34

Um fünf Minuten vor sechs betrat Macbeth den Empfangsbereich des Hotels im Obelisken. Die weiträumige Lobby war leer, abgesehen von einem Türsteher, einigen Pagen und drei Rezeptionisten in schwarzen Anzügen, die nur mit leiser Stimme sprachen, als wären sie Bestatter.

Macbeth ging direkt auf den Fahrstuhl zu und drückte auf den Knopf für den neunzehnten Stock. Biss die Zähne zusammen und atmete aus, um den Druck auszugleichen. Der schnellste Fahrstuhl des Landes – sie hatten sogar damit geworben, vermutlich um die Landeier anzuziehen. Der Griff des Koffers fühlte sich glitschig an. Warum hatte Collum, der unglückliche Spieler, ausgerechnet Zebrastreifen gewählt, um eine Bombe zu tarnen?

Die Fahrstuhltür glitt auf, und er trat hinaus. Er wusste von Grundrissen des Gebäudes, dass die Treppe zum Penthouse auf der linken Seite lag. Er trottete die fünfzehn Stufen hinauf, dann über einen kurzen Korridor zur einzigen Tür auf diesem Stockwerk. Hob die Hand, um anzuklopfen. Hielt jedoch inne und musterte seine Hand. Entdeckte er ein Zittern, das Zittern, von dem die Veteranen behaupteten, sie hätten es nach etwa sieben Jahren beim SWAT-Team bekommen? Das Sieben-Jahres-Zittern. Er konnte nichts feststellen. Sie sagten, es wäre schlimmer, wenn kein Zittern da wäre, dann sei es eindeutig Zeit auszusteigen.

Macbeth klopfte.

Hörte Schritte.

Seinen eigenen Atem.

Er hatte keinerlei Waffen bei sich. Er würde durchsucht werden, und es gab keinen Grund, irgendwen nervös zu machen, schließlich sollte das hier wie eine rein geschäftliche Besprechung aussehen. Im Geiste schärfte er sich noch mal ein, dass er nur über seine geplante Bürgermeisterkandidatur sprechen und den Koffer übergeben würde – als Dank für bereits geleistete und zukünftige Dienste. Diese Erklärung sollte plausibel genug sein.

»Mr Macbeth, Sir?« Es war ein Junge im Teenageralter. Er trug Jagdhosen und weiße Handschuhe.

»Ja?«

Der Junge trat beiseite. »Bitte kommen Sie herein.«

In der Penthousesuite hatte man nach allen Seiten hin freie Sicht. Es hatte aufgehört zu regnen, und im Westen, hinter dem Inverness, war die dünne Wolkenschicht von der Nachmittagssonne in Orangetönen eingefärbt. Macbeths Blick wanderte weiter, über den Hafen im Süden und die Fabriktürme im Osten.

»Mr Hand sagte, er werde sich verspäten, aber nur ein wenig«, sagte der Junge. »Ich bringe Ihnen ein Glas Champagner.«

Die Tür wurde sanft geschlossen, und Macbeth blieb allein zurück. Er nahm auf einem der Ledersessel neben dem runden Plexiglastisch Platz. »Mr Hand. Natürlich.«

Macbeth schaute auf seine Uhr. Es war exakt drei Minuten und fünfunddreißig Sekunden her, seit er mit Seyton im SWAT-Einsatzwagen gesessen und den Metallstift herausgezogen hatte, um den Countdown zu aktivieren. Zweiundzwanzig Minuten und zwanzig Sekunden bis zur Detonation.

Er stand auf, ging zu dem großen braunen Kühlschrank hinüber, der an einer der Wände stand, und öffnete ihn. Leer. Im Kleiderschrank dasselbe Bild. Er warf einen Blick ins Schlafzimmer. Hier lebte niemand. Er ging zu dem Ledersessel zurück und setzte sich.

Zwanzig Minuten und sechs Sekunden.

Er versuchte, nicht zu denken. Die Gedanken kamen trotzdem.

Es hieß, die Zeit laufe davon.

Die Dunkelheit werde dichter.

Der Tod komme näher.

Macbeth atmete tief und ruhig. Und wenn der Tod jetzt kam? Es wäre natürlich ein bedeutungsloses Ende, aber ist das nicht immer so am Schluss? Wir werden bei der Erzählung unseres Lebens mitten im Satz unterbrochen, und das Ende hängt in der Luft, ohne Bedeutung, ohne Ergebnis, ohne einen letzten Akt, der alle Fäden zusammenführt. Ein kurzes Echo deines letzten, gestammelten Wortes, und du bist vergessen. Der Mensch, der du warst, der du wirklich warst, verschwindet schneller als die konzentrischen Ringe auf dem Wasser, nachdem man einen Stein hineingeworfen hat. Und was war nun der Sinn dieses früh abgebrochenen Kurzauftritts? Dass man mitgespielt hatte, so gut man konnte, die Freuden und das Glück, die das Leben anzubieten hatte, ergriffen hatte, solange es ging? Oder dass man einen bleibenden Eindruck hinterließ, den Lauf der Dinge geändert, die Welt zu einem besseren Ort gemacht hatte, bevor man sie selbst wieder verlassen musste? Vielleicht ging es auch nur darum, sich fortzupflanzen, weitere kleine Wesen auf die Erde zu setzen, in der Hoffnung, dass die Menschen eines Tages doch noch zu den Halbgöttern würden, für die sie sich bereits hielten? Oder gab es schlicht keinen tieferen Sinn? Vielleicht sind wir bloß losgelöste Sätze in einem ewigen chaotischen Geschwätz, bei dem alle reden und niemand zuhört, und unsere schlimmste Vorahnung stellt sich schließlich als richtig heraus: Man ist allein. Ganz allein.

Siebzehn Minuten.

Allein war er gewesen. Dann war Banquo gekommen und hatte ihn ins Herz geschlossen, ihn zum Teil seiner Familie gemacht. Und nun hatte er ihn ausgeschaltet. Hatte alle ausgeschaltet. War wieder allein. Nur er und Lady. Aber was wollte er mit alledem? Wollte er es überhaupt? Oder wollte er es jemandem geben? War es für sie, für Lady?

Vierzehn Minuten.

Und glaubte er wirklich, es würde bleiben? War nicht alles ebenso zerbrechlich wie Ladys geistige Gesundheit? War es nicht dazu verurteilt, wieder einzustürzen, jenes Herrschaftsreich, das sie sich aufbauten? War es nicht bloß eine Frage der Zeit? Vielleicht, aber was außer Zeit hatten sie denn, ein wenig Zeit, bloß die frustrierend flüchtige Vergänglichkeit?

Elf Minuten.

Wo war Hecate? Es war bereits zu spät, um den Koffer zum Hafen zu bringen und ins Meer zu schleudern. Die Alternative war, ihn auf der Straße in einem Gully zu versenken, aber es war helllichter Tag, und die Wahrscheinlichkeit, dass man Macbeth erkannte, war nach all den Fernseh- und Zeitungsberichten der letzten Zeit sehr hoch.

Sieben Minuten.

Macbeth traf eine Entscheidung. Wenn Hecate in zwei Minuten nicht hier auftauchte, würde er gehen. Den Koffer hierlassen. Hoffen, dass Hecate eintraf, bevor die Bombe hochging.

Fünf Minuten. Vier Minuten.

Macbeth stand auf und ging zur Tür. Lauschte.

Nichts.

Zeit, sich davonzumachen.

Er griff nach dem Türknauf. Zog. Zog fester. Abgeschlossen. Er war eingesperrt.


»Wollen Sie sagen, dass man Sie betrogen hat?« Lady stand vor dem Roulettetisch. Man hatte sie gerufen, weil ein Gast begonnen hatte, Ärger zu machen. Der Mann war nicht mehr ganz nüchtern, aber auch nicht wirklich betrunken. Faltiges Tweed-Sakko. Sie musste nicht lange raten: ehemaliger Obelisk-Kunde aus der tiefsten Provinz.

»Natürlich hat man das«, sagte der Mann, während Lady den Blick durch den Saal schweifen ließ. Er war schon wieder voll. Sie würde mehr Leute einstellen müssen. An der Bar brauchten sie noch mindestens zwei Kräfte. »Die Kugel landet dreimal hintereinander auf der Vierzehn. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, hä?«

»Genauso hoch wie die, dass sie auf der Drei, der Vierundzwanzig und dann auf der Sechzehn landet«, sagte Lady. »Eins zu fünfzigtausend. Genauso hoch wie für jede andere Zahlenkombination.«

»Aber …«

»Sir.« Lady lächelte und berührte ihn kurz am Arm. »Hat Ihnen zufällig mal jemand gesagt, dass man sich bei einem Bombenangriff in einem Krater verstecken soll, weil die Bomben niemals an derselben Stelle zweimal einschlagen? Da hat man Sie betrogen. Aber jetzt sind Sie im Inverness, Sir.« Sie reichte ihm einen Gutschein. »Holen Sie sich einen Drink an der Bar auf meine Kosten. Bitte überdenken Sie die Logik von dem, was ich Ihnen gerade gesagt habe, und dann können wir uns später noch einmal unterhalten, okay?«

Der Mann lehnte sich zurück und musterte sie, dann nahm er den Gutschein und war verschwunden.

»Lady.«

Sie drehte sich um. Vor ihr ragte eine breitschultrige Frau auf. Oder ein Mann.

»Mr Hand würde gerne mit Ihnen sprechen.« Das Mannweib nickte einem älteren Herrn zu, der einige Meter entfernt stand. Er trug einen weißen Anzug, hatte dunkel gefärbtes Haar und stützte sich auf einen vergoldeten Spazierstock, während er interessiert den Kronleuchter über seinem Kopf betrachtete.

»Wenn das noch ein paar Minuten warten könnte …« Lady lächelte.

»Er hat auch einen Spitznamen. Der mit H beginnt.«

Lady hielt inne.

»Er bevorzugt aber den Namen Hand.« Das Mannweib lächelte.

Lady ging zu dem alten Herrn hinüber.

»Kristall aus Baccarat oder aus Böhmen?«, fragte er, ohne den Blick vom Kronleuchter zu nehmen.

»Böhmen«, sagte sie. »Wie Sie sehen, handelt es sich um eine leicht verkleinerte Kopie des Kronleuchters aus dem Dolmabahçe-Palast in Istanbul.«

»Leider bin ich nie dort gewesen, Ma’am, aber ich war einmal in einer kleinen Kapelle in der Tschechoslowakei. Nach der Pest hatten sie dort so viele Skelette herumliegen, dass sie nicht mehr wussten, wohin damit. Also beauftragten sie einen einäugigen Mönch, aufzuräumen und die Überbleibsel zu vergraben. Stattdessen aber nutzte er sie, um die Kapelle zu schmücken. Es gibt dort einen sehr hübschen Kronleuchter aus menschlichen Knochen und Schädeln. Manche würden wohl sagen, dass das wenig Pietät gegenüber den Toten zeigt, ich jedoch behaupte das Gegenteil.« Der alte Mann wandte seinen Blick vom Kronleuchter ab und ihr zu. »Welches größere Geschenk kann die Menschheit bekommen als den Hauch von Unsterblichkeit, der darin liegt, selbst nach dem Tod noch eine Funktion zu erfüllen, Ma’am? Indem man ein Korallenriff wird. Oder ein Kronleuchter. Oder ein Symbol und Leitstern, ein Chief Commissioner, der so vorzeitig stirbt, dass die Menschen weiterhin glauben können, er sei ein guter Mensch, ein selbstloser Anführer gewesen. So wunderbar vorzeitig, dass keine Zeit blieb, ihn als einen weiteren Monomanen, einen weiteren korrupten König zu enttarnen. Ich bin der Meinung, dass wir solche Todesfälle brauchen, Ma’am. Ich hoffe, dem einäugigen Mönch ist die Dankbarkeit zuteilgeworden, die er verdient hat.«

Lady schluckte. Für gewöhnlich sah sie in den Augen eines Menschen etwas, das sie interpretieren, verstehen und dann nutzen konnte. Aber im Blick dieses Mannes sah sie nichts – es war, als würde man einem Blinden in die Augen schauen. »Wie kann ich Ihnen behilflich sein, Mr Hand?«

»Wie Sie wissen, sollte ich jetzt eigentlich in einer Besprechung mit Ihrem Mann sein. Er sitzt in einer Hotelsuite und wartet darauf, mich zu töten.«

Lady spürte, wie sich ihre Luftröhre zusammenzog, und wusste, dass ihre Stimme hoch und schrill klingen würde. Deshalb blieb sie stumm.

»Aber da ich nicht wüsste, wie ich tot noch von Nutzen sein könnte, dachte ich, dass ich lieber ein vernünftiges Wort mit der Vernünftigen von Ihnen beiden reden sollte.«

Lady schaute ihn an. Er nickte und lächelte ein trauriges, sanftes Lächeln, wie ein weiser alter Großvater, der sie durchschaut hatte und ihr klarmachte, dass alle Ausreden sinnlos wären.

»Ich verstehe«, sagte Lady und hustete. »Ich glaube, ich brauche einen Drink. Was kann ich Ihnen anbieten?«

»Nun, wenn Ihr Barkeeper weiß, wie man einen Dirty Martini macht …«

»Kommen Sie mit.«

Sie gingen zur Bar, wo die Gäste Schlange standen. Lady bahnte sich den Weg hinter den Tresen, nahm zwei Martinigläser, goss etwas aus der Ginflasche und dann aus der Martiniflasche in den Shaker und mixte die Cocktails auf der Arbeitsfläche unter dem Tresen. Weniger als eine Minute später war sie zurück und reichte dem alten Mann sein Glas. »Ich hoffe, er ist dirty genug.«

Er probierte. »Absolut. Aber wenn ich mich nicht täusche, ist noch eine zusätzliche Zutat darin.«

»Zwei. Ist mein eigenes Rezept. Hier entlang?«

»Und was sind diese Zutaten?«

»Das ist natürlich ein Geschäftsgeheimnis, aber lassen Sie es mich so ausdrücken: Ich finde, Drinks sollten einen regionalen Touch haben.« Lady führte den alten Mann und das große Mannweib in den leeren Raum hinter dem Restaurant.

»Selbstverständlich kann ein Mann in meiner Position nachfühlen, dass Sie Ihre Geschäftsgeheimnisse wahren möchten«, sagte Hecate und wartete darauf, dass die androgyne Gestalt ihm den Stuhl hervorzog. »Also verzeihen Sie mir bitte, dass ich Ihre Ambitionen offengelegt habe, meine Stadt an sich zu reißen. Ich respektiere Ehrgeiz, habe aber andere Pläne.«

Lady nippte an ihrem Martini. »Werden Sie meinen Mann töten?«

Hecate antwortete nicht.

Sie wiederholte die Frage.


Macbeth starrte die Tür an und spürte, wie sein Mund trocken wurde. Eingesperrt. Er hatte jetzt das Gefühl, die Bombe hinter sich ticken zu hören. Es gab keinen anderen Weg hinaus – Ausgänge gehörten zu den Dingen, die er grundsätzlich überprüfte, wenn er sich die Grundrisse von Gebäuden anschaute. Draußen vor den Fenstern reichte die glatte Hauswand zwanzig Stockwerke hinab bis zur Straße.

Eingeschlossen. In der Falle. Hecates Falle. Seine eigene Falle.

Er atmete durch den Mund und versuchte, die aufsteigende Panik zu unterdrücken.

Sein Blick schoss durch den Raum. Man konnte nirgends in Deckung gehen, die Bombe war zu kraftvoll. Wieder fiel sein Blick auf die Tür. Auf das Riegelschloss unter der Klinke.

Das Drehschloss. Er atmete in einem langen, erleichterten Zischen aus. Scheiße, was war denn los mit ihm? Er lachte. Eine Hotelzimmertür sollte ja verriegeln, wenn man sie schließt. Er lebte doch schließlich selbst in einem Hotel, Herrgott. Man musste nur das Drehschloss umdrehen, um die Tür zu öffnen.

Er streckte eine Hand aus. Zögerte. Warum sagte ihm etwas, dass es unmöglich so einfach sein konnte? Dass es das niemals war, dass er unmöglich hinausgelangen konnte, dazu verdammt war, sich selbst in die Luft zu sprengen?

Er spürte, dass seine Finger glitschig waren vor Schweiß, als sie sich um das Schloss legten. Es drehten.

Das Schloss drehte sich.

Er drückte die Klinke.

Stieß die Tür auf.

Ging hinaus. Stürmte leise fluchend die Treppe hinunter und den Gang entlang.

Stand vor dem Fahrstuhl und drückte den Knopf.

Sah an dem Display an der Wand, dass er vom Erdgeschoss aus auf dem Weg hinauf war.

Schaute auf seine Uhr. Zwei Minuten und vierzig Sekunden.

Der Fahrstuhl näherte sich. Hörte er etwas? Ein Klirren, Stimmen? Waren da Menschen im Fahrstuhl? Was, wenn Hecate darin war? Es blieb keine Zeit, jetzt noch in die Suite zu gehen und zu reden.

Macbeth rannte los. Dem Grundriss zufolge war die Feuertreppe hier links um die Ecke.

Da war sie.

Er stieß die Tür auf, als er ein Bing hörte, das signalisierte, dass der Fahrstuhl oben angekommen war. Er hielt den Atem an und die Tür auf, während er wartete.

Stimmen. Hohe Jungenstimmen.

»Ich versteh nicht so ganz, was …«

»Mr Hand kommt nicht. Wir sollen den Mann bloß eine halbe Stunde aufhalten. Hoffentlich mag er Champagner.«

Das Geräusch von Servierwagenrädern.

Macbeth schloss die Tür hinter sich und rannte die Treppe hinunter.

An jedem Stockwerk stand eine Nummer.

Bei der Siebzehn hielt er an.


Lady nickte. Atmete auf. »Aber später werden Sie ihn umbringen, an einem anderen Tag?«

»Das kommt drauf an. Haben Sie Apfelsaft hineingetan?«

»Nein. Worauf kommt es an?«

»Ob es sich nur um eine vorübergehende Verwirrtheit handelt. Sie beide scheinen aufgehört zu haben, meine Produkte zu konsumieren, und das ist vielleicht für alle Seiten am besten.«

»Sie werden ihn nicht umbringen, weil Sie ihn als Chief Commissioner brauchen. Und da Sie Macbeths Pläne offengelegt haben, gehen Sie davon aus, dass er seine Lektion gelernt hat. Ein Hund ist erst dann abgerichtet, wenn er ungehorsam gewesen ist und seine Strafe erhalten hat.«

Der alte Mann wandte sich dem Mannweib zu. »Verstehst du nun, warum ich gesagt habe, dass sie die Klügere der beiden ist?«

»Was wollen Sie also von mir, Mr Hand?«

»Ingwer? Nein, die Rezeptur ist ein Geheimnis, wie Sie sagen, deshalb wird Ihre Antwort nicht verlässlich sein. Ich wollte Ihnen nur die Wahl aufzeigen, die Sie haben. Gehorchen Sie, dann werde ich Macbeth vor allem schützen, was ihm schaden könnte. Er wird Ihr Tithonos sein. Gehorchen Sie nicht, dann töte ich Sie beide, wie man es mit Hunden tut, die sich als undressierbar herausgestellt haben. Sehen Sie sich um, Lady. Schauen Sie sich an, was Sie zu verlieren haben. Sie besitzen alles, von dem Sie immer geträumt haben. Deshalb müssen Sie jetzt auch nicht mehr träumen. Und bei Ihren Rezepturen sollten Sie sich nicht überschätzen – sind die Ambitionen zu groß, wird die beste Mischung zur Katastrophe.« Der alte Mann kippte den Rest seines Getränks hinunter und stellte das Glas auf den Tisch. »Pfeffer. Das ist eine der beiden Zutaten.«

»Blut«, sagte Lady.

»Wirklich?« Er stützte die Hände auf seinen Spazierstock und richtete sich auf.

Lady zuckte mit den Schultern. »Ist das so wichtig? Offenbar schon. Die Mischung scheint Ihnen jedenfalls zuzusagen.«

Der alte Mann lachte. »Unter anderen Umständen könnten Sie und ich sehr gute Freunde sein, Lady.«

»In einem anderen Leben«, entgegnete sie.

»In einem anderen Leben, meine kleine Lily.« Er klopfte zweimal mit seinem Stock auf den Boden. »Bleiben Sie, wo Sie sind. Wir finden den Weg hinaus.«

Lady bewahrte ihr Lächeln, bis er außer Sicht war. Dann schnappte sie nach Luft, spürte, wie der Raum sich um sie drehte, musste sich an einer Stuhllehne festhalten. Lily. Er wusste es. Wie konnte er das wissen?


Siebzehnter Stock.

Macbeth schaute auf seine Uhr. Noch eine Minute. Warum war er stehen geblieben? Sie mussten den Servierwagen die Treppe hinauftragen. Sie würden dort sein, wenn die Bombe hochging. Na und? Es waren Hecates Jungs. Sie mussten Teil der ganzen Verschwörung sein, wo also lag das Problem? Niemand in dieser Stadt war unschuldig. Warum war dieser eine Gedanke gerade jetzt in seinem Kopf aufgetaucht? War es etwas aus einer Rede? Die Lady geschrieben und er gehalten hatte? Oder lag es weiter zurück, war es ein Eid, den sie bei ihrem Abschluss an der Polizeischule abgelegt hatten? Oder war es noch länger her, war es etwas, das Banquo zu ihm gesagt hatte? Etwas, irgendwas war da, aber er konnte sich nicht erinnern, was. Bloß dass …


Scheiße, Scheiße, Scheiße!

Fünfzig Sekunden.

Macbeth rannte.

Die Treppe hinauf.

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