12

Die Pressekonferenz begann pünktlich um zehn. Als Macbeth Scone Hall betrat und zum Podium ging, flammten von überall Kamerablitze auf und warfen seinen Schatten in grotesken Zuckungen an die Wand. Er legte seine Papiere auf dem Pult ab und schaute einige Sekunden auf sie hinab. Dann räusperte er sich und ließ den Blick über die voll besetzten Stuhlreihen wandern. Er hatte nie gern vor Publikum gesprochen. Früher, lange war es her, hatte der bloße Gedanke daran ihm mehr Angst eingejagt als die waghalsigste Mission. Aber es war besser geworden. Heute, an diesem Abend, fühlte er sich regelrecht euphorisch. Er würde es genießen. Weil er die Kontrolle hatte und etwas wusste, was sie nicht wussten. Und weil er gerade eine Linie Brew durchgezogen hatte. Mehr brauchte er nicht.

»Guten Abend, ich bin Inspector Macbeth, Leiter des Dezernats für Organisierte Kriminalität. Wie Sie wissen, wurde Chief Commissioner Duncan heute Morgen um sechs Uhr vierundzwanzig ermordet im Inverness-Casino aufgefunden. Daraufhin wurden die beiden vorläufig Tatverdächtigen, die für Duncans Personenschutz zuständigen Polizeibeamten Andrianov und Hennessy, von den Einsatzkräften im angrenzenden Raum durch Schüsse tödlich verletzt, als sie sich der Festnahme entziehen wollten. Vor einer Stunde ist Ihnen ein detaillierter Bericht über die Ereignisse ausgehändigt worden, über unseren aktuellen Ermittlungsstand sowie unsere vorläufigen Mutmaßungen über den Fall. Diese Punkte können wir also schnell abhaken. Aber ich würde gern noch einige Ergänzungen machen, die eher technischer Natur sind.«

Macbeth hielt den Atem an, und einer der Journalisten konnte sich nicht zurückhalten.

»Was wissen Sie über Malcolm?«, lautete die Frage.

»Ist er tot?«, warf ein anderer Journalist ein.

Macbeth schaute auf seine Notizen hinunter. Schob sie beiseite.

»Wenn Sie der Ansicht sind, dass wir Sie bereits ausreichend über den Mord an Chief Commissioner Duncan informiert haben, können wir auch über das Verschwinden des Deputy Chief Commissioners sprechen.«

»Nein, aber geben Sie uns zuerst die wichtigsten Neuigkeiten, uns sitzen die Abgabetermine im Nacken.«

»Okay«, sagte Macbeth. »Deputy Chief Commissioner Malcolm ist – wie Sie bereits zu wissen scheinen – bei unserer Besprechung heute Abend im Hauptquartier nicht erschienen. An einem Tag, an dem man den Chief Commissioner tot aufgefunden hat, ist dies natürlich beunruhigend. Also haben wir eine Suche eingeleitet und Malcolms Wagen am Nachmittag am Containerhafen aufgefunden. Daraufhin wurde die Umgebung abgesucht, auch von Tauchern. Gefunden haben sie …«

»Die Leiche?«

»… dies.« Macbeth hielt ein rundes Stück Metall hoch, das im Licht der Fernsehscheinwerfer aufblitzte. »Dies ist Malcolms Polizeiabzeichen, und es wurde beim Kai im Hafenbecken gefunden.«

»Glauben Sie, dass ihn jemand getötet hat?«

»Sieht so aus«, sagte Macbeth, ohne mit der Wimper zu zucken, in die nachfolgende Stille hinein. »Wenn wir Malcolm selbst mit einbeziehen.« Er ließ seinen Blick über die Anwesenden gleiten und fuhr fort: »Auf dem Beifahrersitz seines Wagens lag ein Schreiben.«

Macbeth nahm den Brief zur Hand. Räusperte sich.

»Die Norse Riders haben gedroht, meine Tochter Julia zu töten, wenn ich ihnen nicht helfen würde, den Chief Commissioner umzubringen. Aber jetzt haben sie mich in der Hand und wollen, dass ich auch noch weitere Dienste für sie übernehme. Ich weiß, solange ich lebe, wird meine Tochter in Gefahr sein. Deshalb – und weil ich mich für meine Tat schäme – habe ich mich dazu entschlossen, mich zu ertränken. Der Brief trägt die Unterschrift des Deputy Chief Commissioners.«

Macbeth schaute zu den versammelten Journalisten auf. »Die erste Frage, die wir uns gestellt haben – und die Sie sich jetzt vermutlich ebenfalls stellen –, war, ob dieser Brief überhaupt echt ist. Unsere Spurensicherung hat bereits bestätigt, dass der Brief auf Malcolms Schreibmaschine im Hauptquartier geschrieben wurde. Der Papierbogen trägt Malcolms Fingerabdrücke, und es handelt sich auch um seine Unterschrift.«

Es war, als bräuchte der Raum einige Sekunden, um die Information zu verdauen. Dann schallten ihm die Fragen entgegen.

»Gibt es noch irgendwelche anderen Hinweise, die bestätigen, dass Malcolm hinter dem Mord an Duncan gesteckt hat?«

»Wie konnte Malcolm denn den Norse Riders dabei helfen, Duncan zu ermorden?«

»Welche Verbindung bestand zwischen Malcolm und den Leibwächtern?«

»Glauben Sie, dass noch andere Polizeibeamte involviert sind?«

Macbeth hob abwehrend die Hände. »Ich werde jetzt keinerlei Fragen zum Mord an Duncan beantworten, da wir bisher lediglich spekulieren können. Nur Fragen zu Malcolms Verschwinden. Und eine nach der anderen, bitte.«

Stille. Dann sagte die einzige Journalistin im Raum: »Soll das also heißen, dass Sie Malcolms Abzeichen gefunden haben, ihn selbst aber nicht?«

»Wir haben es mit einem sehr schlammigen Untergrund zu tun, und das Wasser in unserem Hafen ist nicht das sauberste. Eine leichte Metallmarke sinkt nicht zwangsläufig so tief in den Schlamm ein wie ein menschlicher Körper, außerdem reflektiert Messing das Licht. Die Taucher werden wohl noch Zeit brauchen, um Deputy Chief Commissioner Malcolm zu finden.«

Macbeth sah zu, wie die Journalisten sich über ihre Blöcke beugten und sich Notizen machten.

»Ist der eigentliche Grund nicht der, dass die Strömungen den Leichnam davontragen?«, fragte eine Stimme mit rollenden Rs.

»Ja«, entgegnete Macbeth und erkannte das Gesicht hinter der Stimme. Einer der wenigen, die sich keine Notizen machten. Walt Kite. Es war nicht nötig, das Mikrofon des Radiosenders war direkt vor Macbeth platziert worden.

»Wenn Malcolm Duncan getötet und es anschließend bereut hat, warum …«

»Halt.« Macbeth hob eine Hand. »Wie gesagt, werde ich keine Fragen über den Mord an Chief Commissioner Duncan beantworten, bis wir mehr über den Hergang wissen. Und nun verstehen Sie bitte, dass wir unsere Arbeit fortsetzen müssen. Unser Hauptaugenmerk liegt darauf, die Ermittlungen so schnell und effektiv voranzutreiben, wie es uns die zur Verfügung stehenden Mittel erlauben. Außerdem müssen wir möglichst bald einen Chief Commissioner ernennen, damit die Polizei ihre Arbeit für diese Stadt weiterhin ohne Einschränkungen leisten kann.«

»Ist es korrekt, dass Sie in der Zwischenzeit die Position des Chiefs innehaben, Macbeth?«

»Theoretisch ja.«

»Und praktisch?«

»Praktisch …« Macbeth hielt inne. Warf einen raschen Blick auf seine Zettel. Befeuchtete die Lippen. »… verfügen wir über eine Gruppe erfahrener Dienststellenleiter, die bereits das Ruder in die Hand genommen haben. Ich scheue mich nicht zu sagen, dass alles unter Kontrolle gebracht wurde. Und ich scheue mich auch nicht, hinzuzufügen, dass es keine leichte Aufgabe sein wird, in Duncans Fußstapfen zu treten. Chief Commissioner Duncan war ein Visionär, ein Held. Er ist im Kampf gegen die Mächte des Bösen gefallen, die heute glauben, einen Sieg davongetragen zu haben.« Er umklammerte das Pult und beugte sich vor. »Aber sie haben nur eines erreicht: dass wir noch entschlossener sind, diese verlorene Schlacht zum Auftakt für den endgültigen Sieg des Guten werden zu lassen. Der Gerechtigkeit. Der Sicherheit. Damit wir unseren Wohlstand wiedererlangen, ihn neu aufbauen können. Aber das schaffen wir nicht allein; dafür brauchen wir Ihr Vertrauen und das Vertrauen der Stadt. Wenn wir das haben, werden wir die Arbeit fortführen können, die Chief Commissioner Duncan begonnen hat. Und ich würde Ihnen gern …« Er hielt inne, um wie zum Schwur eine Hand zu heben. »… persönlich garantieren, dass wir nicht eher ruhen werden, bis wir die Ziele erreicht haben, die Duncan für diese Stadt und für alle – für alle – ihre Bürger gesteckt hat.«

Macbeth ließ das Pult los und richtete sich auf. Schaute die Gesichter an, die vor ihm zu einem Meer aus Augen und offenen Mündern verschwammen. Nein, er hatte keine Angst. Er sah die Wirkung und genoss noch immer den Klang seiner Worte. Ladys Worte. Er hatte sich genau im abgesprochenen Augenblick vorgebeugt. Sie hatte es ihm vor dem Spiegel eingeschärft und ihm erklärt, wie eine aggressive Haltung den Eindruck von spontaner Leidenschaft und Kampfbereitschaft erzeugte. Dass Körpersprache insgesamt wichtiger war als alle Worte, weil sie den Verstand umgeht und direkt zum Herzen spricht.

»Die nächste Pressekonferenz wird morgen Vormittag um elf Uhr hier in Scone Hall stattfinden. Ich danke Ihnen.«

Macbeth sammelte seine Papiere ein, und ein allgemeines enttäuschtes Seufzen war zu hören, bevor ein Sturm von Protesten und Fragen losbrach. Macbeth ließ den Blick durch den Saal wandern. Er wäre gern noch ein Weilchen hiergeblieben. Es fiel ihm schwer, aber im letzten Moment schaffte er es, ein Lächeln zu unterdrücken.

Er sieht aus wie der gottverdammte Kapitän eines Schiffs, dachte Duff, der in der ersten Reihe saß. Ein Kapitän, der furchtlos auf die stürmische See hinausblickt. Irgendwer hat ihm das beigebracht. Das ist nicht der Macbeth, den ich kenne. Kannte.

Macbeth nickte kurz, marschierte über das Podium und verschwand durch die Tür, die Priscilla ihm aufhielt.

»Nun, was meinen Sie, Lennox?«, fragte Duff, während die Journalisten hinter ihnen immer noch lautstark eine Zugabe einforderten.

»Ich bin bewegt«, sagte der rothaarige Inspector. »Und inspiriert.«

»Ganz genau. Das war eher eine Wahlkampfrede als eine Pressekonferenz.«

»Sie können es so auslegen oder einfach als einen cleveren und verantwortungsbewussten Schachzug interpretieren.«

»Verantwortungsbewusst?« Duff schnaubte verächtlich.

»Eine Stadt, ein Land beruhen auf gewissen Vorstellungen. Auf der Vorstellung, dass man Geldscheine gegen Gold eintauschen könnte, dass unsere Anführer an Sie und mich denken und nicht bloß an ihren eigenen Vorteil, dass Verbrechen bestraft werden. Würden wir an diese Vorstellungen nicht glauben, würde unsere Gesellschaft in erschreckend kurzer Zeit auseinanderfallen. Und in einer Situation, in der die Anarchie schon vor der Tür steht, hat Macbeth uns beruhigt. Er hat uns versichert, dass die öffentlichen Institutionen der Stadt noch vollkommen intakt sind. Die Rede war eines Regenten würdig.«

»Oder einer Regentin.«

»Sie glauben, es waren Ladys Worte und nicht die von Macbeth?«

»Frauen kennen sich mit dem Herz des Menschen aus und wissen, wie man es ansprechen muss. Denn das Herz ist die Frau in uns. Selbst wenn das Gehirn größer ist, mehr redet und glaubt, dass der Ehemann Herr im Haus ist, ist es das Herz, das insgeheim die Entscheidungen trifft. Die Rede hat Ihr Herz berührt, und Ihr Verstand läuft freudig hinterher. Glauben Sie mir, Macbeth ist das nicht gegeben; die Rede ist ihr Werk.«

»Und wenn schon. Wir brauchen alle eine bessere Hälfte. Solange das gewünschte Resultat dabei herauskommt, spielt es keine Rolle, ob der Teufel persönlich dahintersteckt. Sie sind doch nicht eifersüchtig auf Macbeth, oder, Duff?«

»Eifersüchtig?« Duff schnaubte erneut. »Warum sollte ich? Er sieht aus und redet wie ein wahrer Anführer, und wenn er auch wie einer handelt, ist es für uns alle das Beste, dass er uns anführt und kein anderer.«

Hinter ihnen wurden Stühle gerückt. Macbeth war nicht zurückgekommen, und die Redaktionsschlüsse rückten näher.


Es war eine Stunde vor Mitternacht. Der Wind hatte nachgelassen, aber der Müll und die Trümmer vom Sturm der vergangenen Nacht wehten noch immer durch die Straßen. Feuchte Nordwestböen bliesen kräftig in den Durchgängen des Bahnhofs, heulten vorbei an einem Bündel, das an einer Wand lag und – einige Meter weiter – an einem Mann, der sich einen Schal um Nase und Mund gebunden hatte.

Strega ging zu ihm.

»Angst, dass man dich erkennt, Macbeth?«

»Sch, sag nicht meinen Namen. Ich habe heute Abend vor Kameras eine Rede gehalten, und ich fürchte, ich habe meine Anonymität verloren.«

»Ich hab die Abendnachrichten gesehen, ja. Du hast gut ausgesehen da oben. Ich habe beinahe alles, was du gesagt hast, geglaubt. Aber ich muss zugeben, einem schönen Gesicht hab ich schon immer alles abgenommen.«

»Woran liegt es eigentlich, dass du sofort auftauchst, wenn ich hier ankomme, Strega?«

Sie lächelte. »Brew?«

»Hast du irgendwas anderes? Speed? Kokain? Von Brew bekomme ich so schlimme Träume und auch Halluzinationen.«

»Es war der Sturm, nicht Brew, der deine schlechten Träume verursacht hat, Macbeth. Ich selbst fasse das Zeug nicht an, und doch habe ich geträumt, dass von dem Donner alle Hunde wahnsinnig geworden wären. Ich habe gesehen, wie sie mit Schaum vorm Maul aufeinander losgegangen sind. Und wie sie sich gegenseitig bei lebendigem Leib aufgefressen haben. Ich war schweißgebadet, als ich aufgewacht bin, und sehr erleichtert.«

Macbeth deutete auf das Bündel im Gang. »Da hast du deinen Traum.«

»Was ist das?«

»Ein halb aufgefressener Hundekadaver, erkennst du das nicht?«

»Ich glaube, du hast schon wieder Halluzinationen. Hier.« Sie drückte ihm einen kleinen Beutel in die Hand. »Brew. Dreh jetzt nicht durch, Macbeth. Denk daran, der Weg ist nicht schwer zu finden, er führt einfach geradeaus.«


Macbeth eilte an der alten Bertha vorbei und über den verlassenen Worker’s Square, der zur beleuchteten Fassade des Inverness hin abfiel. Da sah er in der Dunkelheit eine Gestalt im Regen stehen. Als er näher kam, stellte er überrascht fest, dass es Banquo war.

»Was machst du hier?«, fragte Macbeth.

»Auf dich warten.«

»Und dann stellst du dich nicht bei Bertha unter oder beim Inverness, sondern stehst hier mitten auf dem Platz?«

»Ich konnte mich nicht entscheiden«, sagte Banquo.

»Wo du hinwolltest?«

»Was ich mit Malcolm tun sollte.«

»Du hast ihm nicht die Ketten umgelegt, meinst du?«

»Was?«

»Die Taucher haben die Leiche immer noch nicht gefunden. Ohne Gewichte wird die Strömung ihn abgetrieben haben.«

»Das ist es nicht.«

»Nein? Dann lass uns ins Inverness gehen, statt hier draußen in der Kälte nass zu werden.«

»Für mich ist es zu spät. Ich bin bis auf die Knochen durchgefroren. Ich habe hier auf dich gewartet, weil Journalisten vor dem Casino stehen. Sie warten auf dich, den neuen Chief Commissioner.«

»Dann beeilen wir uns lieber. Was ist passiert?«

»Ich hab der Katze die Haut auf andere Weise abgezogen. Du musst keine Angst haben. Malcolm ist für immer verschwunden und wird nie zurückkommen. Und selbst wenn doch, hat er keine Ahnung, dass du etwas mit der Sache zu tun hast. Er glaubt, dass Hecate hinter allem steckt.«

»Wovon redest du? Ist Malcolm noch am Leben?«

Banquo fröstelte. »Malcolm glaubt, dass ich mit Hecate unter einer Decke stecke und dass ich Duncans Leibwächter angestiftet habe. Ich weiß, wir hatten etwas anderes abgemacht. Aber ich habe unser Problem gelöst und das Leben eines anständigen Mannes gerettet.«

»Wo ist Malcolm jetzt?«

»Weg.«

»Wo?« An Banquos Gesicht erkannte Macbeth, dass er laut geworden war.

»Ich habe ihn zum Flughafen gefahren und ihn in einen Flieger nach Capitol gesetzt. Von dort geht er ins Ausland. Er weiß, wenn er mit jemandem Kontakt aufnimmt oder auch nur das kleinste Lebenszeichen von sich gibt, wird seine Tochter unverzüglich liquidiert. Malcolm ist ein Vater, Macbeth. Und ich weiß, was das bedeutet. Er wird niemals das Leben seiner Tochter aufs Spiel setzen, niemals. Da lässt er lieber eine Stadt vor die Hunde gehen. Glaub mir, selbst wenn er auf einem zugigen, flohverseuchten Dachboden vor sich hin vegetieren muss und jeden Morgen hungrig, frierend und einsam erwacht, wird Malcolm seinem Schöpfer danken, dass seine Tochter einen weiteren Tag leben darf.«

Macbeth hob eine Hand, entdeckte dann aber etwas in Banquos Augen, das er zuvor nur ein einziges Mal gesehen hatte. Niemals in all ihren gemeinsamen Einsätzen gegen Gangster oder Wahnsinnige, die Kinder als Geiseln genommen hatten. Nie, wenn Banquo sich einem größeren, stärkeren Gegner hatte stellen müssen, von dem er wusste, dass der ihn zusammenschlagen konnte – und würde. Macbeth hatte diesen Ausdruck nur einmal auf Banquos Gesicht gesehen. An dem Tag, als er Vera im Krankenhaus besucht und der Arzt ihm die letzten Untersuchungsergebnisse mitgeteilt hatte. Angst. Reine, unverfälschte Angst. Deshalb vermutete Macbeth, dass Banquo auch jetzt keine Angst um sich selbst hatte.

»Danke.« Er ließ seine Hand schwer auf Banquos Schulter sinken. »Ich danke dir, mein lieber Freund, dafür, dass du gnädig warst, wo ich es nicht war. Ich glaubte, ein einzelner Mann wäre ein kleines Opfer, verglichen mit unserem immensen Ziel. Aber du hast recht: Wenn wir verhindern wollen, dass diese Stadt vor die Hunde geht, dürfen wir nicht anständige Menschen sinnlos sterben lassen. Und vielleicht hast du uns beide davor bewahrt, wegen einer grausamen Tat in der Hölle zu landen.«

»Ich bin so froh, dass du es so siehst«, rief Banquo aus, und Macbeth spürte, wie sich Banquos zitternde Schultermuskeln unter seiner Hand entspannten.

»Geh jetzt nach Hause und schlaf, Banquo. Und grüß Fleance von mir.«

»Das mach ich. Gute Nacht.«

Macbeth überquerte nachdenklich den Platz. Manchmal sterben anständige Menschen einen sinnlosen Tod, dachte er. Und manchmal ist er nicht sinnlos. Er trat in das Licht des Inverness und beachtete die Journalisten nicht, die ihm ihre Fragen zuriefen. Zu Malcolm, zu Duncans Leibwächtern, ob Macbeth die beiden tatsächlich selbst erschossen hatte.

Im Casino wurde er von Lady empfangen.

»Sie haben die gesamte Pressekonferenz live im Fernsehen übertragen«, sagte sie und umarmte ihn. Er wollte sie nicht mehr loslassen. Er hielt sie fest, bis er spürte, dass die Hitze in seinen Körper zurückkehrte. Genoss den Stromschlag in seinem Rücken, als ihre Lippen seine Ohren berührten und sie flüsterte: »Chief Commissioner.«

Zu Hause. Bei ihr. Sie beide. Dies war alles, was er wollte. Aber um es zu haben, musste er es sich verdienen. So ging es zu in dieser Welt. Und, das schoss ihm durch den Kopf, auch in der nächsten.


»Bist du wieder zu Hause?«

Duff drehte sich in der Kinderzimmertür nach der überraschten Stimme um. Meredith hatte einen Morgenmantel angezogen und stand zitternd und mit verschränkten Armen da.

»Bloß auf einen Sprung«, flüsterte er. »Ich wollte dich nicht wecken. Will Ewan nicht in seinem eigenen Zimmer schlafen?« Er nickte seinem Sohn zu, der zusammengekauert neben seiner großen Schwester im Bett lag.

Meredith seufzte. »Er hat es sich angewöhnt, zu Emily zu gehen, wenn er nicht schlafen kann. Ich dachte, du würdest in der Stadt bleiben, solange du an diesen furchtbaren Geschichten arbeiten musst.«

»Ja. Aber ich musste mal für eine Weile fliehen. Mir saubere Sachen holen. Nachsehen, ob es euch überhaupt noch gibt. Ich dachte, ich schlafe ein paar Stunden im Gästezimmer und mache mich dann wieder auf den Weg.«

»Na gut, ich mach dir das Bett. Hast du was gegessen?«

»Ich hab keinen Hunger. Ich esse nachher einfach ein Brot, wenn ich wach werde.«

»Ich kann dir Frühstück machen. Ich kann sowieso nicht schlafen.«

»Du legst dich hin und schläfst, Meredith. Ich bleib noch einen Moment auf, und dann mach ich mir mein Bett.«

»Wie du willst.« Sie stand mit verschränkten Armen da und schaute ihn an, aber in der Dunkelheit konnte er ihre Augen nicht sehen. Dann drehte sie sich um und ging.

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