnungen halten.« Das sagte er nun mit einer Stimme, die kalt war wie Polareis.

Ich sah Moriyama entsetzt an. Dessen Gesicht war immer noch unbewegt, in Stein gemeißelt, und verriet nichts von dem, was in ihm vorging. Aber er vermied es, meinen Blick zu erwidern.

Und er vermied es, Yoshiko anzusehen.

Eine Milliarde Dollar, das ist kein Preis. Nicht einmal unser aller Leben wäre ein zu hoher Preis.

Aus den Lautsprechern war plötzlich das Freizeichen zu hören, das anzeigte, daß nun Verbindung zum Telefonnetz von Hawaii bestand. Sakai las eine Nummer von einem Zettel ab und tippte sie ein. Eine Sekunde lang durchzuckte mich die Vision, ihn zu überwältigen und mich des Telefonanschlusses zu bemächtigen, der ungehinderte Verbindung mit der ganzen Welt bedeutete…

»Nur für den Fall, daß Sie auf die Idee kommen sollten, auch den Tod Ihrer Mitarbeiterin in Kauf zu nehmen für die Chance, unsere Pläne zu durchkreuzen«, meinte Khalid halblaut, fast mit genießerischer Überlegenheit, »möchte ich Ihnen noch von der kleinen Schaltung erzählen, die Sven eigens für derartige Gelegenheiten eingebaut hat. Alles, was Sie sagen, wird mit einer Verzögerung von zwei Sekunden gesendet werden – eine Verzögerung, die bei einem Gespräch mit der Raumstation niemandem ungewöhnlich vorkommen wird. Und Sakai wird den Finger auf dem Knopf haben, während Sie sprechen. Wir haben diesen kleinen Kniff amerikanischen Radiostationen abgeguckt, die eine ganz ähnliche Vorrichtung verwenden, um in Sendungen, bei denen Zuhörer im Studio anrufen, zu verhindern, daß obszöne Worte oder politische Parolen über den Sender gehen. Man kann derartige Geräte fix und fertig kaufen, und sie funktionieren tadellos. Ein falsches Wort, und auf Knopfdruck verschwinden die letzten zwei Sekunden im Nichts.«

Es war gespenstisch, mit anzusehen, wie Moriyama während dieser Worte um Jahre zu altern schien. Khalid vernichtete ihn mit diesen Sätzen. Er brachte ihn um.

Eben noch ein zu allen Opfern entschlossener Mann, war der Kommandant nur noch ein Schatten seiner selbst, als das Rufzeichen ertönte; ein gebrochener, apathischer Mann, aus dem alle Energie und alle Zuversicht spurlos verschwunden war.

Über die Lautsprecher hörten wir alle mit, wie jemand den Hörer abnahm. »Forschungszentrum, Büro Dr. DeVries«, meldete sich eine junge Männerstimme.

»Raumstation NIPPON, Kommunikationsoperator Sakai«, meldete sich Sakai in geradezu unglaublich gelassenem, geschäftsmäßigem Tonfall. »Miss DeVries bat um einen Rückruf von Kommandant Moriyama.«

»Einen Moment, ich verbinde.«

Eine schlichte, klassische Melodie erklang als Pausenzeichen. Khalid bedeutete Moriyama, zum Kommunikationspult zu kommen. Der Kommandant gehorchte mit stumpfen, kraftlosen Bewegungen.

»Hallo, NIPPON, hören Sie?« meldete sich der junge Mann wieder. »Ich erfahre gerade, daß Dr. DeVries vor zehn Minuten das Haus verlassen hat.«

»Ist sie unterwegs erreichbar?«

»Leider nicht.«

»Wann ist sie wieder zu sprechen?«

Eine Pause. Der Sekretär konsultierte offenbar einige Terminkalender. »Heute nicht mehr. Morgen ist sie den ganzen Tag außer Haus… Ich fürchte, erst übermorgen wieder. Kann ich ihr etwas ausrichten, wenn sie sich im Büro meldet?«

Khalid nickte Sakai bedeutungsvoll zu, und der sagte: »Richten Sie ihr einen schönen Gruß von Kommandant Moriyama aus; er wird es übermorgen noch einmal versuchen.«

»Ich habe es notiert und werde es ausrichten.«

»Vielen Dank, auf Wiederhören«, schloß Sakai und trennte die Verbindung.

Khalid kräuselte seine Lippen zu einem bösen, zufriedenen Lächeln. »Wunderbar«, meinte er. »Noch besser, als ich gehofft hatte.« Er sah Moriyama an. »Sehen Sie? Das Schicksal ist auf unserer Seite.«

Moriyama starrte nur dumpf vor sich hin und sagte nichts. Khalid gab Ralf und Sven einen Wink. »Bringt ihn weg. Und die Frau auch.«

Als das Schott zischend hinter ihnen zufuhr, sah der Anführer der Piraten mich an, als sehe er mich zum ersten Mal. Dann nahm er ein Blatt Papier aus einer Halteklammer an der Wand. »Sie haben einen Brief bekommen«, erklärte er und überflog den Text auf dem Blatt. Ich hatte nicht wirklich erwartet, daß ihn solche Kleinigkeiten wie das Postgeheimnis oder die Wahrung der Privatsphäre interessierten, aber ich ärgerte mich trotzdem.

»Leonard Carr«, las er laut vor und sah mich an. »Sind Sie Jude?«

»Wie bitte?« Was für eine dämliche Frage.

»Leonard. Das ist ein jüdischer Vorname.«

Ich schüttelte nur den Kopf. »Meine Mutter war ein Fan von Leonard Cohen, das ist alles.«

Das schien ihm nichts zu sagen. Er warf mir nur einen irritierten Blick zu und las meinen Brief noch einmal durch. »Wer ist Neil?« wollte er dann wissen.

Mein Herz machte einen Sprung. Neil! Er hatte es endlich wieder einmal geschafft, durchzukommen! Neil, mein kleiner Neil.

»Neil ist mein Sohn«, sagte ich. Mein Sohn. Meine eigenen Worte hallten in mir nach, in meiner Erinnerung, in dem weiten, leeren Raum in meinem Herzen. Mein Sohn. Mein Sohn mit den wilden, schwarzen Locken. Mein Sohn mit den großen, dunklen Augen, so tief und unergründlich wie zwei Brunnenschächte, die bis hinüber gebohrt waren in eine andere Welt.

Erinnerungen und Bilder aus einer lange, lange zurückliegenden Zeit überfluteten mich, und für einen Augenblick war ich nicht mehr hier in der Schwerelosigkeit der Erdumlaufbahn, sondern wieder bei ihm, hielt seine Hand, während er seine ersten Schritte versuchte und tapfer ankämpfte gegen die lebenslange Last der Erdanziehung.

»Ihr Sohn«, nickte Khalid. »Und wieso kommt der Brief aus Mekka?«

»Er lebt bei meiner geschiedenen Frau.«

»Und was macht Ihre geschiedene Frau in Mekka?«

Für einen Moment fand ich Khalids inquisitorische Fragen reichlich merkwürdig und unverschämt, aber im nächsten Augenblick war es mir wieder völlig gleichgültig. Von mir aus konnte er sich die ganze verdammte Geschichte meines verkorksten Lebens anhören, wenn er auf so etwas stand.

»Sie ist Araberin. Sie lebt seit unserer Scheidung bei ihren Eltern, die in der Nähe von Mekka eine Druckerei besitzen. Aber sie mußten vor dem Krieg flüchten, nach Mekka eben…«

Khalid musterte mich argwöhnisch, als glaube er mir kein Wort. »Mekka wird seit einem Jahr belagert. Trotzdem kann Ihr Sohn Ihnen ein Fax schicken?«

»Er hat ein Faxgerät. Ich habe es ihm vor ein paar Jahren geschenkt. Ein japanisches, wenn Sie es genau wissen wollen. Von Panasonic.« Sein Mißtrauen ärgerte mich. Ich wollte endlich meinen Brief haben. Ich hatte das Gefühl, daß er beschmutzt wurde dadurch, daß Khalid ihn in der Hand hielt und immer wieder durchlas; diesen Brief eines Sohnes an seinen fernen Vater, der ihn absolut nichts anging und der ihm eigentlich absolut gleichgültig hätte sein können.

»Man braucht nicht nur ein Faxgerät, Mister Carr. Man braucht auch eine Telefonleitung. Und alle Telefonleitungen um die belagerte Stadt sind gekappt worden.«

Ich starrte ihn nur ungläubig an. »Sagen Sie, sehen Sie niemals fern? Die ganzen Reporter, die sich in Mekka aufhalten und ihre Reportagen liefern, was glauben Sie, wie die mit ihren Redaktionen sprechen? Es gibt eine ganze Anzahl von Telefonverbindungen, die über Satelliten laufen.«

Er erwiderte meinen Blick, und einen Lidschlag lang lag etwas Wildes, Aufgebrachtes in seinen Augen – als erwäge er, mich augenblicklich an der höchsten Rahe aufknüpfen zu lassen wegen meines unbotmäßigen Benehmens. Khalid war sicher nicht der Mann, der solche Antworten gewohnt war.

Aber er war auch nicht der Mann, sich allzu leicht provozieren zu lassen. Ich hatte mich für einen Moment nicht mehr in der Gewalt gehabt – er schon. Er schien noch kurz zu überlegen, als wolle er etwas darauf sagen, aber dann reichte er mir einfach den Brief.

Ich las ihn sofort in dem diffusen Licht der Instrumente und Bildschirme.

»Hallo Dad, ich hoffe, diesmal klappt es mit dem Brief. Geht es Dir gut? Ich halte abends und morgens immer Ausschau nach Deiner Raumstation, und wenn ich sie sehe, wünsche ich mir, Du könntest uns etwas zu essen herunterbeamen. So wie in Star Trek, weißt Du noch? Ich liebe Dich, Dad. Neil.«

Meine Augen brannten plötzlich, und ein namenloser Schmerz umkrampfte mein Herz. Immer, wenn ich einen Brief von ihm bekam, wünschte ich mir, weinen zu können, aber meistens konnte ich es nicht. All die Momente fielen mir wieder ein, in denen er noch Bestandteil meines Lebens gewesen war und ich es nicht zu schätzen gewußt hatte, alle diese versäumten Gelegenheiten zu lieben marschierten vor meinem inneren Auge auf, und ich konnte nur da sitzen auf meiner Anklagebank und meinen Schuldspruch erwarten. Ein verfehltes Leben.

Khalids Stimme durchdrang den schmerzvollen Vorhang meiner Erinnerungen.

»Und jetzt erzählen Sie mir bitte, was Sie vorhaben.«

»Was?« schnappte ich verblüfft. »Was soll ich vorhaben?«

»Sie haben etwas vor«, beharrte Khalid. »Sie und Ihre Kollegen. Eine Stimme sagt mir, daß Sie etwas gegen uns planen.«

Mein Gott, er ging mir einfach auf den Geist. Ich hatte nicht einmal mehr Angst; dieser Gangster ging mir einfach nur auf die Nerven mit seinem großspurigen, machohaften Getue. Er führte sich auf wie King Kong, nur weil er zufällig ein paar verrückte Revolvermänner bei sich hatte. Was für ein Scheiß- Universum, in dem solche Idioten das Sagen hatten. Immer waren es die Idioten, die das Sagen bekamen. Kein Wunder, daß die Welt vor die Hunde ging.

Ich faltete den Brief langsam und bedächtig zusammen. »Wir haben vor, am Leben zu bleiben«, sagte ich. »Wir haben vor, mit kühlem Dosenbier gemeinsam vor dem Fernseher zu sitzen, wenn Ihnen der Prozeß gemacht wird. Wir haben vor, auf Ihre Gräber zu spucken.«

Khalid musterte mich abschätzig, mit einem aalglatten, ausdruckslosen Gesicht, hinter dem eine kalte, bösartige Grausamkeit zu ahnen war.

»Ich will, daß Sie wissen, daß Sie uns nicht besiegen können«, sagte er dann eindringlich. »Es ist kein Zufall, sondern höhere Notwendigkeit, daß wir hier sind, und das Schicksal ist auf unserer Seite. Egal, was Sie planen, Sie können nur scheitern.«

»Dann brauchen Sie sich ja keine Sorgen zu machen.«

Er starrte mich eine ganze Weile an, ehe er langsam und nachdenklich nickte. Er sagte nichts mehr, sondern bedeutete Ralf und Sven, die eben zurückkehrten, mich fortzuschaffen.

Als wir in den Knotentunnel kamen, dröhnten plötzlich wilde Schläge durch die Solarstation. Ralf zog natürlich sofort seine Waffe und fuchtelte nervös damit herum. Die Schläge kamen vom Schott unseres Wohnmoduls.

Sven glitt zur Wartungsklappe und ließ es auffahren, während Ralf mit dem Revolver im Anschlag davor wartete.

Ein aufgelöster Jayakar schwebte hinter der Öffnung. »Schnell, die Ärztin!« rief er aufgeregt. »Moriyama hat einen Herzanfall!«

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