18

»Sie ist wunderschön, finden Sie nicht?«, fragte Lennox und fuhr zärtlich mit der Hand über die Kurven aus Metall.

»Nein«, sagte Duff. »Bertha mag ja vieles sein, aber schön ist sie nicht.«

Lennox lachte und betrachtete seine Hand, die nun voller Ruß war. »Alle nennen sie Bertha, dabei heißt sie eigentlich Bertha Birnam. Der Name wurde ihr zu Ehren einer schwarzhaarigen Baustellenköchin gegeben. Die einzige Angestellte, die all die Jahre bei der Railway Company geblieben ist, bis die Strecke nach Capitol fertig war.«

»Woher wissen Sie das?«

»Weil mein Großvater auch am Bau der Strecke beteiligt war. Von hier nach Capitol.«

»Ihr Großvater hat einen Vorschlaghammer geschwungen und Eisenschienen durch die Gegend geschleppt?«

»Nein, natürlich nicht, er hat dabei geholfen, den Streckenbau zu finanzieren.«

»Das klingt schon wahrscheinlicher.« Duff schaute zu den Lichtern des Inverness hinüber, die in der nachmittäglichen Dunkelheit besonders einladend aussahen.

»Ja, wir Lennoxes sind im Grunde alle Banker. Ich bin so was wie das schwarze Schaf. Wie steht’s mit Ihrer Familie, Duff?«

»Das Übliche.«

»Allesamt Polizisten.«

»So weit das Auge reicht.«

»Ich kenne viele Duffs hier in der Stadt, aber keiner davon ist bei der Polizei.«

»Ich habe den Namen von meinem Großvater mütterlicherseits angenommen, als ich hierhergezogen bin.«

»Und der ist …«

»Tot. Danach Waisenhaus. Anschließend Polizeischule.«

»Wenn Sie nicht von hier sind, warum sind Sie nicht in Capitol zur Polizeischule gegangen? Sie ist viel besser, genau wie das Wetter und die Luft.«

»Hier kann man die großen Fische fangen. Die Norse Riders. Hecate …«

»Verstehe. Sie wollten das Dezernat für Organisierte Kriminalität unbedingt haben, nicht wahr?«

»Ja, wahrscheinlich schon.«

»Tja, der Posten ist immer noch frei. Und wenn wir Macbeth für den Mord an Duncan drangekriegt haben, brauchen Sie bloß noch mit dem Finger auf die Abteilung zu zeigen, die Sie leiten wollen. Man wird uns als Retter dieser Stadt hochleben lassen, Duff.«

»Ach ja? Glauben Sie wirklich, es interessiert irgendwen?« Duff nickte dem Platz zu, auf dem die Leute möglichst schnell davonhuschten, um nicht gesehen zu werden und sich in die dunkleren Ecken zu verziehen.

»Ich weiß, was Sie meinen, aber es ist ein Fehler, die Bürger dieser Stadt derart zu unterschätzen.«

»Es gibt zwei Möglichkeiten, ein Problem anzugehen, Lennox. Entweder man löst es, oder man ignoriert es. Kenneth hat der Stadt letzteren Weg eingeimpft. Apathie gegenüber der Korruption und das Abschieben jeglicher Verantwortung für das Gemeinwohl auf andere. Schauen Sie nur, die Leute rennen davon wie Küchenschaben, wenn das Licht angeht.«

»Eine verachtenswerte Stadt mit verachtenswerten Bürgern, und doch wollen Sie alles für sie riskieren?«

Lennox schaute Duff an, aber dieser schüttelte den Kopf.

»Mein Gott, Lennox, wie kommen Sie darauf, ich würde das für die Stadt tun? Die Stadt. Das ist doch nur eine Redewendung, die die Leute benutzen, wenn sie ins Rathaus gewählt oder Chief Commissioner werden wollen. Sagen Sie mir, was Sie rausgefunden haben, seit wir uns vorhin gesehen haben.«

»Okay. Ich habe mit einem Richter in Capitol gesprochen …«

»Wir haben doch verabredet, mit niemandem zu reden!«

»Bleiben Sie ruhig, Duff. Ich habe ihm nicht gesagt, um wen und um was genau es geht, lediglich, dass es sich um einen Fall von Korruption auf höchster Ebene handelt. Entscheidend ist, dass dieser Richter verlässlich ist. Er lebt nicht hier, steht also außerhalb von Macbeths, Swenos oder Hecates Kontrolle. Als Richter an einem Bundesgericht kann er sich mit der Bundespolizei zusammentun. Damit können wir das Hauptquartier überspringen und in Capitol Anklage erheben, wo Macbeth keine Fäden ziehen kann. In drei Tagen kommt der Richter hierher, und er ist einverstanden, uns unter vollständiger Geheimhaltung zu treffen.«

»Wie heißt er?«

»Jones.«

Lennox bemerkte, wie Duff ihn anstarrte.

»Lars Jones«, sagte Lennox. »Irgendwas nicht in Ordnung?«

»Sie haben Pupillen wie ein Junkie.«

Lennox befeuchtete seine Zunge und lachte. »So ist das, wenn man von Geburt an Halb-Albino ist. Die Augen sind extrem lichtempfindlich. Einer der Gründe, weshalb meine Familie Schreibtischjobs bevorzugt.«

Duff fröstelte in seinem Mantel. Schaute wieder zum Inverness hinüber. »Drei Tage also. Was sollen wir in der Zwischenzeit tun?«

Lennox zuckte mit den Schultern. »Uns bedeckt halten. Keine hohen Wellen schlagen. Und … mir fällt keine dritte Redewendung ein.«

»Ich darf gar nicht an mein nächstes Treffen mit Macbeth denken.«

»Warum das?«

»Ich bin einfach kein Schauspieler.«

»Haben Sie nie jemandem etwas vorgemacht?«

»Doch, aber mich durchschauen immer alle.«

Lennox warf Duff einen Seitenblick zu. »Ach ja? Zu Hause auch?«

Duff zuckte mit den Schultern. »Selbst mein Sohn, der in ein paar Tagen neun wird, merkt es, wenn sein Dad ihm Märchen erzählt. Und Macbeth kennt mich besser als jeder andere.«

»Seltsam«, sagte Lennox, »dass zwei so unterschiedliche Menschen so enge Freunde waren.«

»Wir müssen später weiterreden«, sagte Duff und schaute nach Westen. »Wenn ich jetzt losfahre, bin ich bei Sonnenuntergang in Fife.«

Lennox schaute in dieselbe Richtung wie Duff. Und dachte daran, wie gut die Natur es eingerichtet hatte, dass man nie wusste, ob hinter dem aktuellen Regenschauer schon der nächste wartete. So konnte man immer optimistisch bleiben und auf besseres Wetter hoffen.


»Ich habe das Gefühl, als hätten wir das Schlimmste überstanden«, sagte Macbeth, streckte die Hand nach dem Feuerzeug auf dem Nachttisch aus und zündete sich eine Zigarette an. »Alles wird jetzt besser werden, mein Schatz. Wir sind wieder da, wo wir sein sollten. Die Stadt gehört uns.«

Lady legte sich eine Hand auf die Brust, spürte unter dem Seidenlaken ihren noch immer rasenden Herzschlag. Sie sprach zwischen einzelnen schweren Atemzügen: »Wenn deine Kraft im gleichen Maße zugenommen hat wie dein Enthusiasmus, Liebster …«

»Hm?«

»… dann sind wir unbesiegbar. Ist dir eigentlich klar, wie sehr sie dich da draußen lieben? Die Leute im Casino reden über dich, nennen dich den Retter der Stadt. Und hast du mal die Zeitungen gelesen? Die Times hat heute in ihrem Leitartikel vorgeschlagen, du solltest dich fürs Bürgermeisteramt zur Verfügung stellen.«

»War das dein Freund, der Chefredakteur?« Macbeth grinste. »Weil du ihn darum gebeten hast?«

»Nein, nein. In dem Leitartikel ging es nicht um dich. Eher darum, dass Tourtell keinen wirklichen Gegenkandidaten hat und deshalb wiedergewählt werden wird, obwohl er so unbeliebt ist.«

»Man wird nicht beliebt, indem man den Lakai für Kenneth spielt.«

»Dein Name wurde nur erwähnt als jemand, der Tourtell theoretisch herausfordern könnte. Was sagst du dazu?«

»Ob ich Bürgermeister werden will? Ich?« Macbeth lachte und kratzte sich am Unterarm. »Vielen Dank, aber nein. Mein Büro ist groß genug, und jetzt haben wir mehr als genug Macht, um das umzusetzen, was wir vorhaben.« Sein Fingernagel fuhr über das kleine Loch in seiner Haut. Power. Er hatte sich selbst die Spritze gesetzt, und die Vorschusslorbeeren für die neue Droge waren keineswegs übertrieben gewesen.

»Du hast recht«, sagte sie. »Aber denk ruhig noch mal darüber nach. Wenn die Idee in dir gereift ist, fühlt sie sich vielleicht anders an – wer weiß? Übrigens hat Jack heute Morgen ein Paket für dich in Empfang genommen. Ein Motorradfahrer hat es gebracht. Schwer und ziemlich dick verschnürt.«

Macbeth wartete darauf, dass ihm das Blut in den Adern gefrieren würde, aber das Gefühl stellte sich nicht ein. Musste die Wirkung des neuen Stoffs sein. »Wo hast du es hingelegt?«

»Auf die Hutablage in deinem Kleiderschrank«, sagte sie und streckte den Finger aus.

»Danke.«

Er rauchte langsam seine Zigarette und hörte zu, wie sie neben ihm einschlief. Starrte die massive braune Eichentür des Schrankes an. Dann legte er seinen Kopf auf das Kissen und blies Rauchringe in die Strahlen des Mondlichts, die durch das Fenster fielen, beobachtete, wie sie tanzten und sich wanden wie eine arabische Bauchtänzerin. Er hatte keine Angst. Das SWAT-Team schützte ihn, Hecate schützte ihn, und auch die Götter lächelten wohlwollend auf ihn herab. Er hob den Kopf und starrte noch einmal zum Kleiderschrank hinüber. Kein Laut kam von dort. Die Geister hatten sich rargemacht. Auch draußen war es vollkommen still, kein Prasseln am Fenster. Denn auf Regen folgte tatsächlich Sonnenschein. Die Liebe wusch das Blut der Schlacht ab, und auf die Sünde folgte die Vergebung.

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